Ralf Fücks im Interview von Focusplus „Dann fährt ökolo­gische Politik an die Wand“

Inmitten der angespannten Weltlage tritt der Klima­wandel in den Hinter­grund. Mit fatalen Folgen. Es braucht einen neuen Anlauf, damit die Energie­wende breit akzep­tiert und sozial-ökono­misch umgesetzt wird, erklärt Ralf Fücks im Interview mit Focus und meint: Wir müssen zeigen, wie Umwelt­schutz und Wohlstand zusammengehen.

Herr Fücks, in 20 Jahren wollen wir hierzu­lande klima­neutral sein, kein CO2 mehr ausstoßen. Die Bundes­re­gierung ist dafür nicht auf dem richtigen Pfad, oder?
Wir sind nicht auf Kurs, bis 2045 klima­neutral zu werden, vor allem im Verkehrs- und Gebäu­de­sektor. Auch beim Ausbau der Strom­netze hängen wir hinterher. Klima­po­litik zählt bisher nicht zu den Priori­täten der neuen Koalition. Es fehlt der grüne Motor in der Regierung. Aber: den bishe­rigen Kurs einfach fortzu­setzen, würde auch mit den Grünen nicht funktio­nieren. Wir brauchen einen neuen Anlauf in der Klimapolitik.

Warum?
Die Priori­täten haben sich verschoben. Sorge vor wirtschaft­lichem Abstieg, unkon­trol­lierter Migration und Krieg treiben die Menschen stärker um. Ich beobachte das auch bei mir: Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten schieben sich vor die Klima­krise. Gleich­zeitig ist die wirtschaft­liche Lage eine ganz andere als vor vier oder fünf Jahren, als Klima­po­litik noch hoch im Kurs stand. Die Kosten­frage spielt jetzt eine ganz andere Rolle. Wenn man das nicht reali­siert, fährt ökolo­gische Politik gegen die Wand.

Hat Klima­po­litik auf lange Sicht das Nachsehen?
Das hätte katastro­phale Folgen. Deshalb brauchen wir einen neuen Anlauf in der Klima­po­litik. Sie hat  nur eine Chance auf Erfolg, wenn sie auch wirtschaftlich erfolg­reich ist. Wir haben eine Menge anderer struk­tu­reller Probleme, aber auch Klima­po­litik muss sich stärker an Fragen der Wirtschaft­lichkeit orien­tieren. Nehmen wir die Energie­kosten: Sie sind Wettbe­werbs­faktor und gleich­zeitig eine soziale Frage für relevante Teile der Bevöl­kerung. Klima­neu­tra­lität, Wirtschaft­lichkeit und Versor­gungs­si­cherheit bedingen sich gegenseitig.

Das bedeutet auch, dass sie es unter der Ampel nicht mehr waren.
Wir erleben jetzt die Stunde der Wahrheit bei den Kosten der Energiewende. 
Zu dieser Wahrheit gehört auch, dass der abrupte Stopp russi­scher Gaslie­fe­rungen die Energie­kosten in die Höhe trieb. Aber: Kein Demokrat kann zurück­wollen zu Gaslie­fe­rungen, die uns abhängig von Russland machen und einen Angriffs­krieg finanzieren.

Kurzum: Die Energie­wende ist teuer.
Wir sind lange dem Credo gefolgt: „Sonne und Wind schicken keine Rechnung.“ Die  Energie­wende sollte dazu führen, dass Energie immer billiger wird. Das hat sich als Illusion entpuppt. Die System­kosten sind hoch, der Inves­ti­ti­ons­bedarf gewaltig: Strom­netze und Speicher, Back Up-Kraft­werke, Pipelines für Wasser­stoff und CO2, Ausbau des öffent­lichen Verkehrs, Sanierung des Gebäu­de­be­stands, Umbau der Industrie. Folgt man einschlä­gigen Studien, erfordert die Klima­wende bis 2045 Inves­ti­tionen von rund 11 Billionen Euro, etwa 540 Milli­arden im Jahr. Die Frage ist: rentieren sich diese Inves­ti­tionen durch höhere Produk­ti­vität und Wertschöpfung? Und wenn nicht: Wer finan­ziert die Kosten­lücke? Können die öffent­lichen Haushalte das leisten? Und wie mobili­sieren wir mehr privates Kapital für grüne Inves­ti­tionen? An diesen Fragen muss inten­siver gearbeitet werden.

Die Energie­wende gelingt nur, wenn ihr Preis­schild passt.
Sie gelingt nur, wenn sie breit akzep­tiert wird und wir die Kosten im Griff behalten. Bislang herrschte ein Mangel an Pragma­tismus. Wir brauchen Übergangs­lö­sungen, damit der Wandel gelingt, etwa beim Wasser­stoff oder Biokraft­stoffen. Wenn wir darauf beharren, dass ihre Klima­bilanz von Anfang an perfekt sein muss, treiben wir die Kosten hoch und verzögern den Hochlauf. Auch die überbor­dende Detail­steuerung, das Dickicht an Vorgaben und Regulie­rungen muss gelichtet werden. Sonst verstärken wir die Abwehr­re­flexe bei Unter­nehmen und Bürgern nach dem Motto: „Lasst uns endlich in Ruhe unser Ding machen“.

Sie klingen fast wie ein Wirtschaftsboss.
Ich bin Verfechter einer öko-sozialen Markt­wirt­schaft. Wir brauchen die Innova­tions- und Inves­ti­ti­ons­kraft der Unter­nehmen. Wenn der Wirtschafts­motor stottert, stockt auch die Klima­wende.  Und wenn der Wohlstand einbricht, verlieren wir den Rückhalt in der Gesell­schaft. Zum neuen klima­po­li­ti­schen Realismus gehört auch: Die nötigen Verän­de­rungen sind so groß, dass sie nicht aus dem laufenden Haushalt finan­ziert werden können. Mit der bishe­rigen Schul­den­bremse ist das nicht zu machen. Wir müssen gewaltig inves­tieren und ehrlich kommu­ni­zieren: Klima­neu­tra­lität hat ihren Preis. Und, ja, Energie und Mobilität werden teurer werden.

Das schafft neue soziale Härten. Die Ampel-Parteien hatten sich ein Klimageld in den Koali­ti­ons­vertrag geschrieben, mit dem die Menschen entlastet werden sollten. Schwarz-Rot erwähnt es nicht einmal mehr. 

Wir werden aber eine Kompen­sation für steigende CO2-Preise brauchen . Insbe­sondere Haushalte mit niedrigen Einkommen müssen entlastet werden. Sonst bricht uns die Akzeptanz weg und die AfD räumt ab.

Es scheint, als ob das Pendel nun zurück­schlägt, von der Ökologie zur Ökonomie. Haben die Menschen genug vom Klima­schutz – oder sind sie ermattet von den vielen Krisen?
Das Problem ist die Gleich­zei­tigkeit, mit der alle möglichen Krisen auf die Gesell­schaft einprasseln – und die perma­nenten Katastrophen-Szenarien. Die Menschen wachzu­rütteln, in denen man ihnen einhämmert, die Welt gehe unter, geht nach hinten los. Wenn der Rückhalt für Klima­schutz wieder wachsen soll, muss man zeigen, wie es erfolg­reich geht.

Seit dem Pariser Klimab­kommen sind nun zehn Jahre vergangen, das 1,5‑Grad-Ziel ist in weiter Ferne. Hat der Klima­wandel seinen Schrecken verloren?
Allen infor­mierten Zeitge­nossen ist klar, dass wir das 1,5‑Grad-Ziel reißen werden. Trotz der beacht­lichen Senkung der CO2-Emissionen in Europa und dem raschen Wachstum der erneu­er­baren Energien ist die Welt auf einem Kurs Richtung 3 Grad. Das muss nicht das letzte Wort sein, eine Begrenzung auf 2 Grad ist noch machbar. Dafür müssen die globalen Emissionen rasch sinken. Parallel müssen wir der Atmosphäre im großen Stil CO2 entziehen. Aber selbst dann wird eine stärkere Anpassung an die Erder­wärmung nötig – was mit weiteren Kosten verbunden ist. Wir müssen uns klima­po­li­tisch ehrlich machen: mit Blick auf die Kosten, die Zielkon­flikte, die absehbare Entwicklung. Wir brauchen eine realis­tische Klima­kom­mu­ni­kation, ohne resignativ oder fatalis­tisch zu werden.

Es scheint, als hätten wir die Anstren­gungen unterschätzt.
Das kann man so sagen. Es geht um den kompletten Umbau der Indus­trie­ge­sell­schaft im globalen Maßstab. Wir müssen unsere Energie­basis, Industrie, Landwirt­schaft und Infra­struktur erneuern und dabei die Gesell­schaft mitnehmen. Das ist ein enormer Kraftakt.

Davon zeugt das Gebäu­de­en­er­gie­gesetz, das Wirtschafts­mi­nister Robert Habeck und sein später entlas­sener Staats­se­kretär Patrick Graichen voran­brachten. Es wurde als „Verbots­gesetz“ gebrandmarkt. 
Die Intention des Gesetzes war richtig. Ohne den Gebäu­de­be­reich schaffen wir keine Klima­wende. Es war auch richtig, die Botschaft zu senden: Setzt euch keine neue Gasheizung in den Keller. Gas wird mit dem steigenden CO2-Preis elend teuer. Aber es fehlte die Verzahnung mit der kommu­nalen Wärme­planung:  Wo setzen wir künftig auf Fernwärme, wo ist die Wärme­pumpe die bessere Lösung? Die Kosten­be­lastung für Hausei­gen­tümer wurde unter­schätzt. Und es gab es keine Sensi­bi­lität dafür, dass sich in der Gesell­schaft eine Stimmung gegen staat­liche Bevor­mundung aufgebaut hatte, die dann kräftig von antigrünen Populisten und Medien geschürt wurde. Das war Politik nach dem Motto: „Ich weiß, was richtig und nötig ist – und das ziehe ich jetzt durch.“ Dieser Politikstil ist gründlich gescheitert.

Die abgezahlten Atomkraft­werke rechneten sich wohl auch für die Strom­kunden. War der Atomaus­stieg ein Fehler?
Zumindest der Zeitpunkt des Ausstiegs war irrational. Mitten in einer Energie­krise mit steigenden Preisen wurden kosten­günstige, zuver­lässig liefernde Kraft­werke vom Netz genommen. Das hat den Grünen den Ideolo­gie­ver­dacht zurück­ge­bracht, den sie schon weitgehend abgeschüttelt hatten.

Haben die Grünen eigentlich verstanden, dass ihre Klima­po­litik eine Neuaus­richtung braucht?
Das erfordert den Mut zu unbequemer Wahrheiten. Nehmen wir den Strom­sektor: Wir können es uns nicht mehr leisten, Wind- und Solar­strom unabhängig vom Netzausbau und der Strom­nach­frage zu fördern. Die Produ­zenten erhielten bisher ihre garan­tierte Vergütung sogar bei negativen Strom­preisen. Das treibt den staat­lichen Zuschuss in die Höhe – im letzten Jahr etwa 18,5 Milli­arden Euro. Zusätzlich zahlt der Bund jährlich einen Milli­ar­den­betrag, um Betreiber für nicht genutzten Strom entschä­digen. Das EEG hat seinen Zweck erfüllt, die Lernkurve für die erneu­er­baren Energien zu finan­zieren und sie markt­fähig zu machen. Was wir jetzt fördern müssen, ist der Netzausbau, gesicherte Leistung und eine bessere Koordi­nation von Angebot und Nachfrage.

Die Partei hadert mit ihrem Kernthema. Vor Jahren gingen für den Klima­schutz Millionen Menschen auf die Straße. Die Jugend wählte grün. Wann haben die Grünen eigentlich die Jugend verloren?
„Die Jugend“, das ist mir zu pauschal. Was wir beobachten, ist eine wachsende Drift zu den politi­schen Rändern. Vor allem junge Männer gehen verstärkt nach rechts, junge Frauen eher nach links. Dagegen fehlt den Grünen eine mitrei­ßende Fortschritts­er­zählung, die politi­schen Pragma­tismus mit dem Mut zur Verän­derung verbindet. Es hat etwas tragi­sches, dass den Grünen ausge­rechnet ihre klima­po­li­ti­schen Ambitionen auf die Füße fallen: den einen sind sie nicht radikal genug, den anderen zu radikal.

In Lützerath demons­trierte die junge grüne Basis 2023 gegen den Ausbau des dortigen Tagebaus, leistete Wider­stand gegen die Polizei. Das mag einen Bruch erzeugt haben… 
Nicht in der Breite. Aber es ist ein Problem, wenn Konflikte wie dieser symbo­lisch so aufge­laden werden, als hänge die Zukunft von ihnen ab. All diese Narrative: „Wir haben noch zehn, neun, acht Jahre Zeit, um den Planeten zu retten“ erzeugen Fatalismus auf der einen, Radika­lismus auf der anderen Seite.

… während viele Menschen im Land ein feines Gespür dafür haben, ob sie Anstren­gungen leisten und der Rest der Welt nicht.
Nüchtern betrachtet entscheidet sich die Zukunft des Klimas in Asien, Afrika und Latein­amerika. Dort leben die meisten Menschen, dorthin verlagert sich der Schwer­punkt der Weltwirt­schaft. China allein stößt ein Drittel der globalen CO2-Emissionen aus. Das heißt aber nicht, dass egal ist, was wir tun. Wir können Vorreiter auf dem Weg zur Klima­neu­tra­lität sein und zeigen, wie Umwelt­schutz und Wohlstand zusam­men­gehen. Was wir machen, muss anschluss­fähig für den großen Rest der Welt sein. Angesichts des Rückschritts in den USA sollten wir jetzt erst recht Klima­al­li­anzen mit anderen Industrie- und Entwick­lungs­ländern bilden.

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