„Shutdown“: Was die Pandemie uns für die Klimapolitik lehrt
Die Pandemiepolitik kann kein Vorbild für die Bewältigung des Klimawandels sein. Nicht nur, weil dies den Ausnahmezustand in Permanenz bedeuten würde. Man darf auch die Psychologie der Krisen nicht verwechseln: existenzielle Angst treibt die restriktiven Maßnahmen der Seuchenbekämpfung. Das Klimaproblem aber bleibt abstrakt – noch. Worin könnte in Postpandemiezeiten die emotionale Grundlage der Klimapolitik bestehen?
Der Rock’n Rumpelsong “Shut It Down” von Neil Youngs 2019er Album Colorado bezieht sich auf die Klimakrise. Eigentlich. Es ist so ein Song, der die Reaktion auslöste: Toll, dass Neil das macht, aber ist noch Bier im Kühlschrank? Inzwischen hat er ein aktuelles Video dazu gedreht, das die westliche Welt im Corona-Shutdown zeigt: Verlassene kalifornische Innenstädte, leere Flughäfen, leere Highways, Krankenhäuser, Masken undsoweiter. Es läuft dir kalt den Rücken runter. Das ist keine Redensart, sondern in diesem Fall wirklich so. Young hat das geschafft, worum es im kommunikativen Kontext von Corona- und Klimakrise geht, nämlich den inhaltlichen Zusammenhang herzustellen. Beide Probleme, Pandemie und Klimawandel, sind weltumspannende Krisen einer zusammengewachsenen Menscheit, die weder nationalstaatlich noch kontinental gelöst werden können. Aber die Antworten unterscheiden sich. „Shutdown“ in der Pandemie‑, Prokrastination in der Klimapolitik.
Doch die Emotionen in Youngs Video entstehen durch die Bilder des Shutdowns – und nicht durch den Klimakrisen-Kontext. Und das ist der entscheidende Punkt. Die Coronakrise ist ein ganz elendes Gefühl, selbst wenn es einem selbst gut geht. Als fahre man in einer Achterbahn, die jeden Moment entgleisen kann. Die Klimakrise ist bereits dabei, unsere Gesellschaft und Wirtschaft entgleisen zu lassen, aber außer Greta Thunberg kann das kaum jemand wirklich psychisch und körperlich spüren.
Treiber der Pandemiepolitik: echte Angst
Einige Ökos fragen dieser Tage: Warum wird gegen das Coronavirus SARS-CoV‑2 politisch relativ schnell, teilweise autoritär und gegen Wirtschaftsinteressen gehandelt – aber gegen die Klimakrise nicht? Weil das Problem jetzt angegangen und möglichst schnell gelöst werden muss, damit es weitergehen kann. Und weil der Treiber existenzielle Angst der Vielen ist, die deshalb zunächst auch temporäre Freiheitsbeschränkungen und anderes in Kauf nehmen. Im Gegensatz zu den meisten als tiefgreifend bezeichneten Krisen der letzten 70 Jahre (von der Kubakrise über Nine Eleven und Fukushima zu den Kriegen von heute) bekamen viele beim Anblick der Leichenbilder aus Italien wirklich Angst, dass es sie selbst erwischen könnte. Corona war nicht mehr nur eine weitere schlimme Sache, über die man intensiv diskutierte und dann seinem Alltag aus Geschäften, Vergnügungen und persönlichen Problemen nachging. Einem hektischen Alltag, in dem viele ständig „die Krise kriegen“, aber wo das in die moderne Normalität eingepreist ist. Corona ist die für manche kaum auszuhaltende Realität, dass ihre physische Existenz morgen vorbei sein kann, wenn sie eine oder einer blöd anhustet. Das ist immer so, wird aber nicht so gefühlt.
Die Frage ist, wie die emotionale Grundlage einer Pandemie- und Postpandemiezeit entstehen kann, auf der Klimapolitik mehrheitsfähig wird.
Die Klimakrise ist deshalb bisher eine eskalierende Krise geblieben, vor der die allerwenigsten Angst haben, weil sie ihre Normalität und ihr Geschäftsmodell nicht JETZT bedroht, wenn man nicht gerade im Harz lebt und bisher vom Skitourismus gelebt hat. Wegen der Klimakrise fiel bisher kein einziger Inlandsflug aus, kein Urlaub, kein Autokauf und kein Schnitzelabend, sondern alles lief immer weiter.
Die Gegenwart ist unser Gott, da können wir noch so philosophisch daherreden, und die Emotion ist unser Treiber. Wenn wir uns in den Finger geschnitten haben, dann zählt erstmal nur noch das. Und nun zählt erstmal, möglichst gut, aber mindestens lebend durch die Coronakrise zu kommen: individuell, als Familie oder sonstiger enger Kreis, als Unternehmen, als Gesellschaft – und übrigens auch als Bewegung wie Fridays for Future.
Pornoträume der Hardcore-Ökos
Auch die Ängste vor dem ökonomischen Zusammenbruch sind ja in vielen Fällen sehr berechtigt. Deshalb muss man sie thematisieren und seriös angehen. Die übliche Phraseologie vom alles zerstörenden Neoliberalismus und Turbokapitalismus und da sähe man es mal wieder, sollte man sich möglichst verkneifen, wenn man auch nur ein bißchen Empathie für reale Probleme der Leute hat. Genauso verkneifen sollte man sich, dass die Autoindustrie halt untergehen solle und die Flughäfen geschlossen bleiben sollten oder was Hardcore-Ökos noch so für Pornoträume haben.
Man wird vieles retten müssen, das nicht unter sozialökologischen Vorzeichen steht, einfach weil es auch andere Prioritäten gibt. Gleichzeitig muss man die Chance thematisieren, die darin liegt, die Staatsgelder für bestimmte Rettungen mit der Verpflichtung zu sozialökologischer Innovation zu verknüpfen. Ein offensichtliches Beispiel: Staatsgelder rauszuhauen, damit funktionierende Diesel- und Benzinautos durch neue Diesel- und Benzinautos ersetzt werden, ist – bei aller Solidarität für die Wolfsburger Bürger – in mehrfacher Hinsicht zukunftsignorant. Da braucht es klare Positionierung, zumindest der ökobürgerlichen Mittelschicht, dass sie das nicht haben will und durchgehen lässt. So kann man in verschiedenen Bereichen für eine verpflichtende Verknüpfung der staatlichen Krisenausschüttungen mit Umbaumaßnahmen lobbyieren. Und damit – das wäre dann auch im Interesse der durch Fridays for Future schwer unter Druck gekommenen Regierungsparteien – einen historischen Klimakompromiss zwischen den Älteren und denen voranbringen, die eine Lebenserwartung bis ins 22. Jahrhundert haben. Das ist jetzt die Verpflichtung von Grünen Verantwortungspolitikern wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Hessen Vize Tarek Al-Wazir: Sie müssen Druck machen innerhalb des Parlamentarismus, dass Teile der staatlichen Rettungsgelder in Berlin und Brüssel wirklich an verpflichtende sozialökologische Transformationen geknüpft werden, wie das der Grüne Länderrat an diesem Wochenende fordern wird.
Bedürfnis nach Öko-Apokalyptik sinkt
Durch FFF ist zum ersten Mal bis weit in den konservativen Mainstream hinein die Bereitschaft entstanden, ernsthafte Klima- und also Zukunftspolitik wieder anzugehen. Doch mit Corona ist diese Dynamik gefährdet, verständlicherweise, weil die Krise den Wunsch nach dem Zurück zur Normalität auslöst, also zu einer Gegenwart, in der eben auch die politische Nichtbearbeitung der Klimakrise als vollkommen normal gilt und gefühlt damit irgendwie auch legitim. Handelsübliche Öko-Apokalyptik ist nun noch weniger gefragt als je zuvor.
Ist ja auch nicht ganz falsch: Einige Goldgräber werden jetzt riesige Vermögen machen, die breite Mittelschicht wird bezahlen müssen und mutmaßlich weniger haben als früher. Das sind also ganz schwierige Bedingungen für erstmalige klimapolitische Mehrheiten. Die kann man nicht mit handelsüblichen Peptalk ignorieren, die muss man anerkennen und auch offen thematisieren, um nicht wie in all den verlorenen Jahren gegen die Emotionen der Gesellschaft zu diskutieren, sondern auf ihrer emotionalen Grundlage. Die Frage ist, wie die emotionale Grundlage einer Pandemie- und Postpandemiezeit entstehen kann, auf der Klimapolitik mehrheitsfähig wird.
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