„Wie werden die USA vereint und regierbar bleiben?“

Was für die USA auf dem Spiel steht und welche Auswir­kungen der Ausgang der Midterms haben wird – Clay Risen im Interview.

Joe Biden scheint im Wahlkampf abwesend zu sein, während Donald Trump präsent ist und seinen Anhängern hilft, sich Kandi­da­turen für die Mid-Terms zu sichern und Wahlkampf für sie zu machen. Warum ist das so?

Die Demokraten versuchen die Unabhän­gigen für sich zu gewinnen, während viele, aber nicht alle, Republi­kaner versuchen, ihre Basis an die Wahlurne zu locken. Biden ist in Swing-Bundes­staaten und ‑Distrikten nicht sehr beliebt, und in letzter Zeit können wir auch einen großen Rechtsruck bei Frauen mit Hochschul­ab­schluss beobachten, also in einer Kern-Wähler­gruppe der Demokraten. Trump bleibt indessen bei der GOP-Basis („Grand Old Party“ (Anm.d.Red.) beliebt, und deshalb tritt er bei Wahlkampf­ver­an­stal­tungen jener Kandi­daten auf, wie Kari Lake in Arizona zum Beispiel, die vor allem ihre Basis ansprechen.

Die meisten Ameri­kaner sagen, dass sie mit der Handhabung der Wirtschaft durch die Biden-Regierung nicht zufrieden sind. Wäre es um die Wirtschaft besser bestellt, wenn die Republi­kaner den Kongress kontrol­lieren würden?

Vielleicht, auch wenn es hier einen kausalen Zusam­menhang gibt. Die Situation der Wirtschaft hat sich aus mehreren Gründen verschärft, die weit außerhalb der Kontrolle Bidens liegen: der Ukraine-Krieg, anhal­tende Liefer­ket­ten­pro­bleme, steigende Zinssätze der Fed.. Biden hat aber auch eine Änderung der Dinge signa­li­siert, die er kontrol­lieren kann, nämlich die Inlands­aus­gaben. Ich sehe nicht, dass er in den nächsten Jahren irgend­welche großen inlän­di­schen Ausga­ben­pakete voran­treibt, unabhängig davon, wer den Kongress kontrolliert.

Donald Trump scheint eine Chance zu haben, erneut für das Präsi­den­tenamt zu kandi­dieren, oder glauben Sie, dass die Republi­kaner einen anderen Kandi­daten vorschlagen könnten? Und wenn ja, wer wäre das möglicherweise?

Trump wird kandi­dieren, und ich sehe sonst auch niemand anders. Ron DeSantis, die einzig gangbare Alter­native, hat leise signa­li­siert, dass er die Wahl im Jahr 2024 aussetzen wird. Er ist noch sehr jung und muss sich in der Partei keine Feinde machen.

Im Lager der Demokraten wurde Kamila Harris als eine natür­liche Nachfol­gerin von Joe Biden gesehen. Diese Ansicht scheint nicht mehr weit verbreitet zu sein. Was ist passiert?

Wir werden sehen. Fair oder nicht, ihr haftet der Ruf an, kalt, berechnend und nicht besonders sympa­thisch zu sein. Für mich ist daran etwas Wahres, aber auch eine große Doppel­moral, weil sie eine Frau ist. Es ist auch generell so, dass Vizeprä­si­denten es schwer haben, ins Weiße Haus einzu­ziehen. Sie bekommen Aufmerk­samkeit, aber nicht viel Gelegenheit, sich zu beweisen, denn sie müssen hinter dem Präsi­denten die zweite Geige spielen. Nur eine Handvoll haben es geschafft; George H.W. Bush ist seit Martin Van Buren der einzige Vizeprä­sident, der direkt ins Präsi­den­tenamt gewählt wurde.

Ein Drittel der Ameri­kaner, siebzig Prozent der republi­ka­ni­schen Wähler­schaft glauben, dass Joe Biden nicht der legitime Präsident ist. Unter diesen Umständen: Wie werden die Verei­nigten Staaten “vereint“ und regierbar bleiben?

Ich habe keine Ahnung. An den meisten Tagen glaube ich nicht, dass das gelingen wird. Wir müssen zuerst die politische Kultur ändern, und ich bin mir nicht sicher, wie wir das schaffen sollen. Ich denke, ein wesent­licher Teil der Lösung wäre, das Zwei-Parteien-System mit seinem “The-Winner-takes-all” zu überwinden. Aber das ist viel leichter gesagt als getan.

Die Auswir­kungen einer zerfal­lenen Demokratie in den Verei­nigten Staaten wären überall auf der Welt zu spüren sein und würden mögli­cher­weise zu einem vollstän­digen Zusam­men­bruch der bestehenden Weltordnung führen. Warum scheint Ihrer Meinung nach niemand in der Republi­ka­ni­schen Partei zu wissen, was auf dem Spiel steht?

Ich denke, viele Leute in der Republi­ka­ni­schen Partei sind sich zwar dessen bewusst, was auf dem Spiel steht, sind aber zu der Überzeugung gelangt, dass die Gefahr für die Demokratie von links kommt. Ich glaube auch, dass es auf der rechten Seite ein gutes Stück natio­na­lis­ti­scher Kurzsich­tigkeit gibt, die sich einfach weigert, die Wechsel­be­zie­hungen zwischen der ameri­ka­ni­schen Kultur und Politik und dem Rest der Welt zu berücksichtigen.

Welche Optionen sehen Sie für die Demokraten, die ameri­ka­nische Wirtschaft zu stärken und gleich­zeitig die Inflation zu bekämpfen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube nicht, dass die Demokraten hier viel tun können. Ich denke, die jüngsten Schritte der US-Zentralbank sind die richtigen, so schmerzhaft sie auf kurze Sicht auch sein mögen.

 

Clay Risen ist Reporter bei der New York Times und Autor zahlreicher Bücher; unter anderem: „The Crowded Hour: Theodore Roosevelt, the Rough Riders and the Dawn of the American Century“.

 

Textende

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