China greift nach der Welthandelsmacht

Grafik: Shutterstock, Lightspring
Grafik: Shutter­stock, Lightspring

Mit dem neuen Freihan­dels­ab­kommen mit 14 asiatisch-pazifi­schen Staaten baut die Volks­re­publik ihre ökono­mische und politische Position strate­gisch aus – eine Bedrohung vor allem für Europa. Dort wird die Gefahr sträflich unter­schätzt, anders als in den USA.

Freihandel galt früher, vor Donald Trump und der neuen Epoche der Globa­li­sierung, als Marken­zeichen des Westens, neben Demokratie, Markt­wirt­schaft und Achtung der Menschen­rechte. Heute feiert sich ausge­rechnet das kommu­nis­tisch-dikta­to­rische, zugleich turbo-staats­ka­pi­ta­lis­tische China nicht nur als Vorreiter einer globa­li­sierten digitalen Ökonomie, sondern auch als Grals­hüter eines von Trump‘schen Angriffen ungehin­derten Welthandels und einer multi­la­te­ralen Ordnung. Ein weiterer, hierzu­lande wenig beach­teter Coup in diesem Bestreben gelang Peking Mitte November mit der feier­lichen Online-Unter­zeichnung eines Freihan­dels­ver­trags mit 14 südost­asia­ti­schen und pazifi­schen Staaten, darunter Japan, Südkorea, Indonesien, Australien und Neuseeland, nicht aber den USA und Indien, den alten großen Rivalen.

Die in der „Regional Compre­hensive Economic Partnership“ (RCEP) zusam­men­ge­schlos­senen Länder, allen voran China, beherr­schen schon jetzt ein Drittel des Welthandels und verbinden teils äußerst dynamische Volks­wirt­schaften mit 2,2 Milli­arden Menschen. Ein gigan­ti­scher Markt, der weiter wachsen wird zulasten der USA und Europas. Die 15 Unter­zeich­ner­staaten verpflichten sich in dem Pakt, gegen­seitig Zölle und andere Handels­bar­rieren schritt­weise abzubauen. Falls daraus ein gemein­samer Wirtschaftsraum erwachsen sollte, wäre er nicht nur ökono­misch eine ernst­hafte Bedrohung für die EU mit ihrem Binnen­markt und die USA, die noch führende Wirtschaftsnation.

Für Deutschland ist China bereits seit Jahren der wichtigste Handels­partner. Waren und Dienst­leis­tungen für 110 Milli­arden Euro wurden 2019 von dort impor­tiert, bei einem chine­si­schen Handels­über­schuss von 14 Milli­arden Euro. Umgekehrt haben viele deutsche Unter­nehmen, besonders Autokon­zerne wie VW in der Volks­re­publik inves­tiert und sind stark vom dortigen Markt abhängig. Für die EU liegen noch knapp die USA an erster Stelle. Bei den Importen führt aber China mit 20 Prozent. Der Anteil der Volks­re­publik am EU-Handel insgesamt hat sich seit 2000 verdrei­facht, während er beispiels­weise mit Japan stark abnahm. Im Vergleich der EU-Staaten ist die Abhän­gigkeit Deutsch­lands von Einfuhren aus und Ausfuhren nach China am höchsten.

Die chine­sische Führung lässt dabei keinen Zweifel, dass es ihr nicht nur um die Expansion ihrer Staats­be­triebe und sonstigen Unter­nehmen geht, sondern auch um langfristige strate­gische Ziele. Das frühere Reich der Mitte soll im imperialen Wettbewerb mit den USA und Europa zur mächtigsten Weltmacht aufsteigen – ökono­misch, technisch, politisch und militä­risch. Die autokra­tische Herrschaft chine­si­schen Typs soll zugleich Vorbild für den Rest der Welt werden.

Dem dient das neue pazifische Handels­ab­kommen genauso wie das gigan­to­ma­nische Seiden­straßen-Projekt, das auch Länder Europas und Afrikas an China binden soll. Ebenso der lange Marsch in den Weltraum genauso wie die militä­rische Herrschaft über das südchi­ne­sische Meer mit den weltweit wichtigsten Handels­routen. Gleicher­maßen der gezielte Einstieg chine­si­scher Konzerne in deutsche und andere europäische Firmen, Häfen und Flughäfen; die Kredit­vergabe an und Inves­ti­tionen in kriselnde afrika­nische und südeu­ro­päische Länder; und die Abhän­gigkeit von Techfirmen wie Huawei, ohne die in der Daten- und Telekom­mu­ni­kation kaum noch etwas geht.

Während vor allem für Europäer beim Handel soziale Standards, Arbeit­nehmer- und Menschen­rechte, Verbrau­cher­schutz und Umwelt­fragen aus guten Gründen eine immer wichtigere Rolle spielen, was das angestrebte Freihan­dels­ab­kommen der EU mit den USA zu Fall brachte, sind für Chinas kommu­nis­tische Führung solche Themen besten­falls irrelevant, wenn nicht sogar Hemmnisse. In dem RCEP-Abkommen wurden sie deshalb konse­quent ausgeklammert.

Der kurz nach Trumps Abwahl unter­zeichnete Vertrag ist eine unmit­telbare Folge seiner disrup­tiven, errati­schen Politik. Mit seinen protek­tio­nis­ti­schen Maßnahmen und Zollkriegen hat er China nicht isoliert. Im Gegenteil. Gleich nach seinem Amtsan­tritt 2017 hatte er die Unter­schrift unter das von seinem Vorgänger Barack Obama als Pakt gegen China ausge­han­delte Trans­pa­zi­fische Freihan­dels­ab­kommen TPP zurück­ge­zogen. Die Unter­zeich­ner­länder setzten es jedoch auch ohne die USA in Kraft. Später empfing Trump zwar den chine­si­schen Führer Xi und pries ihn zeitweise als „besten Freund Amerikas“. Doch die asiatisch-pafizi­schen Staaten verhan­delten weiter und banden sich nun noch stärker anein­ander, diesmal mit China, aber wieder ohne die USA. „China hat den Rückzug der USA genutzt und die Chance ergriffen, um sich in der Region weiter zu profi­lieren“, sagt Max Zenglein, Chefökonom des Mercator Institute for China Studies.

Für Deutschland, Europa und seine Unter­nehmen, betont er, muss das Handels­ab­kommen unter chine­si­scher Führung kurzfristig kein Schaden sein. Deutsche Firmen beispiels­weise, die in der Region produ­zieren, könnten davon sogar profi­tieren. Doch ihre Abhän­gigkeit von China wächst. In einer Studie zeigt Zenglein, dass in mehr als 100 Bereichen, vor allem Elektronik, Chemie, Erze, Metalle sowie medizi­nische und Pharma­stoffe die EU schon jetzt in einem kriti­schen Maß auf Importe von dort angewiesen ist. Die Corona-Krise hat das drama­tisch verdeutlicht.

Der Ökonom weist aller­dings daraufhin, dass umgekehrt auch China stark vom Handel mit der EU und den USA und von Inves­ti­tionen von dort abhängig ist und deshalb kein Interesse an einer Verschlech­terung der Wirtschafts­be­zie­hungen habe. Es könne andere Staaten zwar unter Druck setzen. Bislang habe sich Peking jedoch meist auf Drohungen beschränkt und konkrete Aktionen unter­lassen. Auch mit Trump hat die chine­sische Führung einen Waffen­still­stand geschlossen, mit dem seine massiven Straf­zölle für chine­sische Waren abgemildert wurden.

Jeo Biden wird sich als neuer US-Präsident um eine entspann­teres Verhältnis zu China bemühen. Aber auch er wird klar die Inter­essen der USA und der ameri­ka­ni­schen Unter­nehmen vertreten, zumal die Demokraten schon immer protek­tio­nis­ti­scher waren, als die Republi­kaner vor Trump. Es wird nun darauf ankommen, wie die EU und Deutschland auf das RCEP-Abkommen reagieren und ihre Bezie­hungen zu Peking künftig gestalten. Merkel hat zwar deutlicher als ihr Vorgänger Schröder gegenüber der kommu­nis­ti­schen Führung die Bedeutung der Menschen­rechte und rechts­staat­licher Standards heraus­ge­stellt. Aber auch sie hat im Zweifel Wirtschafts- und Unter­neh­mens­in­ter­essen Vorrang gegeben. Die EU verhandelt schon lange mit Peking über ein Inves­ti­ti­ons­schutz­ab­kommen. Trotz eines virtu­ellen Gipfel­treffens im September kommen die Gespräche nur langsam voran. Wichtig wäre, darin nicht nur die Inter­essen europäische Unter­nehmen und Entwickler zu berück­sich­tigen, sondern auch elementare Menschen- und demokra­tische Rechte, welche die chine­sische Führung in Hongkong gerade wieder mit Füßen tritt.

An China wird Europa nicht vorbei­kommen. Aber es darf sich nicht kleiner machen als es ist. China-Kenner Zenglein empfiehlt eine doppelte Strategie, nicht nur wirtschaftlich: Koope­ration und Wettbewerb. „Wandel durch Handel“ – das war schon die Erfolgs­formel von Willy Brandt und Egon Bahr. Gegenüber der Sowjet­union und der DDR hat sie sich langfristig ausgezahlt.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Spenden mit Bankeinzug

Spenden mit PayPal


Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.