Putin erklärt dem Westen den Krieg

Foto: Imago Images

Putin schwört mit neo-kolo­nialen Ambi­tionen sein Land auf einen neuen „Großen Vater­län­di­schen Krieg“ ein: gegen die USA und den Westen, die Russland bedrohen und vernichten wollen.

Das Vorspiel für die jüngste Eska­la­tion des bereits acht Jahre währenden Krieges gegen die Ukraine eröffnet Präsident Putin mit einer Rede am 21. Februar 2022.

Der eklek­ti­sche Monolog mündet in dem Gene­ral­vor­wurf an Lenin, er habe das vormalige zaris­ti­sche Imperium und damit das russische Volk in nationale Sowjet­re­pu­bliken aufge­teilt und das Imperium auf diese Weise gespalten. Mit dieser Fehl­ent­schei­dung habe das Desaster des zerfal­lenen Imperiums von 1990 seinen Anfang genommen. Daraus leitet sich Putins Mission ab: die Kata­strophe des 20. Jahr­hun­derts – den Zerfall der Sowjet­union – wieder rück­gängig machen, verlo­renes Terri­to­rium zurück­ge­winnen, das Imperium wieder aufrichten.

Das zaris­ti­sche Russland war eine konti­nen­tale Kolo­ni­al­macht. Das Ziel Putins, verlo­renes Terri­to­rium zurück­zu­er­obern, bedeutet faktisch die Reko­lo­nia­li­sie­rung von souve­ränen Staaten. Man stelle sich vor, Paris oder London würden sich daran machen, Algerien oder Indien wieder unter ihre Herr­schaft zu bringen. Niemand käme auf die Idee, man dürfe die Herren in Paris oder London nicht demütigen. Anders bei Putins Beutezug: Nach wie vor fehlt in weiten Teilen des Westens ein klarer Blick auf die Dimension seines impe­rialen Vorhabens: Ein gekränktes Imperium geht in die Revision.

Dem Vorspiel folgte Akt Nr. 1:  Der erneute Angriff auf die Ukraine, kaschiert als Spezi­al­ope­ra­tion. Tag der Bekannt­gabe war der 24. Februar. Dem Westen gegenüber präsen­tierte Putin eine nach dem „Drehbuch Kosovo“ konstru­ierte Begrün­dung für den Angriff. Die Inter­ven­tion sei zum Schutz der russisch­spra­chigen Menschen in der Ukraine notwendig gewesen. Die russische Armee habe einen millio­nen­fa­chen Genozid verhin­dern müssen. Umgehend wandte sich die ukrai­ni­sche Regierung an die inter­na­tio­nale Gerichts­bar­keit, um die Unhalt­bar­keit dieser Aussage von unab­hän­giger Stelle bestä­tigen zu lassen. Es fanden sich keinerlei Belege für einen Völker­mord an der russisch­spra­chigen Bevöl­ke­rung. Vielmehr entpuppte sich dieser Vorwurf als die Ankün­di­gung dessen, was russische Truppe in der Ukraine anrichten würden.

Die Zeit­schrift Osteuropa hat in ihrem Heft 1- 3 2022 beide Reden von Präsident Putin in voller Länge abge­druckt. Es lohnt sich, einen zweiten Blick auf die Kriegs­rede vom 24. Februar zu werfen. Sie beschäf­tigt sich nur zu einem kleinen Teil mit der Ukraine. Sie ist eine Rede gegen den Westen, die USA und die NATO. Putin klärt sein Volk auf, dass verant­wor­tungs­lose Politiker aus dem Westen seit vielen Jahren „funda­men­tale Bedro­hungen“ für Russland vermehrt hätten. Über­zeu­gungs­ver­su­chen und Bitten der russi­schen Führung, die inter­na­tio­nale Ordnung zu erneuern, sei nicht statt­ge­geben worden. Im Gegenteil, wer für diese „Ordnung“ plädiert habe, sei „mit Gewalt in die Knie gezwungen“ worden.

Um welche inter­na­tio­nale Ordnung es sich hierbei handelte, hatte Putin bereits im Dezember 2021 kundgetan: die Wieder­errich­tung eines russi­schen Einfluss­ge­bietes in den Grenzen des ehema­ligen Warschauer Paktes. Faktisch bedeutete das die Auffor­de­rung an den Westen, die NATO-Osterwei­te­rung wieder rück­gängig zu machen.

Es folgt ein Exkurs über die Verbre­chen des Westens. U. a. die „blutige Mili­tär­ope­ra­tion gegen Belgrad“… mit „wochen­langen, pausen­losen Bombar­de­ments von fried­li­chen Städten und von lebens­not­wen­diger Infra­struktur“ – ein Zerrbild der damaligen NATO-Inter­ven­tion gegen die drohende Massen­ver­trei­bung der Kosovo-Albaner. Zeit­gleich habe Moskau Tsche­tsche­nien erfolg­reich von Terro­risten befreit, wie später auch Syrien.

Erneut beschwört Putin das vermeint­liche – und selbst von Gorbat­schow wider­legte – Verspre­chen, „dass die Nato um keinen Zoll nach Osten erweitert würde.

Ich sage es noch einmal: Sie haben uns betrogen, oder volks­tüm­li­cher ausge­drückt: Sie haben uns einfach reingelegt.“

Selbst ameri­ka­ni­sche Politiker sprächen nun davon, dass es sich bei den USA um ein „Imperium der Lüge“ handele. Die NATO sei ein west­li­cher Block, „den die USA nach ihrem Bilde“ erschaffen hätten.

Während Russland sich permanent um Abrüstung bemüht habe, sei versucht worden, „uns fertig­zu­ma­chen, zu erledigen, uns endgültig zu vernichten“.

Und das, um die „entar­teten Werte“ des Westens durch­zu­setzen, die „unser Volk von innen zerfressen“ sollten und die der „Natur des Menschen“ wider­sprä­chen. Es fällt nicht schwer, hier eine Morgen­gabe an den russi­schen Patri­ar­chen Kyrill zu erkennen. Der liberale Westen gibt den Menschen Frei­heiten, die wider die Natur sind.

Und dann geht es um die NATO und immer wieder um die NATO als „Instru­ment der ameri­ka­ni­schen Außen­po­litik“, die das Vorrücken an die russi­schen Grenzen syste­ma­tisch forciert habe.

„Die, die Welt­herr­schaft für sich bean­spru­chen, erklären öffent­lich, unge­straft und, ich betone, voll­kommen grundlos Russland, also uns, zum Feind“. Um dann zu erklären, dass man nicht wie 1940/​41 noch einmal den Fehler begehen werde, auf solche Angriffe nicht vorbe­reitet zu sein. (Dass der Krieg 1939 als Gemein­schafts­ak­tion der tota­li­tären Herrscher Hitler und Stalin mit Polen als Beute begonnen hatte, findet bei dem geschichts­be­wussten Präsi­denten nicht statt).

Das Streben der Ukraine nach Demo­kratie und Inte­gra­tion in den Westen ist für Putin der Höhepunkt des herauf­be­schwo­renen anti­rus­si­schen Komplotts. Geschaffen werden sollte ein Anti-Russland auf dem Boden der Ukraine. Damit gehe es für Russland um eine „Frage von Leben oder Tod“. Es gehe um die „schiere Existenz“ des russi­schen Staates.

Das sei die rote Linie, die der Westen über­schritten habe.

Putin schließt mit der Drohung: „Wer immer sich uns in den Weg stellt oder unser Land, unser Volk bedroht, muss wissen, dass Russlands Antwort augen­blick­lich erfolgen wird, und sie wird Folgen für sie haben, wie sie sie in ihrer Geschichte noch nicht erlebt haben“.

Wer noch bis heute daran glaubt, Putin gehe es ausschließ­lich um die Ukraine und man könne mit ihm die Teil­bar­keit des Landes verhan­deln, der hat die Botschaft dieser Rede nicht verstanden. Der wiegt sich in der Illusion, Putin sei durch einen „Verhand­lungs­frieden“ mit einer Teilung des Landes zu befrieden, der will nicht hören, was klar ausge­spro­chen wurde.

Putin hat dem Westen den Kampf angesagt. Putin hat der NATO den Kampf angesagt, Putin hat den USA den Kampf angesagt. Die balti­schen Staaten, Polen, Tsche­chien, Schweden, Finnland – sie alle haben die Botschaft verstanden.

Es ist zu wünschen, dass auch Macron und Scholz sich noch einmal über diese Rede beugen. Nach der Annexion der Krim wurde verhan­delt, nach dem Einmarsch in den Donbas wurde verhan­delt. Das Ergebnis kennen wir. Wer Putin ernst nimmt – und das sollten wir tun – der sollte die Ukraine nicht in ein Minsk 3 treiben. Die Ukrainer wissen nur zu gut, dass ein Minsk 3 den acht­jäh­rigen Krieg nicht beenden wird. Denn Putin will mehr. Er hat uns, er hat dem freien Westen und unserem Leben in liberalen Gesell­schaften den Kampf angesagt.

Die Ukrainer fechten für uns das aus, was morgen unser Kampf sein könnte. Warum sonst beantragt der Bundes­kanzler die Aufrüs­tung der Bundes­wehr zur natio­nalen Verteidigung?

Präsident Macron, Bundes­kanzler Scholz und Minis­ter­prä­si­dent Draghi reisen nach Kyjiw. Gut so. Sie reisen in ein Land, das jetzt für uns an der Front steht. Wir sollten im eigenen Interesse, im Interesse unserer Freiheit, ihnen alles geben, was sie dazu brauchen.

Textende

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