Interview: „Entkopplung ist machbar, Frau Nachbar“
Wie können wir den Klimawandel aufhalten und trotzdem unseren Wohlstand sichern? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Interview von „Bank & Umwelt“, dem Magazin der Umweltbank mit Ralf Fücks.
Hallo Herr Fücks, was ist die Idee hinter Ihrem Think Tank „Liberale Moderne“?
Wir Gründer (die ehemaligen Grünen-Politiker Ralf Fücks und Marieluise Beck, Anm. d. Red.) haben uns für diesen Namen entschieden, weil wir die Auseinandersetzung um die liberale Moderne für die zentrale Konfliktlinie unserer Zeit halten. Autoritäre Mächte wie China, Russland und der Iran sehen sich als Gegenmodell zur liberalen Demokratie, während wir gleichzeitig seit Jahren mit einer antiliberalen Revolte konfrontiert sind, die selbst altehrwürdige Demokratien wie die USA und Großbritannien erfasst hat. Auch in Kontinentaleuropa geraten mittlerweile viele Freiheiten und Errungenschaften, die wir seit 1990 als selbstverständlich erachten, in die Defensive: eine offene Gesellschaft, Globalisierung, Gleichstellung der Geschlechter, sexuelle Vielfalt und tolerante Einwanderungspolitik. Wir sind überzeugt, dass wir die liberale Demokratie nicht nur verteidigen, sondern erneuern müssen. Und dazu gehört es, Antworten auf die ökologischen Fragen zu finden. Der fortschreitende Klimawandel und der dramatische Verlust von Biodiversität stellen uns vor die Herausforderung, unsere auf Wissenschaft und Technik gründende Gesellschaft zukunftsfähig zu machen.
Wie sieht Ihre Lösung hierfür aus? Ein pragmatisches Weitermachen mit kleineren Anpassungen, so wie es die Bundesregierung mit ihrem Klimapaket aktuell betreibt, kann ja nicht ausreichen. Wie muss unser System ganz grundlegend verändert werden?
Es geht um einen fundamentalen Wandel der Industriegesellschaft. Ich nenne das die grüne industrielle Revolution. Dahinter steckt eine radikale Änderung der Produktionsweise, die Neuerfindung von Mobilität und die Umgestaltung des Energiesektors auf Basis erneuerbarer Energien. Zur ökologischen Transformation kommt zeitgleich die digitale Revolution. Unsere Gesellschaft und unsere Lebensweise werden sich in den nächsten Jahrzehnten dramatisch verändern – zum Guten oder zum Schlechten. Bloßer Pragmatismus reicht da nicht, wir müssen den Wandel offensiv angehen.
Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass wir diesen Wandel demokratisch gestalten können und müssen. Die Demokratie ist ein Wert an sich. Sie gilt es zu verteidigen, denn ohne sie fallen wir zurück in die Barbarei.
Sie bezeichnen die „Liberale Moderne“ als Think Tank, wie entfaltet ein Think Tank seine Wirkung?
Wir verstehen uns als Denkwerkstatt, die versucht in Kooperation mit Wissenschaft, Wirtschaft und politischen Akteuren Antworten auf große Fragen zu geben. Wir haben uns zum Beispiel damit beschäftigt, wie viel Rückversicherung Gesellschaften brauchen, um sich auf fundamentale Veränderungen einzulassen.
Letztlich geht es darum, wie man freiheitliche Antworten auf konservative Bedürfnisse nach Sicherheit, Kontinuität, Stabilität und Zugehörigkeit findet. Wenn man diese Bedürfnisse ignoriert, wachsen die Widerstände und Abwehrhaltungen. Wir haben lange unterschätzt, wie sehr Globalisierung, Digitalisierung und die Geschlechterrevolution von einem Teil der Gesellschaft als Bedrohung gesehen werden. Darauf müssen wir Antworten finden – und Brücken schlagen.
Diese Abwehr von tiefgreifenden Veränderungen muss auch in der Klimapolitik überwunden werden. Das sehen wir in den Diskussionen, die um Fridays for Future stattfinden. Während es FFF mit den Reformen nicht schnell genug geht, möchte die Politik möglichst „alle mitnehmen“. Würden Sie denn mit Fridays for Future auf die Straße gehen?
Bin ich schon. Aber mit eigenen Parolen. Zum Beispiel: „Entkopplung ist machbar, Frau Nachbar“ – also die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen. Ich finde an Fridays for Future diese Ernsthaftigkeit gut, mit der sie Druck auf Politik und Wirtschaft machen. Mich trennt aber von vielen Akteuren der plakative Anti-Kapitalismus. Außerdem stört mich die Endzeitstimmung. Ich sehe natürlich, dass wir in einem Wettlauf mit der Zeit sind, vertraue aber auf die Innovationsfähigkeit und Kreativität offener Gesellschaften. Panik ist kein guter Ratgeber.
Wie kann Kapitalismus so gestaltet werden, dass er die richtige Wirkung entfaltet? Es ist eine Ur-Idee der UmweltBank, dass es einen guten Kapitalismus gibt und der Markt Dinge „regeln“ kann.
Der Markt ist der effizienteste Lenkungsmechanismus im Umgang mit knappen Ressourcen, den die Menschheit erfunden hat. Marktwirtschaft und moderne Technik ermöglichten einen ungeheuren sozialen Fortschritt über die letzten 200 Jahre: Eine Verdopplung der weltweiten Lebenserwartung, einen ungeahnten Aufschwung des Bildungsniveaus und der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten. Es kommt jetzt darauf an, diese Kraft in eine ökologische Richtung zu lenken. Dafür braucht es einen politischen Ordnungsrahmen. Die wichtigste Voraussetzung ist, dass die Preise die ökologische Wahrheit sagen.
Die Externalisierung ökologischer Kosten ist der Hauptverursacher des Klimawandels. Sie ermöglichte es, CO2 kostenlos in der Atmosphäre zu deponieren. Wir brauchen eine große ökologische Steuerreform, die Ressourcenverbrauch besteuert, und ein massives öffentliches Investitionsprogramm, das den Umbau unseres Verkehrssystems, die Modernisierung von Bahn und ÖPNV sowie die ökologische Sanierung unserer Städte möglich macht.
Wenn der Preis die ökologische Wahrheit sagt, lassen sich also Wachstum und Ressourcenverbrauch entkoppeln?
Ja, genau. Wir müssen über den Preis Umweltzerstörung so teuer machen, dass umweltfreundliche Produkte erfolgreicher sind. Bei allem Verständnis für Ungeduld – es ist fatal zu sagen, dass in den letzten 20 Jahren nichts passiert sei. In der Europäischen Union haben wir seit 1990 einen Rückgang der CO2-Emissionen von 28 % bei einer gleichzeitigen Steigerung des BIP von 50 %. In Großbritannien stieg die Wirtschaftsleistung in den letzten 10 Jahren um 20 %, während die CO2-Emissionen um 27 % sanken. Auch in der Bundesrepublik mit ihrem enormen industriellen Exportüberschuss gingen die Emissionen zurück. Es trifft nicht zu, dass diese Effekte vor allem durch Auslagerung industrieller Produktion nach China erzielt wurden. Natürlich geht das noch nicht schnell genug und reicht insgesamt nicht. Es zeigt aber, dass Entkopplung prinzipiell möglich ist.
Wie muss das Einpreisen der Umweltkosten gestaltet werden, damit es sozialverträglich und sozial gerecht bleibt? Geht das alles über Steuern?
Steuern, Umweltabgaben und Emissionshandel mit CO2-Zertifikaten sind die bevorzugten Mittel der Wahl. Sie erfordern allerdings einen sozialen Ausgleich, etwa in Form eines „Klimabonus“, mit dem das Aufkommen aus CO2-Steuern als Pro-Kopf-Pauschale an die Bevölkerung zurückerstattet wird. Außerdem braucht es ein Ausgleichssystem, das ökologische Dumpingkonkurrenz verhindert, indem CO2-intensive Importe in die EU mit entsprechenden Abgaben belegt werden. Generell geht es nicht darum, die Steuerlast zu erhöhen. Ökologische Steuerreform bedeutet Verlagerung von Steuern auf Arbeitseinkommen zu umweltbezogenen Steuern.
Wie kann der ökologische Kapitalismus auch global funktionieren?
Die Weltbevölkerung wächst und bringt den Aufstieg von Milliarden Menschen in eine moderne Lebenswelt mit sich. Die Weltwirtschaft wird sich in den nächsten 30 Jahren etwa verdoppeln. Darauf kann die Antwort nur sein, dass sich wirtschaftliche Wertschöpfung und Umweltverbrauch radikal entkoppeln. Wir brauchen die Energierevolution mit erneuerbaren Energien und solarem Wasserstoff und eine Effizienzrevolution: Wir müssen mit immer weniger Ressourcen immer mehr Wohlstand erzeugen und den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft schaffen, in der jeder Reststoff entweder in die landwirtschaftliche oder die industrielle Produktion zurückkehrt. Auch dafür sind höhere Ressourcensteuern und Umweltabgabe ein Schlüssel. Dazu kommen ordnungspolitische Instrumente wie eine Verpflichtung der Hersteller, langlebige Produkte zurückzunehmen. Dafür brauchen wir europäische Regelungen.
Es ist ein sehr beliebtes Argument, dass grundsätzlich mit endlichen Ressourcen kein unendliches Wachstum möglich ist. Wie stehen Sie dazu?
Die Ressourcenknappheit ist doch gar nicht das Problem. Öl, Kohle und Gas sind in der Erde in viel größeren Maß verfügbar als wir sie mit Blick auf den Klimawandel verwenden dürfen. Die Kunst ist, die Ressourcen in der Erde zu lassen und sie durch erneuerbare Energien zu ersetzen. In Hinblick auf endliche mineralische Ressourcen lauten die Lösungen Recycling und Substitution durch synthetische Materialien. All das sollte auf Sonnenenergie basieren, weil sie noch für Milliarden Jahre unbegrenzt zur Verfügung steht.
Eine ökologische Ökonomie muss leisten, was die biologische Natur durch die Photosynthese jeden Tag schafft – nämlich die Umwandlung von Licht, Wasser und CO2 in Energie und Wertstoffe. Das ist die große Vision einer ökologischen Ökonomie. Mit der Kraft der Sonne und einer abfallfreien Kreislaufwirtschaft müssen wir uns weniger Sorgen über die Grenzen des Wachstums machen.
Kommen wir zu einem anderen Thema. Wie schätzen Sie den Einfluss des Finanzmarkts auf den notwendigen Wandel ein?
Ausgesprochen hoch! Die Neubewertung von Kapitalanlagen auf Basis ihrer ökologischen Bilanz ist einer der wirksamsten Hebel, um die ökologische Transformation voranzutreiben. Es ist eine gute Nachricht, dass die Bewertung von Finanzrisiken zunehmend anhand der CO2-Intensität von Produkten und Anlagen stattfindet. Damit hat der Finanzmarkt massive Auswirkungen auf die Realwirtschaft.
Je mehr sich die Einsicht durchsetzt, dass nur nachhaltige Geschäftsmodelle erfolgreich sind, desto schneller wird sich die Wirtschaft verändern. Das kann man noch befördern, indem z. B. Investmentfonds und andere Finanzprodukte sehr viel transparenter hinsichtlich ihrer ökologischen und sozialen Bilanz werden. Gleichzeitig müssen wir die Kriterien nachhaltiger Finanzprodukte stärker standardisieren.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage. Wie nachhaltig leben Sie selbst im Privaten?
Was meinen privaten Lebensstil betrifft, bin ich nicht besonders verschwenderisch und achte auf meinen ökologischen Fußabdruck – mit einer Ausnahme, dem Fliegen. Zwar nutze ich innerhalb Deutschlands fast ausschließlich die Bahn und in Berlin vor allem mein Fahrrad und die S‑Bahn, ich bin aber oft international unterwegs und da gibt es kaum eine Alternative zum Flugzeug. Gleichzeitig hat sich meine Familie inzwischen globalisiert. Eine Tochter lebt in Israel, eine andere hat einen britischen Ehemann. Wir sind Teil dieser globalisierten Lebenswelt, zu der das Fliegen gehört. Es kommt am Ende nicht darauf an, den Leuten das Fliegen auszureden, sondern das Fliegen möglichst klimaneutral zu machen, vorzugsweise durch regenerativ erzeugte synthetische Kraftstoffe.
Lieber Herr Fücks, ich bedanke mich für den interessanten und inspirierenden Austausch.
Das Interview erschien in „Bank & Umwelt“ Nr 84 Sommer/Herbst 2020
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