Ukraine und Deutsch­land – Verant­wor­tung für das umkämpfte Land

Bei der Veran­stal­tung der Trans­at­lan­ti­schen Gesell­schaft „Die Ukraine und wir – das deutsche Enga­ge­ment für das umkämpfte Land“ disku­tierten Joachim Gauck, Marie­luise Beck, Oleksij Makejew und Pia Fuhrhop über das Erbe der deutschen Russ­land­po­litik, die Zukunft der Unter­stüt­zung für die Ukraine – und die mögliche NATO-Mitgliedschaft.

Die Entspan­nungs­po­litik Willy Brandts wurde als Appease­ment-Politik miss­ver­standen, Deutsch­lands Unter­stüt­zung für die Ukraine ist, obgleich nicht ausrei­chend, besser als ihr Ruf und mit Russland als unzu­ver­läs­sigem Verhand­lungs­partner benötig die Ukraine lang­fristig eine NATO-Mitglied­schaft als Sicher­heits­ga­rantie – so das einhel­lige Fazit der Diskussion.

Die Ostpo­litik im Wandel

Bundes­prä­si­dent a.D. Joachim Gauck beschrieb, wie sich die deutsche Ostpo­litik von einer mit mili­tä­ri­scher Stärke unter­mau­erten Entspan­nungs­po­litik zu einer Appease­ment-Politik entwi­ckelt habe und man dabei die ursprüng­li­chen Inten­tionen Brandts aus den Augen verloren habe. Im Laufe der Zeit zielte die Politik zunehmend auf die Stabi­li­sie­rung der Regie­rungen in Osteuropa, verkannte aber die Reali­täten vor Ort. Während in den achtziger Jahren wie beispiels­weise in Polen ein aufge­klärter Anti­kom­mu­nismus und Volks­be­we­gungen entstanden, suchte die poli­ti­sche Klasse West­deutsch­lands weiterhin den Kontakt zu den kommu­nis­ti­schen Funktionärseliten.

Auch später suchten nur wenige – wie beispiels­weise Marie­luise Beck – den Kontakt zur Oppo­si­tion in Osteuropa. Selbst nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 habe sich der Blick auf Moskau trotz der Warnungen auf der Münchner Sicher­heits­kon­fe­renz nur langsam verändert – was auch an mangelndem Wissen in Deutsch­land über die Geschichte der Ukraine liege, so Gauck. Von der russi­schen Invasion sei auch er über­rascht worden: „Obwohl ich dachte, Putin lesen zu können: Dass er dann diesen Angriff macht, auf diese Weise, mit Angriff auf Kyjiw, das habe ich nicht erwartet.“

Die Achse Berlin-Moskau

Marie­luise Beck vom Zentrum Liberale Moderne betonte, wie breit das partei­über­grei­fende Bündnis hinter der Appease­ment-Politik gewesen sei, insbe­son­dere das der Hanno­ve­raner „Moskau-Connec­tion“ – so auch der Titel des Buches von Markus Wehner. Auch Altkanz­lerin Angela Merkel habe aus volks­wirt­schaft­li­chen Gründen die Geschäfte mit Moskau unter­stützt. Beob­achter in Osteuropa hätten deshalb konse­quen­ter­weise Deutsch­land nicht über den Weg getraut, da Deutsch­land in das alte Muster der Achse Berlin-Moskau zurück­falle, ohne Rücksicht auf die Länder dazwi­schen zu nehmen.

Aufruf zur Unter­stüt­zung der Ukraine

Der ukrai­ni­sche Botschafter Oleksij Makejew hob die inzwi­schen deutlich gewach­sene Unter­stüt­zung Deutsch­lands für die Ukraine hervor. Während viele Ukrainer bei der Frage nach deutscher Unter­stüt­zung immer noch an die 5.000 deutschen Helme für die Ukraine wenige Tage vor Kriegs­aus­bruch dächten, sehe er die Bereit­schaft, ukrai­ni­sche Flücht­linge in deutschen Privat­haus­halten aufzu­nehmen und inzwi­schen auch schwere Waffen zu liefern.

Die Deutschen hätten verstanden, was es bedeute, von Rake­ten­ein­schlägen geweckt zu werden. Dennoch stünden die Waffen­lie­fe­rungen nicht im Verhältnis zur Bedrohung. Für 1700 km Front­länge seien 18 Leopard-2-Panzer unzu­rei­chend. Auf die Frage nach der Verhand­lungs­be­reit­schaft der Ukraine antwor­tete Makejew, dass in der Vergan­gen­heit schon oft verhan­delt worden sei, Russland sich jedoch nicht an die Verein­ba­rungen gehalten habe. Die einzige Möglich­keit für Verhand­lungen sei, dass Russland begreife, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen, sondern verloren sei.

Unter­stüt­zung der Ukraine und Bündnisverpflichtung

Auch Pia Fuhrhop von der Stiftung Wissen­schaft und Politik (SWP) sah eine Wende in der deutschen Unter­stüt­zung für die Ukraine, gab aber zu bedenken, dass Material nicht unbedingt sofort verfügbar und die Unter­stüt­zung damit mate­ri­ellen Grenzen unter­worfen sei. Zudem müsse die Bundes­re­gie­rung zwischen der Erfüllung ihrer Bünd­nis­ver­pflich­tungen im Rahmen der NATO und einer ange­mes­senen Unter­stüt­zung der Ukraine abwägen.

„Russland hat dem Westen bereits den Kampf angesagt. Wir sollten der Ukraine dankbar sein und Waffen zur Verfügung stellen, während Ukrainer ihr Leben auch für unsere Freiheit geben“, so Marie­luise Beck. Es sei wider­sinnig, für den Bünd­nis­fall an der Unter­stüt­zung für die Ukraine zu sparen, anstatt jetzt dem Land zu helfen, Russland zu stoppen. Zudem seien die NATO-Bünd­nis­partner, denen man verpflichtet sei, genau dieje­nigen, die Deutsch­land für seine Zöger­lich­keit bei Waffen­lie­fe­rungen an die Ukraine kriti­siert hätten.

NATO-Mitglied­schaft der Ukraine lang­fristig nötig

Pia Fuhrhop zeigte sich skeptisch, ob die euro­päi­schen Führungs­mächte Deutsch­land und Frank­reich ein Kriegs­ende vermit­teln könnten. Das Vertrauen der osteu­ro­päi­schen Partner, dass solche Verhand­lungen in ihrem Sinne verlaufen würden, sei aufgrund der Vorge­schichte begrenzt.

Eine NATO-Mitglied­schaft als Sicher­heits­ga­rantie für die Ukraine sei die einzig sinnvolle Alter­na­tive, wenn auch nur lang­fristig realis­tisch. Ande­ren­falls müsste man Russland soweit schwächen, dass es sich zukünftig allen­falls vertei­digen könne – oder aber eine nuklear bewaff­nete Ukraine, was aber weder realis­tisch noch wünschens­wert sei. Auf dem Weg zur NATO-Mitglied­schaft sei es entschei­dend, dass der Westen auch vor dem Beitritt der Ukraine lang­fristig Unter­stüt­zung zusichere.

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