USA und Deutschland brauchen eine neue ‘Partnership in Leadership’!
Thomas Weber, Experte für internationale Beziehungen im Interview: Trump verliert momentan Einfluss. Deutschland, Amerika und die Demokratien der Welt müssen genau jetzt im globalen Systemwettkampf zusammenfinden.
Das Interview führte Alexander Görlach für LibMod.
Görlach: Die Mid-Terms in den USA nahen, Donald Trump macht sich warm für einen neuen Anlauf auf das Weiße Haus. In welchem Zustand befinden sich Ihrer Meinung nach die Vereinigten Staaten im zweiten Jahr der Biden-Präsidentschaft?
Weber: Dies ist die Art von Frage, die viele deutsche Experten und Amerika-Missversteher lieben. Sie gibt ihnen einmal mehr die Gelegenheit über Amerika vom Leder zu ziehen, so wie wir es gewohnt waren aus all den Jahren, in denen in keiner guten deutschen Talkshow ein Russland-Versteher fehlen durfte. Dennoch befinden sich die Vereinigten Staaten in einem schlechten Zustand. Wir sollten dies aber ohne deutsche Häme und ohne europäische Arroganz sagen, denn in Amerika sehen wir eine extremere oder weit fortgeschrittene Form von vielem, was wir auch bei uns selbst erleben.
Görlach: Was meinen Sie damit?
Weber: Politische Gegner und ganze Bevölkerungsgruppen sehen sich nicht mehr als Gegner, sondern als Feinde. Viele Leute hören nur noch auf die Stimmen aus ihrem eigenen Resonanzkörper. Sie meinen die absolute Wahrheit zu hören und verteufeln oftmals ungeprüft, was alle anderen sagen. Das gilt leider nicht nur – wie man oftmals in Deutschland meint – für die Anhänger Donald Trumps. Joe Biden war mit dem Versprechen angetreten, wieder eine ‘Bipartisanship’ und eine Kultur des Kompromisses zu etablieren, hat dies aber bisher kaum umsetzen können. Aber ohne die Bereitschaft, in Andersdenkenden politische Gegner und nicht Feinde zu sehen, kann Liberalismus und Demokratie nicht dauerhaft überleben.
Görlach: Hat die gemeinsame Anstrengung des Westens unter der Führung der USA gegen die Kreml-Aggression in der Ukraine nicht dazu beitragen können, das Land zu einen?
Weber: Nein. Dafür ist das Thema innenpolitisch nicht dominierend genug. Es berichten zwar alle über den Krieg in der Ukraine und auch auf den Nachrichtenwebsites der extremen amerikanischen Rechten kann man für die Ukraine spenden, aber es wird über den Krieg eher im Stil von ‘unter ferner liefen’ berichtet. Falls der Krieg doch noch ein dominierendes Thema werden sollte, würden wohl auch wieder die alten Verschwörungstheorien über die Ukraine aufgebrüht werden, wie etwa die über die Verbindungen des Präsidentensohnes, Hunter Biden, in die Ukraine. Auch sagte mir allen Ernstes ein Taxifahrer in Chicago vor ein paar Tagen, dass wir alle ja gar nicht verstehen würden, worum es im Krieg in der Ukraine wirklich gehen würde. Und dann sagte er etwas, was auch direkt aus Putins Mund hätte kommen können: es ginge doch darum, das geheime Biowaffenprogramm der Ukraine zu zerstören. Unter der Oberfläche brodeln in den U.S.A. überall Verschwörungstheorien.
Görlach: Selbst ein Teil der republikanischen Partei hat Partei für Putin ergriffen. Ist dies ein weiteres Resultat der russischen Einflussnahme auf die amerikanische Öffentlichkeit oder wie würden Sie diese Entwicklung erklären?
Weber: Seit einigen Jahren gibt es Bewunderung für Putins Russland in Teilen der amerikanischen Rechten. Für sie ist Putins Russland eine Art Gegenentwurf zu allem, was angeblich in den letzten Jahren in Amerika aus dem Ruder gelaufen ist: es ist ein Land mit scheinbar intakten Familienwerten, ohne Cancel Culture und bevölkert von richtigen Kerlen. Einige Abgeordnete wurden daher schon scherzhaft ‘Red Square Republicans’ genannt. Dazu kommt Donald Trumps von Respekt bis Bewunderung reichendes Verhalten gegenüber Putin. Und Tucker Carlson, der vielleicht einflussreichste TV-Journalist der Trumpjahre, beschreibt auch heute noch die Ukraine als Vasallenstaat Bidens. Natürlich hat der Kreml seit Jahren in seinem Informationskrieg gegen Amerika diese Grundstimmung zu verstärken versucht. Ich finde aber etwas ganz anderes interessant: nicht, dass ein Teil der republikanischen Partei für Putin Partei ergriffen hat, sondern dass dieser Teil nicht grösser ist. Laut einer neuen Pew-Umfrage gibt es nur geringfügige Unterschiede zwischen den Einstellungen von Anhängern der Demokraten und Republikaner zum Krieg in der Ukraine. Auch unterstützt eine deutliche Mehrheit der Anhänger der Republikaner Sanktionen gegen Russland, Waffenlieferungen an die Ukraine und eine Stationierung von amerikanischen Streitkräften in den NATO-Nachbarländern der Ukraine. Ich sehe das als eines von vielen Indizien, dass der Stern Trumps und Carlsons sinkt.
Görlach: Korrespondiert damit auch eine wachsende Zustimmung zu Allianzen mit anderen Demokratien auf der Welt, zum Militärbündnis der NATO? Unter Trump galt “America First”, Joe Bidens Traum hingegen ist eine Liga der Demokratien.
Weber: Bezüglich der NATO kann ich mit einem klaren ‘Ja’ antworten. Seit Donald Trump das Weiße Haus verlassen hat, steigt unter Anhängern der Republikaner die Zustimmung für die NATO wieder langsam. Mittlerweile hat sogar wieder eine Mehrheit der Republikaner eine positive Einstellung zur NATO, auch wenn die Wirkung von Trumps Worten zur NATO noch nicht ganz verpufft ist. Noch 2018 hatte Trump gesagt ’NATO bores the shit out of me’ und gemeint, es sei einfacher mit Putin als mit der NATO umzugehen. Es gibt auch unter Republikanern eine steigende Zustimmung für informelle oder halb-formelle gegen die chinesische Regierung gerichtete Bündnisse, wie zum Beispiel dem aus Australien, Indien, Japan und den USA bestehenden Quad-Bündnis. Bidens Traum einer Liga der Demokratien hingegen stößt auf keine Gegenliebe. Dies zeigt sich auch darin, dass die American Conservative Union vor Kurzem eine internationale CPAC-Konferenz in Viktor Orbáns Ungarn durchgeführt hat. Wie sich aber langfristig die Einstellung von Republikanern zur NATO und zu internationalen Bündnissen verändern wird, wird maßgeblich vom Ausgang der nächsten Präsidentschaftswahlen abhängen.
Görlach: Wie wird denn in dem Kontext dieser Wieder-Orientierung, wenn ich die Zeit nach Trump einmal so nennen darf, Deutschland gesehen? Schließlich gab es hier auch nach sechzehn Jahren einen entscheidenden Wechsel in der Bundespolitik. Sieht man Deutschland als verlässlichen, gar wichtigen Partner? Oder schlägt – Stichwort Bündnisse – die abwartende Haltung Berlins in Sachen Ukraine-Unterstützung in negativer Weise ins Kontor?
Weber: Mit geballter Faust in der Tasche versucht die Biden-Administration im Moment so zu tun, als ob die deutsch-amerikanischen Beziehungen wie am Schnürchen liefen. Natürlich hatte man in Washington die ‘Zeitenwende’-Rede von Olaf Scholz positiv aufgenommen, aber auch schnell gemerkt, dass Scholz’ Zeitenwende noch nicht so ganz in der Praxis angekommen ist. Nach außen wird nach wie vor, und anders als zu Zeiten Trumps, transatlantische Einigkeit demonstriert, aber hinter den Kulissen fliegen die Fetzen. Das ging so weit, dass Emily Haber, Deutschlands Botschafterin in Washington, im Januar eine geheime Nachricht nach Berlin sandte, die mit den Worten begann: „Berlin, wir haben ein Problem.” Haber warnte die deutsche Regierung, dass Deutschland in den Korridoren der Macht in Washington als unverlässlicher Partner gesehen wird. Die deutsche Regierung lässt gerade eine erstklassige, vielleicht einmalige Gelegenheit verstreichen, ein neues deutsch-amerikanisches ‘Partnership in Leadership’ einzugehen und so zu helfen, eine neue freie Welt aufzubauen. Und meine Kritik richtet sich nicht an die Adresse von Annalena Baerbock oder Emily Haber.
Görlach: Das heißt, Deutschland ist als ernst zu nehmender Bündnispartner in Sachen NATO und Liga der Demokratien abgemeldet? Was müsste Berlin denn tun, um das Ruder, wenn man denn wollte, herumzureißen?
Weber: Abgemeldet? Das klingt mir zu sehr nach ‘alles oder nichts’. Joe Biden braucht Deutschland. Deshalb kritisiert er Deutschland nicht öffentlich und nimmt das, was er bekommen kann. Das ist aber herzlich wenig. Putin wird es freuen. Offene Gesellschaften und eine freie, liberale Welt bleiben durch den mangelnden deutschen Willen, das transatlantische Bündnis zu erneuern, auf der Strecke. Wir brauchen deutsche Amerikaexperten und eine deutsche politische Klasse, die bei Rufen nach einem neuen deutsch-amerikanischen Bündnis nicht instinkthaft mit dem Verweis abwinken, Trump könne ja wieder gewählt werden und Joe Biden sei auch nicht viel besser. Entweder Deutschland, Amerika und die Demokratien der Welt finden zusammen oder die freie Welt wird im globalen Systemwettkampf auf der Strecke bleiben. Hierzu bedarf es deutsch-amerikanischer Führung.
Görlach: Und wie soll das bewerkstelligt werden?
Weber: Daher meine Forderung nach einer deutsch-amerikanischen ‘Partnership in Leadership’, wie sie schon in den späten achtziger Jahren George H.W. Bush vorschwebte. Ein solches allumfassendes ‘Partnership in Leadership’ kann es aber nur geben, wenn Deutschland sich auf ein solches Bündnis einlässt. Dafür brauchen wir in Deutschland neues, weniger verkrustetes deutsch-amerikanisches Denken und neue oder erneuerte deutsch-amerikanische Institutionen. Vor allem ist hier Olaf Scholz gefordert. Er ist ja eigentlich sogar mehr als viele andere in seiner Partei ein Transatlantiker, aber das hat er als Erster Bürgermeister Hamburgs eher unter Beweis gestellt als er dies als Bundeskanzler tut. Man sollte Scholz da eine wirkliche Chance geben. Wenn Scholz diese Chance nicht nutzt, würde es einer neuen Regierung bedürfen, um das transatlantische Steuer herumzureißen. Wenn sich Robert Habeck oder Annalena Baerbock mit Friedrich Merz im Kanzleramt abwechseln würden, so wie wir es aus Israel kennen, und Alexander Graf Lambsdorff am Werderschen Markt residieren würde, sollte es nicht zu lange dauern, bis es eine deutsch-amerikanische ‘Partnership in Leadership’ gäbe.
Thomas Weber ist Professor of History and International Affairs und Direktor des Centre for Global Security and Governance an der University of Aberdeen. Er ist ferner Senior Associate am Centre for European, Russian and Eurasian Studies der Munk School of Global Affairs and Public Policy der University of Toronto. Von ihm erscheint diesen Herbst bei Herder: „Als die Demokratie starb: Die Machtergreifung der Nationalsozialisten – Geschichte und Gegenwart”.
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