UN-Migra­ti­onspakt: Völker­recht auf der Höhe der Zeit

© https://refugeesmigrants.un.org/migration-compact

In Deutschland hat die AfD eine Kampagne gegen den UN-Migra­ti­onspakt organi­siert: Angeblich schaffe er ein Menschen­recht auf Migration. In Wirklichkeit reguliert der Pakt nicht nur Migration – in Zeiten wieder­erstar­kender natio­naler Egoismen stabi­li­siert er auch die inter­na­tio­nalen Beziehungen.

Alle reden vom „Migra­ti­onspakt“ – meinen damit aber meistens den Flücht­lingspakt. Der aber steht noch gar nicht zur Verab­schiedung an. Im Text des Migra­ti­ons­paktes wird ausdrücklich auf den Unter­schied zwischen Migranten und Flücht­lingen hinge­wiesen. Der hier in Rede stehende Pakt heißt auch nicht – in Analogie zum „Globalen Pakt für Flücht­linge“ – „Globaler Pakt für Migranten“, sondern „Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“. In Wirklichkeit geht es also um die Errichtung eines inter­na­tio­nalen Regimes für grenzüber­schreitende Wande­rungen von Menschen, die nicht Flücht­linge sind. Tatsächlich ist Migration für die meisten Länder ein nicht so drängendes Problem. Die weitge­hende interna­tionale Regel­losigkeit ist das eigent­liche Problem. Wenn dann noch – wie in Deutschland – die jahrzehn­te­lange inner­staat­liche Weigerung hinzu­kommt, Einwan­derung als eine Dimension entwi­ckelter und dynami­scher Gesell­schaften anzuer­kennen und sie gesetzlich zu steuern, dann ist die Gefahr nicht fern, dass sich der durch die unvor­be­reitete Begegnung mit der Migration ausge­löste gesell­schaft­liche Stress in Panik verwandelt. 

Portrait von Ulrich K. Preuß

Ulrich K. Preuß war bis 2011 Professor für Recht­liche Grund­lagen der Politik an der Freien Univer­sität Berlin bzw. für Law and Politics an der Hertie School of Gover­nance in Berlin.

Der Pakt soll zu allererst die Staaten für das Verständnis des inter­na­tio­nalen Charakters der Migration sensi­bi­li­sieren. Er zielt auf die Etablierung eines inter­na­tio­nalen Regimes, das die Möglichkeit eines fairen Ausgleichs unter den in diesem sozialen Feld grenz­über­schreitend wirkenden Inter­essen und Akteuren schafft. Dazu gehört auch die schwierige Abgrenzung zwischen legaler und illegaler Migration. In diesem Feld spielen natur­gemäß Migranten eine zentrale Rolle. Aber nicht weniger bedeutsam sind die anderen Akteure: die Herkunfts‑, Transit- und Ziel­länder der Migranten, die in jenen Ländern wirkenden zivil­ge­sell­schaft­lichen Akteure mit verschie­den­ar­tigen wirt­schaft­li­chen, kultu­rellen und sozialen Inter­essen, inter­na­tionale Insti­tu­tionen und schließlich auch Kräfte der interna­tionalen Zivilgesellschaft.

Tunnel­blick der inter­na­tio­nalen Rücksichtslosigkeit

Nicht recht­licher Status und subjektive Rechte von Migranten bilden daher den metho­di­schen Ausgangs­punkt für das Regelungsziel des Paktes, sondern ein objek­tives inter­na­tio­nales Ord­nungsinteresse. Der Pakt ist daher auch nicht als eine inter­na­tionale Rechte­er­klärung – oder gar als die Schöpfung eines neuen Menschen­rechts auf Migration – zu verstehen. Dennoch ist es sicher kein Zufall, dass das Datum der Verab­schiedung des Paktes auf den 10. (und 11.) Dezember 2018 fällt – den Jahrestag der Verkündung der Allge­meinen Erklärung der Menschen­rechte durch die UN-General­ver­­­sammlung vor siebzig Jahren. Im Text des Paktes wird auf die men­schenrechtlichen Quellen immer wieder Bezug genommen. Ohne selbst Quelle eines neuen Mi­gra­­tions-Menschen­rechts zu sein, fügt er den Menschen­rechten der Migranten aller­dings eine gerade für sie besonders wichtige Dimension hinzu: unter der Geltung des Paktes sollen Migranten mit Hilfe einer Schutz­ver­pflichtung  der Staaten in die Lage  versetzt werden, ihre bereits bestehen­den Men­sch­en­rechte effektiv auszuüben. Das mag manchen enttäu­schen. Aber bietet nicht die Bestimmung der Menschen­rechte als notwen­diges Element eines funktio­nie­renden inter­na­tio­nalen Migrati­ons­regimes einen höheren Schutz als die Dekla­ration eines neuen Menschen­rechts im luftleeren Raum?

Tatsächlich ist es wohl auch die durch den Pakt  angestrebte Regula­ri­sierung von Migra­tion – ihre Anerkennung als Teil der Norma­lität einer globa­li­sierten und inter­dependenten Welt – , die den heftigen Wider­stand der Gegner des  Paktes ausgelöst hat. Sie weisen die dem Pakt zugrunde liegende Annahme zurück, dass Migration eine Angele­genheit von inter­na­tio­nalem Interesse ist. Für sie gilt, was US-Präsident Donald Trump auf der diesjäh­rigen UN-Vollver­­­sam­m­lung wie folgt formu­lierte: „Wir erken­nen das Recht jeder Nation in diesem Raum an, ihre eigene Einwan­der­ungspolitik im Einklang mit ihren natio­nalen Inter­essen festzu­legen, ebenso wie wir andere Län­der auffordern, unser Recht darauf zu respek­tieren“. Gesprochen im Angesicht der unbestreit­baren Tatsache, dass, wie es im Text des Paktes heißt, die weltweite Migration „Gesell­schaften innerhalb aller Regionen und über sie hinaus verbindet und alle unsere Länder zu Herkunfts‑, Transit- und Zielländern macht“, reprä­sen­tiert dieser Satz den Tunnel­blick des wohlha­benden und um sich selbst kreisenden Ziellandes, kurz: den Tunnel­blick inter­na­tio­naler Rücksichts­lo­sigkeit. Es ist das, was gemeint ist, wenn es im Votum der öster­rei­chi­schen Regierung gegen den Pakt heißt: „Öster­reich unter­scheidet klar zwischen legaler und illegaler Migration.“ Gemeint ist: Öster­reich als souve­räner Staat legt die Kriterien der Le­ga­lität der Migration fest und gedenkt nicht, diese Befugnis mit anderen zu teilen.

Der Irrweg des „America First“

Diese Haltung folgt dem tradierten Konzept souve­räner Staat­lichkeit, demzu­folge die Staaten die Erfor­der­nisse ihrer Sicherheit selbst definieren und ihre Inter­essen ohne Rücksicht auf Dritte durch­setzen müssen. Dritten gegenüber entstehen nur solche Verpflich­tungen, denen der Staat zugestimmt hat. Man bezeichnet dieses Konzept als das Anarchie-Paradigma, da es unter­stellt, dass die Staatenwelt mangels einer zentralen Regie­rungs­au­torität eine herrschafts- und gesetzlose Gesell­schaft sei.

Doch die Welt ist schon lange nicht mehr so, wie es dieses – angeblich realis­tische – Paradigma unter­stellt. Staaten, selbst Großmächte, sind heute stärker denn je mit anderen Staaten und grenzüber­schreitend agierenden nicht-staat­lichen Akteuren verwoben. Die heutige Tendenz verschie­dener Staaten, dem Vorbild des Trump­schen „America First“ nachzu­eifern und „nationale Inter­essen“ auf eigene Faust zu verfolgen, führt auf einen Irrweg. Eine große Zahl grenz­über­schreitend auftre­tender  Proble­me für Sicherheit und Wohlstand der Staaten – wie die Folgen des Klima­wandels, der Res­sourcenübernutzung und eben auch der globalen Bevölkerungswan­derun­gen – können konstruktiv nur durch inter­na­tionale Koope­ration bearbeitet werden. Die Befrie­digung natio­naler Inter­essen ist in grund­le­genden  Bereichen nur durch inter­na­tionale Koope­ration und die Errichtung inter- und supra­na­tio­naler Insti­tu­tionen und Verfahren möglich, durch die ein Interes­senausgleich auf überna­tio­naler, zum Teil auch auf globaler Ebene, erfolg­reich sein kann.

Darin liegt der Kern eines neuen Paradigmas, das des Globalen Regierens. Wenig überra­schend hat in diesem Konzept auch das tradi­tio­nelle völker­recht­liche Prinzip einer Bindung der Staaten allein auf­grund ihrer Zustimmung eine Abschwä­chung erfahren. Verschiedene Faktoren – so vornehmlich die im Verlauf der Dekolo­ni­sierung erfolgte Ausweitung der Vereinten Nationen um eine beträcht­liche Zahl neu entstan­dener, überwiegend armer Staaten – haben For­men inter­na­tio­naler Koopera­tion ohne recht­liche Verbind­lichkeit hervor­ge­bracht. Als sogenanntes „weiches Recht“ – zum Beispiel satzungs­gemäß unver­bind­liche, jedoch politisch häufig bedeutsame Resolu­tionen der UN-General­ver­sammlung – bilden sie eine Grauzone zwischen Recht und Nicht-Recht. Gleichwohl stabi­li­sieren sie die interna­tio­nalen Bezie­hungen durch ein auf Vertrauen gegrün­detes Erwartungsmanagement.

Der Migra­ti­onspakt folgt diesem durchaus bewährten Modell der inter­na­tio­nalen Bezie­hungen. Er ist gewiss nicht makellos – schließlich geht es um die Ordnung eines politisch hoch umstrit­tenen Feldes. Aber gerade deshalb ist er ein Beispiel für aufge­klärte globale Inter­es­sen­po­litik auf der Höhe der Zeit.

Textende

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