Truppen sammeln: Die AfD als Soldaten-Partei?
Die Alternative für Deutschland (AfD) will sich als Soldatenpartei profilieren. Auffallend ist, dass viele Mandatsträger ehemalige Berufs- oder Zeitsoldaten sind. Ziehen die Radikalen die Bundeswehr nach Rechts? Oder sind die Soldatinnen und Soldaten in Wahrheit liberaler, als die Parteistrategen denken? Der Beitrag erschien zunächst im Sammelband „Extreme Sicherheit – Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz“.
Als Jens Kestner an einem Donnerstag im März 2019 im Bundestag ans Rednerpult tritt, interessieren ihn die anderen Abgeordneten im Saal wenig. Gleich zu Beginn seiner Rede grüßt der grauhaarige AfD-Abgeordnete sein eigentliches Publikum: die „Kameraden in der Heimat und vor allen Dingen in der Ferne“. Es geht um den deutschen Auslandseinsatz in Afghanistan. Die AfD fordert: Abzug. Kestner nennt Namen von Gefallenen, setzt zum Rundumschlag an. Er attackiert die Generäle bei der Bundeswehr, denen nur die eigene Karriere wichtig sei. „Wir brauchen mehr aufrichtige Offiziere als willenlose Paladine, die jeden Auftrag ihrer unfähigen Ministerin ohne Murren ausführen“, ruft er.
Ausrüstungsmängel, Berateraffäre, Bürokratie: In Zeiten, in denen in der Truppe Unzufriedenheit herrscht, versucht sich die AfD als neue Bundeswehrpartei zu positionieren – eine Rolle, die bislang CDU und CSU zukam. Funktionäre mit langer Militärkarriere wie der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Pazderski dienen den Rechtspopulisten als Aushängeschilder. Redner wie der Abgeordnete Kestner, einst Oberfeldwebel bei der Panzertruppe, sollen für Glaubwürdigkeit sorgen.
Warnung vor Rechtsruck in der Bundeswehr
Die Bild-Zeitung berichtete Anfang 2019 über eine Schätzung, wonach 2100 der 35 000 AfD-Mitglieder Berufssoldaten seien. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz machten Gerüchte über Partei-Eintritte von Militärs die Runde. CSU-Chef Markus Söder erklärte seine Sorge darüber, „dass der eine oder andere Soldat bei der AfD gelandet“ sei, weil er sich vielleicht nicht wertgeschätzt und unterstützt fühle. Und auch Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz warnte vor einem Rechtsruck in der Bundeswehr.
Im Bundestag nutzt die AfD ihre Ressourcen, um sich als Soldatenpartei zu profilieren. Um die 40 Anfragen in Verbindung mit der Bundeswehr hat sie in ihren ersten anderthalb Jahren im Parlament gestellt. Sie trugen Titel wie „Veteranenpolitik für die Bundeswehr“, „Beschaffung eines neuen Sturmgewehrs für die Bundeswehr“ oder „Ausstattung der Bundeswehr mit Schutzwesten“. Die AfD-Fraktion teilte per Pressemitteilung mit: „Versehrte deutsche Bundeswehrsoldaten sind Helden!“ Und als die Berateraffäre im Verteidigungsministerium öffentlich wurde, forderte der AfD-Abgeordnete Rüdiger Lucassen einen Untersuchungsausschuss. Auch er war früher Oberst bei der Bundeswehr.
Ehemalige Soldaten in der AfD
Den anderen Fraktionen im Bundestag fällt das durchaus als Taktik auf. „Die AfD spielt sich auf, als sei sie die Fraktion, der die Bundeswehr am Herzen liegt“, sagt die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger. „Ich kenne aber genug Leute in der Bundeswehr, die es ablehnen, dass sich die AfD als ihr Fürsprecher geriert.“ Aus ihrer Sicht haben die Rechtspopulisten ein „extrem verstaubtes Bild“ von der Bundeswehr, das mit der Lebensrealität junger Soldaten wenig gemein habe. Ihnen sei etwa die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wichtig. Von der AfD wird die Einrichtung von Bundeswehrkitas dagegen oft belächelt.
Auffällig viele Mandatsträger der AfD waren früher Berufs- oder Zeitsoldaten. Da ist etwa der Ex-Fallschirmjäger Andreas Kalbitz, der die AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag führt. Der Stabsoffizier Uwe Junge, der Fraktionschef in Rheinland-Pfalz ist. Oder der Bundestagsabgeordnete Peter Felser, der früher Offizier und im Auslandseinsatz in Bosnien war – übrigens zusammen mit dem rechtsintellektuellen Strippenzieher Götz Kubitschek. Die Liste der Funktionäre mit Armeevergangenheit ließe sich beliebig fortsetzen. Hierin begründen sich die Verbindungen der AfD in die Truppe. Und so fließen auch immer wieder Informationen aus der Bundeswehr an die AfD, die sie politisch verwertet.
Was treibt Soldaten nach Rechts?
Beunruhigend finden viele Abgeordnete mögliche Verbindungen der AfD zu extremen Rechten in der Bundeswehr. Sie beziehen das auf einen Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Nolte. Der Mitarbeiter wurde verdächtigt, an den rechten Anschlagsplänen des Ex-Bundeswehrsoldaten Franco A. beteiligt gewesen zu sein. Die Ermittlungen gegen ihn wurden schließlich eingestellt. Der Bundestag gewährte dem Mann einen Hausausweis. Abgeordnete befürchteten in der Folge, dass er Informationen, etwa aus dem Verteidigungsausschuss, nach außen tragen könnte.
Was aber treibt Soldaten zur AfD? „Mit der Abschaffung der Wehrpflicht war die Union für mich gestorben“, sagt ein 25-jähriger Offizier, der AfD-Mitglied ist und lieber anonym bleiben möchte. „Anfangs war die AfD noch ein wenig wie eine verstaubte FDP. Das, was von außen als Rechtsruck wahrgenommen wurde, hat sie dann zu meiner politischen Heimat gemacht.“ Die vielen Mandatsträger in der AfD mit Militärvergangenheit hätten sein Interesse geweckt. In der Bundeswehr kritisiert der junge Offizier etwa den starren Verwaltungsapparat und den Ausrüstungsmangel. „Es ist in den letzten Jahren keine Besserung eingetreten – im Gegenteil.“ Zu jedem Fahrzeug gebe es „gefühlt zehn Vorschriften“. Oft dürfe man wegen Wartungsverträgen das Material nicht einmal selbst reparieren. Und während Bundeswehrsoldaten ihr Leben in Afghanistan aufs Spiel setzten, würden junge Afghanen ins Ausland abwandern. „Dabei müssten die doch eigentlich ihr Land aufbauen.“ Mit seinen Ansichten findet er sich bei der AfD wieder.
Half Traditionserlass von der Leyens der AfD?
Der Berliner AfD-Fraktionschef Pazderski, der 41 Jahre bei der Bundeswehr war, sagt beispielsweise Sätze wie: „Viele glauben, wir müssten nicht wehrhaft sein und Deutschland brauche keine starke Bundeswehr. Wir sehen das anders.“ Oder: „Soldaten haben einen Beruf, der sie in letzter Konsequenz das Leben kosten kann. Dafür erwarten sie Wertschätzung und Anerkennung.“
Dass die Rechtspopulisten versuchten, sich als Fürsprecher der Soldaten zu profilieren, nutze ihnen nicht nur in der Truppe selbst, sagt der Sozialwissenschaftler Jan Schedler von der Ruhr-Universität Bochum. Er forscht zu extremen Rechten. „Innerhalb des rechten Spektrums gibt es insgesamt eine positive Einstellung zum Militär.“ Für diese Klientel sei es selbstverständlich, dass eine Nation vorbereitet sein müsse, sich militärisch zu verteidigen. Bei ihnen komme die Forderung der AfD nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht und nach deutlich höheren Investitionen bei der Bundeswehr gut an. Auch mit ihrer Kritik am „Traditionserlass“ der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen habe die AfD sowohl bei Bundeswehrangehörigen als auch bei ihren Anhängern punkten können.
2017 hatte von der Leyen Wehrmachtsdevotionalien aus Kasernen entfernen lassen. Dabei waren auch Spinde von Soldaten durchsucht worden. Von der Leyen hatte Lieder wie das „Panzerlied“ aus dem Soldatenliederbuch gestrichen und wollte mehrere Kasernen umbenennen lassen, die noch die Namen von Wehrmachtsoffizieren trugen. AfD-Funktionär Pazderski sieht das Vorgehen als einen „Schlag ins Gesicht aller Soldaten“. So zerstöre man die Tradition einer Armee. „Unsere Soldaten brauchen Vorbilder.“
Andere Fraktionen sehen Handlungsbedarf
Sozialwissenschaftler Schedler sagt, lange seien militärische Vorbilder aus der Wehrmacht in Deutschland kein Problem gewesen. Die Rolle der Wehrmacht im Holocaust sei nicht groß thematisiert worden. Mittlerweile werde die Traditionslinie von der Wehrmacht zur Bundeswehr aber sehr kritisch beleuchtet. Das stoße der AfD und vielen ihrer Anhänger übel auf. 2017 hatte der heutige AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sogar gefordert, man müsse stolz sein „auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“.
Im Bundestag erkennen Politiker anderer Fraktionen Handlungsbedarf. Die Grünen-Politikerin Agniezska Brugger sagt: „Alle Parteien müssen sich mehr um die Menschen bemühen, die in den Sicherheitskräften ihren Dienst leisten.“ So hätten die Grünen sich über Fraktionsgrenzen hinweg für bessere Versorgung bei posttraumatischer Belastungsstörung eingesetzt – ein wichtiges Thema etwa wegen des Einsatzes in Afghanistan. Der CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn, stellvertretender Generalsekretär seiner Partei, sagt: „Die Truppe wünscht sich mehr Anerkennung, nicht nur materiell. Darauf müssen wir reagieren.“ Durch massives Sparen über fast 30 Jahre hinweg habe die Attraktivität der Bundeswehr gelitten. Dass die ehemalige Ministerin von der Leyen der Bundeswehr ein Haltungsproblem unterstellt habe, sei zudem sehr unglücklich gewesen. Hahn sagt aber auch: „Für die AfD ist es einfach, markige Forderungen zu stellen, weil sie sie nicht umsetzen muss.“
Der Beitrag erschien zunächst im Sammelband „Extreme Sicherheit – Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz“.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.