Rosa Luxemburg taugt nicht als Leitfigur der Demokratie

© Histo­rical museum [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]

Rosa Luxemburg ist eine Ikone des Sozia­lismus in Deutschland. Aber taugt sie als demokra­ti­sches Vorbild? Ein Diskus­si­ons­beitrag zum Luxemburg-Kult der Linken, erstmals erschienen am 14. Januar 2000 im Berliner „Tages­spiegel“.

Die Ahnen­ga­lerie des Sozia­lismus – Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mao Tsetung – liegt unter den politi­schen und morali­schen Trümmern begraben, die der reale Sozia­lismus hinter­lassen hat, einem Riesen­haufen enttäuschter Hoffnungen, verlo­rener Illusionen und scham­voller Erkenntnis, dass sich ein Traum in einen Albtraum verwandelt hat. Doch halt: Zwei Lichter brennen noch in der Finsternis. Zu ihnen pilgern jährlich Hundert­tau­sende, um der kapita­lis­ti­schen Wirklichkeit ihr „Trotz alledem“ entge­gen­zu­schleudern: auf zu Karl und Rosa! 

Portrait von Ralf Fücks

Ralf Fücks ist geschäfts­füh­render Gesell­schafter des Zentrums Liberale Moderne.

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sind die letzten Ikonen des Sozia­lismus in Deutschland. An ihnen kann man sich noch wärmen. Sie, die in den Wirren nach der deutschen Novem­ber­re­vo­lution 1918 von antise­mi­ti­schen und antikom­mu­nis­ti­schen Freikorps-Soldaten ermordet wurden, sind die letzten unschul­digen Kronzeugen der Revolution. Wer sich mit ihnen identi­fi­ziert, versetzt sich in die Zeit zurück, als der Kommu­nismus noch als idealis­ti­sches Projekt gedeutet werden konnte, als aufrechter, unbeug­samer Wider­stand gegen die Barbarei des Kapita­lismus, die sich gerade in einem Weltkrieg ausgetobt hatte.

Karl und Rosa wurden weder selbst zu Tätern, wie so viele ihrer Kampf­ge­nossen, noch wurden sie von den stali­nis­ti­schen Säube­rungen verschlungen, wie so viele andere gläubige Kommu­nisten. Sie verkörpern das Bild des revolu­tio­nären Märtyrers, das schon immer gemein­schafts­stiftend war. Gut und Böse, Licht und Schatten sind noch richtig verteilt. Insbe­sondere Rosa Luxemburg erscheint als Licht­ge­stalt, die alle Schreck­nisse des realen Sozia­lismus überstrahlt. In der Tat, wer würde keine Sympathie für diese brillante, von spürbarer Menschen­liebe bewegte, unerschro­ckene Kämpferin gegen militä­rische und soziale Gewalt hegen? Sind ihre Texte nicht eine Fundgrube für eine andere, demokra­tische Tradition des Sozia­lismus, insbe­sondere ihre prophe­tische Kritik an Lenin und der Gewalt­po­litik der Bolschewiki in Russland? Ihr Satz von der Freiheit, die immer die Freiheit der Anders­den­kenden ist, wurde Legende. Sie hat präzise voraus­ge­sehen, dass die putschis­tische Macht­er­greifung der bolsche­wis­ti­schen Partei in die Errichtung einer Diktatur münden würde, die alles zivile Leben erstickt. Und sie hat darauf bestanden, dass Sozia­lismus und Demokratie zusammengehören.

„Sozia­lismus oder Barbarei“

Das alles gehört zur Licht­seite der Luxemburg. Aber es gibt eine Wendung in der politi­schen Biografie dieser Frau, die einen großen Schatten auf ihre histo­rische Rolle wirft. Die Rede ist von ihrer Agitation gegen die Natio­nal­ver­sammlung in der entschei­denden Phase der Revolution von 1918. Radika­li­siert durch den Albtraum des Weltkriegs und die eigene Gefäng­nishaft, überzeugt von der histo­ri­schen Alter­native „Sozia­lismus oder Barbarei“, wird sie zur Kronzeugin des Kampfes gegen die demokra­tische Republik von links.

Unter dem Banner der sozia­lis­ti­schen Rätere­publik wütet sie gegen die Errichtung einer parla­men­ta­ri­schen Demokratie auf der Basis allge­meiner, gleicher und freier Wahlen, und sie bleibt bei der Ablehnung der Natio­nal­ver­sammlung auch dann, als sich die große Mehrheit der versam­melten Arbeiter- und Solda­tenräte Deutsch­lands dafür ausspricht. Liest man ihre Texte aus dieser letzten Periode, findet man genau die Elemente wieder, die sie zuvor bei den russi­schen Bolschewiki kriti­siert hatte: die Politik des Bürger­kriegs und den Kult der revolu­tio­nären Gewalt, den Ausschluss der „bürger­lichen“ Schichten aus der politi­schen Willens­bildung bis hinunter auf die kommunale Ebene, die Konzen­tration der Macht in der Hand der revolu­tio­nären Zentral­gewalt, ein primi­tives ökono­mi­sches Programm der Verstaat­li­chung der Produk­ti­ons­mittel sowie von Grund und Boden. Ihre erbit­terte Polemik gegen die Führer der deutschen Sozial­de­mo­kratie, denen sie Verrat an der Revolution vorwirft, zeugt von Feind­schaft, die sich später in der KPD fortpflanzt.

Hat die Geschichte der Weimarer Republik ihr nicht nachträglich Recht gegeben? War der Natio­nal­so­zia­lismus nicht die Frucht der unvoll­endeten Revolution von 1918? Die radikale Linke hat lange mit dieser Legende operiert, die sie von der Mitver­ant­wortung für das Scheitern der Weimarer Republik freispricht.

Das Fatale an der bolsche­wis­ti­schen Wendung Rosa Luxem­burgs war gerade, dass sie damit zur Kronzeugin für das antipar­la­men­ta­rische und im Kern antide­mo­kra­tische Ressen­timent der Linken gegen die „bürger­liche Demokratie“ wurde. Die Weimarer Republik wurde bekanntlich von zwei Seiten unter­graben: von der kommu­nis­ti­schen Linken wie von der völki­schen Rechten. Es gab eine Dolch­stoß­le­gende von Rechts und eine von Links. Beide sugge­rierten, dass die erste demokra­tische Republik auf deutschem Boden aus einem großen Verrat geboren wurde. Rosa Luxemburg ist Teil dieser Legende.

Das verkleinert nicht ihre Größe als Theore­ti­kerin und Vorkämp­ferin der sozialen Emanzi­pation. Aber als Leitfigur der Demokratie taugt sie nicht. Die große Alter­native des 20. Jahrhun­derts hieß nicht „Sozia­lismus oder Barbarei“, das hat die Geschichte gezeigt, sondern Demokratie oder Barbarei.

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