Brief aus Amerika: Corona und die Folgen

Der deutsch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann blickt in seinem "Brief aus den USA" auf die ersten Monate der Coronapandemie zurück. Zur unangenehmen Wahrheit gehöre, dass jetzt nicht die Zeit für ein disruptiv wirkendes Programm zur ökologischen Transformation der Wirtschaft sei. So richtig das Ziel eines klimaverträglichen Umbaus der Wirtschaft sei - man müsse mit einschneidenden Maßnahmen für CO2-intensive Branchen noch etwas warten. Die Politik sollte die ökologische Modernisierung fördern, ohne angeschlagene Unternehmen zu überfordern.
© Mac McCreery /​ CC BY-NC-ND 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/) via Flickr

Der deutsch-ameri­ka­nische Wirtschafts­wis­sen­schaftler Rüdiger Bachmann blickt in seinem „Brief aus den USA“ auf die ersten Monate der Corona­pan­demie zurück. Dabei ergeben sich inter­es­sante Vergleiche zwischen Amerika und in Deutschland, auch im Hinblick auf die Programme zur Abmil­derung der wirtschaft­lichen und sozialen Folgen der Corona­krise. Ein kriti­scher Punkt ist für Bachmann, wieweit wirtschaft­liche Stabi­li­sie­rungs­pro­gramme an klima­po­li­tische Ziele gebunden werden sollen: Es gilt, die Unter­nehmen ökolo­gisch zu fordern, ohne sie finan­ziell zu überfordern.

Während ich diesen ersten Brief aus den USA beginne, sitzen meine Kinder vor Ihren Ipads und malen. Ein Kurs „Welt der Wasser­farben.“ Samstags gibt es noch einen Basketball- und Montag­abends einen Karatekurs. Alles online mit Konfe­renz­software. Organi­siert, wenn auch nicht direkt betrieben, durch das örtliche öffent­liche Schul­system. Auch der normale Schul­be­trieb geht online einiger­maßen weiter. Dort findet auch die soziale Kontrolle statt mit wöchent­lichen Treffen („Wie geht’s Dir Buddy?“) und immerhin ein Minimum an sozialer Inter­aktion mit anderen Kindern, wie man sich das ja von einem guten öffent­lichen Schul­system auch erwartet. Bedenken, dass die Kinder durch Nutzung von Konfe­renz­software „Opfer“ ameri­ka­ni­scher Inter­net­gi­ganten werden könnten, spielen eher keine Rolle. 

Portrait von Rüdiger Bachmann

Rüdiger Bachmann ist Professor am Department of Economics an der Univer­sität Notre Dame, USA

Schule scheint hier also besser zu laufen, besser jeden­falls als ich das für Deutschland von vielen Kollegen höre und in den sozialen Medien lese. Ich glaube, ein Grund dafür ist, dass die Gouver­neurin des Staates, in dem ich lebe, nahezu von Beginn der Pandemie an Klarheit geschaffen hat: die Schulen bleiben bis zu den Sommer­ferien zu: Kümmert euch drum! Und nach zwei Wochen lief der Laden. Ökono­misch handelt es sich hier um das Inein­an­der­greifen zweier wichtiger Aspekte: Persistenz und Unsicherheit. Wenn es unsicher ist, ob eine Situation andauern wird, wird man sich eher nicht anpassen, sondern abwarten wollen. Darauf hat die Gouver­neurin reagiert: die Situation dauert mindestens bis zu den Sommer­ferien an, es kann auch noch ins nächste Schuljahr gehen, es lohnt sich, sofort Alter­na­tiven zu entwicklen. Mein Eindruck ist, dass diese Reduktion der Unsicherheit durch die deutsche Politik noch nicht ausrei­chend statt­ge­funden hat. Am wenigsten in der Bildungspolitik.

Beacht­liches Sozial­pro­gramm in den USA

Dabei hat die deutsche Politik in der Corona­po­litik insgesamt hervor­ragend und als weltweit anerkannter Politik­leader gehandelt: die Schutz­schirme für Arbeit­nehmer und Unter­nehmen wurden schnell und nahezu flächen­de­ckend aufge­spannt. Wichtig dabei war, dass man versucht hat, nicht nur den Menschen ihr Einkommen einiger­maßen zu erhalten, sondern auch ihre Jobs. Das wird in dem Maße schwie­riger werden, in dem die Krise andauert. Das hat in den USA durchaus Nachahmung und zum Teil noch Überbietung gefunden, weshalb man sich in Deutschland von dem verbrei­teten Vorurteil verab­schieden sollte, die wirtschafts­po­li­tische Reaktion auf die Krise sei in den USA durchweg schlecht gewesen. Dass man die Tiraden und Eskapaden des Präsi­denten nicht mögen muss – geschenkt. Wie in Deutschland gibt es aber auch in der ameri­ka­ni­schen Politik viele wichtige Teilnehmer am politi­schen Prozess, etwa die schon genannten Gouver­neure und den Kongress, der durchaus eine beach­tens­werte Arbeit vorgelegt hat: Neben Schecks für Ameri­kaner unter einer gewissen Einkom­mens­grenze gibt es eine sehr großzügige Ausweitung der Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung mit Pauschal­be­trägen von 600 Dollar pro Woche bis Juli, was gerade für ärmere Ameri­kaner zu Lohner­satz­raten von über 100 Prozent führt und damit für diese Bevöl­ke­rungs­gruppe großzü­giger als in Deutschland ist. Außerdem wurde ein Kredit­pro­gramm für kleinere Unter­nehmen aufgelegt, wobei die Darlehen bei Erfüllen bestimmter Bedin­gungen in nicht­rück­zu­zah­lende Transfers umgewandelt werden. Auch das ist eher großzü­giger als in Deutschland.

Natürlich gibt es auch in den USA massive Probleme und soziale Verwer­fungen: in einigen Bundes­staaten wurde die Arbeits­lo­sen­geld­kasse von der Politik personell so atrophiert, dass man gar nicht an sein Geld kommt; es wird auch soziale Probleme geben, wenn die bisher bestehenden Moratorien bezüglich der Kündigung von Mietver­trägen auslaufen; aber eine soziale Wüste ist die USA nun doch auch wieder nicht. Und selbst die erschre­ckend hohen Arbeits­lo­sen­zahlen, die natürlich zu einem Problem werden, wenn sie sich verfes­tigen, sind zur Zeit noch eher vergleichbar mit den Kurzar­beitern in Deutschland. Wie groß das soziale Drama wird, hängt davon ab, ob und wie schnell die jetzt „freige­setzten“ Arbeits­kräfte wieder in Beschäf­tigung finden.

Im Vergleich zur verspä­teten und errati­schen Reaktion der US-Adminis­tration auf Covid 19 war die vorsichtige deutsche Epide­mio­lo­gie­po­litik, inklusive der harten Einschrän­kungs­maß­nahmen, richtig, und zwar mindestens aus drei Gründen: Erstens, weil damals funda­mentale Unsicherheit über die Gefähr­lichkeit des Virus herrschte, was Vorsicht im politi­schen Handeln erfor­derte. Zweitens waren die Maßnahmen wohl schon wegen ihrer Signal­wirkung wichtig, um auch den Ernst der Lage zu kommu­ni­zieren. Und drittens erleich­terten die staat­lichen Einschrän­kungen, was Ökonomen als ein Koordi­na­tions- und Verhand­lungs­problem kennen: welcher Elternteil bleibt daheim bei den Kindern, in welchen Branchen könnte man weiter­ar­beiten, welche Arbeit­nehmer sollen in den Betrieb kommen, welche nicht? Insofern liegen die heutigen Kritiker der Einschrän­kungs­maß­nahmen schlicht falsch.

Kritik an nachfra­ge­ori­en­tierten Konjunkturprogrammen

Die Unsicherheit über die Persistenz der Krise bleibt ein akutes Problem. Zunächst einmal wissen wir – durch eigene Forschungen mit den Firmen­um­fra­ge­daten des Münchner ifo Insti­tutes –, dass die Firmen in Deutschland massiv an Unsicherheit leiden. Zudem muss man sich klarmachen, dass unsere Volks­wirt­schaften einen massiven persis­tenten Produk­ti­vi­täts­schock erlitten haben und im Ergebnis ärmer geworden sind. Die Flächen­ef­fi­zienz im Gast- und Hotel­ge­werbe, im Reise­ge­werbe, im Handel, im Friseur­handwerk, in der Erziehung und mögli­cher­weise auch in der indus­tri­ellen Produktion ist geringer geworden. Diese Gewerbe können einfach nicht mehr so viele Kunden auf einmal bedienen. Manches verge­gen­ständ­lichtes Kapital wird dauerhaft abzuschreiben sein: Flugzeuge, Gaststät­ten­im­mo­bilien und solche des statio­nären Einzel­handels, Kongress­hallen, Kreuz­fahrt­schiffe? Generell haben die Inves­toren reali­siert, dass Firmen­ka­pital durchaus eine sehr riskante Anlage sein kann. Viele werden sich jetzt eher langwei­ligen, aber sicheren deutschen Staats­an­leihen zuwenden. Wegen der nur einge­schränkt operie­renden Schulen und Kinder­gärten macht auch das Arbeits­an­gebot Probleme. Unter­nehmen werden ihre Schulden erhöhen müssen, was sie langfristig in ihrer Inves­ti­ti­ons­tä­tigkeit einschränken wird: wer will schon noch weitere Kredite für Zukunfts­in­ves­tionen aufnehmen, wenn er bereits stark verschuldet ist? Es sind Wettbe­werbs­pro­bleme und damit dauerhaft höhere Preise und schlechtere Qualität der Produkte zu befürchten, wenn nur die großen Unter­nehmen mit den tiefen Taschen überleben. Und dann gibt es immer noch das Damokles­schwert der zweiten Welle.

Vor dem Hinter­grund dieser Problem­be­schreibung sind meines Erachtens kurzfristige, nachfra­ge­ori­en­tierte Konjunk­tur­pro­gramme eher kritisch zu sehen, obwohl diese gerade sehr die politische Diskussion in Deutschland beschäf­tigen. Sie ignorieren aber die oben beschrie­benen Angebots­pro­bleme. Der aktuelle Rückgang der Nachfrage dürfte haupt­sächlich ein Resultat der beschrie­benen Angebots­pro­bleme sein – wem macht es schon Spass, unter den gegen­wär­tigen Bedin­gungen in der Fußgän­gerzone shoppen zu gehen –, ebenso wie von bereits erlit­tenen und erwar­teten Einkom­mens­aus­fällen. Hinzu kommt die beschriebene Unsicherheit, die die Menschen sich beim Konsum zurück­halten lässt. Anstelle von großen Ausga­be­pro­grammen sollte sich die Politik deshalb weiterhin darauf konzen­trieren, Einkommen zu erhalten bzw. zu ersetzen, Firmen die Liqui­dität zu erhalten und Eigen­ka­pi­tal­aufbau zu ermög­lichen, die europäi­schen Fragen so schnell wie möglich und großzügig zu lösen – und zwar ohne dass die europäi­schen Einzel­staaten ihre Staats­schulden erhöhen müssen –, sowie innovative Startups zu fördern und in Forschung und Entwicklung zu inves­tieren. Im Zuge eines ergän­zenden Konjunk­tur­pro­gramms zur Stimu­lierung der Nachfrage kann man vor allem bei den Abschrei­bungen für Inves­ti­tionen und mit breiten Kaufboni für Konsu­menten einiges tun. Eine Abwrack­prämie für Autos ist nicht nur klima­po­li­tisch verheerend, sondern auch ökono­misch fragwürdig: man darf nach der Krise wohl ohnehin eine Rennais­sance der Privat­mo­bi­lität erwarten, weshalb die Autoin­dustrie auf einen unerwar­teten Boom hoffen kann.

Zur unange­nehmen Wahrheit gehört aber auch, dass jetzt nicht die Zeit ist für ein disruptiv wirkendes Programm zur ökolo­gi­schen Trans­for­mation der Wirtschaft. So richtig das Ziel eines klima­ver­träg­lichen Umbaus der Wirtschaft ist, sollte man mit einschnei­denden Maßnahmen für CO2-intensive Branchen noch etwas warten: einem Patienten, der gerade aus der Inten­siv­station entlassen wurde, mutet man noch keine Rosskur zu. Die Politik sollte die ökolo­gische Moder­ni­sierung fördern, ohne bereits angeschlagene Unter­nehmen zu überfordern. Vor allem aber sollte die Politik Best-Practice-Konzepte fördern, wie man Schule und Kinder­gärten sicher wieder öffnet und wie man sicher und dennoch produktiv produ­zieren und Dienst­leis­tungen erbringen kann. Hierfür müsste die Innova­ti­ons­kraft des privaten Sektors viel stärker genutzt und ermutigt werden. Ein exten­sives Covid19-Testregime ist nur ein, wenn auch wichtiger Bestandteil dieses Politik­mixes, genauso wie ein stärkeres finan­zi­elles Engagement des Staates bei der Entwicklung eines Impfstoffes bzw. Medika­ments. Das beste Konjunk­tur­pro­gramm wäre ein wirksamer Impfstoff. Die gute Botschaft zum Schluss: Deutschland muss keine Angst vor einer Ausweitung der staat­lichen Verschuldung haben. Gerade weil die Welt so unsicher geworden ist, wollen alle Olaf Scholz zu Traum­kon­di­tionen ihr Geld leihen. Lasst sie!

Textende

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