Panel 1: Energiesicherheit und Energiekooperationen zwischen der Ukraine und der EU in Zeiten des Krieges und danach
Der existenzielle Kampf der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg für ihr Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung bestimmt auch die Zukunft des Landes als Mitglied der europäischen Gemeinschaft. Unsere Diskussion auf der Konferenz Cafe Kyiv hat verdeutlicht, dass dies auch für den Energiesektor gilt und dieser ein Vorreiter im Integrationsprozess ist.
Warum sich die Einstellung der ukrainischen Gesellschaft zu erneuerbaren Energien in den vergangenen zwei Jahren fundamental geändert hat, macht ein Beispiel der ukrainischen Abgeordneten Inna Sovsun deutlich: Während der russischen Belagerung von Tschernihiw hatte ein Kinderkrankenhaus dort 20 Tage keinen Strom. Das Personal der Intensivstation musste tagelang Sauerstoffgeräte für Neugeborene per Hand betätigen. Diese schreckliche Erfahrung führte in der Krankenhausverhaltung zur Entscheidung, Solarpanels und Speicher zu installieren.
Solche Geschichten sind typisch für die Ukraine. Schulen, Krankenhäuser, und kritische Infrastrukturobjekte setzen auf erneuerbare Energien, wenn es um ihre Resilienz geht. Es wurde erkannt, dass das von der Sowjetunion vererbte zentralisierte Energiesystem ein Problem, und häufig sogar ein Risiko darstellt. Durch neue Gesetze wird dezentrale Energieerzeugung gefördert, um dem gegenzusteuern.
Dezentralisierung des Energiesystems als Antwort auf Russlands Energieterror
Wie können die EU und Deutschland die Ukraine bei dieser Transformation im Laufe des Krieges unterstützen? Zu den konkreten Potenzialen und Hindernissen der ukrainisch-europäischen Energiekooperation sowie ihre Bedeutung für mehr Energiesicherheit diskutierten auf der Konferenz Cafe Kyiv neben Inna Sovsun (Holos), Robin Wagener (Bündnis 90/ die Grünen) Alina Sviderska (European-Ukrainian Energy Agency), Lewis Haffey (Goldbeck Solar) und Zoltan Elek (Landwärme). Moderiert wurde die Diskussion von Rebecca Harms (MEP 2004–2017).
Zu Beginn stellte Ralf Fücks, Gründer und Geschäftsführer des Zentrums Liberale Moderne, klar: „Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Ukraine ist kein Altruismus. Sie liegt in unserem eigenen Interesse. Die Ukraine könnte mit ihrem riesigen Potenzial an erneuerbaren Energien ein Gewinn für die europäische Energiesicherheit sein.“
Ein großer Schritt in Richtung Energiesicherheit für die Ukraine war die Synchronisierung des ukrainischen Stromsystems mit dem europäischen ENTSO‑E am 16. März 2022 – also nur wenige Wochen nach Beginn der russischen Invasion. Dieser Schritt war sehr wichtig, weil wenige Stunden vor dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 das ukrainische Stromsystem vom russischen und belarussischen getrennt wurde.
Darauf, dass die europäische Integration auch Risiken birgt, machte Inna Sovsun deutlich. Laut dem jüngsten Bericht der Europäischen Kommission steht der ukrainische Energiesektor in Bezug auf die europäische Integration am besten da. Dabei stellen einige EU-Richtlinien große Herausforderungen für die Ukraine dar. Vor allem die Anforderungen zur Datentransparenz können das Energiesystem anfälliger für Cyberattacken machen, in den Zeiten einer hybriden Kriegsführung unzulässig ist. In Bezug auf Abwehr von Cyberangriffen kann man viel von der Ukraine lernen.
Alina Sviderska unterstrich, dass es die wichtigste Aufgabe im ersten Jahr der großen Invasion war, die vorhandenen Anlagen zu schützen, während es im zweiten Jahr vor allem darum ging, Investitionen für Modernisierungen zu mobilisieren. Die Regulierungen sind mittlerweile weitestgehend investitionsfreundlich. Viele Details müssen aber noch angepasst werden, damit ausländische Unternehmen und Investoren in großem Stil in der Ukraine investieren.
Jenseits der Marktintegration ist ein bestehendes Problem die fehlende Regulatorik zum Einsatz von Batteriespeichersystemen (BESS). Für mehr Investitionen in erneuerbare Energien-Projekte wären für Projektentwickler langfristige Stromkaufvereinbarungen (PPA) von großen Industrieabnehmern förderlich. Für den Fall, dass die Abnehmer nicht Kreditwürdig sind, müssen Instrumente entwickelt werden, die das Risiko versichern oder streuen, so dass die Unternehmen weiterhin langfristige Projektfinanzierungen auf der Grundlage solcher PPAs erhalten können.
Ein sehr großes Potential steckt auch bei der Produktion von Biomethan. Dieses erneuerbare Gas ist dem Erdgas sehr ähnlich und kann in der Ukraine, einem der größten Agrarländer Europas, überwiegend aus landwirtschaftlichen Reststoffen hergestellt werden. Das Hochfahren der Produktion hängt aber von den Exportmöglichkeiten ab. Es gibt zwar einen großen Bedarf seitens der EU nach ukrainischem Biomethan und die Bereitschaft von Abnehmern, es zu importieren. Regulatorische Anpassungen auf beiden Seiten sind allerdings noch nötig, damit der Handel Fahrt aufnimmt.
Zudem könnten die ersten Wasserstoffprojekte in der Ukraine in den nächsten Jahren Realität werden, auch wenn sie weiter in der Zukunft liegen als die Kooperation im Bereich Biomethan. Aktuell fehlen allerdings noch Machbarkeitsstudien, und ein Mangel an staatlichen Daten erschwert die Projektentwicklung.
Die Ukraine muss den Krieg gegen Russland gewinnen
Alle Diskussionen der Energieexperten über die Modernisierung der Ukraine und deren großen Potenziale sind allerdings wohlfeil – wenn die Ukraine den Krieg nicht gewinnt. Daher kann dieses Thema nicht unabhängig von der Diskussion über Waffenexporte, Munitionsmangel und Verteidigungspolitik geführt werden. Robin Wagener bringt es in der Diskussion auf den Punkt, wenn er sagt: „Alles, was wir tun, muss von einer starken militärischen Unterstützung begleitet sein“.
Die aktuelle Lage der Ukraine ist sehr kritisch. Die existenzielle Gefahr durch den imperialistischen Krieg Russlands ist real. Gleichzeitig bemüht sich die Ukraine um eine Integration in die EU und um ein Hochfahren ihrer Wirtschaft sowie eine Modernisierung dieser unter nachhaltigen Vorzeichen. Ohne weitgehende westliche Unterstützung – das hat unser Panel ein weiteres Mal unterstrichen – sind diese Mammutaufgaben nicht zu schaffen.
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