Carbon Management und Negative Emissionen in energie­in­ten­siven Industrien

Wie gehen wir mit den CO2-Restemis­sionen in der Glas‑, Kalk‑, Papier‑, Stahl‑ und Zement­in­dustrie um? Können wir diese in eine Carbon Management Strategie integrieren und CO2 im Sinne einer Kreis­lauf­wirt­schaft als Rohstoff nutzen? Eine Zusam­men­fassung des Fachge­sprächs unserer Stake­holder-Dialoge „Carbon Management – Negative Emissionen“.

Angesichts der sich beschleu­ni­genden Klima­krise ist die Entwicklung und Imple­men­tierung effek­tiver CO2-Reduk­ti­ons­stra­tegien dringender denn je. Dies gilt insbe­sondere für energie­in­tensive Indus­trien wie die Glas‑, Kalk‑, Papier‑, Stahl‑, und Zement­in­dustrie, in denen allein ein Wechsel zu erneu­er­baren Energie­quellen nicht ausreicht, um CO2 Emissionen gänzlich zu vermeiden.

Diese Restemis­sionen müssen durch Techno­logien kompen­siert werden, die das bei den indus­tri­ellen Prozessen entste­hende CO2 abscheiden und speichern – Carbon Capture and Storage (CCS) – oder dieses zusätzlich auch noch nutzen – Carbon Capture Utili­sation and Storage (CCUS). Auch ein Ausgleich der Restemis­sionen durch Negative­mis­si­ons­tech­no­logien, die der Atmosphäre CO2 entziehen – Carbon Dioxid Removal (CDR) – wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen.

Wie wir die damit verbun­denen Heraus­for­derung meistern können, welche strate­gi­schen Anpas­sungen erfor­derlich und welche sozialen, ökono­mi­schen und ökolo­gi­schen Hürden zu überwinden sind, haben wir am 4.Juli beim zweiten Fachge­spräch unserer Stake­holder-Dialoge mit Vertretern der Glas‑, Kalk‑, Papier‑, Stahl‑, und Zement­in­dustrie erörtert.

Geson­derte branchen­spe­zi­fische Ziele

Bei der Dekar­bo­ni­sierung der Industrie spielen eine maßge­schnei­derte Kohlen­stoff­ma­nage­ment­stra­tegie und die Skalier­barkeit der Methoden eine entschei­dende Rolle. Die Vertreter der energie­in­ten­siven Indus­trien betonten bei unserem Fachge­spräch die Notwen­digkeit geson­derter, branchen­spe­zi­fi­scher Ziele. Für jeden Sektor müssen Umfang der benötigten CO2-Abscheidung bzw. der ausglei­chenden CO2-Entnahme aus der Atmosphäre, der Zeitrahmen und techno­lo­gi­schen Pfade definiert werden.

Und obwohl die Definition und effektive Umsetzung solcher Ziele in den energie­in­ten­siven Sektoren noch ausstehen, stellt sich nicht mehr die Frage, „ob“ dies geschieht, sondern „wie“. In jedem Fall muss dabei ein breit gefächertes Metho­den­spektrum zum Einsatz kommen, von Renatu­rie­rungs­maß­nahmen bis hin zu neuen Technologien.

Verläss­liche Rahmenbedingungen

Es müssen dazu auch verläss­liche Rahmen­be­din­gungen geschaffen werden, die Auskunft darüber gegeben, wie die Reduzierung von Emissionen und das Abscheiden, Speichern und Entnehmen von CO2 monitort und die nötige Infra­struktur finan­ziert wird – und wie die Politik die einzelnen Indus­trie­zweige gewichtet.

Um signi­fi­kante Emissi­ons­re­duk­tionen zu erreichen, ist es entscheidend, Forschung, Innovation und den Einsatz nachhal­tiger Techno­logien zu priori­sieren. Die zu entwi­ckelnden regula­to­ri­schen Rahmen­be­din­gungen und politische Maßnahmen sollten die dementspre­chenden Anreize schaffen.

Stahl‑, Chemie- und Zement­in­dustrie könnten CO2 gewinn­bringend nutzen

Die einzelnen Indus­trie­zweige haben spezi­fische Anfor­de­rungen bezüglich Carbon Capture (Utili­sation) and Storage. In Branchen wie der Stahl‑, Chemie‑, und Zement­in­dustrie bietet die stoff­liche Nutzung von CO2 die Möglichkeit, den gesamten CO2-Prozess kosten­neutral zu gestalten. Chemische Verwer­tungswege, die Karbo­na­ti­sierung von minera­li­schen Rohstoffen oder die direkte Anwendung, etwa in photo­ka­ta­ly­ti­schen Reaktionen, kommen hierbei in Betracht.

Heraus­for­de­rungen für die Stahl­in­dustrie: Klima­neu­traler Wasserstoff

Die Stahl­in­dustrie muss sowohl techno­lo­gische als auch logis­tische Heraus­for­de­rungen bewäl­tigen, um die ganze Wertschöp­fungs­kette klima­neutral zu gestalten. In der Stahl­pro­duktion sind wasser­stoff­ba­sierte Direkt­re­duktion und schrott­ba­sierte Elektro­stahl­pro­duktion vielver­spre­chende Ansätze. Eine Heraus­for­derung ist jedoch die Verfüg­barkeit von ausrei­chend klima­neu­tralem Wasser­stoff, der für eine nachhaltige Umstellung der Stahl­pro­duktion nötig ist. Zudem ist es schwierig, im konven­tio­nellen Hochofen­prozess auf Kohle und Koks vollständig zu verzichten. Für die Restemis­sionen in der Stahl­pro­duktion kann Carbon Capture (Utili­sation) and Storage (CC(U)S) ein Lösungs­ansatz sein.

Dekar­bo­ni­sierung der Glasindustrie

In der Glasin­dustrie spielt Carbon Capture (Utili­sation) and Storage (CC(U)S) aktuell nur eine unter­ge­ordnete Rolle. Die Branche fokus­siert sich primär auf die Umstellung auf klima­freund­liche Energie­quellen und Technologien:

  • Vollständige Elektri­fi­zierung der Glaspro­duktion mit Grünstrom als entschei­dendem Energieträger
  • Entwicklung hybrider Glaswannen erforscht, die sowohl mit Strom als auch mit Erdgas oder zukünftig mit Wasser­stoff betrieben werden können
  • Einsatz erneu­er­barer Gase wie Wasser­stoff oder biogener Gase, wobei die Nutzung von Grünstrom eine zentrale Rolle spielt.

Ein wichtiger Aspekt bei der Reduzierung der Emissionen in der Glasin­dustrie sind außerdem die prozess­be­dingten Emissionen, die bisher durch den Einsatz kalkstein­hal­tiger Rohstoffe entstehen.

Die Zement­in­dustrie arbeitet an der Entwicklung von CC(U)S‑Technologien

Im Bereich der Zement- und Beton­pro­duktion wird Carbon Capture (Utili­sation) and Storage bereits aktiv voran­ge­trieben. Die Vertreter der Branche weisen jedoch darauf hin, dass der Indus­trie­zweig auf eine große Bandbreite an Techno­logien und entspre­chenden politi­schen Rahmen­be­din­gungen angewiesen ist und dass CC(U)S einen hohen Energie­bedarf hat und Heraus­for­de­rungen für die Skalier­barkeit birgt. Eine Schlüs­sel­rolle spielt in diesem Zusam­menhang auch der CO2-Transport- und Speicherinfrastruktur.

Baubranche: Neuartige Baustoffe als CO2-Speicher

Die Integration von CDR-Techno­logien ermög­licht die Herstellung von Baustoffen mit einer negativen CO2-Bilanz, so dass beispiels­weise Beton als Kohlen­stoff­speicher fungieren kann. Die Entwicklung von Beton mit einer negativen CO2-Bilanz ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Dekar­bo­ni­sierung und Minderung der Umwelt­aus­wir­kungen von Baustoffen. Durch die Kombi­nation von CDR-Methoden mit nachhal­tigen Bauprak­tiken wird es möglich, in der Baubranche eine netto-negative Emissi­ons­bilanz zu erreichen und somit einen erheb­lichen Beitrag zu den globalen Klima­zielen zu leisten.

Negative­mis­si­ons­tech­no­logien (Carbon Dioxid Removal – CDR)

Negative­mis­si­ons­tech­no­logien, die der Atmosphäre CO2 entziehen (CDR), sind aus dem Fokus geraten. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass CDR-Prozess­ketten eine netto-negative Emissi­ons­bilanz aufweisen – im Gegensatz zu CCS- und CCU-Anlagen, die auf CO2 aus fossilen Quellen angewiesen sind.

CDR-Techno­logien hingegen entziehen CO2 entweder biogenen Quellen oder der Atmosphäre. Das entzogene CO2 kann dann in geolo­gi­schen Speicher­orten, terres­tri­schen oder ozeani­schen Reser­voirs oder in langle­bigen Produkten einge­lagert werden. Hierbei können wiederum sowohl CO2 Nutzungs- (CCU) als auch Speicher­tech­no­logien (CCS) zum Einsatz. Darüber hinaus ermög­licht die Anwendung von CDR nicht nur das Erreichen von Netto-Null-Zielen, sondern auch die Reali­sierung und Aufrecht­erhaltung von globalen netto-negativen CO2-Emissionen.

Pilot­pro­jekte: CO2 als Rohstoff

Bei dem Fachge­spräch bestand Einigkeit darüber, dass zur raschen Reduzierung von CO2-Emissionen die Abscheidung von CO2 an großen Emissi­ons­quellen notwendig ist. Mehrere Pilot­pro­jekte sind bereits in Betrieb, wie zum Beispiel das Fraun­hofer UMSICHT-Projekt „Carbon2Chem“, das in Zusam­men­arbeit mit der Thyssen­krupp AG und dem Max-Planck-Institut für Chemische Energie­kon­version (MPI-CEC) reali­siert wird. Dieses Projekt zielt darauf ab, die Prozessgase der Industrie als wertvolle Kohlen­stoff­quelle für die chemische Industrie zu nutzen. Dies bedeutet nicht nur eine Reduzierung der CO2-Emissionen, sondern auch eine Verrin­gerung des Einsatzes fossiler Rohstoffe.

Andere Unter­nehmen wie MAN Solutions sind aktiv an der Entwicklung von Power-to-Gas-Techno­logien beteiligt. Dabei wird überschüssige erneu­erbare Energie durch Elektrolyse in Wasser­stoff umgewandelt, der dann mit erfasstem CO2 kombi­niert wird, um synthe­ti­sches Methan (SNG) herzu­stellen. Synthe­ti­sches Methan kann als kohlen­stoff­armer Brenn­stoff in verschie­denen Anwen­dungen wie Heizung, Strom­erzeugung und Transport einge­setzt werden.

TES (Tree Energy Solutions) hingegen konzen­triert sich auf die Nutzung von Biomasse und Abfall als erneu­erbare Energie- und Kohlen­stoff­er­fas­sungs­quelle. Durch ihre innova­tiven Techno­logien ist TES in der Lage, CO2-Emissionen aus verschie­denen Quellen wie Biogas­an­lagen, Müllver­brennung und indus­tri­ellen Prozessen zu erfassen. Das erfasste CO2 kann dann gereinigt, kompri­miert und für weitere Verwen­dungs­zwecke trans­por­tiert werden.

Carbon Management Techno­logien benötigen klare recht­liche Rahmenbedingungen

Regula­to­rische Maßnahmen spielen eine entschei­dende Rolle bei der möglichen Skalierung der CCUS-Techno­logien. Beispiels­weise eine klare Definition und Bewertung der Prozesse, bei denen das bei den indus­tri­ellen Prozessen eines Sektors entstandene CO2 von einem anderen Sektor weiter­ver­wendet wird. Des Weiteren muss die Finan­zierung für Forschung und Entwicklung von alter­na­tiven Materialien und klima­neu­tralen oder negativen Produkten zur Emissi­ons­re­duktion massiv erhöht werden. Speziell die Entwicklung von klima­neu­tralen Produkten und Rohstoffen sollte durch spezi­fische regula­to­rische Ansätze zu ESG-Kriterien gefördert werden.

Finan­zierung und Infra­struktur von CC(U)S- und CDR-Projekten

Grund­sätzlich stellt sich die Frage, ob die Finan­zierung vorrangig durch Public-Private Partner­ships (PPP) oder die öffent­liche Hand erfolgen sollte und wie die Entwicklung der notwen­digen Infra­struktur sicher­ge­stellt werden kann.

Die Teilneh­menden des Fachge­sprächs betonten, dass Deutschland und die EU eine führende Rolle bei der Entwicklung und dem Export von CCUS- und CDR-Techno­logien spielen sollten.

Im Gegensatz zu CC(U)S‑Technologien befindet sich der CDR-Sektor noch im Aufbau und wird von Startups dominiert – obwohl CDR-Techno­logien ein immenses Potenzial bieten. CDR- Startups stehen vor finan­zi­ellen Heraus­for­de­rungen und benötigen eine ausrei­chende Finan­zierung und Unter­stützung für Forschung, Entwicklung und den Ausbau ihrer Aktivi­täten. 

Ausblick

Durch CDR und CC(U)S können auch energie­in­tensive Indus­trien einen Beitrag zu den angestrebten Netto-Null-Zielen leisten. Die klima­neu­trale Zukunft dieser Indus­trien – und damit auch des Indus­trie­standorts Deutschland – hängt jedoch unmit­telbar davon ab, wie wir Carbon Management und Negative Emissionen handhaben.

Wichtige Faktoren sind dabei auch die Verfüg­barkeit von erneu­er­baren Energien und stabilen Strom­netzen, die Entwicklung einer geeig­neten Infra­struktur für den CO2-Transport und geeignete Rahmen­be­din­gungen für Wettbe­werbs­fä­higkeit und Innovation.

Und auch wenn die Priorität weiterhin auf einer Reduzierung der CO2-Emissionen liegen sollte, bedeutet das nicht, dass wir mit Entwicklung und Einsatz von CDR und CC(U)S erst beginnen sollten, nachdem alle Möglich­keiten der Vermeidung von Emissionen ausge­schöpft sind. Beide Wege müssen parallel und komple­mentär beschritten werden. Wenn wir dies erreichen, können wir den Weg für eine nachhaltige Indus­trie­trans­for­mation ebnen.

Nicht zuletzt sind jedoch die Konse­quenzen der Umstellung der Indus­trien auch eine gesell­schaft­liche Heraus­for­derung. Es bedarf einer breiten gesell­schaft­lichen Akzeptanz, die nur durch Trans­parenz, klare Kommu­ni­kation und parti­zi­pative Prozesse erreicht werden kann.

 

 

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