Georgien: Der demokra­tische Aufbruch droht zu scheitern

Quelle: Vladimer Shioshvili /​ Flickr

Georgien galt als Hoffnungsland. Jetzt offenbart eine Regie­rungs­krise, wie ein selbst­herr­licher Oligarch die Strippen zieht, der aus dem Hinter­grund Wirtschaft und Politik kontrol­liert. Ein Bericht über die unheilige Verqui­ckung von Business und Politik – und über das drohende Scheitern eines demokra­ti­schen Aufbruchs.

Ein Satz in der Rücktritts­er­klärung des georgi­schen Regie­rungs­chefs Giorgi Kwiri­ka­schwili zeigt das ganze Dilemma der politi­schen Verhält­nisse im Lande. Er, der noch im vergan­genen Jahr als Spitzen­kan­didat seiner Partei „Georgi­scher Traum“ mit einem fulmi­nanten Wahler­gebnis als Minis­ter­prä­sident bestätigt worden war, gebe das Amt wegen grund­sätz­licher Meinungs­ver­schie­den­heiten mit dem Vorsit­zenden der Partei, dem Oligarchen Bidsina Iwani­schwili, zurück. Es sei jetzt an der Zeit, diesem die Chance zu eröffnen, eine Regie­rungs­mann­schaft nach seinen Vorstel­lungen zu formen. Eine recht eigen­artige Vorstellung vom System der reprä­sen­ta­tiven, parla­men­ta­ri­schen Demokratie.

Strip­pen­zieher im Hintergrund

Dabei hatte Iwani­schwili erst vor kurzem wieder den Vorsitz der Partei übernommen, die er im Jahr 2011 mit dem Ziel gegründet hatte, den damaligen autoritär regie­renden Präsi­denten Saaka­schwili und dessen Regierung abzulösen. Bei den Wahlen im Jahr 2012 ist das Vorhaben auf eindrucks­volle Weise gelungen. Ein Jahr war der Oligarch dann selbst Minis­ter­prä­sident, bevor er sich wieder ins Privat­leben zurück zog, das er vor seinem Einstieg in die Politik intensiv gepflegt hatte.

Aller­dings: Schon zu Saaka­schwilis Zeiten war Iwani­schwili im Hinter­grund als finan­zi­eller Förderer vieler Projekte eine der wichtigsten Personen im Lande, wenngleich die Öffent­lichkeit nicht einmal ein Foto von ihm kannte. In dieser Rolle gefiel er sich dann wieder, wobei jedermann klar war, dass Iwani­schwili in den letzten Jahren aus dem Hinter­grund und ohne politi­sches Mandat die Fäden der Regie­rungs­po­litik zog. Nahezu nichts ging ohne Einver­ständnis des „Mannes vom Berg“, wie er wegen seines protzigen Glaspa­lastes hoch über der Altstadt von Tbilissi genannt wird. Mehr noch: Mit einem weitgehend von ihm finan­zierten und kontrol­lierten Co-Investment-Fond sicherte er sich Einfluss und Macht in vielen Bereichen der georgi­schen Wirtschaft. Selbst bei renom­mierten auslän­di­schen Tochter­un­ter­nehmen in Georgien soll er mittler­weile wesent­liche Anteile übernommen haben. Und gegen große Bauvor­haben wie etwa dem Panorama Hill über der Stadt samt großzügig dimen­sio­nierter Depen­dance im Stadt­zentrum hatten Kritiker kaum eine Chance. Ebenso wenig gegen die absolu­tis­tische Marotte Iwani­schwilis, wertvolle und alte Bäume im ganzen Land ausgraben zu lassen, um sie in seinen Privat­garten am Schwarzen Meer umzusiedeln. 

Portrait von Rainer Kaufmann

Rainer Kaufmannist Journalist und lebt in Tiflis

Krach hinter verschlos­senen Türen

Ganz überra­schend ist der Rücktritt Kwiri­ka­schwilis, der aus dem Banken-Imperium Iwani­schwilis stammt und lange Zeit als dessen engster Vertrauter galt, aller­dings nicht. Schon seit einiger Zeit war klar, dass dieses frühere intime Verhältnis der beiden zerbrochen war. Der Höhepunkt war dann anscheinend eine Sitzung der Partei- und Regie­rungs­spitzen des „Georgi­schen Traums“, bei der der Konflikt zwischen Iwani­schwili und Kwiri­ka­schwili offen ausge­brochen sein muss. Hinter verschlos­senen Türen zwar, aber niemand hat den Partei­spre­chern die am Abend eifrig verbreitete Infor­mation abgenommen, man habe mitnichten über eine Regie­rungs­um­bildung gesprochen, sondern nur über wirtschaftlich relevante Themen. Einen Tag danach hat Kwiri­ka­schwili von sich aus die Reißleine gezogen und nicht abgewartet, bis ihn sein früherer Mentor schassen konnte.

Dabei ist die Bilanz des geschei­terten Regie­rungs­chefs alles andere als glänzend. Denn außer großen Zukunfts­vi­sionen von Winter-Olympiaden und Skiwelt­meis­ter­schaften, von zumindest als gewagt zu bezeich­nenden Straßen­bau­pro­jekten oder unsin­nigen Regio­nal­flug­häfen und ähnlichem hat die Regierung Kwiri­ka­schwili kaum nennens­werte wirtschaft­liche Erfolge zu verzeichnen. Die Situation ist für den überwie­genden Teil der Bevöl­kerung eher schlechter als besser geworden. Von den verspro­chenen neuen Arbeits­plätzen ist wenig zu sehen, die effektive Arbeits­lo­sigkeit wird mit mindestens 50 Prozent einge­schätzt, wenngleich die offizielle Zahl mit 13,9 Prozent angegeben wird – eine statis­tische Schön­fär­berei, wie nahezu alle statis­ti­schen Erfolgs­mel­dungen der jüngsten Zeit kaum einem Stresstest stand­halten. Diese Kritik an der Regie­rungs­bilanz Kwiri­ka­schwilis ist mehr als berechtigt. Der Oligarch vom Berg soll ihm in der hitzigen Debatte eine vollkommen verfehlte Wirtschafts­po­litik vorge­halten haben. Und die aktuellen Meinungs­um­fragen stellen der Regierung in nahezu jedem Politikfeld ein verhee­rendes Urteil aus.

Der Strip­pen­zieher schweigt

Wie geht es jetzt weiter? Seit seinem Wahlsieg über Saaka­schwili und seinem eigenen Rücktritt als Premier ein Jahr danach hat der Milli­ardär immer wieder Personen aus seinem Firmen-Imperium an die Front geschickt, zuletzt Kwiri­ka­schwili. Es ist mehr als fraglich, ob er in seiner Personal-Reserve noch jemanden wie ihn hat, der die Rolle des Regie­rungs­chefs immerhin mehr als nur passabel und glaub­würdig darge­stellt hat, unabhängig von den Inhalten seiner Politik.

Wen auch immer Iwani­schwili jetzt aus dem Hut zaubert, in der öffent­lichen Wahrnehmung wird er nicht mehr als nur eine Mario­nette des Oligarchen abgeben können. Eigentlich wäre es jetzt wirklich an der Zeit, dass Iwani­schwili selbst die politische Verant­wortung übernimmt und damit ein öffent­liches Amt. Aber dann müsste er selbst zeigen, dass er das Land, und damit die Mehrheit der Menschen wirklich aus der wirtschaft­lichen Stagnation führen kann. Ob das bei den offen­sichtlich dominie­renden privat-wirtschaft­lichen Inter­essen des Oligarchen überhaupt möglich ist, steht auf einem anderen Blatt.

Diese Regie­rungs­krise ist daher viel mehr als eine normale Regie­rungs­krise. Und alle in Europa und der Welt müssen sich fragen, ob das derzeitige georgische Politik-System noch irgend­etwas mit den Werte-Vorstel­lungen zu tun hat, die im Zusam­menhang mit der gewünschten Euro-atlan­ti­schen Integration Georgiens immer wieder gepriesen werden.

Eine Erkenntnis, die mittler­weile auch den georgi­schen Staats­prä­si­denten umtreibt, der erklärte, das Versteck­spiel, dass die politi­schen Entschei­dungen von einer Partei getroffen würden und nicht von denen, die vom Volk gewählt seien, schade den europäi­schen Zielen des Landes. Er forderte alle politi­schen Kräfte dazu auf, in Verant­wortung vor dem Land den Vorsit­zenden der Regie­rungs­partei, Bidsina Iwani­schwili, als künftigen Minis­ter­prä­si­denten zu nominieren. Der aller­dings verspürt wenig Lust, aus seiner Luxus-Residenz oberhalb der Haupt­stadt in die Niede­rungen der Tages­po­litik herab zu steigen. Mittler­weile hat die Mehrheits­fraktion im Parlament den seithe­rigen Finanz­mi­nister Mamuka Bakhtadze als Kandi­daten benannt, einen Politiker, der in der Öffent­lichkeit kaum aufge­fallen ist. In einer ersten Stellung­nahme hat er den Menschen eine Wirtschafts­po­litik versprochen, deren Ergebnis in jeder Familie ankommen wird. Mit ähnlichen Verspre­chungen, die bis heute nicht erfüllt wurden, ist der Georgische Traum schon vor sechs Jahren einmal angetreten.

Aufge­fallen ist aber auch, dass Bidsina Iwani­schwili, der Mann, der im Hinter­grund alle Fäden zusam­menhält, in dieser Regie­rungs­krise nicht ein einziges Mal öffentlich aufge­treten ist. Und das als Parteichef der Mehrheits­fraktion im Parlament. Mittler­weile zirku­liert in den sozialen Medien Georgiens das Gerücht, der designierte Kandidat sei der Familie Iwani­schwilis auch privat eng verbunden.

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