Gender Studies: Keine Panik, Männer!

Foto: Shutterstock, Jacob Lund
Foto: Shutter­stock, Jacob Lund

Wer seine Lebenszeit auf Twitter verschwendet, erlebt die Welt als Kriegs­schau­platz. Im Lieblings­netzwerk Donald Trumps wimmelt es nur so von Nazis, Faschisten, Sexisten, Rassisten, Gende­risten, Feminazis, Links­ra­di­kalen, Religioten, Hetzern, Hassern, Esote­rikern und anderen missio­na­ri­schen Überzeu­gungs­tätern – zumindest wollen zahllose politi­sierte Accounts diesen Eindruck vermitteln. Gerade was Gender Studies und Feminismus betrifft, prägt sekten­hafter Furor die Kommu­ni­kation. Im Schutz ihrer Pseud­onyme schießen Männer (oder solche, die sich dafür ausgeben) gegen den „Genderwahn“ oder „autoritäre Linke“ – und führen aus der Komfortzone der Anony­mität genau jene heroische Männlichkeit, die sie sich zurück­wün­schen, ad absurdum.

Ist die Lage wirklich drama­tisch? Ist ein Kultur­kampf ums Ganze ausge­brochen? Bei solchen Fragen ist immer eines heilsam: Empirie aus dem Meatspace, geteilte persön­liche Erfah­rungen. Deshalb will ich hier, weitest­gehend theoriefrei, ein wenig von meinen Erleb­nissen mit Gender Studies, Feminismus, Sprach­regeln an Kunst­hoch­schulen, im Ausstel­lungs­be­trieb und in der Kultur­pu­bli­zistik berichten – mithin aus den Zentren des mutmaß­lichen Schreckens.

Voraus­ge­schickt sei, dass ich zwar Professor für Kunst­ge­schichte an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), aber kein Lobbyist des Kunst- und Kultur­be­triebs bin. Als Intel­lek­tu­eller sehe ich meine Aufgabe nicht darin, mich mit einem Denkstil­kol­lektiv zu identi­fi­zieren oder eine fixe „Position“ einzu­nehmen, sondern mich zwischen den Positionen zu bewegen. Die liberale Freiheit, auch Kontrain­tui­tives und Denkstil­spren­gendes zuzulassen, ist mir heilig.

Wenn ich Artikel publi­ziere, ecke ich zwar meist bei Rechten, aber auch bei Linken, mal bei Progres­siven, mal bei Konser­va­tiven an. An Lobby­isten und Identi­täts­hau­sierern besteht kein Mangel, da braucht es nicht noch mich. Nicht zuletzt deshalb kann ich mit binären Kategorien wie „links“ und „rechts“ nichts anfangen, was moderne Gnostiker verlässlich irritiert. Allein, diese Kategorien stammen aus der Zeit der franzö­si­schen Revolution und sind völlig ungeeignet, die heutige Komple­xität und Dynamik zu erfassen. Überdies sind sie genuin eurozentrisch.

Wenn ich also auf die letzten Jahre zurück­blicke, muss ich die Twitter­trolle enttäu­schen: Selbst als angeblich vom Aussterben bedrohter Heteromann, der seine Freizeit in Kraft­räumen oder auf Metal-Konzerten verbringt, im Motörhead-T-Shirt mit Eisernem Kreuz Vorle­sungen hält, auch Links­pro­gressive in Essays kriti­siert und allerlei politisch unkor­rekte Dinge schätzt, habe ich viele positive Erfah­rungen mit Vertretern von Gender Studies und Feminismus gemacht. Und dies, obwohl ich – neben meiner langjäh­rigen Haupt­be­schäf­tigung als Kritiker von Rechts­po­pu­lismus und ‑extre­mismus – offen wie auch öffentlich spezi­fische Aspekte der Gender Studies kriti­siere, auf die Präge­kraft des Biolo­gi­schen poche (das gerne mit Biolo­gismus verwechselt wird) und einem auf Geschlecht und Ethnie verkürzten Konzept von Diversity misstraue. Bislang ist mir daraus kein Nachteil entstanden – ich wurde mehrfach von Frauen befördert und in Hochschul-Arbeits­gruppen zu Gender & Diversity lädt man mich ebenfalls ein. Zwar werde ich wiederum von den von mir Kriti­sierten kriti­siert – aber so muss es ja sein! Mir scheint, dass viele Genderwahn!-Rufer ihre Angst, Skepsis und Kritik solange mutlos in sich hinein­fressen, bis sie irgendwann verzerrt, in Form kultur­kämp­fe­ri­scher Phrasen, aus ihnen heraus­brechen. Doch damit diskre­di­tiert man sich nur selbst und die teils berech­tigte Kritik an spezi­ellen Ausprä­gungen von Feminismus & Co.

Respekt statt Kulturkampf

Vielleicht liegt meinen positiven Erfah­rungen ja der schwei­ze­rische Geist der Libera­lität zugrunde. Anderswo sieht es durchaus anders aus – überall dort, wo das Prinzip „Leben und Lassen“ dem Prinzip des „So-leben-Müssens“ weicht; überall dort, wo Menta­li­täten im Kampf verhärten; überall dort, wo eigen­sinnige Einzelne in Identi­täts­schub­laden einsor­tiert werden. In jedem Fall ist es ratsam, nicht schrille, genera­li­sie­rende Kritik zu üben, sondern punktuelle. Wer sich gegen konkrete Ausläufer von Gender Studies und Feminismus wehren möchte, sollte das respektvoll tun. Wer könnte abstreiten, dass die Frauen­be­wegung aus guten und gerechten Gründen entstanden ist? Dass es noch viel zu tun gibt, damit Homose­xuelle oder Trans-Menschen sich unver­stellt und angstfrei in der Öffent­lichkeit bewegen können? Dass Sprache die Wirklichkeit mitformt? Wenn man anerkennt, dass die Grund­an­liegen gut und gerecht sind, kann man ihre Inter­pre­ta­tionen kriti­sieren, ohne in einen dumpfen Kultur­kampf zu verfallen.

In meiner Karriere hatte ich überwiegend weibliche Chefs, bereits bei meinem ersten Praktikum. Es war für mich immer selbst­ver­ständlich – und für mehr weibliche Chefs braucht es keine bevor­mun­dende Quote, die Frauen dauerhaft auf das „schwache Geschlecht“ reduziert, sondern förder­liche Rahmen­be­din­gungen für freie Entschei­dungen. Meiner persön­lichen Erfahrung nach ist die essen­zia­lis­tische Behauptung „Frauen führen anders“ übrigens Quatsch. Macht, da hatten Carl Schmitt und Michel Foucault schon Recht, ist eine eigen­ständige Größe, die sich nicht um das Geschlecht schert – hier Margret Thatcher, dort Jacinda Ardern. Hier Angela Merkel, dort Marine Le Pen. An den inter­na­tio­nalen Kunst­hoch­schulen, an denen ich seit 15 Jahren studiere und lehre, bin ich einer ebenso hetero­genen Schar von Gender-Theore­ti­ke­rinnen begegnet. Es gibt dogma­tische, liberale, freund­liche, verbit­terte, macht­hungrige, anarchische, unfaire und redliche – mir scheint, dass sie sich in dieser Hinsicht nicht substan­ziell von Ökonomen oder Histo­rikern unterscheiden.

Als der „Gender-Salon“ einer ZHdK-Kollegin in einem Zürcher Kraft- und Kampf­sport­center gastierte, war ich einge­laden. Man saß im Kreise, und disku­tierte über Produkt­ge­staltung, Sport, Kraft, Geschlecht. Ich hatte nicht den Eindruck, dass man mich umerziehen wollte. Ich verfechte stets offen mein positives, nicht-exklu­die­rendes Verständnis von Hetero-Männlichkeit. Überhaupt gilt ja: Dass in der Öffent­lichkeit auch über Männer vermehrt kritisch disku­tiert wird, ist gut und richtig. Sind wir etwa ein schwaches Geschlecht, das beson­derer Schonung bedarf? Von wegen! Mit der Refle­xiv­werdung des Mannes ist die Refle­xiv­werdung der Moderne einen Schritt weiter. Solange die Kritik sachlich und fair ist – bring ‚em on, challenge accepted! Aber weiter mit der Empirie.

Vor ein paar Jahren luden mein Kollege Dennis Bäsecke-Beltra­metti und ich die queer­fe­mi­nis­tische Rapperin Sookee an die ZHdK ein. Wir hatten eine produktive Podiums­dis­kussion. Als ich kürzlich im Deutsch­landfunk mit der linken Feministin Mithu Sanyal ein „Streit­ge­spräch“ über Cancel Culture führte, verlief die Diskussion erfri­schend harmo­nisch – für die Hörer wohl überra­schend, stimmten wir darin überein, dass Cancel Culture existiert und ein durchaus ernst­zu­neh­mendes, teils bedroh­liches Phänomen ist.

Natürlich mache ich auch schlechte Erfah­rungen mit Feminis­tinnen und Gender-Theore­tikern, wie könnte es anders sein – es gibt schlicht keinen Hort des Reinen, Edlen, Guten. So saß bei einer ZHdK-Veran­staltung mit dem Musiker und Kraft­sportler Rummelsnuff eine Gender-Theore­ti­kerin im Publikum. Nach zwei Stunden diffe­ren­zierter, humor­voller Diskussion über deviante Körper­bilder, Subkul­turen und Freiheit fiel ihr nichts Besseres ein, als muskulöse Männer­körper mit Riefen­stahl kurzzu­schließen. Grotesk!

Vielfalt statt Uniformität

Auch was Sprach­re­ge­lungen betrifft, entsprechen meine Erfah­rungen bislang nicht der Twitter-Hysterie. Als kürzlich ein Lektor in einem Ausstel­lungstext von mir – zum Thema Männlichkeit! – die Perso­nen­be­zeich­nungen genderte, bat ich ihn, dies rückgängig zu machen. Nicht, weil ich Gendern grund­sätzlich falsch finde. Manches daran erscheint mir schlüssig, anderes nicht. Bereits die Diskus­sionen über die perfor­mative Qualität von Sprache haben dazu beigetragen, dass ich bewusster formu­liere und, wenn es mir angebracht erscheint, auch mal Geschlechts­marker setze. Aller­dings lehne ich pauschale Sprach­re­ge­lungen ex cathedra ab, wie ich schon die pater­na­lis­tische Recht­schreib­reform abgelehnt habe. Wenn es Progres­siven an anarchi­schem Geist, an Lust am Wider­spruch, an Witz und Sinn für Vielfalt gebricht, werden sie zu Gouver­nanten – die Geschichte zeigt: asketische Christen avancierten zu Päpsten, aus unter­pri­vi­le­gierten Bürgern wurde eine herrschende Klasse, pazifis­tische Grüne verwan­delten sich mit Regie­rungs­an­tritt in Kriegs­be­für­worter und Auto-Lobby­isten. Wer heute idealis­tische Minderheit ist, kann morgen zynisch an der Macht klammern.

Zudem inter­es­siert es mich, ob es sich wirklich so verhalten wird, wie die Gendering-Befür­worter, mit denen ich unter anderem auf Twitter und an Hochschulen gestritten habe, behaupten: Dass niemand je gezwungen werden würde, Sprach­re­ge­lungen zu übernehmen; dass niemandem ein Nachteil entstünde – etwa bei Forschungs- und Förde­rungs­an­trägen –, wenn nicht die „empfoh­lenen“ Schreib­weisen verwendet werden. Wird die Handhabung tatsächlich so liberal bleiben? Oder wird die Versu­chung zu groß ein, das „Gute“ und „Richtige“ durch­zu­setzen, wenn man nur erst über die Macht­mittel verfügt? Es gilt, wachsam, ja misstrauisch zu bleiben – gerade was subtile und indirekte Formen der Macht­aus­übung, Stichwort Nudging, betrifft.

Darüber hinaus betrachte ich die neue Sehnsucht nach Gruppen­iden­tität mit Skepsis und versuche deshalb Identitätsmarker antizy­klisch zu reduzieren. Vor diesem Hinter­grund, so beendete ich meine Nachricht an den Lektor des Ausstel­lungs­texts, befände ich mich in einem Realex­pe­riment, ob die Libera­li­täts­be­kun­dungen der Sprach­po­li­tik­be­wegten ernst gemeint seien. Der Lektor machte die Änderungen umstandslos rückgängig, der Text erschien in der von mir gewünschten Form.

So verhielt es sich auch mit einem Kunst­ma­gazin. Die Lektorin hatte in meiner Ausstel­lungs­re­zension den Gender­stern bei Perso­nen­be­zeich­nungen eingefügt. Ich bat, die Änderungen rückgängig zu machen. Auch hier wurde der Bitte ohne Umstände statt­ge­geben. Schluss­endlich war ich der einzige Autor im Heft, dessen Text ohne Gender­stern erschien. Ob ich weiterhin für Rezen­sionen zur Verfügung stünde, wurde ich abschließend gefragt. Ich bejahte nur zu gerne. Solange das so bleibt, solange derlei offene Ausein­an­der­set­zungen, indivi­duelle Entschei­dungen und respekt­volle Kritik möglich sind, bin ich unter den ersten, die Gender, Feminismus, Sprach­po­litik vertei­digen. Sollte sich das Klima wandeln und sich ein Geist der Illibe­ra­lität breit machen, werde ich der erste sein, der sich dagegen zur Wehr setzt. Und überall dort, wo wieder essen­zia­li­siert wird, wo „die“ Weißen oder „die“ Cis-Männer „den“ Trans-Frauen oder „den“ People of Colour gegen­über­ge­stellt werden; wo konkrete Einzelne mit abstrakten „Struk­turen“ identi­fi­ziert, ja erzwun­ge­ner­maßen auf sie reduziert werden, ist mein öffent­licher Wider­spruch gewiss.

Textende

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