Europa in den Turbu­lenzen der Weltpolitik

By The White House from Washington, DC (Foreign Leader Visits) [Public domain], via Wikimedia Commons

Klaus Naumann, ehema­liger General­stabschef der NATO, stellt die aktuellen Verwer­fungen im trans­at­lan­ti­schen Bündnis in einen größeren Zusam­menhang. Die Krisen­haf­tigkeit an Europas Peripherie nimmt zu. Die EU ist darauf weder politisch noch militä­risch vorbe­reitet. Europa braucht die USA als sicher­heits­po­li­tische Lebens­ver­si­cherung. Wir müssen deshalb alles tun, um Amerika im Westen zu halten, trotz Trump. Dafür muss Deutschland seine sicher­heits­po­li­tische Sorglo­sigkeit – andere nennen es Tritt­brett­fah­rerei – überwinden, die Bundeswehr angemessen ausrüsten und ein europäi­sches Vertei­di­gungs­bündnis anstreben, das auf Augenhöhe mit den USA koope­riert. Es geht darum, die freiheit­lichen Ideen des Westens in einer Welt zu behaupten, in der die liberale Ordnung zunehmend unter Druck gerät.

Seit dem Treffen zwischen Präsident Trump und dem nordko­rea­ni­schen Macht­haber Kim Jong Un geriet das Karussell der Weltpo­litik mehr und mehr ins Schlingern. Der G‑7 Gipfel in Ottawa, der NATO Gipfel in Brüssel, der kurze Stopp in London und das anschlie­ßende Treffen mit Präsident Putin in Helsinki sorgten für wachsende Beunru­higung in Europa und auch in Amerika. Mögli­cher­weise werden künftige Histo­riker diese Monate als den Anfang vom Ende des Westens bewerten. Die ideellen Funda­mente des Westens, ausge­drückt durch die Dekla­ration der Menschen­rechte 1948, geschützt durch Demokratien, in denen die Macht des Rechts den Schwachen vor der Gewalt des Stärkeren schützt, umhegt von multi­la­te­ralen Organi­sa­tionen und Bündnisse wie EU und NATO, wurden durch einen ameri­ka­ni­schen Präsi­denten geschwächt, der als erklärter Natio­nalist nur auf bilaterale Bezie­hungen setzt. Er ist überzeugt, nur bilateral die unbestrit­tenen und einzig­ar­tigen Vorteile der USA voll zu Geltung bringen zu können: Die Fähigkeit, in allen Kategorien der Macht global handlungs­fähig zu sein und von einer nahezu unver­wund­baren Insel von konti­nen­taler Größe Macht ausüben und Inter­essen durch­setzen zu können.

In Deutschland hält sich noch immer Traum­tän­zerei in sicher­heits­po­li­ti­schen Fragen. Damit steht Deutschland in der NATO ziemlich allein. Trumps maßlose Angriffe auf Deutschland bergen deshalb durchaus eine Gefahr in sich: Wir könnten bei anhal­tender Verwei­gerung der Reali­täten durchaus auf einmal alleine dastehen. 

Warum Trump auch Amerika schwächt

Er verkennt dabei, und will es vielleicht auch gar nicht wissen, dass es die von den USA aufge­baute, nach verein­barten Regeln handelnde Weltordnung war, die den USA ihre führende Rolle in der Welt gebracht hat und die USA bis heute schützt. Es gibt nun einmal einen geostra­te­gi­schen Imperativ, den kein ameri­ka­ni­scher Präsident außer Kraft setzen kann: Eine globale Seemacht muss in der Lage sein, ihre Gegen­küsten zu kontrol­lieren. Im Falle der USA sind dies Europa und Asien. Dort wirken die NATO und die bilate­ralen Bündnisse der USA mit Australien, Japan und Süd-Korea als vorge­scho­benen Schutz­schilde. Wer sie aufgibt oder schwächt, wird langfristig den USA schaden und am Ende deren einzig­artige Weltmacht­rolle verspielen. Dass Präsident Trump in den vergan­genen Monaten die USA bereits geschwächt hat, kann der einzelne Ameri­kaner vermutlich noch nicht erkennen, denn die ameri­ka­nische Wirtschaft brummt. Aber es dürfte doch auffallen, dass der ameri­ka­nische Präsident in Helsinki sagt, dass er dem voraus­sichtlich durch nichts belegten Wort des russi­schen Präsi­denten mehr glaubt als den nach gründ­lichen Unter­su­chungen erhobenen Behaup­tungen seiner eigenen Geheim­dienste. Wer sich so verhält, zerstört Vertrauen, und Vertrauen ist nun einmal das Wertvollste, in der Familie ebenso wie in den inter­na­tio­nalen Beziehungen. 

Portrait von Klaus Naumann

Klaus Naumann , General a.D., war General­inspekteur der Bundeswehr und General­stabschef der NATO

Wer in Europa wird dem ameri­ka­ni­schen Präsi­denten noch trauen, wenn er heute die NATO für obsolet und die EU als Gegner bezeichnet und am nächsten Morgen die NATO als großartige Allianz bewertet? Die Europäische Union ist in Vertei­di­gungs­fragen schwach und abhängig. Das Bündnis mit den USA ist immer noch ihre unersetz­liche sicher­heits­po­li­tische Lebens­ver­si­cherung. Europa braucht die USA, um gegen Pressi­ons­ver­suche eines erneut nuklear übermäßig rüstenden Russland gefeit zu sein, und es kann sich strate­gisch betrachtet nur vertei­digen, wenn es den Nordat­lantik als Mare Nostrum sehen kann.

Nun kann man einwenden, die NATO habe eine substan­tielle Gipfel­er­klärung verab­schiedet, die man durchaus als Erneuerung des gegen­sei­tigen Schutz­ver­spre­chens sehen kann: Einer für Alle und Alle für Einen. Aber an eine Gipfel­er­klärung glaubten auch sechs der sieben G‑7 Staaten, bis ein Tweet sie aus ihren Träumen riss. Auch Japan und Südkorea glaubten noch am Morgen des Gipfels von Singapur, dass von den USA als unver­han­delbar Erklärtes unver­han­delbar bliebe. Doch dann erfuhren sie, dass es keinerlei Gegen­leistung Kims bedurfte, um die Versprechen der USA zu entwerten. Gleiches geschah in Helsinki. Putin musste nichts geben und wurde dennoch und trotz erwie­sener Völker­rechts­brüche auf Augenhöhe auf die Weltbühne gehoben. Vor diesem Hinter­grund den NATO Gipfel als „Stern­stunde“ zu bezeichnen ist Blauäu­gigkeit oder naives Vertrauen in die Versprechen ameri­ka­ni­scher Minister, die stets damit rechnen müssen, dass der Präsident und Oberbe­fehls­haber einfach sagt: You are fired.

Sicherheit für Europa nur mit den USA

Sicher ist es ebenso falsch zu sagen, Brüssel sei ein Chaos-Gipfel gewesen. Die Gipfel­er­klärung ist ein Fortschritt. Doch der wurde am Ende doch durch Unter­wür­figkeit erkauft und das ist wohl nicht die Sprache, die Trump zu verläss­lichem Einlenken bewegt. Zeitlich begrenzt ist die NATO-Welt vermutlich in Ordnung, voraus­ge­setzt es gab im Vier-Augen Gespräch von Helsinki keine Überra­schungen und voraus­ge­setzt die Verbün­deten halten, was sie versprochen haben. Das aber ist die Voraus­setzung, um die USA an Europa gebunden zu halten. Das wiederum muss die erste Konse­quenz aus dem Erlebten seit Singapur sein: Es gibt bis auf weiteres Sicherheit für Europa nur mit den USA an der Seite Europas. Das ist eine geostra­te­gische Unabän­der­lichkeit, die jeder bedenken sollte, der missver­ständlich von der Autonomie Europas spricht. Wer bei der Vertei­digung Europas von Autonomie im Sinne von „Europa für sich allein“ spricht, ebnet Europas Weg ins Verderben. Konse­quenz Nummer zwei muss sein, dass Europa nun endlich den Weckruf hört und zu handeln beginnt. Es braucht energische Schritte, keine Tippelei wie PESCO. Dieses Handeln muss in Deutschland beginnen und muss gemeinsam mit Frank­reich zu dem Versuch führen, Großbri­tannien trotz BREXIT in ein Europa der Vertei­digung einzubinden.

In Deutschland liegt die Wurzel aller europäi­schen Schwäche in Sachen Vertei­digung begraben. Noch immer glaubt eine Mehrheit in Deutschland, für Sicherheit werde schon irgendwie gesorgt, am besten durch Andere. So entstand die scheinbar noble Formel von der „Kultur der Zurück­haltung“, von den Verbün­deten Drücke­ber­gerei genannt. So entstand auch der schon als Pawlow­scher Reflex zu sehende Aufschrei „Aufrüstung“, wenn zur Besei­tigung der durch Nachläs­sigkeit in zwei Jahrzehnten herbei­ge­führten Mängel der Bundeswehr der Vertei­di­gungsetat angehoben wird. Und so entstand auch der Parla­ments­vor­behalt, nachdem das Verfas­sungs­ge­richt ohne weitere Begründung die Bundeswehr zur Parla­ments­armee erklärt hatte. Manche Verbündete sehen das als Notbremse, wenn Deutschland keinen anderen Grund finden würde, sich der Solida­rität im Bündnis zu verweigern.

Deutschland muss aufpassen

In Deutschland hält sich noch immer Traum­tän­zerei in sicher­heits­po­li­ti­schen Fragen. Damit steht Deutschland in der NATO ziemlich allein. Trumps maßlose Angriffe auf Deutschland bergen deshalb durchaus eine Gefahr in sich: Wir könnten bei anhal­tender Verwei­gerung der Reali­täten durchaus auf einmal alleine dastehen. Deutschland muss deshalb jetzt handeln und darf nicht sagen: Habt Geduld, wird werden die überfäl­ligen Repara­turen der Bundeswehr bis 2032 schon hinkriegen. Die Zeit haben weder die Deutschen noch das Bündnis. Die Welt hat sich in den vergan­genen drei Monaten zu unserem Nachteil verändert, aber sie mindestens ebenso gefährlich wie sie es vor drei Monaten war. Da ist weiterhin der Krisen­bogen im Osten Europas, weil Russland eine vorge­la­gerte Einflusszone anstrebt und diese durch die Spaltung von NATO und EU abzusi­chern sucht, und da ist der Krisen­bogen von Marokko bis Pakistan. Beide schneiden sich im Mittleren Osten, der Schlüs­selzone der nächsten Jahre oder Jahrzehnte. In ihr liegt Israel, dessen Sicherheit zur deutschen Staats­räson erklärt wurde.Das ist die Lage nach Helsinki. Was ist zu tun?

  1. Wir brauchen eine schonungslose öffent­liche Debatte über die Lage und den Handlungs­bedarf. Die Bundes­re­gierung muss endlich Klartext reden und die Menschen nicht länger mit schwam­migen, aber unrea­lis­ti­schen Hoffnungen auf Konflikte in Harmonie auflö­sende Verhand­lungen in Sicherheit wiegen. Es muss beim Doppel­ansatz Vertei­di­gungs­fä­higkeit und Dialog bleiben, aber nur die Mängel­be­sei­tigung in der Bundeswehr öffnet die Tür zum Dialog. Aus dieser Debatte kann die Einsicht entstehen, dass die Insel der Glück­se­ligen schon verpachtet ist und der Wille, Verant­wortung zu übernehmen und wo nötig zu handeln, die einzig richtige Antwort ist.
  2. Es ist gemeinsam mit Frank­reich und möglichst auch Großbri­tannien die Entwicklung eines europäi­schen Sicher­heits­kon­zeptes durch Deutschland anzustoßen. Es geht darum, wie Sicherheit für Europa und seine strate­gische Peripherie von der Arktis bis zum Indischen Ozean zu erreichen ist. Daraus sind die erfor­der­lichen Fähig­keiten zu Lande und in der Luft, zur See, im Cyber­space und im Weltraum abzuleiten. Es ist zu prüfen, in welchem Maße diese auch global genutzt werden können, um sie im Gegenzug für ameri­ka­nische Beiträge für Europa zur Wahrung gemein­samer europäisch-ameri­ka­ni­scher Inter­essen einzusetzen.
  3. Die Bundes­wehr­planung ist zu überprüfen und anzupassen, vor allem ist sie zu beschleu­nigen und finan­ziell abzusi­chern. Das heißt Ausrüstung, nicht Aufrüstung. Sicher also nicht 2 Prozent des BIP für Vertei­digung in 2020, aber ca. 20% des Vertei­di­gungs­etats für Moder­ni­sierung in einem Haushalt, der sich bis 2024 in Richtung auf 2 Prozent bewegt.

Wäre damit die Idee und Wirklichkeit des Westens zu retten? Der Versuch muss gemacht werden, auch wenn die Ideen des Westens zunehmend die Ideen einer Minderheit auf dieser Welt sind. Aber die liberale Demokratie und eine liberale Weltordnung ist die beste Idee, die Menschen je für ihr Zusam­men­leben entwi­ckelt haben. Würden wir scheitern, dann gäbe es vermutlich eine Rückkehr in die Welt konkur­rie­render Natio­nal­staaten. Deren Gefahren kennt Europa. Oder es würde sich das von Xi-Jingpin gebotene Modell einer neuen Weltordnung durch­setzen. In ihm ist für die Freiheit des Einzelnen kein Raum. Deshalb muss der Versuch gemacht werden, Amerika zurück­zu­ge­winnen, trotz Trump. Die Resolution des Congress am Tag des NATO-Gipfels zum trans­at­lan­ti­schen Bündnis zeigt, dass es noch Hoffnung gibt und Trump eben doch nicht Amerika ist.

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