Zukunft des Fliegens – Wege zu einem nachhal­tigen Luftverkehr

Das Dilemma: Der Luftverkehr trägt erheblich zum Treib­haus­effekt bei, wird aber weiter­wachsen, insbe­sondere in den Schwel­len­ländern. LibMod hat deshalb in den vergan­genen drei Jahren mit Vertretern von Industrie, Luftfahrt­ver­bänden, Politik und Wissen­schaft Wege zum klima­neu­tralen Fliegen ausgelotet.

Seit knapp drei Jahren führt das Zentrum Liberale Moderne gemeinsam mit dem Bundes­verband der deutschen Luftfahrt (BDL) und dem Bundes­verband der deutschen Luftfahrt­in­dustrie (BDLI) einen Dialog zur Zukunft des Fliegens. Ausgangs­punkt dieses Projekts war eine dreifache Erkenntnis:

1) Luftverkehr trägt in relevantem Maße zum Treib­haus­effekt bei. Rechnet man die Nicht-CO2-Emissionen wie Wasser­dampf und Stick­oxide ein, kommt man auf einen Anteil von ca. 4 Prozent, Tendenz steigend.

2) Der globale Luftverkehr wird weiter­wachsen, selbst wenn in Europa künftig weniger geflogen wird als vor Corona. Wir sollten uns nichts vormachen: Die Verla­gerung von Kurzstre­cken­flügen auf die Bahn und die Umstellung von Business-Meetings und Konfe­renzen auf Online-Formate wird überkom­pen­siert durch die Zunahme des Flugver­kehrs in den Entwick­lungs- und Schwel­len­ländern. Dort wird auch die Luftver­kehrs-Infra­struktur massiv ausgebaut. Die Türkei und die Golfstaaten machen den europäi­schen Flughäfen ihre Rolle als Drehkreuz im Asien­verkehr streitig.

3) Daraus folgt: Es kommt darauf an, das Fliegen selbst möglichst rasch und möglichst komplett klima­neutral zu machen. Das ist kein Abraka­dabra. WIE es gehen kann, haben wir im letzten Jahr gemeinsam mit BDL und BDLI in der „Roadmap Nachhal­tiges Fliegen“ Ein Update soll im Januar 2023 folgen.

Alle drei Prämissen sind nach wie vor gültig. Der inter­na­tionale Luftverkehr hat sich schneller vom Corona-Einbruch erholt als erwartet. Das verdeut­licht, dass Fliegen auch künftig ein elemen­tarer Bestandteil moderner Mobilität sein wird.

Treibende Kraft für den Anstieg der Fliegerei sind zwei Faktoren: Erstens die Globa­li­sierung fast aller Sphären des modernen Lebens: Wirtschaft, Wissen­schaft, Politik, Kultur, Sport, Tourismus haben längst den natio­nalen Rahmen gesprengt. Selbst Familien sind über Länder und Konti­nente hinweg verstreut. Mehr Migration bedeutet auch mehr Luftverkehr. Fliegen ist das physische World Wide Web der Moderne. Wachs­tums­treiber Nummer zwei ist die Ausweitung der globalen Mittel­schicht. Seit den 90er-Jahren rücken etwa 50 Millionen Menschen pro Jahr (zeitweise noch mehr) in die Mittel­schicht auf und werden damit zu poten­ti­ellen Flugpas­sa­gieren, sei es als Touristen oder als Berufs­flieger. Die Corona-Krise hat diesen Aufstiegs­prozess temporär unter­brochen, aber die wirtschaft­liche Aufhol­be­wegung Asiens, Latein­ame­rikas und Afrikas wird sich auch künftig fortsetzen.

Verdammung des Fliegens ist nicht die Lösung

„Weniger Fliegen“ kann für europäische Wohlstands­bürger durchaus eine sinnvolle Maxime sein. Man muss nicht zum verlän­gerten Wochen­end­urlaub nach Mallorca oder zum Shopping nach London düsen. Der Aufruf zum Maßhalten ist aber keine hinrei­chende Antwort auf den Klima­wandel. Es braucht vielmehr eine Vielzahl techno­lo­gi­scher Innova­tionen und regula­to­ri­scher Maßnahmen, um mit neuen Kraft­stoffen und neuar­tigen Flugzeugen den Sprung zum klima­neu­tralen Fliegen zu schaffen. Der Löwen­anteil (circa 60 Prozent) der Treib­hausgas-Emissionen des Luftver­kehrs entsteht auf der Langstrecke. Dazu gibt es in einer global vernetzten Welt kaum Alternativen.

Kurzfristig umsetzbare Maßnahmen

Zu den kurzfristig umsetz­baren Maßnahmen, den Luftverkehr umwelt­ver­träg­licher zu gestalten, zählt eine intel­li­gente Routen­führung, um die Wolken­bildung und andere Klima­ef­fekte des Fliegens zu reduzieren. Schon durch ein besser koordi­niertes europäi­sches Flugma­nagement ließen sich 5 bis 10 Prozent der THG-Emissionen einsparen.

Ein zweiter Hebel ist die technische Optimierung bereits im Verkehr befind­licher Maschinen, etwa durch die Instal­lation von „Winglets“ an den Flügel­enden. Sie sorgen für eine bessere Seiten­sta­bi­lität und sparen so bis zu 4 Prozent Emissionen ein. Eine dritte Option ist der forcierte Austausch alter durch neue Maschinen. Mit jeder neuen Flugzeug­ge­ne­ration sinken die CO2-Emissionen pro Meile und Passagier um 20 bis 25 Prozent aufgrund optimierter Turbinen, verbes­serter Aerody­namik und leich­terer Materialien. Steigende Treib­stoff­kosten machen effizi­entere Maschinen auch betriebs­wirt­schaftlich interessant.

Wir müssen also nicht warten, bis vielleicht Mitte der 30er Jahre komplett neue, hyper­mo­derne Wasser­stoff-Flugzeuge in der Luft sind. Bis sie die bestehende Flotte ersetzt haben, vergehen dann noch einmal 20 bis 30 Jahre. Wir können auch in der Zwischenzeit schon deutliche Fortschritte auf dem Weg zum klima­neu­tralen Fliegen erzielen. Dazu gehört auch der klima­neu­trale Betrieb von Flughäfen mit den entspre­chenden Bodenoperationen.

„Sustainable Aviation Fuels“: Brücke zur Klimaneutralität

Zu den wichtigsten und indus­trie­po­li­tisch chancen­reichen Heraus­for­de­rungen der nächsten Jahre zählt der zügige Aufbau einer Infra­struktur für Sustainable Aviation Fuels (SAF). Der große Vorteil solcher klima­neu­tralen Kraft­stoffe ist, dass sie von der vorhan­denen Flugzeug­flotte mit konven­tio­nellen Trieb­werken genutzt werden können. Beimi­schungs­quoten von 50 Prozent sind bereits beim heutigen Stand der Technik möglich, in Zukunft noch mehr. Dabei geht es insbe­sondere um Kraft­stoffe, die durch die Synthese von klima­neu­tralem Wasser­stoff und CO2 gewonnen werden. Die Voraus­setzung dafür ist aller­dings die Verfüg­barkeit von erneu­er­baren Energien in einer ganz anderen Dimension als heute, einschließlich des Imports von klima­neu­tralem Wasser­stoff aus Regionen, in denen er erheblich kosten­güns­tiger erzeugt werden kann als in Deutschland. Bis ausrei­chend Wasser­stoff zur Verfügung steht, werden auch SAF aus Biomasse eine Rolle spielen.

Zu Beginn unseres Projekts waren „SAF“ noch ein Thema für kleine Exper­ten­zirkel. Jetzt kommt es darauf an, über Pilot­an­lagen in einen schnellen Markt­hochlauf zu kommen. Eine SAF-Beimi­schungs­quote von 1 bis 2 Prozent bis zum Jahr 2030, wie sie gegen­wärtig in der EU zur Debatte steht, ist nicht ambitio­niert genug, um die Innova­tions- und Inves­ti­ti­ons­dy­namik in diesem Sektor zu beschleu­nigen und damit auch die Mehrkosten gegenüber fossilem Kerosin zu reduzieren.

Die Branche denkt um

In den fast drei Jahren „Luftfahrt­dialog“ hat sich bereits viel bewegt. Dazu gehören deutliche Signale seitens der Branche, dass sie sich weder gegen eine Verla­gerung von Kurzstre­cken­flügen auf die Schiene noch gegen die Einbe­ziehung ökolo­gi­scher Kosten in die Flugpreise sperrt. Das gilt auch für den Umstieg auf klima­neu­trale Kraft­stoffe oder ein ambitio­nier­teres europäi­sches CO2-Regime. Es geht nicht mehr um das ob, sondern um die Strategien, nächsten Schritte und Rahmen­be­din­gungen für klima­neu­trales Fliegen. Damit sind nicht alle Konflikte zwischen Luftfahrt und Umwelt­schutz aus der Welt, aber Industrie und Airlines bewegen sich in die richtige Richtung.

Wie kann der europäische Emissi­ons­handel wettbe­werbs­neutral gestaltet werden?

Strittig ist vor allem die wettbe­werbs­neu­trale Ausge­staltung des europäi­schen Emissi­ons­handels und anderer kosten­wirk­samer Regulie­rungen. Ein berech­tigtes Anliegen, wenn man auch in Zukunft global operie­rende europäische Airlines haben will. Weshalb sollte für die Luftfahrt­branche nicht gelten, was für die europäische Stahl- oder Chemie­in­dustrie akzep­tiert ist – dass nämlich die Umstellung auf klima­neu­trale Rohstoffe und Prozesse nicht zu struk­tu­rellen Nachteilen im inter­na­tio­nalen Wettbewerb führen darf?

Europäische „Klima­schutz­abgabe“ für den Flugverkehr

Wohlge­merkt – es geht nicht darum, die klima­po­li­ti­schen Ambitionen für den Flugverkehr herun­ter­zu­schrauben. Die kritische Frage ist, wie sie möglichst wettbe­werbs­neutral ausge­staltet werden können, um „Carbon Leakage“-Effekte durch die Verla­gerung des Flugver­kehrs auf Nicht-EU-Fluglinien zu verhindern. Von Seiten der Luftfahrt­ver­bände gibt es dazu einen inter­es­santen Vorschlag: die Einführung einer europäi­schen „Klima­schutz­abgabe“ für den Flugverkehr, die als Zuschlag zu den verkauften Flugti­ckets nach dem Muster der deutschen Flugver­kehrs­steuer gezahlt werden müsste. Aus den Einnahmen könnten die Mehrkosten für die Umstellung auf klima­neu­trale Kraft­stoffe finan­ziert werden.

Chance auf eine klima- und indus­trie­po­li­tische Erfolgsgeschichte

Fazit: Die moralische Verteu­felung des Fliegens und Rufe nach seiner drasti­schen Einschränkung tragen zur Lösung des Klima­pro­blems wenig bei. Dafür haben sie das Zeug zu einem veritablen Kultur­kampf, bei dem der Klima­schutz auf der Strecke bleibt. Vielmehr kommt es darauf an, möglichst rasch den Übergang zu klima­neu­tralem Fliegen zu bewerk­stel­ligen. Das ist keine Fata Morgana. Es gibt ein hohes Maß an Überein­stimmung in der Fachwelt, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Es gilt jetzt alle großen und kleinen Hebel in Bewegung zu setzen, um die klima­re­le­vanten Emissionen möglichst rasch zu senken und spätestens zur Jahrhun­dert­mitte klima­neutral zu fliegen. Dazu braucht es eine konzer­tierte Aktion von Wissen­schaft, Unter­nehmen und Politik. Wenn wir es klug anstellen, kann daraus eine klima- und indus­trie­po­li­tische Erfolgs­ge­schichte werden.

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