Joue pas de Rock ’n‘ Roll pour moi

Foto: By Steve Banks [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons

Als Erben von ’68 insze­nieren sich viele Grüne immer noch gern als Rock ’n‘ Roller der deutschen Politik. Lasst das sein! ruft ihnen Peter Unfried in seiner neuen LibMod-Kolumne zu. Erstens spielt ihr längst eine andere gesell­schaft­liche Rolle, und zweitens ist Rock ’n‘ Roll für die wirklich Jungen ziemlich out. Das „große Ding“ ist jetzt „das verant­wort­liche Umgehen mit der eigenen Freiheit zum Wohle des Ganzen.“ – Und, liebe Leser, was hört ihr so zu Weih­nachten? Immer noch Elvis und die Stones oder eher die Weih­nachts­messe des großen Johann Sebastian Bach, der zu seiner Zeit so etwas wie der Rock ’n‘ Roller des Barock war?


Von Fischer zu Habeck: Die Grünen und ihr gran­dioser Rock ’n‘ Roll-Irrtum.

Bei den Grünen muss es immer noch rocken. „Cem Özdemir rockt das ober­baye­ri­sche Bierzelt“ – so was schreiben sie gern mal über eine Wahl­ver­an­stal­tung auf Twitter. Als letzten Wahl­slogan nahmen sie die Variation eines Nena-Textes („Liebe/​Zukunft wird aus Mut gemacht.“). Gern werden auch Bezüge zum lang­jäh­rigen Bundes­au­ßen­mi­nister Joschka Fischer herge­stellt, der sich bei seinem Abschied in der taz als „letzter Rock’n’Roller der Grünen“ bezeichnet hatte. Naja, eigent­lich hatte Fischer gesagt, er sei „einer der letzten Live Rock ’n‘ Roller“, aber die beschei­dene Diffe­ren­zie­rung ging umgehend verloren. Der jüngste Spit­zen­kan­didat Özdemir wollte sogar einmal Unions-Politiker („Bitte lasst den Rock ’n’ Roll in Ruhe“) von Rockmusik fern­halten, um die Einheit von Grünen und Rock zu schützen.

Jüngst kam auch noch der neue grüne Hoff­nungs­träger Robert Habeck daher und beschwor bei der Bekannt­gabe seiner Kandi­datur als Partei­vor­sit­zender, den „Blues des Schei­terns von Jamaika“ als Dauer­groove. Deshalb, sagte Habeck, „müssen wir den Rock ’n’ Roll des Gelingens spielen.

In weiten Teilen von Partei und entspre­chenden Milieus scheint es eine Über­ein­kunft zu geben, dass die Grünen Rock‘ n Roll brauchen und möglichst viel davon. Man möchte kraftvoll und jung erscheinen und hofft wohl auch, damit den pietis­ti­schen Mora­lismus zu bannen, den Grüne wie Sven Giegold ausstrahlen. Dennoch ist das grüne Insis­tieren auf Rock ’n‘ Roll ein gran­dioser Irrtum.

Neulich sprach ich mit einem Chef­re­dak­teur eines Rock­ma­ga­zins und er sagte mehr so en passant: „Rock ist tot.“ Aber sowas von. Rock ist groß­ar­tige Musik, groß­ar­tige klas­si­sche Musik. Aber es ist keine Bewegung und kein Lebens­stil mehr, der etwas Zeit­ge­mäßes leisten könnte.

Rock ’n‘ Roll (später nur noch Rock) war eine Frei­heits­be­we­gung, genau wie 1968 eine Frei­heits­be­we­gung war, aus der die Grünen entstanden sind. Es ging bei 1968 nicht um das große Ganze, sondern es ging gegen das große Ganze. Es ging um indi­vi­du­elle Frei­heits­er­wei­te­rung in einer verkrus­teten, auto­ri­tären, patri­ar­chalen, natio­na­lis­ti­schen, bigotten und verklemmten Post-Adenauer-Zeit. Klar, ein paar wollten auch die Räte­re­pu­blik und den welt­weiten anti­im­pe­ria­lis­ti­schen Kampf, aber die meisten Akti­visten wollten ihre eman­zi­pa­to­ri­schen Minder­hei­ten­pro­jekte voran­bringen. Und die ganz große Mehrheit wollte einfach anders leben, als die Alten, die im Wohn­zimmer saßen und über Kuhlen­kampffs Herren­witz­chen lachten, die aus dem Schwarz­weiß-Fernseher in der neuen Schrank­wand herausdröhnten.

Der junge Mensch saß in seinem Zimmer und seinem Leben wie in einem Gefängnis. Er wollte raus – und Rock ’n‘ Roll war ein Weg in die Freiheit. Nicht umsonst wurde der Satz legendär: „Mach‘ deine Neger­musik leiser“. Das war der böse Vater mit poten­tiell mons­tröser Nazi­ver­gan­gen­heit, der den alten Zeiten der Arier und ihrer Marsch­musik nach­trau­erte. Genau wusste man es nicht, denn außer auto­ri­tären Feld­we­bel­sätzen sprach der Vater nichts.

Rock ’n‘ Roll forderte das Estab­lish­ment der Eltern­ge­nera­tion heraus. Gegen die Unter­drü­ckung von Gefühlen und realen Regungen setzte Rock ’n‘ Roll die freie Entfal­tung des Ich in allen lebbaren Iden­ti­täten, Lebens­tilen, Liebes­be­zie­hungen oder auch nur Frisuren. Es war der Aufstand des Moments gegen die Konti­nuität, der Aufstand des Gefühls gegen die Ratio­na­lität, der Aufstand des Singu­lären gegen das Allge­meine. Die Themen des Rock ’n‘ Roll sind ficken, saufen, tanzen, Drogen, Hotel­zimmer zertrüm­mern. Es geht um Inten­sität: sich auszu­drü­cken, sich zu spüren, etwas Beson­deres zu sein, zu „leben“ im Gegensatz zum nur atmen.

Heute ist Rock ’n‘ Roll das Alte, das Verschnarchte, das schon stark Ange­ranzte, eine unter­ge­hende Kultur und Industrie. Rock ist für meine Kinder, was für mich Schlager war. Soge­nannte Musik für Leute, die keine Ahnung von Musik haben und auf dem Sofa vor sich hinschnar­chen, während draußen das Leben ist. Wenn die gegen irgend­etwas rocken würden, dann gegen Rock.

Das ist das eine. Das andere ist: Die gesell­schaft­li­chen Heraus­for­derer von heute wenden sich gegen die Gesell­schaft und ihre Lebens­stile, wie sie von Rock ’n‘ Roll-Bewegung hervor­ge­bracht wurden. Es ist eine Gegen-Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gung. Die auto­ri­tären Natio­na­listen sind im Kern radikale Anti-68er. 50 Jahre nach 1968 sind wir in einem neuen Kultur­kampf. Aber unter umge­kehrten Vorzei­chen: Was AfD-Politiker „links­rot­grün­ver­sifft“ nennen, ist nichts anderes als die eman­zi­pierte, liberale, bürger­liche Norma­lität dieser Gesell­schaft. Diese verdankt sich auch der Lebens­leis­tung von früheren Anti-Estab­lish­ment-Rebellen wie Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer und Winfried Kretschmann.

Wenn der Rock ’n‘ Roll also die Kultur ist, mit der man den Main­stream heraus­for­dert, so müsste er sich jetzt gegen diese bürger­li­chen Normen der liberalen Gesell­schaft richten. Oder er muss sie vertei­digen. Dann ist er aber keine Protest­kultur, sondern eine Establishmentkultur.

Nun will ich überhaupt nicht bestreiten, dass Robert Habecks großes Projekt darin besteht, die Übernahme von Verant­wor­tung für das Gemein­same mit einer zeit­ge­mäßen Ästhetik der Coolness zu versöhnen. Aber gerade deshalb funk­tio­nieren die Rock ’n‘ Roll-Analogien eben nicht mehr. Exis­ten­tia­lismus-Konsum und das Befrie­digen von Ich-Sehn­süchten in allen Ehren, aber das große Ding ist jetzt das verant­wor­tungs­volle Umgehen mit der eigenen Freiheit zum Wohle des Ganzen. Das ist nun mal das Gegenteil von Rock ’n‘ Roll. Und wenn wir mal ausnahms­weise gnadenlos ehrlich mit uns selbst sind, dann müssen wir zugeben: Rock ’n‘ Roll war eigent­lich immer auch FDP.

Es ist eine schöne Pointe der Geschichte, dass Emmanuel Macron in diesen Tagen den Rock ’n‘ Roll zu Grabe getragen hat, in der Person von Johnny Hallyday, des größten fran­zö­si­schen Rock ’n‘ Rollers. Macron, berich­tete die FAZ, verab­schie­dete mit maximalem Pathos den alten Helden der Fünften Republik – und begrüßte im gleichen Moment die Welt des Neuen. Seine Welt. Einer von Hallydays größten Hits heißt übrigens: Joue pas de Rock ’n‘ Roll pour moi. In Englisch: Don’t play your Rock ’n‘ Roll to me. Das könnten die Grünen echt mal langsam beherzigen.


Peter Unfried ist Chef­re­porter der taz und Autor.

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