Brief aus Amerika: Corona und die Folgen
Der deutsch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann blickt in seinem „Brief aus den USA“ auf die ersten Monate der Coronapandemie zurück. Dabei ergeben sich interessante Vergleiche zwischen Amerika und in Deutschland, auch im Hinblick auf die Programme zur Abmilderung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Coronakrise. Ein kritischer Punkt ist für Bachmann, wieweit wirtschaftliche Stabilisierungsprogramme an klimapolitische Ziele gebunden werden sollen: Es gilt, die Unternehmen ökologisch zu fordern, ohne sie finanziell zu überfordern.
Während ich diesen ersten Brief aus den USA beginne, sitzen meine Kinder vor Ihren Ipads und malen. Ein Kurs „Welt der Wasserfarben.“ Samstags gibt es noch einen Basketball- und Montagabends einen Karatekurs. Alles online mit Konferenzsoftware. Organisiert, wenn auch nicht direkt betrieben, durch das örtliche öffentliche Schulsystem. Auch der normale Schulbetrieb geht online einigermaßen weiter. Dort findet auch die soziale Kontrolle statt mit wöchentlichen Treffen („Wie geht’s Dir Buddy?“) und immerhin ein Minimum an sozialer Interaktion mit anderen Kindern, wie man sich das ja von einem guten öffentlichen Schulsystem auch erwartet. Bedenken, dass die Kinder durch Nutzung von Konferenzsoftware „Opfer“ amerikanischer Internetgiganten werden könnten, spielen eher keine Rolle.
Schule scheint hier also besser zu laufen, besser jedenfalls als ich das für Deutschland von vielen Kollegen höre und in den sozialen Medien lese. Ich glaube, ein Grund dafür ist, dass die Gouverneurin des Staates, in dem ich lebe, nahezu von Beginn der Pandemie an Klarheit geschaffen hat: die Schulen bleiben bis zu den Sommerferien zu: Kümmert euch drum! Und nach zwei Wochen lief der Laden. Ökonomisch handelt es sich hier um das Ineinandergreifen zweier wichtiger Aspekte: Persistenz und Unsicherheit. Wenn es unsicher ist, ob eine Situation andauern wird, wird man sich eher nicht anpassen, sondern abwarten wollen. Darauf hat die Gouverneurin reagiert: die Situation dauert mindestens bis zu den Sommerferien an, es kann auch noch ins nächste Schuljahr gehen, es lohnt sich, sofort Alternativen zu entwicklen. Mein Eindruck ist, dass diese Reduktion der Unsicherheit durch die deutsche Politik noch nicht ausreichend stattgefunden hat. Am wenigsten in der Bildungspolitik.
Beachtliches Sozialprogramm in den USA
Dabei hat die deutsche Politik in der Coronapolitik insgesamt hervorragend und als weltweit anerkannter Politikleader gehandelt: die Schutzschirme für Arbeitnehmer und Unternehmen wurden schnell und nahezu flächendeckend aufgespannt. Wichtig dabei war, dass man versucht hat, nicht nur den Menschen ihr Einkommen einigermaßen zu erhalten, sondern auch ihre Jobs. Das wird in dem Maße schwieriger werden, in dem die Krise andauert. Das hat in den USA durchaus Nachahmung und zum Teil noch Überbietung gefunden, weshalb man sich in Deutschland von dem verbreiteten Vorurteil verabschieden sollte, die wirtschaftspolitische Reaktion auf die Krise sei in den USA durchweg schlecht gewesen. Dass man die Tiraden und Eskapaden des Präsidenten nicht mögen muss – geschenkt. Wie in Deutschland gibt es aber auch in der amerikanischen Politik viele wichtige Teilnehmer am politischen Prozess, etwa die schon genannten Gouverneure und den Kongress, der durchaus eine beachtenswerte Arbeit vorgelegt hat: Neben Schecks für Amerikaner unter einer gewissen Einkommensgrenze gibt es eine sehr großzügige Ausweitung der Arbeitslosenversicherung mit Pauschalbeträgen von 600 Dollar pro Woche bis Juli, was gerade für ärmere Amerikaner zu Lohnersatzraten von über 100 Prozent führt und damit für diese Bevölkerungsgruppe großzügiger als in Deutschland ist. Außerdem wurde ein Kreditprogramm für kleinere Unternehmen aufgelegt, wobei die Darlehen bei Erfüllen bestimmter Bedingungen in nichtrückzuzahlende Transfers umgewandelt werden. Auch das ist eher großzügiger als in Deutschland.
Natürlich gibt es auch in den USA massive Probleme und soziale Verwerfungen: in einigen Bundesstaaten wurde die Arbeitslosengeldkasse von der Politik personell so atrophiert, dass man gar nicht an sein Geld kommt; es wird auch soziale Probleme geben, wenn die bisher bestehenden Moratorien bezüglich der Kündigung von Mietverträgen auslaufen; aber eine soziale Wüste ist die USA nun doch auch wieder nicht. Und selbst die erschreckend hohen Arbeitslosenzahlen, die natürlich zu einem Problem werden, wenn sie sich verfestigen, sind zur Zeit noch eher vergleichbar mit den Kurzarbeitern in Deutschland. Wie groß das soziale Drama wird, hängt davon ab, ob und wie schnell die jetzt „freigesetzten“ Arbeitskräfte wieder in Beschäftigung finden.
Im Vergleich zur verspäteten und erratischen Reaktion der US-Administration auf Covid 19 war die vorsichtige deutsche Epidemiologiepolitik, inklusive der harten Einschränkungsmaßnahmen, richtig, und zwar mindestens aus drei Gründen: Erstens, weil damals fundamentale Unsicherheit über die Gefährlichkeit des Virus herrschte, was Vorsicht im politischen Handeln erforderte. Zweitens waren die Maßnahmen wohl schon wegen ihrer Signalwirkung wichtig, um auch den Ernst der Lage zu kommunizieren. Und drittens erleichterten die staatlichen Einschränkungen, was Ökonomen als ein Koordinations- und Verhandlungsproblem kennen: welcher Elternteil bleibt daheim bei den Kindern, in welchen Branchen könnte man weiterarbeiten, welche Arbeitnehmer sollen in den Betrieb kommen, welche nicht? Insofern liegen die heutigen Kritiker der Einschränkungsmaßnahmen schlicht falsch.
Kritik an nachfrageorientierten Konjunkturprogrammen
Die Unsicherheit über die Persistenz der Krise bleibt ein akutes Problem. Zunächst einmal wissen wir – durch eigene Forschungen mit den Firmenumfragedaten des Münchner ifo Institutes –, dass die Firmen in Deutschland massiv an Unsicherheit leiden. Zudem muss man sich klarmachen, dass unsere Volkswirtschaften einen massiven persistenten Produktivitätsschock erlitten haben und im Ergebnis ärmer geworden sind. Die Flächeneffizienz im Gast- und Hotelgewerbe, im Reisegewerbe, im Handel, im Friseurhandwerk, in der Erziehung und möglicherweise auch in der industriellen Produktion ist geringer geworden. Diese Gewerbe können einfach nicht mehr so viele Kunden auf einmal bedienen. Manches vergegenständlichtes Kapital wird dauerhaft abzuschreiben sein: Flugzeuge, Gaststättenimmobilien und solche des stationären Einzelhandels, Kongresshallen, Kreuzfahrtschiffe? Generell haben die Investoren realisiert, dass Firmenkapital durchaus eine sehr riskante Anlage sein kann. Viele werden sich jetzt eher langweiligen, aber sicheren deutschen Staatsanleihen zuwenden. Wegen der nur eingeschränkt operierenden Schulen und Kindergärten macht auch das Arbeitsangebot Probleme. Unternehmen werden ihre Schulden erhöhen müssen, was sie langfristig in ihrer Investitionstätigkeit einschränken wird: wer will schon noch weitere Kredite für Zukunftsinvestionen aufnehmen, wenn er bereits stark verschuldet ist? Es sind Wettbewerbsprobleme und damit dauerhaft höhere Preise und schlechtere Qualität der Produkte zu befürchten, wenn nur die großen Unternehmen mit den tiefen Taschen überleben. Und dann gibt es immer noch das Damoklesschwert der zweiten Welle.
Vor dem Hintergrund dieser Problembeschreibung sind meines Erachtens kurzfristige, nachfrageorientierte Konjunkturprogramme eher kritisch zu sehen, obwohl diese gerade sehr die politische Diskussion in Deutschland beschäftigen. Sie ignorieren aber die oben beschriebenen Angebotsprobleme. Der aktuelle Rückgang der Nachfrage dürfte hauptsächlich ein Resultat der beschriebenen Angebotsprobleme sein – wem macht es schon Spass, unter den gegenwärtigen Bedingungen in der Fußgängerzone shoppen zu gehen –, ebenso wie von bereits erlittenen und erwarteten Einkommensausfällen. Hinzu kommt die beschriebene Unsicherheit, die die Menschen sich beim Konsum zurückhalten lässt. Anstelle von großen Ausgabeprogrammen sollte sich die Politik deshalb weiterhin darauf konzentrieren, Einkommen zu erhalten bzw. zu ersetzen, Firmen die Liquidität zu erhalten und Eigenkapitalaufbau zu ermöglichen, die europäischen Fragen so schnell wie möglich und großzügig zu lösen – und zwar ohne dass die europäischen Einzelstaaten ihre Staatsschulden erhöhen müssen –, sowie innovative Startups zu fördern und in Forschung und Entwicklung zu investieren. Im Zuge eines ergänzenden Konjunkturprogramms zur Stimulierung der Nachfrage kann man vor allem bei den Abschreibungen für Investitionen und mit breiten Kaufboni für Konsumenten einiges tun. Eine Abwrackprämie für Autos ist nicht nur klimapolitisch verheerend, sondern auch ökonomisch fragwürdig: man darf nach der Krise wohl ohnehin eine Rennaissance der Privatmobilität erwarten, weshalb die Autoindustrie auf einen unerwarteten Boom hoffen kann.
Zur unangenehmen Wahrheit gehört aber auch, dass jetzt nicht die Zeit ist für ein disruptiv wirkendes Programm zur ökologischen Transformation der Wirtschaft. So richtig das Ziel eines klimaverträglichen Umbaus der Wirtschaft ist, sollte man mit einschneidenden Maßnahmen für CO2-intensive Branchen noch etwas warten: einem Patienten, der gerade aus der Intensivstation entlassen wurde, mutet man noch keine Rosskur zu. Die Politik sollte die ökologische Modernisierung fördern, ohne bereits angeschlagene Unternehmen zu überfordern. Vor allem aber sollte die Politik Best-Practice-Konzepte fördern, wie man Schule und Kindergärten sicher wieder öffnet und wie man sicher und dennoch produktiv produzieren und Dienstleistungen erbringen kann. Hierfür müsste die Innovationskraft des privaten Sektors viel stärker genutzt und ermutigt werden. Ein extensives Covid19-Testregime ist nur ein, wenn auch wichtiger Bestandteil dieses Politikmixes, genauso wie ein stärkeres finanzielles Engagement des Staates bei der Entwicklung eines Impfstoffes bzw. Medikaments. Das beste Konjunkturprogramm wäre ein wirksamer Impfstoff. Die gute Botschaft zum Schluss: Deutschland muss keine Angst vor einer Ausweitung der staatlichen Verschuldung haben. Gerade weil die Welt so unsicher geworden ist, wollen alle Olaf Scholz zu Traumkonditionen ihr Geld leihen. Lasst sie!
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.