Georgien: Der demokratische Aufbruch droht zu scheitern
Georgien galt als Hoffnungsland. Jetzt offenbart eine Regierungskrise, wie ein selbstherrlicher Oligarch die Strippen zieht, der aus dem Hintergrund Wirtschaft und Politik kontrolliert. Ein Bericht über die unheilige Verquickung von Business und Politik – und über das drohende Scheitern eines demokratischen Aufbruchs.
Ein Satz in der Rücktrittserklärung des georgischen Regierungschefs Giorgi Kwirikaschwili zeigt das ganze Dilemma der politischen Verhältnisse im Lande. Er, der noch im vergangenen Jahr als Spitzenkandidat seiner Partei „Georgischer Traum“ mit einem fulminanten Wahlergebnis als Ministerpräsident bestätigt worden war, gebe das Amt wegen grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten mit dem Vorsitzenden der Partei, dem Oligarchen Bidsina Iwanischwili, zurück. Es sei jetzt an der Zeit, diesem die Chance zu eröffnen, eine Regierungsmannschaft nach seinen Vorstellungen zu formen. Eine recht eigenartige Vorstellung vom System der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie.
Strippenzieher im Hintergrund
Dabei hatte Iwanischwili erst vor kurzem wieder den Vorsitz der Partei übernommen, die er im Jahr 2011 mit dem Ziel gegründet hatte, den damaligen autoritär regierenden Präsidenten Saakaschwili und dessen Regierung abzulösen. Bei den Wahlen im Jahr 2012 ist das Vorhaben auf eindrucksvolle Weise gelungen. Ein Jahr war der Oligarch dann selbst Ministerpräsident, bevor er sich wieder ins Privatleben zurück zog, das er vor seinem Einstieg in die Politik intensiv gepflegt hatte.
Allerdings: Schon zu Saakaschwilis Zeiten war Iwanischwili im Hintergrund als finanzieller Förderer vieler Projekte eine der wichtigsten Personen im Lande, wenngleich die Öffentlichkeit nicht einmal ein Foto von ihm kannte. In dieser Rolle gefiel er sich dann wieder, wobei jedermann klar war, dass Iwanischwili in den letzten Jahren aus dem Hintergrund und ohne politisches Mandat die Fäden der Regierungspolitik zog. Nahezu nichts ging ohne Einverständnis des „Mannes vom Berg“, wie er wegen seines protzigen Glaspalastes hoch über der Altstadt von Tbilissi genannt wird. Mehr noch: Mit einem weitgehend von ihm finanzierten und kontrollierten Co-Investment-Fond sicherte er sich Einfluss und Macht in vielen Bereichen der georgischen Wirtschaft. Selbst bei renommierten ausländischen Tochterunternehmen in Georgien soll er mittlerweile wesentliche Anteile übernommen haben. Und gegen große Bauvorhaben wie etwa dem Panorama Hill über der Stadt samt großzügig dimensionierter Dependance im Stadtzentrum hatten Kritiker kaum eine Chance. Ebenso wenig gegen die absolutistische Marotte Iwanischwilis, wertvolle und alte Bäume im ganzen Land ausgraben zu lassen, um sie in seinen Privatgarten am Schwarzen Meer umzusiedeln.
Krach hinter verschlossenen Türen
Ganz überraschend ist der Rücktritt Kwirikaschwilis, der aus dem Banken-Imperium Iwanischwilis stammt und lange Zeit als dessen engster Vertrauter galt, allerdings nicht. Schon seit einiger Zeit war klar, dass dieses frühere intime Verhältnis der beiden zerbrochen war. Der Höhepunkt war dann anscheinend eine Sitzung der Partei- und Regierungsspitzen des „Georgischen Traums“, bei der der Konflikt zwischen Iwanischwili und Kwirikaschwili offen ausgebrochen sein muss. Hinter verschlossenen Türen zwar, aber niemand hat den Parteisprechern die am Abend eifrig verbreitete Information abgenommen, man habe mitnichten über eine Regierungsumbildung gesprochen, sondern nur über wirtschaftlich relevante Themen. Einen Tag danach hat Kwirikaschwili von sich aus die Reißleine gezogen und nicht abgewartet, bis ihn sein früherer Mentor schassen konnte.
Dabei ist die Bilanz des gescheiterten Regierungschefs alles andere als glänzend. Denn außer großen Zukunftsvisionen von Winter-Olympiaden und Skiweltmeisterschaften, von zumindest als gewagt zu bezeichnenden Straßenbauprojekten oder unsinnigen Regionalflughäfen und ähnlichem hat die Regierung Kwirikaschwili kaum nennenswerte wirtschaftliche Erfolge zu verzeichnen. Die Situation ist für den überwiegenden Teil der Bevölkerung eher schlechter als besser geworden. Von den versprochenen neuen Arbeitsplätzen ist wenig zu sehen, die effektive Arbeitslosigkeit wird mit mindestens 50 Prozent eingeschätzt, wenngleich die offizielle Zahl mit 13,9 Prozent angegeben wird – eine statistische Schönfärberei, wie nahezu alle statistischen Erfolgsmeldungen der jüngsten Zeit kaum einem Stresstest standhalten. Diese Kritik an der Regierungsbilanz Kwirikaschwilis ist mehr als berechtigt. Der Oligarch vom Berg soll ihm in der hitzigen Debatte eine vollkommen verfehlte Wirtschaftspolitik vorgehalten haben. Und die aktuellen Meinungsumfragen stellen der Regierung in nahezu jedem Politikfeld ein verheerendes Urteil aus.
Der Strippenzieher schweigt
Wie geht es jetzt weiter? Seit seinem Wahlsieg über Saakaschwili und seinem eigenen Rücktritt als Premier ein Jahr danach hat der Milliardär immer wieder Personen aus seinem Firmen-Imperium an die Front geschickt, zuletzt Kwirikaschwili. Es ist mehr als fraglich, ob er in seiner Personal-Reserve noch jemanden wie ihn hat, der die Rolle des Regierungschefs immerhin mehr als nur passabel und glaubwürdig dargestellt hat, unabhängig von den Inhalten seiner Politik.
Wen auch immer Iwanischwili jetzt aus dem Hut zaubert, in der öffentlichen Wahrnehmung wird er nicht mehr als nur eine Marionette des Oligarchen abgeben können. Eigentlich wäre es jetzt wirklich an der Zeit, dass Iwanischwili selbst die politische Verantwortung übernimmt und damit ein öffentliches Amt. Aber dann müsste er selbst zeigen, dass er das Land, und damit die Mehrheit der Menschen wirklich aus der wirtschaftlichen Stagnation führen kann. Ob das bei den offensichtlich dominierenden privat-wirtschaftlichen Interessen des Oligarchen überhaupt möglich ist, steht auf einem anderen Blatt.
Diese Regierungskrise ist daher viel mehr als eine normale Regierungskrise. Und alle in Europa und der Welt müssen sich fragen, ob das derzeitige georgische Politik-System noch irgendetwas mit den Werte-Vorstellungen zu tun hat, die im Zusammenhang mit der gewünschten Euro-atlantischen Integration Georgiens immer wieder gepriesen werden.
Eine Erkenntnis, die mittlerweile auch den georgischen Staatspräsidenten umtreibt, der erklärte, das Versteckspiel, dass die politischen Entscheidungen von einer Partei getroffen würden und nicht von denen, die vom Volk gewählt seien, schade den europäischen Zielen des Landes. Er forderte alle politischen Kräfte dazu auf, in Verantwortung vor dem Land den Vorsitzenden der Regierungspartei, Bidsina Iwanischwili, als künftigen Ministerpräsidenten zu nominieren. Der allerdings verspürt wenig Lust, aus seiner Luxus-Residenz oberhalb der Hauptstadt in die Niederungen der Tagespolitik herab zu steigen. Mittlerweile hat die Mehrheitsfraktion im Parlament den seitherigen Finanzminister Mamuka Bakhtadze als Kandidaten benannt, einen Politiker, der in der Öffentlichkeit kaum aufgefallen ist. In einer ersten Stellungnahme hat er den Menschen eine Wirtschaftspolitik versprochen, deren Ergebnis in jeder Familie ankommen wird. Mit ähnlichen Versprechungen, die bis heute nicht erfüllt wurden, ist der Georgische Traum schon vor sechs Jahren einmal angetreten.
Aufgefallen ist aber auch, dass Bidsina Iwanischwili, der Mann, der im Hintergrund alle Fäden zusammenhält, in dieser Regierungskrise nicht ein einziges Mal öffentlich aufgetreten ist. Und das als Parteichef der Mehrheitsfraktion im Parlament. Mittlerweile zirkuliert in den sozialen Medien Georgiens das Gerücht, der designierte Kandidat sei der Familie Iwanischwilis auch privat eng verbunden.
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