Policy Paper: Georgiens Kampf ums demokra­tische Überleben

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Georgien befindet sich auf dem Weg zu einer autori­tären Macht­kon­so­li­dierung. Die syste­ma­tische Einschränkung von Zivil­ge­sell­schaft, politi­schem Wettbewerb und Versamm­lungs­freiheit gehen einher mit einer außen­po­li­ti­schen Abkehr von der EU. Ein Policy Paper von Nino Chachava und Saba Bachveli (beide: Civil Society Foundation, Georgia).

 

Einleitung

Georgien durch­läuft derzeit einen tiefgrei­fenden politi­schen Wandel, der nicht mehr bloß als demokra­ti­scher Backlash bezeichnet werden kann. Die regie­rende Partei Georgi­scher Traum (GD) treibt eine syste­ma­tische Konso­li­dierung der Macht voran, die den Entwick­lungen in anderen autori­tären Regimes ähnelt. Das Tempo und die Richtung der jüngsten Entwick­lungen deuten auf einen struk­tu­rellen Wandel hin zu einem autokra­ti­schen Einpar­tei­en­system mit zunehmend totali­tären Zügen. Die zentralen Säulen der Demokratie – Zivil­ge­sell­schaft, politi­scher Plura­lismus, unabhängige Insti­tu­tionen, Meinungs­freiheit und Versamm­lungs­freiheit – werden syste­ma­tisch ins Visier genommen.

Dieser interne Wandel ist untrennbar mit der Neuaus­richtung der georgi­schen Außen­po­litik verbunden. Die Einführung von Gesetzen nach russi­schem Vorbild liefert nicht nur Instru­mente für interne Repres­sionen, sondern signa­li­siert auch einen bewussten geopo­li­ti­schen Wandel. Während die Regierung ihre autoritäre Macht im Inland festigt, distan­ziert sie sich gleich­zeitig von den tradi­tio­nellen euro-atlan­ti­schen Verbün­deten Georgiens, verschärft ihre konfron­tative Rhetorik gegenüber der EU und den Verei­nigten Staaten, stellt langjährige Partner­schaften in Frage und übernimmt zunehmend die Narrative des Kremls. Diese internen und externen Dynamiken verstärken sich gegen­seitig und spiegeln eine strate­gische Neupo­si­tio­nierung wider, die Georgien näher an autoritäre Modelle als an europäische demokra­tische Prinzipien rückt.

Doch trotz anhal­tender Repres­sionen leistet die georgische Gesell­schaft weiterhin in beispiel­loser Weise Wider­stand. Seit fast einem Jahr finden ununter­brochen fried­liche Demons­tra­tionen statt, wobei sich die Demons­tranten an den eskalie­renden Druck der Polizei, Verwal­tungshaft und restriktive Gesetze anpassen. Der zivil­ge­sell­schaft­liche Aktivismus findet immer wieder neue Ausdrucks­formen und zeigt angesichts der autori­tären Konso­li­dierung sowohl Wider­stands­fä­higkeit als auch Kreati­vität. Wichtig ist, dass die öffent­liche Unter­stützung für die EU-Integration konstant über 70 Prozent liegt (Georgia annual survey 2025) und somit als einer der wenigen verblei­benden demokra­ti­schen Stabi­li­sa­toren inmitten der zuneh­menden Autokra­ti­sierung des Landes dienen kann.

Recht­licher und zwang­hafter Druck auf die georgische Zivilgesellschaft

In den letzten zwei Jahren hat die Regierung eine Reihe von recht­lichen, insti­tu­tio­nellen und zwang­haften Maßnahmen einge­führt und umgesetzt, die darauf abzielen, abwei­chende Meinungen zu unter­drücken und den verblei­benden zivil­ge­sell­schaft­lichen Raum zu schließen. Der derzeitige Rückschritt ist eher struk­tu­reller als episo­discher Natur und wird durch bewusste und nachhaltige Bemühungen zur Konso­li­dierung der Macht durch einen zunehmend restrik­tiven Rechts­rahmen voran­ge­trieben, der durch strafende Vollstre­ckungs­prak­tiken verstärkt wird.

Seit 2024 sind zivil­ge­sell­schaft­liche Organi­sa­tionen (CSOs) mit einer beispiel­losen Eskalation der Repression konfron­tiert. Dieser Prozess begann im Frühjahr 2024 mit der Verab­schiedung des Gesetzes über die „Trans­parenz auslän­di­scher Einfluss­nahme” und verschärfte sich mit der Ausweitung des Gesetzes über „auslän­dische Agenten” und den Änderungen des „Gesetzes über Zuwen­dungen” im April 2025. Zusam­men­ge­nommen haben diese Maßnahmen ein feind­se­liges Umfeld geschaffen, das praktisch keinen Raum für unabhängige zivil­ge­sell­schaft­liche Aktivi­täten lässt.

Die Nicht­ein­haltung des Gesetzes über auslän­dische Agenten führt zu straf­recht­licher Haftung und schweren finan­zi­ellen Strafen, während die Änderungen des Gesetzes über Zuschüsse Organi­sa­tionen effektiv daran hindern, ohne vorherige Geneh­migung der Regierung auslän­dische Mittel zu erhalten. Verstöße führen zu Geldstrafen in Höhe des doppelten Wertes eines nicht geneh­migten Zuschusses, was sowohl die operative Autonomie als auch die finan­zielle Nachhal­tigkeit der betref­fenden Organi­sation unter­gräbt. Eine kürzlich verab­schiedete PACE-Resolution 2624 (2025) beschreibt die kumulative Wirkung dieser Gesetze als verheerend und betont, dass sie das Überleben der georgi­schen Zivil­ge­sell­schaft unmit­telbar gefährden.

Die Behörden haben dem Anti-Korrup­tions-Büro (ACB) zusätz­liche Befug­nisse übertragen und ihm weitrei­chende Zugriffs­rechte auf sensible interne Dokumente, Kommu­ni­ka­tionen, Finanz­un­ter­lagen und Daten über Begüns­tigte einge­räumt. Seit Frühjahr 2025 hat das ACB mehrere Inspek­ti­ons­wellen bei NGOs durch­ge­führt, die letztlich etwa 100 Organi­sa­tionen umfassten. Diese Inspek­tionen werden weithin als politisch motiviert angesehen und sollen zu einer Lähmung der Insti­tu­tionen führen, das öffent­liche Engagement behindern und zur Selbst­zensur zwingen.

Die Repres­sionen verschärften sich im August 2025 erheblich, als die Behörden im Rahmen einer straf­recht­lichen Ermittlung die Bankkonten von sieben zivil­ge­sell­schaft­lichen Organi­sa­tionen einfroren. Es geht um den Verdacht auf mehrere schwere Straf­taten, darunter Sabotage, versuchte Sabotage unter erschwe­renden Umständen, Unter­stützung einer auslän­di­schen Organi­sation oder einer unter auslän­di­schem Einfluss stehenden Organi­sation bei feind­lichen Aktivi­täten und Finan­zierung von Maßnahmen gegen die verfas­sungs­mäßige Ordnung und die nationale Sicherheit Georgiens. Diese Anklagen sehen Strafen von sieben bis fünfzehn Jahren Haft vor. Die Behörden behaupten, dass die Gelder der Organi­sa­tionen dazu verwendet wurden, fried­liche Demons­tranten während der Demons­tra­tionen im Jahr 2024, die von weit verbrei­teter Polizei­gewalt geprägt waren, mit grund­le­genden Schutz­ar­tikeln zu versorgen, sowie um Geldstrafen zu bezahlen, kostenlose Rechts­hilfe zu leisten und mit inter­na­tio­nalen Partnern zusam­men­zu­ar­beiten. Unter anderem wurden die Direk­toren mehrerer zivil­ge­sell­schaft­licher Organi­sa­tionen zur Befragung vorge­laden, während opposi­tio­nelle Politiker bereits aufgrund ähnlicher Vorwürfe offiziell angeklagt wurden.

Inmitten des zuneh­menden Drucks auf die Zivil­ge­sell­schaft hat die Regierung eine umstrittene Reform des Hochschul­wesens angekündigt, die Änderungen bei der Finan­zierung der Univer­si­täten, die Umver­teilung der Fakul­täten und eine Optimierung der Ressourcen vorsieht. Angesichts des intrans­pa­renten und extrem beschleu­nigten Verfahrens und des Klimas wachsender Feind­se­ligkeit gegenüber abwei­chenden Meinungen im akade­mi­schen Bereich sind Bedenken aufge­kommen, dass die Reform darauf abzielt, politische Kontrolle über die Univer­si­täten zu erlangen und die verblei­benden unabhän­gigen Räume im akade­mi­schen Sektor weiter zu untergraben.

Trotz des zuneh­menden Drucks, einschließlich der Gefahr straf­recht­licher Verfolgung, aufdring­licher Inspek­tionen, Einfrierung von Vermö­gens­werten und anhal­tender staatlich orches­trierter Diffa­mierung, setzen georgische zivil­ge­sell­schaft­liche Organi­sa­tionen ihre Arbeit fort. Viele haben sich angepasst, indem sie ihre Strategien adaptiert, ihre Aktivi­täten dezen­tra­li­siert und alter­native Methoden und Mittel entwi­ckelt haben, um ihre Arbeit fortzu­setzen. Diese Maßnahmen spiegeln jedoch etablierte autoritäre Techniken wider, mit denen der zivil­ge­sell­schaft­liche Raum einge­schränkt, die demokra­tische Rechen­schafts­pflicht geschwächt und die für eine plura­lis­tische Regie­rungs­führung wesent­lichen insti­tu­tio­nellen Grund­lagen ausge­höhlt werden. Diese Entwicklung deutet nicht nur auf einen Rückschritt hin, sondern auf den syste­ma­ti­schen Abbau des zivil­ge­sell­schaft­lichen Sektors als unabhän­giger Akteur innerhalb des georgi­schen Staatssystems.

Erosion des politi­schen Plura­lismus in Georgien: Recht­liche und insti­tu­tio­nelle Mechanismen

Bis 2025 hat sich das politische Umfeld in Georgien drama­tisch verschlechtert. Die staat­lichen Maßnahmen gegen Opposi­ti­ons­führer erreichten ein Ausmaß, das mit demokra­ti­scher Regie­rungs­führung und Rechts­staat­lichkeit unver­einbar ist. Sieben Führer, die alle großen Opposi­ti­ons­par­teien vertreten, befinden sich in Haft oder wurden verur­teilt, wobei einige mehrere Monate im Gefängnis verbringen, weil sie einer Vorladung einer parla­men­ta­ri­schen Unter­su­chungs­kom­mission der Einheits­partei nicht nachge­kommen sind, die weithin als partei­isches Instrument ohne verfah­rens­recht­liche Legiti­mität angesehen wird.

Im November 2025 erhob die Staats­an­walt­schaft gegen acht Opposi­ti­ons­führer neue Straf­an­zeigen, unter den Ankla­ge­punkten waren Sabotage, Zusam­men­arbeit mit auslän­di­schen Mächten und Versuch des Sturzes der verfas­sungs­mä­ßigen Ordnung. Opposi­ti­ons­führer müssen nun mit langen Haftstrafen wegen Aktivi­täten rechnen, die eindeutig im Rahmen der legitimen politi­schen Betei­ligung liegen.

Gleich­zeitig hat die Regie­rungs­partei Geset­zes­maß­nahmen voran­ge­trieben, die den politi­schen Plura­lismus direkt bedrohen. Am 16. Oktober 2025 verab­schiedete das Einpar­tei­en­par­lament im Eilver­fahren ein Paket von Geset­zes­än­de­rungen, das das Verbot politi­scher Parteien und den unbefris­teten Entzug der politi­schen Rechte für Personen, die mit ihnen in Verbindung stehen, ermög­licht. Ziel und Wirkung dieser Maßnahmen war es, politische Konkur­renten der Regie­rungs­partei präventiv von der Teilnahme am öffent­lichen Leben auszu­schließen. Auf die Geset­zes­än­de­rungen folgte unmit­telbar eine verfas­sungs­recht­liche Klage, in der das Verbot von drei großen Opposi­ti­ons­par­teien gefordert wurde.

Die vorge­brachten recht­lichen Begrün­dungen sind weit gefasst und politisch aufge­laden, darunter Behaup­tungen, dass Opposi­ti­ons­par­teien die Legiti­mität der Regierung in Frage gestellt hätten, sowie Handlungen im Zusam­menhang mit dem Krieg im August 2008 und Entschei­dungen zum Boykott von Wahlen.

Am 17. November führte die Regie­rungs­partei weitere Änderungen des Wahlge­setzes ein, mit denen georgi­schen Bürgern mit Wohnsitz im Ausland das Wahlrecht bei Parla­ments­wahlen entzogen wurde, mit der Begründung, diese Bürger stünden „unter dem Druck auslän­di­scher Regie­rungen”. Dieser Schritt ist eine weitere Maßnahme, die zur Festigung einer zunehmend autori­tären Regie­rungs­führung beiträgt und den gesell­schaft­lichen und politi­schen Plura­lismus weiter schwächt.

Die kombi­nierte Anwendung von Straf­ver­folgung, restrik­tiven Gesetzen und Verfas­sungs­klagen zeugt von einer koordi­nierten Strategie zur Festigung der Einpar­tei­en­herr­schaft durch juris­tische und adminis­trative Mittel. Diese Entwick­lungen festigen die autoritäre Kontrolle und besei­tigen effektiv die Voraus­set­zungen für einen echten politi­schen Wettbewerb und eine plura­lis­tische Regierungsführung.

Angriffe auf die Versamm­lungs­freiheit in Georgien

Seit dem Frühjahr 2024 und insbe­sondere während der Proteste im November und Dezember sind die Georgier zuneh­menden Angriffen auf die Versamm­lungs­freiheit ausge­setzt, wobei die Polizei immer aggres­siver vorgeht. Es wurden weit verbreitete Missbräuche dokumen­tiert, darunter der rechts­widrige und unver­hält­nis­mäßige Einsatz von Sonder­maß­nahmen, die zu schweren Verlet­zungen führten, willkür­liche Verhaf­tungen durch nicht identi­fi­zierbare Polizei- und Spezi­al­ein­heiten, körper­liche Gewalt während der Verhaf­tungen, des Trans­ports und der Inhaf­tierung, Verwei­gerung medizi­ni­scher Versorgung und Behin­derung von Rettungs­diensten sowie syste­ma­tische Straf­lo­sigkeit aufgrund der Nicht­er­füllung ihrer Aufgaben durch den Sonder­er­mitt­lungs­dienst und die Justiz (Menschen­rechts­krise in Georgien [November 2024 – Februar 2025]: Ein gemein­samer Bericht von elf georgi­schen Organi­sa­tionen der Zivil­ge­sell­schaft, Tiflis, 14. Mai 2025)

Am 1. Dezember 2025 berichtete die BBC, dass sie Hinweise darauf gefunden habe, dass die georgi­schen Behörden während der am 28. November 2024 begon­nenen Demons­tra­tionen mögli­cher­weise verbotene chemische Substanzen gegen Demons­tranten einge­setzt hätten. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, würde dies einen schwer­wie­genden Verstoß gegen inter­na­tionale Normen, Menschen­rechts­ver­pflich­tungen und Georgiens Verpflich­tungen aus inter­na­tio­nalen Überein­kommen darstellen.

Anstatt Trans­parenz über die gegen fried­liche Demons­tranten einge­setzten chemi­schen Mittel zu schaffen, hat der georgische Staats­si­cher­heits­dienst begonnen, Personen, die in einer BBC-Dokumen­tation vorge­stellt wurden, darunter Ärzte und Menschen­rechts­ver­tei­diger, im Rahmen einer Unter­su­chung wegen angeb­licher „Unter­stützung auslän­di­scher Einrich­tungen” und „Amtsmiss­brauchs” zur Befragung vorzuladen.

Obwohl Hunderte von Fällen von Misshand­lungen von Demons­tranten im November und Dezember 2024 gemeldet wurden, wurde keiner der Vorfälle unter­sucht. Nach den gewalt­samen Nieder­schla­gungen reagierte die inter­na­tionale Gemein­schaft mit gezielten Sanktionen und Reise­ver­boten gegen hochrangige Polizei­beamte und Richter, von denen einige später entlassen wurden. Nach Mitte Dezember nahm die groß angelegte physische Gewalt ab, und die Behörden schienen ihre Taktik vom weit verbrei­teten Einsatz von Gewalt auf recht­liche, adminis­trative und finan­zielle Druck­mittel umzustellen, was unter anderem durch die Sanktionen und die Aussicht auf weitere inter­na­tionale Maßnahmen beein­flusst worden sein könnte.

Im Laufe des letzten Jahres wurden der recht­liche Rahmen und die Polizei­prak­tiken für fried­liche Versamm­lungen in Georgien einer Reihe restrik­tiver Änderungen unter­zogen, wodurch die Teilnahme an Protesten zu einer risiko­reichen und stark bestraften Aktivität wurde. Der Prozess begann im Dezember 2024, die jüngsten Änderungen wurden im Oktober 2025 verab­schiedet. Jedes Geset­zes­paket reagierte direkt auf neue Protest­tak­tiken: Die Geldstrafen für protest­be­zogene Handlungen wurden um das 20- bis 30-fache erhöht und erreichten 5.000 GEL – das entspricht etwa dem 2,5- bis 3‑fachen des durch­schnitt­lichen Monats­ein­kommens und ist für normale Bürger somit praktisch unerschwinglich. Fonds, die zuvor Menschen finan­ziell unter­stützten, die während der anhal­tenden Proteste gegen das Regime mit Geldstrafen belegt oder aufgrund ihres zivil­ge­sell­schaft­lichen Engage­ments entlassen wurden, wurden ebenfalls einge­froren. Die weit verbreitete Verhängung dieser hohen Geldstrafen hat die Teilnehmer mit einer unver­hält­nis­mä­ßigen finan­zi­ellen Belastung konfron­tiert und eine abschre­ckende Wirkung auf die Ausübung des Rechts auf fried­liche Versammlung gehabt.

Die maximale Dauer der Verwal­tungshaft wurde von 15 auf 60 Tage verlängert und übertrifft damit die vergleich­baren Grenzen in Russland und Belarus (15 Tage). Mit den neuen Änderungen vom Oktober 2025 wurde die Verwal­tungshaft für erstmalige Verstöße gegen Versamm­lungs­vor­schriften und die straf­recht­liche Haftung für Wieder­ho­lungs­taten einge­führt. Der erste Fall nach den neuen Vorschriften wurde bereits einge­leitet. Nach diesem neuen Rahmen kann bereits die Nicht­be­folgung einer recht­mä­ßigen Anordnung der Straf­ver­fol­gungs­be­hörden zu straf­recht­lichen Anklagen und Freiheits­strafen führen. Geldstrafen wurden weitgehend durch Haftstrafen ersetzt, was bedeutet, dass Teilnehmer nun mit bis zu 15 Tagen Haft rechnen müssen, wenn sie beispiels­weise während einer Demons­tration ihr Gesicht verhüllen, Straßen teilweise oder vollständig blockieren oder Hinder­nisse für den Fußgänger- oder Fahrzeug­verkehr schaffen.

Nach der Einführung der neuen Änderungen wurden täglich 5 bis 10 Personen wegen Handlungen wie Behin­derung des Verkehrs festge­nommen. Die Polizei begann, Straßen­blo­ckaden physisch zu verhindern, was die Demons­tranten dazu veran­lasste, von stati­schen Kundge­bungen zu mobilen Märschen überzu­gehen. Trotz dieser Anpas­sungen setzten sich syste­ma­tische willkür­liche Verhaf­tungen fort, die sich oft gegen Personen richteten, die lediglich in Gruppen gingen oder auf Gehwegen standen, und häufig auf absurden oder erfun­denen Anschul­di­gungen beruhten, darunter angeb­liche Ungehor­samkeit gegenüber polizei­lichen Anord­nungen. Im Oktober 2025 dokumen­tierte Trans­pa­rency Inter­na­tional Georgia die Inhaf­tierung von elf Medien­ver­tretern aufgrund von Verwaltungsanklagen.

Am 10. Dezember wurden neue restriktive Maßnahmen einge­führt, die die Kontrolle über die Versamm­lungs­freiheit weiter verschärften. Die Änderungen erweitern die staat­liche Aufsicht erheblich, indem sie von den Organi­sa­toren verlangen, das Innen­mi­nis­terium fünf Tage im Voraus über jede Versammlung oder Demons­tration zu infor­mieren, und indem sie die Versamm­lungs­be­schrän­kungen von Straßen auf Fußgän­ger­zonen ausweiten, wodurch praktisch kein Raum für Proteste mehr bleibt. Die Nicht­ein­haltung kann zu einer Verwal­tungshaft von bis zu 15 Tagen führen, während Wieder­ho­lungs­fälle straf­rechtlich verfolgt werden können, einschließlich einer Freiheits­strafe von bis zu einem Jahr.

Was Straf­an­zeigen im Zusam­menhang mit der Teilnahme an Protesten betrifft, berichtet Trans­pa­rency Inter­na­tional Georgia, dass seit Ende 2024 148 Personen straf­rechtlich verfolgt wurden, 66 sich weiterhin in Unter­su­chungshaft befinden und 54 verur­teilt wurden. Pro Kopf gesehen übersteigt die Zahl der straf­rechtlich verfolgten Demons­tranten in Georgien mittler­weile die vergleich­baren Zahlen für Russland, was ein extrem hohes Maß an Repression in einem Land wider­spiegelt, das nominell weiterhin EU-Beitritts­kan­didat ist.

Die kumulative Wirkung von überhöhten Geldstrafen, routi­ne­mä­ßiger Verwal­tungshaft und straf­recht­licher Haftung für wieder­holte Verstöße hat ein Rechts- und Polizei­system geschaffen, das ausdrücklich darauf ausge­richtet ist, die Mobili­sierung der Bürger zu unter­binden. Durch die konti­nu­ier­liche Verschärfung der Vorschriften und die Anpassung der Durch­setzung an Protest­tak­tiken reagieren die Behörden nicht nur auf Dissens, sondern unter­drücken aktiv fried­liche Versamm­lungen und bauen einen der letzten Wege für demokra­tische Meinungs­äu­ßerung ab.

Propa­ganda als Säule der aufkom­menden Autokratie in Georgien

Eine zentrale Säule der autori­tären Konso­li­dierung ist das expan­die­rende Desin­for­ma­tions- und Propa­gan­da­system der Regie­rungs­partei, das zu einem der mächtigsten Instru­mente zur Manipu­lation der öffent­lichen Meinung geworden ist. GD-nahe Medien arbeiten eng mit den Narra­tiven des Kremls zusammen und verteufeln und delegi­ti­mieren syste­ma­tisch inter­na­tionale Partner, EU-Insti­tu­tionen und demokra­tische Verbündete. Kritische Äußerungen der EU, der USA, der OSZE und anderer Organi­sa­tionen werden als „auslän­dische Einmi­schung“ darge­stellt, während inlän­dische Kritiker als „Feinde“, „Verräter“ oder Agenten gegen die georgische Staat­lichkeit hinge­stellt werden. Diese Narra­tiv­ar­chi­tektur zielt nicht nur darauf ab, Georgien von seinen demokra­ti­schen Partnern zu isolieren, sondern schafft auch ein feind­se­liges Umfeld, in dem Gewalt und Intoleranz gegenüber Anders­den­kenden implizit gefördert werden. Durch die Insze­nierung einer „Infor­ma­ti­ons­be­la­gerung“ verstärkt die Regie­rungs­partei das Misstrauen der Öffent­lichkeit gegenüber unabhän­gigen Stimmen und festigt die ideolo­gi­schen Grund­lagen ihres entste­henden autokra­ti­schen Systems.

Politische Empfeh­lungen:  Koordi­nierte inter­na­tionale Reaktion auf die Konso­li­dierung der Autokratie in Georgien

Die demokra­tische Zukunft Georgiens ist nach wie vor sichtbar, voraus­ge­setzt, dieje­nigen, die sie vertei­digen, erhalten die notwendige Unter­stützung und den notwen­digen Schutz. Eine koordi­nierte inter­na­tionale Strategie ist erfor­derlich, um die Menschen­rechte zu wahren, den zivil­ge­sell­schaft­lichen Raum zu unter­stützen und eine weitere autoritäre Konso­li­dierung in Georgien zu verhindern. Ein aktives Engagement der EU und anderer Partner­staaten könnte einen spürbaren Unter­schied bewirken. Konkret könnten die EU und andere Partner­staaten Folgendes tun:

  • Aktive Unter­stützung einer unabhän­gigen inter­na­tio­nalen Untersuchung

Die jüngste Unter­su­chung der BBC zum mutmaß­lichen Einsatz chemi­scher Reizstoffe und nicht identi­fi­zierter Substanzen gegen Demons­tranten hat die Besorgnis über syste­ma­tische und eskalie­rende staat­liche Gewalt in Georgien verstärkt. Opposi­ti­ons­par­teien und zivil­ge­sell­schaft­liche Organi­sa­tionen haben bereits eine unabhängige inter­na­tionale Unter­su­chung unter der Leitung glaub­wür­diger Organi­sa­tionen gefordert, um die Fakten zu ermitteln, die Verant­wort­lichen zu bestimmen und den weiteren Einsatz solcher Substanzen zu verhindern. Die Unter­stützung einer solchen Unter­su­chung sollte der erste Schritt sein, um eine solide Beweis­grundlage für alle weiteren politi­schen Maßnahmen zu schaffen.

  • Inter­na­tionale Menschen­rechts­me­cha­nismen aktivieren

Die Aktivierung bestehender inter­na­tio­naler Mecha­nismen zur Rechen­schafts­pflicht im Bereich der Menschen­rechte ist von entschei­dender Bedeutung. Der Moskauer Mecha­nismus der OSZE, der beispiels­weise in Belarus wirksam einge­setzt wurde, ist ein glaub­wür­diges und schnelles Instrument für Fälle, in denen nationale Insti­tu­tionen keine Rechen­schafts­pflicht gewähr­leisten können. Eine Unter­su­chungs­mission im Rahmen dieses Mecha­nismus wäre in der Lage, glaub­würdige Unter­lagen über Menschen­rechts­ver­let­zungen vor Ort zu sammeln. Ein entspre­chender Bericht würde eine solide Grundlage für evidenz­ba­sierte, gezielte inter­na­tionale Maßnahmen schaffen.

  • Koordi­nierte restriktive Maßnahmen umsetzen

Auch wenn es schwierig sein mag, eine EU-weite Einstim­migkeit zu erreichen, können einzelne Mitglied­staaten dennoch gemeinsam gezielte Sanktionen gegen Personen und Organi­sa­tionen verhängen, die für Repres­sionen verant­wortlich sind. Bilaterale oder koali­ti­ons­ba­sierte Maßnahmen, beispiels­weise im Rahmen des Weimar+-Formats (Deutschland, Frank­reich, Polen und gleich­ge­sinnte Partner), können die Legiti­mität von Beweisen stärken, trotz Blockaden auf EU-Ebene Rechen­schafts­pflicht sicher­stellen und konkrete Konse­quenzen für Akteure durch­setzen, die den demokra­ti­schen Rückschritt voran­treiben. Glaub­würdige Unter­lagen aus inter­na­tio­nalen Unter­su­chungen oder OSZE-Unter­su­chungs­mis­sionen würden die Grundlage für solche gezielten Maßnahmen bilden, die mit dem globalen Menschen­rechts-Sankti­ons­regime der EU (Verordnung 2020/​1998 des Rates) im Einklang stehen.

  • Finan­zi­ellen Druck auf autoritäre Netzwerke ausüben

Gezielte finan­zielle Maßnahmen wären ein äußerst wirksames Instrument, um Einfluss auf die autokra­tische Führung zu nehmen. Besonders wirksam wären Maßnahmen, die den Zugang zu Vermö­gens­werten, Finanz­netz­werken und Opera­tionen einschränken, die von oligar­chi­schen Struk­turen sowie von regie­rungs­nahen Unter­nehmen und Medien kontrol­liert werden. Solche Schritte würden die Ressour­cen­basis des Regimes schwächen, seine Propa­gan­da­netz­werke stören, seine Repres­si­ons­ka­pa­zi­täten einschränken und unabhängige Akteure und die Zivil­ge­sell­schaft stärken. Die Umsetzung kann je nach den gesetz­lichen Möglich­keiten bilateral oder koordi­niert erfolgen.

  • Sicher­stellung des Überlebens und der Wider­stands­fä­higkeit der Zivilgesellschaft

Externer Druck sollte mit einer robusten Unter­stützung zivil­ge­sell­schaft­licher Akteure einher­gehen, darunter flexible, schnell verfügbare Finanz­mittel, Nothilfe für Aktivisten und unabhängige Medien, fortge­setzte Rechts­hilfe für Inhaf­tierte und Opfer von Repres­sionen sowie Maßnahmen zum Schutz von Journa­listen, Menschen­rechts­ver­tei­digern und zivil­ge­sell­schaft­lichen Aktivisten. Die Stärkung der Zivil­ge­sell­schaft auf diese Weise ist unerlässlich, um Kanäle für fried­liche Mobili­sierung aufrecht­zu­er­halten und Grund­rechte unter zuneh­mendem staat­lichem Druck zu schützen.

  • Überdenken der demokra­ti­schen Einfluss­mög­lich­keiten der EU in aufstre­benden Autokratien

Da die georgische Führung den EU-Beitritt des Landes faktisch ausge­setzt hat, sind die Möglich­keiten der Union, ihr zentrales Instrument der Kondi­tio­na­lität anzuwenden, erheblich einge­schränkt. Dies unter­streicht die Unzuläng­lichkeit der bestehenden EU-Instru­mente im Umgang mit autokra­ti­schen Regimes, die auf eine EU-Integration verzichten, um den demokra­ti­sie­renden Einfluss der Union zu schwächen. Die Situation in Georgien erfordert daher ernst­haftere Überle­gungen, eine gründ­liche Bewertung der Reali­täten und die Entwicklung eines strate­gi­scheren und anpas­sungs­fä­hi­geren Ansatzes, der in der Lage ist, auf Kontexte zu reagieren, in denen eine autoritäre Wende die derzei­tigen Maßnahmen der EU zur Förderung der Demokratie unwirksam macht.

Autoren:

Nino Chachava (EU-Projekt­ko­or­di­na­torin, Civil Society Foundation, Georgien) und Saba Bachveli (Managerin des Menschen­rechts­pro­gramms, Civil Society Foundation, Georgien)

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