Putin und Lukaschenka: Energie­krieg statt Unionsstaat

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Beide Staats­chefs wollten bis Ende 2019 ein ambitio­niertes Vertragswerk unter­zeichnen. Es hätte die Gründung eines russisch-belarus­si­schen Unions­staates bedeutet, der durch ein genau 20 Jahre zuvor verab­schie­detes Dokument schon avisiert worden war. Doch dann kam alles anders. Inzwi­schen droht der belarus­sische Präsident Lukaschenka mit Krieg. Die Chronik einer Eskalation.

Das grund­le­gende Problem bei den Verhand­lungen über eine Integration von Belarus und Russland besteht darin, dass beide Seiten entge­gen­ge­setzte Inter­essen verfolgen. Für Minsk ist der Unions­staat ein Vehikel, um von Russland Vergüns­ti­gungen im Energie­sektor zu erlangen. Für Moskau überwiegen geopo­li­tische Überle­gungen: es will seinen Einfluss in der Region festigen. Im Dezember 2018 stellte Russland das kleine Nachbarland vor die Wahl: Entweder stimme es einer tiefer­ge­henden Integration zu, oder die Zusam­men­arbeit beider Länder erfolge in Zukunft unter markt­wirt­schaft­lichen Bedingungen. 

Portrait von Artyom Shraibman

Artyom Shraibman ist Politologe und Autor bei tut.by und carnegie.ru.

Aljaksandr Lukaschanka, der starke Mann in Belarus, ist auf eine tiefer­ge­hende Integration mit Russland nicht erpicht, weil dies seinen Handlungs­spielraum einschränken würde. Aller­dings macht Moskau die Unter­zeichnung zur Bedingung, um in Verhand­lungen über Öl- und Gaslie­fe­rungen weiterzukommen.

Mitte 2019 zeichnete sich ab, dass Minsk nicht bereit sein würde, der Gründung einer politi­schen Union zuzustimmen, die über eine rein wirtschaft­liche Integration hinausgeht. Zuvor hatten die belarus­sische und russische Regierung ein umfang­reiches Vertragswerk ausge­ar­beitet, das die Harmo­ni­sierung der Gesetz­gebung beider Länder in einer Reihe von Bereichen vorsah, etwa im Zoll- und Steuer­wesen, in der Landwirt­schaft, im Verkehr und in der Industrie.

Lukaschenka will Pipeline umlenken

Die feier­liche Unter­zeichnung war für den 8. Dezember geplant, doch  im Vorfeld des Gipfel­treffens wurde deutlich, dass in den Verhand­lungen zwei Fragen ungelöst blieben: Minsk und Moskau konnten keine Einigung erzielen, wie die Öl- und Gasmärkte zu harmo­ni­sieren wären und wie man zu einem gemein­samen Steuer­ge­setzbuch gelangen könnte. Zweiter Streit­punkt war die russische Vorbe­dingung für eine Kompen­sation, die Belarus für das sogenannte Steuer­ma­növer Russlands erhalten würde. Das Steuer­ma­növer ist eine Reform der Besteuerung der russi­schen Ölindustrie, die Minsk bei seinen Ölein­nahmen bis 2025 Verluste von rund 10 Milli­arden US-Dollar einbringen dürfte.

Treffen der beiden Präsi­denten am 7. und 20. Dezember blieben ohne nennens­werte Ergeb­nisse. Dass der Jahrestag der Unter­zeichnung des Vertrages über einen russisch-belarus­si­schen Unions­staat im Jahr 1999 ohne Unter­zeichnung des neuen Vertrags­werks verstrich, bedeutete lediglich eine PR-Panne. Gegen Jahresende kamen ernstere Probleme auf. Belarus hatte für das Jahr 2020 noch keine Öl- und Gasver­träge erhalten. Auf einer Presse­kon­ferenz am 19. Dezember meinte Putin, dass er es für merkwürdig hält, wenn Moskau ohne die vertiefte Integration weiterhin billiges Öl und Gas liefern würde. Er fügte hinzu, dass er über die Harmo­ni­sierung der Wirtschafts­ge­setz­gebung hinaus die Schaffung supra­na­tio­naler Insti­tu­tionen erwarte. Vier Tage später erklärte Minis­ter­prä­sident Dmitri Medwedew, dass es eine bislang unbekannte 31. Roadmap gebe, die genau diese vertiefte insti­tu­tio­nelle Integration mit einer gemein­samen Währung und supra­na­tio­nalen Körper­schaften zum Gegen­stand habe. Medwedew zufolge hatte Minsk der Roadmap nicht zustimmen wollen.

Lukaschenka antwortete, wie zu erwarten, unver­blümt: In einem Interview mit dem opposi­ti­ons­freund­lichen Radio­sender Echo Moskwy bekräf­tigte er, dass seit Langem beschlossen sei, Fragen über supra­na­tionale Insti­tu­tionen und eine gemeinsame Währung nicht anzurühren. Lukaschenka erhöhte den Einsatz. Sollte Russland die Souve­rä­nität von Belarus gefährden, könnte es sich in einem Krieg wieder­finden, in den mögli­cher­weise sogar die NATO invol­viert wäre. Auch wieder­holte er die Drohung, die Strömungs­richtung von Teilen der Drushba-Pipeline so auszu­richten, dass über Ostsee­häfen saudi­sches oder US-ameri­ka­ni­sches Öl impor­tiert werden kann. Auch könne Russland die Pipeline dann nicht mehr für seine Öllie­fe­rungen nach Europa nutzen.

Minsk und Moskau ließen die Diskussion um eine Integration ruhen, um zunächst die Diffe­renzen über Öl- und Gaslie­fe­rungen auszu­räumen. Putin und Lukaschanka telefo­nierten am 30. und 31. Dezember, aller­dings ohne Ergebnis. Nach dem zweiten Gespräch versam­melte Lukaschenka Vertreter der Energie­branche und wies sie an, Verträge zu unter­zeichnen, die „die ununter­bro­chene Arbeit der Ölraf­fi­nerien sicher­stellen“, sowie die alter­na­tiven Ölimporte über Ostsee­häfen und die Drushba-Pipeline vorzu­be­reiten. Lukaschenkas Problem aber ist, dass seine Drohung wie ein Bluff aussieht. Es würde Monate dauern, alter­native Öltrans­porte auszu­handeln; sie wären zudem teurer als russi­sches Öl.

Belarus will Verhand­lungen ausbremsen

Am 1. Januar stoppte Russland die Rohöl­lie­fe­rungen nach Belarus. Umgehend beendete Minsk den Export von Ölpro­dukten um den Inlands­ver­brauch abzudecken. Drei Tage später gelang es der Energie­branche, vorüber­gehend Öllie­fe­rungen durch die kleine private Ölfirma Russneft auszu­handeln. Das Unter­nehmen befindet sich im Besitz des russi­schen Unter­nehmers Michail Guzerijew, einem Freund Lukaschenkas. Dank der Liefe­rungen müssen belarus­sische Raffi­nerien die Produktion nicht unter­brechen, bis langfristige Verträge ausge­handelt sind. Auch beim Gas fanden beide Seiten ein nur vorüber­ge­hendes Kompromiss. Zwei Stunden vor Beginn des neuen Jahres einigte man sich, den Gaspreis für Januar und Februar 2020 auf dem Niveau von 2019 einzufrieren.

Trotz des Energie­krieges sind die Gespräche über eine Integration noch nicht gescheitert. Beide Seiten können die Erörterung der Roadmaps erneut aufnehmen, wenn sie den Streit über Öl- und Gaslie­fe­rungen beigelegt haben.

Unklar ist, worin eine Einigung bestehen könnte. Minsk kann einer gemein­samen Währung und supra­na­tio­nalen Insti­tu­tionen, die von Russland dominiert würden, nicht zustimmen, denn das würde den Verlust der wirtschafts­po­li­ti­schen Souve­rä­nität bedeuten. Für einen autori­tären Führer wie Lukaschenka wäre das gleich­be­deutend mit seinem politi­schen Ende – ein Autokrat muss über die Währung des Landes verfügen können. Lukaschenka bekräftigt, dass eine Union mit supra­na­tio­nalen Insti­tu­tionen auf gleiche Rechte der Betei­ligten gründen muss. Belarus will Entschei­dungen des Unions­staates blockieren können.

Die Forderung nach gleichen Rechten könnte Teil der belarus­si­schen Strategie sein, mit der die Gespräche über die 31. Roadmap zur „Super­in­te­gration“ ausge­bremst werden soll, falls Russland sie abermals auf den Tisch legt. Denn Minsk weiß, dass Moskau eine recht­liche Gleich­stellung ablehnen würde.

Wie lang wird Moskau das Spiel mitmachen? Beide Seiten wissen, dass sich Belarus auf keine Integration einlassen wird, die über eine Integration, wie in den ersten 30 Roadmaps vorge­sehen, hinausginge.

Für Lukaschenka ist die Lage vertrackt. Im Sommer 2020 stehen Präsi­dent­schafts­wahlen an. Es gibt zwar keinen ernst­zu­neh­menden Anwärter auf seine Macht. Aber falls die Bezie­hungen zu Russland angespannt bleiben, könnte Moskau das Land wirtschaftlich unter Druck setzen, um den belarus­si­schen Präsi­denten zu einer Unter­zeichnung zu nötigen.

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