Gender Studies: Keine Panik, Männer!
Wer seine Lebenszeit auf Twitter verschwendet, erlebt die Welt als Kriegsschauplatz. Im Lieblingsnetzwerk Donald Trumps wimmelt es nur so von Nazis, Faschisten, Sexisten, Rassisten, Genderisten, Feminazis, Linksradikalen, Religioten, Hetzern, Hassern, Esoterikern und anderen missionarischen Überzeugungstätern – zumindest wollen zahllose politisierte Accounts diesen Eindruck vermitteln. Gerade was Gender Studies und Feminismus betrifft, prägt sektenhafter Furor die Kommunikation. Im Schutz ihrer Pseudonyme schießen Männer (oder solche, die sich dafür ausgeben) gegen den „Genderwahn“ oder „autoritäre Linke“ – und führen aus der Komfortzone der Anonymität genau jene heroische Männlichkeit, die sie sich zurückwünschen, ad absurdum.
Ist die Lage wirklich dramatisch? Ist ein Kulturkampf ums Ganze ausgebrochen? Bei solchen Fragen ist immer eines heilsam: Empirie aus dem Meatspace, geteilte persönliche Erfahrungen. Deshalb will ich hier, weitestgehend theoriefrei, ein wenig von meinen Erlebnissen mit Gender Studies, Feminismus, Sprachregeln an Kunsthochschulen, im Ausstellungsbetrieb und in der Kulturpublizistik berichten – mithin aus den Zentren des mutmaßlichen Schreckens.
Vorausgeschickt sei, dass ich zwar Professor für Kunstgeschichte an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), aber kein Lobbyist des Kunst- und Kulturbetriebs bin. Als Intellektueller sehe ich meine Aufgabe nicht darin, mich mit einem Denkstilkollektiv zu identifizieren oder eine fixe „Position“ einzunehmen, sondern mich zwischen den Positionen zu bewegen. Die liberale Freiheit, auch Kontraintuitives und Denkstilsprengendes zuzulassen, ist mir heilig.
Wenn ich Artikel publiziere, ecke ich zwar meist bei Rechten, aber auch bei Linken, mal bei Progressiven, mal bei Konservativen an. An Lobbyisten und Identitätshausierern besteht kein Mangel, da braucht es nicht noch mich. Nicht zuletzt deshalb kann ich mit binären Kategorien wie „links“ und „rechts“ nichts anfangen, was moderne Gnostiker verlässlich irritiert. Allein, diese Kategorien stammen aus der Zeit der französischen Revolution und sind völlig ungeeignet, die heutige Komplexität und Dynamik zu erfassen. Überdies sind sie genuin eurozentrisch.
Wenn ich also auf die letzten Jahre zurückblicke, muss ich die Twittertrolle enttäuschen: Selbst als angeblich vom Aussterben bedrohter Heteromann, der seine Freizeit in Krafträumen oder auf Metal-Konzerten verbringt, im Motörhead-T-Shirt mit Eisernem Kreuz Vorlesungen hält, auch Linksprogressive in Essays kritisiert und allerlei politisch unkorrekte Dinge schätzt, habe ich viele positive Erfahrungen mit Vertretern von Gender Studies und Feminismus gemacht. Und dies, obwohl ich – neben meiner langjährigen Hauptbeschäftigung als Kritiker von Rechtspopulismus und ‑extremismus – offen wie auch öffentlich spezifische Aspekte der Gender Studies kritisiere, auf die Prägekraft des Biologischen poche (das gerne mit Biologismus verwechselt wird) und einem auf Geschlecht und Ethnie verkürzten Konzept von Diversity misstraue. Bislang ist mir daraus kein Nachteil entstanden – ich wurde mehrfach von Frauen befördert und in Hochschul-Arbeitsgruppen zu Gender & Diversity lädt man mich ebenfalls ein. Zwar werde ich wiederum von den von mir Kritisierten kritisiert – aber so muss es ja sein! Mir scheint, dass viele Genderwahn!-Rufer ihre Angst, Skepsis und Kritik solange mutlos in sich hineinfressen, bis sie irgendwann verzerrt, in Form kulturkämpferischer Phrasen, aus ihnen herausbrechen. Doch damit diskreditiert man sich nur selbst und die teils berechtigte Kritik an speziellen Ausprägungen von Feminismus & Co.
Respekt statt Kulturkampf
Vielleicht liegt meinen positiven Erfahrungen ja der schweizerische Geist der Liberalität zugrunde. Anderswo sieht es durchaus anders aus – überall dort, wo das Prinzip „Leben und Lassen“ dem Prinzip des „So-leben-Müssens“ weicht; überall dort, wo Mentalitäten im Kampf verhärten; überall dort, wo eigensinnige Einzelne in Identitätsschubladen einsortiert werden. In jedem Fall ist es ratsam, nicht schrille, generalisierende Kritik zu üben, sondern punktuelle. Wer sich gegen konkrete Ausläufer von Gender Studies und Feminismus wehren möchte, sollte das respektvoll tun. Wer könnte abstreiten, dass die Frauenbewegung aus guten und gerechten Gründen entstanden ist? Dass es noch viel zu tun gibt, damit Homosexuelle oder Trans-Menschen sich unverstellt und angstfrei in der Öffentlichkeit bewegen können? Dass Sprache die Wirklichkeit mitformt? Wenn man anerkennt, dass die Grundanliegen gut und gerecht sind, kann man ihre Interpretationen kritisieren, ohne in einen dumpfen Kulturkampf zu verfallen.
In meiner Karriere hatte ich überwiegend weibliche Chefs, bereits bei meinem ersten Praktikum. Es war für mich immer selbstverständlich – und für mehr weibliche Chefs braucht es keine bevormundende Quote, die Frauen dauerhaft auf das „schwache Geschlecht“ reduziert, sondern förderliche Rahmenbedingungen für freie Entscheidungen. Meiner persönlichen Erfahrung nach ist die essenzialistische Behauptung „Frauen führen anders“ übrigens Quatsch. Macht, da hatten Carl Schmitt und Michel Foucault schon Recht, ist eine eigenständige Größe, die sich nicht um das Geschlecht schert – hier Margret Thatcher, dort Jacinda Ardern. Hier Angela Merkel, dort Marine Le Pen. An den internationalen Kunsthochschulen, an denen ich seit 15 Jahren studiere und lehre, bin ich einer ebenso heterogenen Schar von Gender-Theoretikerinnen begegnet. Es gibt dogmatische, liberale, freundliche, verbitterte, machthungrige, anarchische, unfaire und redliche – mir scheint, dass sie sich in dieser Hinsicht nicht substanziell von Ökonomen oder Historikern unterscheiden.
Als der „Gender-Salon“ einer ZHdK-Kollegin in einem Zürcher Kraft- und Kampfsportcenter gastierte, war ich eingeladen. Man saß im Kreise, und diskutierte über Produktgestaltung, Sport, Kraft, Geschlecht. Ich hatte nicht den Eindruck, dass man mich umerziehen wollte. Ich verfechte stets offen mein positives, nicht-exkludierendes Verständnis von Hetero-Männlichkeit. Überhaupt gilt ja: Dass in der Öffentlichkeit auch über Männer vermehrt kritisch diskutiert wird, ist gut und richtig. Sind wir etwa ein schwaches Geschlecht, das besonderer Schonung bedarf? Von wegen! Mit der Reflexivwerdung des Mannes ist die Reflexivwerdung der Moderne einen Schritt weiter. Solange die Kritik sachlich und fair ist – bring ‚em on, challenge accepted! Aber weiter mit der Empirie.
Vor ein paar Jahren luden mein Kollege Dennis Bäsecke-Beltrametti und ich die queerfeministische Rapperin Sookee an die ZHdK ein. Wir hatten eine produktive Podiumsdiskussion. Als ich kürzlich im Deutschlandfunk mit der linken Feministin Mithu Sanyal ein „Streitgespräch“ über Cancel Culture führte, verlief die Diskussion erfrischend harmonisch – für die Hörer wohl überraschend, stimmten wir darin überein, dass Cancel Culture existiert und ein durchaus ernstzunehmendes, teils bedrohliches Phänomen ist.
Natürlich mache ich auch schlechte Erfahrungen mit Feministinnen und Gender-Theoretikern, wie könnte es anders sein – es gibt schlicht keinen Hort des Reinen, Edlen, Guten. So saß bei einer ZHdK-Veranstaltung mit dem Musiker und Kraftsportler Rummelsnuff eine Gender-Theoretikerin im Publikum. Nach zwei Stunden differenzierter, humorvoller Diskussion über deviante Körperbilder, Subkulturen und Freiheit fiel ihr nichts Besseres ein, als muskulöse Männerkörper mit Riefenstahl kurzzuschließen. Grotesk!
Vielfalt statt Uniformität
Auch was Sprachregelungen betrifft, entsprechen meine Erfahrungen bislang nicht der Twitter-Hysterie. Als kürzlich ein Lektor in einem Ausstellungstext von mir – zum Thema Männlichkeit! – die Personenbezeichnungen genderte, bat ich ihn, dies rückgängig zu machen. Nicht, weil ich Gendern grundsätzlich falsch finde. Manches daran erscheint mir schlüssig, anderes nicht. Bereits die Diskussionen über die performative Qualität von Sprache haben dazu beigetragen, dass ich bewusster formuliere und, wenn es mir angebracht erscheint, auch mal Geschlechtsmarker setze. Allerdings lehne ich pauschale Sprachregelungen ex cathedra ab, wie ich schon die paternalistische Rechtschreibreform abgelehnt habe. Wenn es Progressiven an anarchischem Geist, an Lust am Widerspruch, an Witz und Sinn für Vielfalt gebricht, werden sie zu Gouvernanten – die Geschichte zeigt: asketische Christen avancierten zu Päpsten, aus unterprivilegierten Bürgern wurde eine herrschende Klasse, pazifistische Grüne verwandelten sich mit Regierungsantritt in Kriegsbefürworter und Auto-Lobbyisten. Wer heute idealistische Minderheit ist, kann morgen zynisch an der Macht klammern.
Zudem interessiert es mich, ob es sich wirklich so verhalten wird, wie die Gendering-Befürworter, mit denen ich unter anderem auf Twitter und an Hochschulen gestritten habe, behaupten: Dass niemand je gezwungen werden würde, Sprachregelungen zu übernehmen; dass niemandem ein Nachteil entstünde – etwa bei Forschungs- und Förderungsanträgen –, wenn nicht die „empfohlenen“ Schreibweisen verwendet werden. Wird die Handhabung tatsächlich so liberal bleiben? Oder wird die Versuchung zu groß ein, das „Gute“ und „Richtige“ durchzusetzen, wenn man nur erst über die Machtmittel verfügt? Es gilt, wachsam, ja misstrauisch zu bleiben – gerade was subtile und indirekte Formen der Machtausübung, Stichwort Nudging, betrifft.
Darüber hinaus betrachte ich die neue Sehnsucht nach Gruppenidentität mit Skepsis und versuche deshalb Identitätsmarker antizyklisch zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund, so beendete ich meine Nachricht an den Lektor des Ausstellungstexts, befände ich mich in einem Realexperiment, ob die Liberalitätsbekundungen der Sprachpolitikbewegten ernst gemeint seien. Der Lektor machte die Änderungen umstandslos rückgängig, der Text erschien in der von mir gewünschten Form.
So verhielt es sich auch mit einem Kunstmagazin. Die Lektorin hatte in meiner Ausstellungsrezension den Genderstern bei Personenbezeichnungen eingefügt. Ich bat, die Änderungen rückgängig zu machen. Auch hier wurde der Bitte ohne Umstände stattgegeben. Schlussendlich war ich der einzige Autor im Heft, dessen Text ohne Genderstern erschien. Ob ich weiterhin für Rezensionen zur Verfügung stünde, wurde ich abschließend gefragt. Ich bejahte nur zu gerne. Solange das so bleibt, solange derlei offene Auseinandersetzungen, individuelle Entscheidungen und respektvolle Kritik möglich sind, bin ich unter den ersten, die Gender, Feminismus, Sprachpolitik verteidigen. Sollte sich das Klima wandeln und sich ein Geist der Illiberalität breit machen, werde ich der erste sein, der sich dagegen zur Wehr setzt. Und überall dort, wo wieder essenzialisiert wird, wo „die“ Weißen oder „die“ Cis-Männer „den“ Trans-Frauen oder „den“ People of Colour gegenübergestellt werden; wo konkrete Einzelne mit abstrakten „Strukturen“ identifiziert, ja erzwungenermaßen auf sie reduziert werden, ist mein öffentlicher Widerspruch gewiss.
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