Policy Paper: Georgiens Kampf ums demokratische Überleben

Georgien befindet sich auf dem Weg zu einer autoritären Machtkonsolidierung. Die systematische Einschränkung von Zivilgesellschaft, politischem Wettbewerb und Versammlungsfreiheit gehen einher mit einer außenpolitischen Abkehr von der EU. Ein Policy Paper von Nino Chachava und Saba Bachveli (beide: Civil Society Foundation, Georgia).
Einleitung
Georgien durchläuft derzeit einen tiefgreifenden politischen Wandel, der nicht mehr bloß als demokratischer Backlash bezeichnet werden kann. Die regierende Partei Georgischer Traum (GD) treibt eine systematische Konsolidierung der Macht voran, die den Entwicklungen in anderen autoritären Regimes ähnelt. Das Tempo und die Richtung der jüngsten Entwicklungen deuten auf einen strukturellen Wandel hin zu einem autokratischen Einparteiensystem mit zunehmend totalitären Zügen. Die zentralen Säulen der Demokratie – Zivilgesellschaft, politischer Pluralismus, unabhängige Institutionen, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit – werden systematisch ins Visier genommen.
Dieser interne Wandel ist untrennbar mit der Neuausrichtung der georgischen Außenpolitik verbunden. Die Einführung von Gesetzen nach russischem Vorbild liefert nicht nur Instrumente für interne Repressionen, sondern signalisiert auch einen bewussten geopolitischen Wandel. Während die Regierung ihre autoritäre Macht im Inland festigt, distanziert sie sich gleichzeitig von den traditionellen euro-atlantischen Verbündeten Georgiens, verschärft ihre konfrontative Rhetorik gegenüber der EU und den Vereinigten Staaten, stellt langjährige Partnerschaften in Frage und übernimmt zunehmend die Narrative des Kremls. Diese internen und externen Dynamiken verstärken sich gegenseitig und spiegeln eine strategische Neupositionierung wider, die Georgien näher an autoritäre Modelle als an europäische demokratische Prinzipien rückt.
Doch trotz anhaltender Repressionen leistet die georgische Gesellschaft weiterhin in beispielloser Weise Widerstand. Seit fast einem Jahr finden ununterbrochen friedliche Demonstrationen statt, wobei sich die Demonstranten an den eskalierenden Druck der Polizei, Verwaltungshaft und restriktive Gesetze anpassen. Der zivilgesellschaftliche Aktivismus findet immer wieder neue Ausdrucksformen und zeigt angesichts der autoritären Konsolidierung sowohl Widerstandsfähigkeit als auch Kreativität. Wichtig ist, dass die öffentliche Unterstützung für die EU-Integration konstant über 70 Prozent liegt (Georgia annual survey 2025) und somit als einer der wenigen verbleibenden demokratischen Stabilisatoren inmitten der zunehmenden Autokratisierung des Landes dienen kann.
Rechtlicher und zwanghafter Druck auf die georgische Zivilgesellschaft
In den letzten zwei Jahren hat die Regierung eine Reihe von rechtlichen, institutionellen und zwanghaften Maßnahmen eingeführt und umgesetzt, die darauf abzielen, abweichende Meinungen zu unterdrücken und den verbleibenden zivilgesellschaftlichen Raum zu schließen. Der derzeitige Rückschritt ist eher struktureller als episodischer Natur und wird durch bewusste und nachhaltige Bemühungen zur Konsolidierung der Macht durch einen zunehmend restriktiven Rechtsrahmen vorangetrieben, der durch strafende Vollstreckungspraktiken verstärkt wird.
Seit 2024 sind zivilgesellschaftliche Organisationen (CSOs) mit einer beispiellosen Eskalation der Repression konfrontiert. Dieser Prozess begann im Frühjahr 2024 mit der Verabschiedung des Gesetzes über die „Transparenz ausländischer Einflussnahme” und verschärfte sich mit der Ausweitung des Gesetzes über „ausländische Agenten” und den Änderungen des „Gesetzes über Zuwendungen” im April 2025. Zusammengenommen haben diese Maßnahmen ein feindseliges Umfeld geschaffen, das praktisch keinen Raum für unabhängige zivilgesellschaftliche Aktivitäten lässt.
Die Nichteinhaltung des Gesetzes über ausländische Agenten führt zu strafrechtlicher Haftung und schweren finanziellen Strafen, während die Änderungen des Gesetzes über Zuschüsse Organisationen effektiv daran hindern, ohne vorherige Genehmigung der Regierung ausländische Mittel zu erhalten. Verstöße führen zu Geldstrafen in Höhe des doppelten Wertes eines nicht genehmigten Zuschusses, was sowohl die operative Autonomie als auch die finanzielle Nachhaltigkeit der betreffenden Organisation untergräbt. Eine kürzlich verabschiedete PACE-Resolution 2624 (2025) beschreibt die kumulative Wirkung dieser Gesetze als verheerend und betont, dass sie das Überleben der georgischen Zivilgesellschaft unmittelbar gefährden.
Die Behörden haben dem Anti-Korruptions-Büro (ACB) zusätzliche Befugnisse übertragen und ihm weitreichende Zugriffsrechte auf sensible interne Dokumente, Kommunikationen, Finanzunterlagen und Daten über Begünstigte eingeräumt. Seit Frühjahr 2025 hat das ACB mehrere Inspektionswellen bei NGOs durchgeführt, die letztlich etwa 100 Organisationen umfassten. Diese Inspektionen werden weithin als politisch motiviert angesehen und sollen zu einer Lähmung der Institutionen führen, das öffentliche Engagement behindern und zur Selbstzensur zwingen.
Die Repressionen verschärften sich im August 2025 erheblich, als die Behörden im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung die Bankkonten von sieben zivilgesellschaftlichen Organisationen einfroren. Es geht um den Verdacht auf mehrere schwere Straftaten, darunter Sabotage, versuchte Sabotage unter erschwerenden Umständen, Unterstützung einer ausländischen Organisation oder einer unter ausländischem Einfluss stehenden Organisation bei feindlichen Aktivitäten und Finanzierung von Maßnahmen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die nationale Sicherheit Georgiens. Diese Anklagen sehen Strafen von sieben bis fünfzehn Jahren Haft vor. Die Behörden behaupten, dass die Gelder der Organisationen dazu verwendet wurden, friedliche Demonstranten während der Demonstrationen im Jahr 2024, die von weit verbreiteter Polizeigewalt geprägt waren, mit grundlegenden Schutzartikeln zu versorgen, sowie um Geldstrafen zu bezahlen, kostenlose Rechtshilfe zu leisten und mit internationalen Partnern zusammenzuarbeiten. Unter anderem wurden die Direktoren mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Befragung vorgeladen, während oppositionelle Politiker bereits aufgrund ähnlicher Vorwürfe offiziell angeklagt wurden.
Inmitten des zunehmenden Drucks auf die Zivilgesellschaft hat die Regierung eine umstrittene Reform des Hochschulwesens angekündigt, die Änderungen bei der Finanzierung der Universitäten, die Umverteilung der Fakultäten und eine Optimierung der Ressourcen vorsieht. Angesichts des intransparenten und extrem beschleunigten Verfahrens und des Klimas wachsender Feindseligkeit gegenüber abweichenden Meinungen im akademischen Bereich sind Bedenken aufgekommen, dass die Reform darauf abzielt, politische Kontrolle über die Universitäten zu erlangen und die verbleibenden unabhängigen Räume im akademischen Sektor weiter zu untergraben.
Trotz des zunehmenden Drucks, einschließlich der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung, aufdringlicher Inspektionen, Einfrierung von Vermögenswerten und anhaltender staatlich orchestrierter Diffamierung, setzen georgische zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Arbeit fort. Viele haben sich angepasst, indem sie ihre Strategien adaptiert, ihre Aktivitäten dezentralisiert und alternative Methoden und Mittel entwickelt haben, um ihre Arbeit fortzusetzen. Diese Maßnahmen spiegeln jedoch etablierte autoritäre Techniken wider, mit denen der zivilgesellschaftliche Raum eingeschränkt, die demokratische Rechenschaftspflicht geschwächt und die für eine pluralistische Regierungsführung wesentlichen institutionellen Grundlagen ausgehöhlt werden. Diese Entwicklung deutet nicht nur auf einen Rückschritt hin, sondern auf den systematischen Abbau des zivilgesellschaftlichen Sektors als unabhängiger Akteur innerhalb des georgischen Staatssystems.
Erosion des politischen Pluralismus in Georgien: Rechtliche und institutionelle Mechanismen
Bis 2025 hat sich das politische Umfeld in Georgien dramatisch verschlechtert. Die staatlichen Maßnahmen gegen Oppositionsführer erreichten ein Ausmaß, das mit demokratischer Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit unvereinbar ist. Sieben Führer, die alle großen Oppositionsparteien vertreten, befinden sich in Haft oder wurden verurteilt, wobei einige mehrere Monate im Gefängnis verbringen, weil sie einer Vorladung einer parlamentarischen Untersuchungskommission der Einheitspartei nicht nachgekommen sind, die weithin als parteiisches Instrument ohne verfahrensrechtliche Legitimität angesehen wird.
Im November 2025 erhob die Staatsanwaltschaft gegen acht Oppositionsführer neue Strafanzeigen, unter den Anklagepunkten waren Sabotage, Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten und Versuch des Sturzes der verfassungsmäßigen Ordnung. Oppositionsführer müssen nun mit langen Haftstrafen wegen Aktivitäten rechnen, die eindeutig im Rahmen der legitimen politischen Beteiligung liegen.
Gleichzeitig hat die Regierungspartei Gesetzesmaßnahmen vorangetrieben, die den politischen Pluralismus direkt bedrohen. Am 16. Oktober 2025 verabschiedete das Einparteienparlament im Eilverfahren ein Paket von Gesetzesänderungen, das das Verbot politischer Parteien und den unbefristeten Entzug der politischen Rechte für Personen, die mit ihnen in Verbindung stehen, ermöglicht. Ziel und Wirkung dieser Maßnahmen war es, politische Konkurrenten der Regierungspartei präventiv von der Teilnahme am öffentlichen Leben auszuschließen. Auf die Gesetzesänderungen folgte unmittelbar eine verfassungsrechtliche Klage, in der das Verbot von drei großen Oppositionsparteien gefordert wurde.
Die vorgebrachten rechtlichen Begründungen sind weit gefasst und politisch aufgeladen, darunter Behauptungen, dass Oppositionsparteien die Legitimität der Regierung in Frage gestellt hätten, sowie Handlungen im Zusammenhang mit dem Krieg im August 2008 und Entscheidungen zum Boykott von Wahlen.
Am 17. November führte die Regierungspartei weitere Änderungen des Wahlgesetzes ein, mit denen georgischen Bürgern mit Wohnsitz im Ausland das Wahlrecht bei Parlamentswahlen entzogen wurde, mit der Begründung, diese Bürger stünden „unter dem Druck ausländischer Regierungen”. Dieser Schritt ist eine weitere Maßnahme, die zur Festigung einer zunehmend autoritären Regierungsführung beiträgt und den gesellschaftlichen und politischen Pluralismus weiter schwächt.
Die kombinierte Anwendung von Strafverfolgung, restriktiven Gesetzen und Verfassungsklagen zeugt von einer koordinierten Strategie zur Festigung der Einparteienherrschaft durch juristische und administrative Mittel. Diese Entwicklungen festigen die autoritäre Kontrolle und beseitigen effektiv die Voraussetzungen für einen echten politischen Wettbewerb und eine pluralistische Regierungsführung.
Angriffe auf die Versammlungsfreiheit in Georgien
Seit dem Frühjahr 2024 und insbesondere während der Proteste im November und Dezember sind die Georgier zunehmenden Angriffen auf die Versammlungsfreiheit ausgesetzt, wobei die Polizei immer aggressiver vorgeht. Es wurden weit verbreitete Missbräuche dokumentiert, darunter der rechtswidrige und unverhältnismäßige Einsatz von Sondermaßnahmen, die zu schweren Verletzungen führten, willkürliche Verhaftungen durch nicht identifizierbare Polizei- und Spezialeinheiten, körperliche Gewalt während der Verhaftungen, des Transports und der Inhaftierung, Verweigerung medizinischer Versorgung und Behinderung von Rettungsdiensten sowie systematische Straflosigkeit aufgrund der Nichterfüllung ihrer Aufgaben durch den Sonderermittlungsdienst und die Justiz (Menschenrechtskrise in Georgien [November 2024 – Februar 2025]: Ein gemeinsamer Bericht von elf georgischen Organisationen der Zivilgesellschaft, Tiflis, 14. Mai 2025)
Am 1. Dezember 2025 berichtete die BBC, dass sie Hinweise darauf gefunden habe, dass die georgischen Behörden während der am 28. November 2024 begonnenen Demonstrationen möglicherweise verbotene chemische Substanzen gegen Demonstranten eingesetzt hätten. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, würde dies einen schwerwiegenden Verstoß gegen internationale Normen, Menschenrechtsverpflichtungen und Georgiens Verpflichtungen aus internationalen Übereinkommen darstellen.
Anstatt Transparenz über die gegen friedliche Demonstranten eingesetzten chemischen Mittel zu schaffen, hat der georgische Staatssicherheitsdienst begonnen, Personen, die in einer BBC-Dokumentation vorgestellt wurden, darunter Ärzte und Menschenrechtsverteidiger, im Rahmen einer Untersuchung wegen angeblicher „Unterstützung ausländischer Einrichtungen” und „Amtsmissbrauchs” zur Befragung vorzuladen.
Obwohl Hunderte von Fällen von Misshandlungen von Demonstranten im November und Dezember 2024 gemeldet wurden, wurde keiner der Vorfälle untersucht. Nach den gewaltsamen Niederschlagungen reagierte die internationale Gemeinschaft mit gezielten Sanktionen und Reiseverboten gegen hochrangige Polizeibeamte und Richter, von denen einige später entlassen wurden. Nach Mitte Dezember nahm die groß angelegte physische Gewalt ab, und die Behörden schienen ihre Taktik vom weit verbreiteten Einsatz von Gewalt auf rechtliche, administrative und finanzielle Druckmittel umzustellen, was unter anderem durch die Sanktionen und die Aussicht auf weitere internationale Maßnahmen beeinflusst worden sein könnte.
Im Laufe des letzten Jahres wurden der rechtliche Rahmen und die Polizeipraktiken für friedliche Versammlungen in Georgien einer Reihe restriktiver Änderungen unterzogen, wodurch die Teilnahme an Protesten zu einer risikoreichen und stark bestraften Aktivität wurde. Der Prozess begann im Dezember 2024, die jüngsten Änderungen wurden im Oktober 2025 verabschiedet. Jedes Gesetzespaket reagierte direkt auf neue Protesttaktiken: Die Geldstrafen für protestbezogene Handlungen wurden um das 20- bis 30-fache erhöht und erreichten 5.000 GEL – das entspricht etwa dem 2,5- bis 3‑fachen des durchschnittlichen Monatseinkommens und ist für normale Bürger somit praktisch unerschwinglich. Fonds, die zuvor Menschen finanziell unterstützten, die während der anhaltenden Proteste gegen das Regime mit Geldstrafen belegt oder aufgrund ihres zivilgesellschaftlichen Engagements entlassen wurden, wurden ebenfalls eingefroren. Die weit verbreitete Verhängung dieser hohen Geldstrafen hat die Teilnehmer mit einer unverhältnismäßigen finanziellen Belastung konfrontiert und eine abschreckende Wirkung auf die Ausübung des Rechts auf friedliche Versammlung gehabt.
Die maximale Dauer der Verwaltungshaft wurde von 15 auf 60 Tage verlängert und übertrifft damit die vergleichbaren Grenzen in Russland und Belarus (15 Tage). Mit den neuen Änderungen vom Oktober 2025 wurde die Verwaltungshaft für erstmalige Verstöße gegen Versammlungsvorschriften und die strafrechtliche Haftung für Wiederholungstaten eingeführt. Der erste Fall nach den neuen Vorschriften wurde bereits eingeleitet. Nach diesem neuen Rahmen kann bereits die Nichtbefolgung einer rechtmäßigen Anordnung der Strafverfolgungsbehörden zu strafrechtlichen Anklagen und Freiheitsstrafen führen. Geldstrafen wurden weitgehend durch Haftstrafen ersetzt, was bedeutet, dass Teilnehmer nun mit bis zu 15 Tagen Haft rechnen müssen, wenn sie beispielsweise während einer Demonstration ihr Gesicht verhüllen, Straßen teilweise oder vollständig blockieren oder Hindernisse für den Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr schaffen.
Nach der Einführung der neuen Änderungen wurden täglich 5 bis 10 Personen wegen Handlungen wie Behinderung des Verkehrs festgenommen. Die Polizei begann, Straßenblockaden physisch zu verhindern, was die Demonstranten dazu veranlasste, von statischen Kundgebungen zu mobilen Märschen überzugehen. Trotz dieser Anpassungen setzten sich systematische willkürliche Verhaftungen fort, die sich oft gegen Personen richteten, die lediglich in Gruppen gingen oder auf Gehwegen standen, und häufig auf absurden oder erfundenen Anschuldigungen beruhten, darunter angebliche Ungehorsamkeit gegenüber polizeilichen Anordnungen. Im Oktober 2025 dokumentierte Transparency International Georgia die Inhaftierung von elf Medienvertretern aufgrund von Verwaltungsanklagen.
Am 10. Dezember wurden neue restriktive Maßnahmen eingeführt, die die Kontrolle über die Versammlungsfreiheit weiter verschärften. Die Änderungen erweitern die staatliche Aufsicht erheblich, indem sie von den Organisatoren verlangen, das Innenministerium fünf Tage im Voraus über jede Versammlung oder Demonstration zu informieren, und indem sie die Versammlungsbeschränkungen von Straßen auf Fußgängerzonen ausweiten, wodurch praktisch kein Raum für Proteste mehr bleibt. Die Nichteinhaltung kann zu einer Verwaltungshaft von bis zu 15 Tagen führen, während Wiederholungsfälle strafrechtlich verfolgt werden können, einschließlich einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr.
Was Strafanzeigen im Zusammenhang mit der Teilnahme an Protesten betrifft, berichtet Transparency International Georgia, dass seit Ende 2024 148 Personen strafrechtlich verfolgt wurden, 66 sich weiterhin in Untersuchungshaft befinden und 54 verurteilt wurden. Pro Kopf gesehen übersteigt die Zahl der strafrechtlich verfolgten Demonstranten in Georgien mittlerweile die vergleichbaren Zahlen für Russland, was ein extrem hohes Maß an Repression in einem Land widerspiegelt, das nominell weiterhin EU-Beitrittskandidat ist.
Die kumulative Wirkung von überhöhten Geldstrafen, routinemäßiger Verwaltungshaft und strafrechtlicher Haftung für wiederholte Verstöße hat ein Rechts- und Polizeisystem geschaffen, das ausdrücklich darauf ausgerichtet ist, die Mobilisierung der Bürger zu unterbinden. Durch die kontinuierliche Verschärfung der Vorschriften und die Anpassung der Durchsetzung an Protesttaktiken reagieren die Behörden nicht nur auf Dissens, sondern unterdrücken aktiv friedliche Versammlungen und bauen einen der letzten Wege für demokratische Meinungsäußerung ab.
Propaganda als Säule der aufkommenden Autokratie in Georgien
Eine zentrale Säule der autoritären Konsolidierung ist das expandierende Desinformations- und Propagandasystem der Regierungspartei, das zu einem der mächtigsten Instrumente zur Manipulation der öffentlichen Meinung geworden ist. GD-nahe Medien arbeiten eng mit den Narrativen des Kremls zusammen und verteufeln und delegitimieren systematisch internationale Partner, EU-Institutionen und demokratische Verbündete. Kritische Äußerungen der EU, der USA, der OSZE und anderer Organisationen werden als „ausländische Einmischung“ dargestellt, während inländische Kritiker als „Feinde“, „Verräter“ oder Agenten gegen die georgische Staatlichkeit hingestellt werden. Diese Narrativarchitektur zielt nicht nur darauf ab, Georgien von seinen demokratischen Partnern zu isolieren, sondern schafft auch ein feindseliges Umfeld, in dem Gewalt und Intoleranz gegenüber Andersdenkenden implizit gefördert werden. Durch die Inszenierung einer „Informationsbelagerung“ verstärkt die Regierungspartei das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber unabhängigen Stimmen und festigt die ideologischen Grundlagen ihres entstehenden autokratischen Systems.
Politische Empfehlungen: Koordinierte internationale Reaktion auf die Konsolidierung der Autokratie in Georgien
Die demokratische Zukunft Georgiens ist nach wie vor sichtbar, vorausgesetzt, diejenigen, die sie verteidigen, erhalten die notwendige Unterstützung und den notwendigen Schutz. Eine koordinierte internationale Strategie ist erforderlich, um die Menschenrechte zu wahren, den zivilgesellschaftlichen Raum zu unterstützen und eine weitere autoritäre Konsolidierung in Georgien zu verhindern. Ein aktives Engagement der EU und anderer Partnerstaaten könnte einen spürbaren Unterschied bewirken. Konkret könnten die EU und andere Partnerstaaten Folgendes tun:
- Aktive Unterstützung einer unabhängigen internationalen Untersuchung
Die jüngste Untersuchung der BBC zum mutmaßlichen Einsatz chemischer Reizstoffe und nicht identifizierter Substanzen gegen Demonstranten hat die Besorgnis über systematische und eskalierende staatliche Gewalt in Georgien verstärkt. Oppositionsparteien und zivilgesellschaftliche Organisationen haben bereits eine unabhängige internationale Untersuchung unter der Leitung glaubwürdiger Organisationen gefordert, um die Fakten zu ermitteln, die Verantwortlichen zu bestimmen und den weiteren Einsatz solcher Substanzen zu verhindern. Die Unterstützung einer solchen Untersuchung sollte der erste Schritt sein, um eine solide Beweisgrundlage für alle weiteren politischen Maßnahmen zu schaffen.
- Internationale Menschenrechtsmechanismen aktivieren
Die Aktivierung bestehender internationaler Mechanismen zur Rechenschaftspflicht im Bereich der Menschenrechte ist von entscheidender Bedeutung. Der Moskauer Mechanismus der OSZE, der beispielsweise in Belarus wirksam eingesetzt wurde, ist ein glaubwürdiges und schnelles Instrument für Fälle, in denen nationale Institutionen keine Rechenschaftspflicht gewährleisten können. Eine Untersuchungsmission im Rahmen dieses Mechanismus wäre in der Lage, glaubwürdige Unterlagen über Menschenrechtsverletzungen vor Ort zu sammeln. Ein entsprechender Bericht würde eine solide Grundlage für evidenzbasierte, gezielte internationale Maßnahmen schaffen.
- Koordinierte restriktive Maßnahmen umsetzen
Auch wenn es schwierig sein mag, eine EU-weite Einstimmigkeit zu erreichen, können einzelne Mitgliedstaaten dennoch gemeinsam gezielte Sanktionen gegen Personen und Organisationen verhängen, die für Repressionen verantwortlich sind. Bilaterale oder koalitionsbasierte Maßnahmen, beispielsweise im Rahmen des Weimar+-Formats (Deutschland, Frankreich, Polen und gleichgesinnte Partner), können die Legitimität von Beweisen stärken, trotz Blockaden auf EU-Ebene Rechenschaftspflicht sicherstellen und konkrete Konsequenzen für Akteure durchsetzen, die den demokratischen Rückschritt vorantreiben. Glaubwürdige Unterlagen aus internationalen Untersuchungen oder OSZE-Untersuchungsmissionen würden die Grundlage für solche gezielten Maßnahmen bilden, die mit dem globalen Menschenrechts-Sanktionsregime der EU (Verordnung 2020/1998 des Rates) im Einklang stehen.
- Finanziellen Druck auf autoritäre Netzwerke ausüben
Gezielte finanzielle Maßnahmen wären ein äußerst wirksames Instrument, um Einfluss auf die autokratische Führung zu nehmen. Besonders wirksam wären Maßnahmen, die den Zugang zu Vermögenswerten, Finanznetzwerken und Operationen einschränken, die von oligarchischen Strukturen sowie von regierungsnahen Unternehmen und Medien kontrolliert werden. Solche Schritte würden die Ressourcenbasis des Regimes schwächen, seine Propagandanetzwerke stören, seine Repressionskapazitäten einschränken und unabhängige Akteure und die Zivilgesellschaft stärken. Die Umsetzung kann je nach den gesetzlichen Möglichkeiten bilateral oder koordiniert erfolgen.
- Sicherstellung des Überlebens und der Widerstandsfähigkeit der Zivilgesellschaft
Externer Druck sollte mit einer robusten Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteure einhergehen, darunter flexible, schnell verfügbare Finanzmittel, Nothilfe für Aktivisten und unabhängige Medien, fortgesetzte Rechtshilfe für Inhaftierte und Opfer von Repressionen sowie Maßnahmen zum Schutz von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern und zivilgesellschaftlichen Aktivisten. Die Stärkung der Zivilgesellschaft auf diese Weise ist unerlässlich, um Kanäle für friedliche Mobilisierung aufrechtzuerhalten und Grundrechte unter zunehmendem staatlichem Druck zu schützen.
- Überdenken der demokratischen Einflussmöglichkeiten der EU in aufstrebenden Autokratien
Da die georgische Führung den EU-Beitritt des Landes faktisch ausgesetzt hat, sind die Möglichkeiten der Union, ihr zentrales Instrument der Konditionalität anzuwenden, erheblich eingeschränkt. Dies unterstreicht die Unzulänglichkeit der bestehenden EU-Instrumente im Umgang mit autokratischen Regimes, die auf eine EU-Integration verzichten, um den demokratisierenden Einfluss der Union zu schwächen. Die Situation in Georgien erfordert daher ernsthaftere Überlegungen, eine gründliche Bewertung der Realitäten und die Entwicklung eines strategischeren und anpassungsfähigeren Ansatzes, der in der Lage ist, auf Kontexte zu reagieren, in denen eine autoritäre Wende die derzeitigen Maßnahmen der EU zur Förderung der Demokratie unwirksam macht.
Autoren:
Nino Chachava (EU-Projektkoordinatorin, Civil Society Foundation, Georgien) und Saba Bachveli (Managerin des Menschenrechtsprogramms, Civil Society Foundation, Georgien)
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