Staat­liche Hilfen: Geht die „Bazooka“ nach hinten los?

Foto-berlin.net /​ Shut­ter­stock

Viele fordern ein staat­li­ches Konjunk­tur­pro­gramm, um den Einbruch der Wirt­schaft zu dämpfen. Retho­risch knüpfen Politiker mit „Whatever it takes“ (Markus Söder) und der „Bazooka“ (Olaf Scholz) an die Hilfs­po­litik nach der Lehmann­pleite im Jahr 2008 an. Doch LibMod-Kolumnist und Volkswirt Thieß Petersen warnt: So wichtig schnelle Liqui­di­täts­hilfen waren – kommt ein staat­li­ches Konjunk­tur­pro­gramm zu früh, könnten viele Milli­arden Euro verbrannt werden. Denn im Gegensatz zur Finanz­krise sei diese auch eine Ange­bots­krise: Produk­ti­ons­ketten wurden unter­bro­chen, Fabriken still­ge­legt. Dem Konsum sind durch Abstands­re­geln Grenzen gesetzt. Weil es Staaten selbst sind, die mit dem sozialen auch das wirt­schaft­liche Leben herun­ter­fahren, ist diese Krise anders! Welche wirt­schafts­po­li­ti­schen Instru­mente helfen – und welche nicht?

Der durch die Corona-Pandemie ausge­löste Wirt­schafts­ein­bruch ist immens. Er wird weltweit einen größeren Rückgang von Produk­tion, Beschäf­ti­gung und Einkommen hervor­rufen als die globale Rezession nach der Lehman-Pleite im Herbst 2008. Seiner­zeit war von allen betrof­fenen Volks­wirt­schaften eine expansive Fiskal­po­litik – also eine Kombi­na­tion aus höheren staat­li­chen Ausgaben und Steu­er­sen­kungen – mit Erfolg einge­setzt worden. Auch in der aktuellen Wirt­schafts­krise, die andere Ursachen hat als der Wirt­schafts­ab­schwung 2008/​09, kann der Einsatz dieses wirt­schafts­po­li­ti­schen Instru­ments zweck­mäßig sein. Doch seine Wirkung wird nicht die gleiche sein.

Wichtig ist das Timing. Die Ankur­be­lung der Nachfrage sollte nicht in der Phase der räum­li­chen Distan­zie­rung erfolgen, in der es um die Vermei­dung von Kontakten zwischen Menschen geht, um die Infek­ti­ons­krank­heit einzudämmen. 

Ziel einer expan­siven Fiskal­po­litik ist es, die gesamt­wirt­schaft­liche Nachfrage nach Gütern und Dienst­leis­tungen zu steigern. Unter­nehmen passen sich an eine höhere Nachfrage an, indem sie ihre Produk­tion erhöhen. Im Normal­fall steigt gleich­zeitig die Beschäftigung.

Um die gesamt­wirt­schaft­liche Güter­nach­frage zu erhöhen, kann der Staat im Kern zu zwei Maßnahmen greifen:

  1. Der Staat erhöht seine Nachfrage nach Gütern und Dienst­leis­tungen. Dies umfasst nicht nur den staat­li­chen Konsum, sondern auch höhere öffent­liche Inves­ti­tionen und die Einstel­lung von zusätz­li­chen Beschäf­tigten. Dabei entstehen natürlich höhere Ausgaben, die in der Regel durch eine Kredit­auf­nahme finan­ziert werden. Eine Finan­zie­rung der zusätz­li­chen Ausgaben durch Steu­er­erhö­hungen wäre kontra­pro­duktiv, denn mit dem dann redu­zierten verfüg­baren Einkommen der Privat­per­sonen würde auch deren Konsum­nach­frage sinken.
  2. Der Staat senkt Steuern, Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­träge und andere Einnahmen. Damit steigert er die verfüg­baren Einkommen der privaten Haushalte, deren Konsum­nach­frage ansteigt. Zudem erhöhen geringere Steuern und Abgaben die erwartete Rendite von unter­neh­me­ri­schen Inves­ti­ti­ons­pro­jekten, was die Inves­ti­ti­ons­gü­ter­nach­frage forcieret.

Fiskal­po­litik nach der Lehman-Pleite

Der Wirt­schafts­ein­bruch nach der Insolvenz der ameri­ka­ni­schen Invest­ment­bank Lehman Brothers im September 2008 führte zu einer welt­weiten Vertrau­ens­krise: Banken verloren das Vertrauen in die Bonität vieler poten­zi­eller Kredit­nehmer und verwei­gerten ihnen neue Kredite. Anleger trennten sich aus Angst vor Vermö­gens­ver­lusten von Aktien und Wert­pa­pieren und verur­sachten damit Kurs­rück­gänge. Verbrau­cher befürch­teten einen Arbeits­platz­ver­lust mit Einkom­mens­ein­bußen und schränkten Konsum­aus­gaben ein. Unter­nehmen nahmen all das wahr und redu­zierten ihre Inves­ti­tionen und Produk­tion, was zu einem gerin­geren Bedarf an Arbeits­kräften führte. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertels­mann Stiftung und Lehr­be­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Eine expansive Fiskal­po­litik kann nicht nur die gesamt­wirt­schaft­liche Güter­nach­frage erhöhen, sondern auch das Vertrauen stabi­li­sieren. Wenn Unter­nehmen wissen, dass milli­ar­den­schwere Konjunk­tur­pa­kete zur Ankur­be­lung der Nachfrage bereit­stehen, erhöht das die erwar­teten Umsatz­er­löse – und damit die Produk­tion. Gleich­zeitig blicken Beschäf­tigte opti­mis­ti­scher in die Zukunft, weil ihre Sorge, mögli­cher­weise entlassen zu werden, abnimmt. Damit steigen das erwartete Einkommen und die Konsumbereitschaft.

In Kombi­na­tion mit welt­weiten Zins­sen­kungen, die sich positiv auf den kredit­fi­nan­zierten Kauf von Inves­ti­tions- und Konsum­gü­tern auswirkten, konnte der wirt­schaft­liche Einbruch nach der Lehman-Pleite rasch gebremst werden. So ging das preis­be­rei­nigte Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) in Deutsch­land 2009 zwar im Vergleich zum Vorjahr um 5,7 % zurück, aber schon 2010 wuchs es um 4,2 % und 2011 um 3,9 %.

Fiskal­po­litik in der Coronakrise

Auch bei der durch das Coro­na­virus ausge­lösten Wirt­schafts­krise wird weltweit auf das Instru­ment der Fiskal­po­litik gesetzt. Zumindest kurz­fristig dürfte deren Wirk­sam­keit die Erwar­tungen jedoch nicht erfüllen.

Denn eine Pandemie bewirkt, anders als bei der Lehman-Pleite oder auch bei der im Oktober 1929 durch den Zusam­men­bruch der New Yorker Börse ausge­lösten Welt­wirt­schafts­krise, nicht nur einen Nach­fra­ge­rück­gang, sondern auch einen davon unab­hän­gigen Ange­bots­rück­gang, also eine Ange­bots­krise. Unter­nehmen müssen ihre Produk­tion teilweise oder sogar voll­ständig einstellen, weil ihnen die erfor­der­li­chen Arbeits­kräfte fehlen, dringend benötigte Vorleis­tungen nicht mehr geliefert werden oder der Staat die Schlie­ßung anordnet.

In einer solchen Wirt­schafts­krise ist eine staat­liche Förderung des Konsums zwecklos. Zum einen beschränken die Betriebs­schlie­ßungen die maximal herstell­bare Menge an Gütern und Dienst­leis­tungen. Ist diese Kapa­zi­täts­grenze erreicht, haben weitere Nach­fra­ge­stei­ge­rungen nur noch einen infla­ti­ons­er­hö­henden Effekt. Zum anderen ist es wichtig, die Ausbrei­tung des Virus so gut wie möglich einzu­dämmen. Das verlangt die Verrin­ge­rung der mensch­li­chen Kontakte. Deshalb werden zahl­reiche Konsum­mög­lich­keiten, bei denen eine Kontakt­ver­mei­dung schwer möglich ist, durch staat­liche Verbote einge­schränkt. Die Nachfrage nach entspre­chenden Dienst­leis­tungen – also z. B. der Besuch von Hotels, Restau­rants, Sport­ver­an­stal­tungen, Theatern usw. – zu fördern, wäre mit dem Ziel einer Eindäm­mung der Infek­tionen nicht vereinbar.

Die Schluss­fol­ge­rung: Eine umfang­reiche expansive Fiskal­po­litik bietet sich erst an, wenn die Pandemie einge­dämmt ist und mensch­liche Kontakte wieder möglich sind. Dennoch ist die Ankün­di­gung dieser Politik bereits jetzt wichtig, weil sie das Vertrauen von Unter­nehmen, Verbrau­chern und Beschäf­tigten erhöht.

Liqui­di­täts­si­che­rung als neue Form der Fiskalpolitik?

Was die Wirt­schafts­po­litik schon jetzt zur Stabi­li­sie­rung der Wirt­schaft beitragen kann, ist unter anderem die Bereit­stel­lung von Liqui­di­täts­hilfen, um Unter­neh­mens­pleiten zu verhin­dern. Hier bieten sich viele Instru­mente an: die Bereit­stel­lung von zins­güns­tigen oder sogar zinslosen Krediten durch staat­liche Programme, staat­liche Bürg­schaften für einen besseren Zugang zu Krediten, die Stundung von staat­li­chen Forde­rungen (Steuern und Gebühren) und mehr.

Doch so notwendig Liqui­di­täts­hilfen in der Krise auch sind: Sie können keine Verluste ausglei­chen. Es ist zu befürchten, dass viele Unter­nehmen ihre Kredite nicht zurück­zahlen können, wenn sie lange Zeit schließen müssen und der ausge­fal­lene Konsum später nicht nach­ge­holt werden kann. So befürchtet beispiels­weise der Deutsche Hotel- und Gast­stät­ten­ver­band (DEHOGA), dass in Deutsch­land 70.000 Hotel- und Gastro­no­mie­be­triebe wegen der Coro­na­pan­demie Pleite gehen könnten – das wäre ein Drittel aller Betriebe! Daher kann man nicht ausschließen, dass staat­liche Kredite und Bürg­schaften mittel­fristig zu Ausgaben des Staates werden, weil die Kredit­nehmer sie nicht zurück­zahlen können.

Fazit

Ange­sichts der Schwere der aktuellen Wirt­schafts­krise wird der Staat enorme finan­zi­elle Mittel in die Hand nehmen müssen, um die wirt­schaft­li­chen Schäden – und die mit ihnen verbun­denen sozialen Verwer­fungen – abzu­fe­dern. Einer­seits spielen dabei Ausgaben wie das Kurz­ar­beiter- und Arbeits­lo­sen­geld sowie Sofort­hilfen für kleine Unter­nehmen, Selbst­stän­dige und Frei­be­rufler eine zentrale Rolle. Ande­rer­seits wird es in einer späteren Phase darum gehen, eine höhere staat­liche Nachfrage, also eine Fiskal­po­litik in Form von kredit­fi­nan­zierten Konjunk­tur­pa­keten, zu schaffen.

Wichtig ist das Timing. Die Ankur­be­lung der Nachfrage sollte nicht in der Phase der räum­li­chen Distan­zie­rung erfolgen, in der es um die Vermei­dung von Kontakten zwischen Menschen geht, um die Infek­ti­ons­krank­heit einzu­dämmen. Und wenn die Zeit für eine Stei­ge­rung der Nachfrage durch zusätz­liche Ausgaben dann gekommen ist, sollte das Geld nicht blind­lings in den Konsum fließen, sondern – so wie es beispiels­weise Tom Krebs fordert – für „die sozial-ökolo­gi­sche Trans­for­ma­tion der Gesell­schaft“ genutzt werden. Gesund­heit, Bildung, Digi­ta­li­sie­rung und erneu­er­bare Energien sind die Bereiche, die er empfiehlt. Sie sollten durch öffent­liche Inves­ti­tionen und die Förderung von privaten Inves­ti­tionen gestärkt werden.

Wer meint, dass derartige Ausgaben nur der Verbes­se­rung der ökolo­gi­schen und sozialen Nach­hal­tig­keit dienen, liegt falsch, denn sie steigern auch die gesamt­wirt­schaft­liche Produk­ti­vität und schaffen Arbeits­plätze. Damit wird die Basis für zukünftig höhere Staats­ein­nahmen gelegt. Und die werden notwendig sein, damit die mit den Konjunk­tur­pa­keten einher­ge­henden staat­li­chen Kredite mittel- und lang­fristig wieder zurück­ge­zahlt werden können.

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