Zwischenruf zu Thüringen: Weckruf oder Zäsur?

Geschichte wiederholt sich nicht. Aber was bei der Wahl des Minis­ter­prä­si­denten im Thüringer Landtag abging, hat tatsächlich einen „Hauch von Weimar.“

Dass der FDP-Abgeordnete Kemmerich im 3. Wahlgang kandi­dierte, war eine Einladung an die AfD, die sie mit Handkuss angenommen hat. Und zumindest große Teile der CDU spielten mit. Um Ramelow zu verhindern, erlaubten sie Höcke, den Königs­macher zu spielen. Das ist unverzeihlich.

Kemmerich wird den Makel seiner Wahl nicht mehr los. Es grenzt an Reali­täts­verlust, wenn FDP und CDU in Thüringen jetzt an das „Verant­wor­tungs­be­wusstsein“ von SPD, Grünen und Linken appel­lieren, eine Minder­heits­re­gierung von Höckes Gnaden zu tolerieren. Wenn der 5 Prozent-Minis­ter­prä­sident nicht mit den Rechts­extremen regieren will, muss er zurück­treten und den Weg für Neuwahlen freimachen.

Auch auf Bundes­ebene wird dieser Tag lange nachwirken. Er legte die Konflikte in FDP und Union offen und brachte eine neue Schei­de­linie in der deutschen Politik zum Vorschein: Wie hältst Du’s mit der AfD?

Der stell­ver­trende FDP-Vorsit­zende Wolfgang Kubicki bezeichnete  die Wahl eines FDP-Minis­ter­prä­si­denten in Thüringen als „großar­tigen Erfolg.“ Da hat er recht – freilich ein großer Erfolg für die AfD. Der Herr Minis­ter­prä­sident Kemmerich wird nur ein kurzes Zwischen­spiel sein – die Zweifel an der demokra­ti­schen Verläss­lichkeit der FDP aber werden bleiben. Wie kurzsichtig! Und wie halbherzig die Stellung­nahme von Christian Lindner im Kontrast zu den Positionen, die FDP-Politi­ker/innen wie Johannes Vogel und Partei­granden wie Sabine Leutheusser-Schnar­ren­berger bezogen haben! Gerhart Baum hat recht: Kemmerich hat mit dem Feuer gespielt, und nun brennt es lichterloh unter dem Dach der FDP. Wenn sie den Brand nicht schnell austritt, droht sie von ihm verschlungen zu werden.

Wer hätte gedacht, dass ausge­rechnet Markus Söder sagt, was gesagt werden muss: Die Wahl eines Minis­ter­prä­si­denten mit den Stimmen der AfD ist ein „inakzep­tabler Dammbruch“; der einzige Ausweg aus dem Thüringer Trauer­spiel sind zügige Neuwahlen.

Auch die State­ments von Frau Kramp-Karren­bauer und ihres General­se­kretärs lassen an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Ebenso deutlich ist aber, dass die CDU Thüringen einen anderen Kurs fährt. Für sie ist die Abwahl einer Links­re­gierung wichtiger als die Brand­mauer zur AfD. Wie tief geht dieser Riss durch die Union? Das Thüringer Debakel ist auch ein Test auf die politische Autorität der CDU-Vorsitzenden.

Wir werden sehen, ob sich dieser 5. Februar 2020 als Weckruf erweist, der die demokra­ti­schen Abwehr­kräfte der Mitte stärkt oder ob damit eine weit reichende Verän­derung der politi­schen Landschaft der Bundes­re­publik einge­leitet wird: Eine erneute Margi­na­li­sierung der FDP, ein Ausfransen der Union nach rechts und eine Stärkung der AfD. Die Grünen würden damit nolens, volens zum neuen Stabi­li­täts­anker der Demokratie – eine Rolle, in die sie noch hinein­wachsen müssen.

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