Carbon Management und Negative Emissionen in der Chemieindustrie

Fotos: Tobias Kunz

Beim dritten Fachge­spräch unserer Stake­holder-Dialoge „Carbon Management – Negative Emissionen“ haben wir am 20. September mit Vertre­te­rinnen und Vertretern aus Chemie­in­dustrie, Politik und Umwelt­ver­bänden über Poten­ziale und offene Fragen von CO2-Speicherung und ‑Wieder­ver­wendung in der chemi­schen Industrie diskutiert.

Die chemische Industrie ist eine sehr energie­in­tensive Branche mit einem hohen Anteil fossiler Energie­träger und entspre­chend hohen CO2-Emissionen. Gleich­zeitig hat sie enorme Poten­ziale für eine Reduzierung der Treib­haus­gas­emis­sionen sowohl in den eigenen Produk­ti­ons­pro­zessen als auch durch den Einsatz ihrer Produkte in anderen Wirtschafts­zweigen. Die entspre­chenden Anwen­dungs­felder sind vielfältig: Kreis­lauf­wirt­schaft, Batte­rie­technik, Wasser­stoff und synthe­tische Kraft­stoffe, Leicht­bau­ma­te­rialien, bioba­sierte Kunst­stoffe, Dämmstoffe für Gebäude und die biotech­nische Optimierung von Nutzpflanzen und vieles mehr.

Die Chemie­in­dustrie wird energie­in­tensiv bleiben

Am 20. September haben Vertreter der Chemie­in­dustrie, Politik und Umwelt­ver­bänden im dbb-Forum über die Rolle von Negative­mis­sionen und Carbon Management in der chemi­schen Industrie gesprochen. Bei der Diskussion wurde deutlich: Die Branche wird auch zukünftig sehr energie­in­tensiv bleiben. Durch den Einsatz von erneu­er­barem Strom kann jedoch zumindest die Input­en­ergie klima­freundlich werden. Allein hierfür werden bis Mitte des Jahrhun­derts 500 TW/​h grüner Strom benötigt, insbe­sondere für die Herstellung von grünem Wasserstoff.

Kohlen­stoff­kreis­läufe spielen eine zentrale Rolle

Jörg Rothermel vom Verband der Chemi­schen Industrie (VCI) betont, dass – trotz der Bemühung um eine Elektri­fi­zierung von Produk­ti­ons­pro­zessen und weiterer Effizi­enz­stei­ge­rungen – insbe­sondere das Wieder­ver­wenden von CO2 (CCU) und in kleineren Mengen auch das Abscheiden und Speichern von CO2 (CCS) eine wichtige Rolle in der chemi­schen Industrie spielen.

Beide Prozesse sind jedoch ebenfalls energie­in­tensiv. Gerade weil für viele Prozesse CO2 als Rohstoff benötigt wird, stellt sich die Frage, wie dieses zukünftig aus nicht fossilen Quellen gewonnen werden kann. Klima­neutral ist die Verwendung von CO2 als Rohstoff nur dann, wenn es aus der Luft entnommen wird (Direct Air Capture, DAC), aus der Vergärung von Biomasse oder der Abfall­ver­brennung stammt.

Die Grafik des VCI zeigt, welche Kohlen­stoff­kreis­läufe denkbar sind.

Unter­schieden werden dabei produk­ti­ons­in­terne Kreis­läufe (z. B. das Recycling von Restgasen), regionale Kreis­läufe (in Form von Clustern unter­schied­licher Unter­nehmen), nationale Kreis­läufe (über eine noch aufzu­bauende CO2-Infra­struktur) sowie ein europäi­scher CO2-Binnen­markt.

Lisa Okken vom WWF unter­strich hingegen, dass die Priorität auf der Vermeidung von Emissionen liegen muss, bevor techno­lo­gische Verfahren zur Abscheidung und Speicherung von CO2 in Betracht gezogen werden. In der Diskussion wurde mehrfach darauf hinge­wiesen, dass allein schon angesichts der hohen Kosten von CCS und CCU mögliche Alter­na­tiven geprüft und ausge­schöpft werden, bevor diese Methoden zum Einsatz kommen.

Cluster-Infra­struk­turen

Auf die wichtige Rolle von regio­nalen Cluster-Infra­struk­turen bei der Wieder­ver­wendung von CO2 verweist Görge Deerberg vom Fraun­hofer Institut UMSICHT. Die Etablierung und der Ausbau von zirku­lären Ökosys­temen tragen dazu bei, dass Arbeits- und Wertschöp­fungs­ketten in Techno­lo­gie­be­reichen in der jewei­ligen Region bleiben – wie beispiels­weise bei einer Integration von Zement- und Klinker­werken sowie der Stahl­pro­duktion in CCU-Prozesse. Chemie­un­ter­nehmen könnten das dort abgeschiedene CO2 als Rohstoff nutzen.

Doch nicht nur die Unter­nehmen müssen vermehrt in zirku­lären Ökosys­temen denken und entscheiden und Produkte mit einer nachhaltig langen Lebens­dauer entwi­ckeln – es ist auch ein regula­to­ri­scher Rahmen nötig, der dies unter­stützt und fördert. Die Offenheit von Unter­nehmen, beispiels­weise auch Mitbe­werbern Einblicke in Produk­ti­ons­de­tails zu gewähren, um dadurch Abläufe aufein­ander abzustimmen, setzt voraus, dass entspre­chende Standards bestehen. Hier sind Politik und Branchen­ver­bände in der Pflicht.

Kritische Anmer­kungen und offene Fragen

Einigkeit bestand darin, dass eine Nutzung von CO2 aus klima­freund­lichen Quellen vielfältige Chancen bietet. Gleich­zeitig wurden kritische Anmer­kungen und offene Fragen formuliert:

  • Techno­logien zur Speicherung und Wieder­ver­wendung von CO2 sind sehr energie­in­tensiv. Daher sind diese Verfahren auf lange Sicht nur nachhaltig, wenn ausrei­chend erneu­er­barer Strom zur Verfügung steht. Um Negative­mis­sionen zu erreichen, sollten natür­liche Methoden (Aufforstung und Wieder­vernässung von Mooren) priori­siert werden.
  • Eine der zentralen regula­to­ri­schen Heraus­for­de­rungen besteht in der Bilan­zierung von gespei­chertem CO2. Hier sind Lösungen dringend erforderlich.
  • Inwieweit „Blauer“ Wasser­stoff als Brücken­tech­no­logie sinnvoll ist, wurde kontrovers disku­tiert. Auf der einen Seite wird Wasser­stoff auf Basis von Erdgas als fossiler Lock-in betrachtet. Auf der anderen Seite kann diese Art des Wasser­stoffs als notwendige Brücke fungieren, um entspre­chende Infra­struk­turen aufzu­bauen und Verfahren zu testen. Wichtig ist es, aus dieser Perspektive klare Übergangs­fristen von „blauem“ zu „grünem“ Wasser­stoff zu formulieren.
  • Es muss klar definiert werden, welche unver­meid­baren Restemis­sionen zu welchem Zeitpunkt bestehen werden.
  • Gesell­schaft­liche und gesund­heit­liche Auswir­kungen von CCU-Techno­logien, sowie der Einsatz von nachhal­tiger Biomasse bei BECCS (Bioenergy with Carbon Capture and Storage) müssen ebenfalls berück­sichtigt werden. Es zeichnet sich auch bereits ab, dass es eine große Konkurrenz um die zur Verfügung stehende Biomasse geben wird.
  • Ebenfalls kontrovers disku­tiert wurde die Dauer­haf­tigkeit der Speicherung von CO2 in Produkten. Bestimmte Materialien, etwa im Hausbau, werden sehr lange genutzt, was eine entspre­chend langfristige Speicherung ermög­licht. Bei Wegwerf­ge­gen­ständen ist die Speicherung nur sehr kurzfristig gegeben. Hier besteht der positive Effekt darin, dass das zur Herstellung nötige CO2 nicht aus fossilen Quellen stammt.
  • Die Anreize für eine florie­rende Kreis­lauf­wirt­schaft, auch im Zusam­menhang mit CCU-Techno­logien, sind noch nicht ausrei­chend definiert. Ebenso muss der benötigte Wasser­stoff- und Energie­bedarf gesichert werden. Diese Aspekte sind auch für eine breite gesell­schaft­liche Akzeptanz für diese Techno­logien relevant.

Fazit

Für den Klima­schutz ist die Chemie­in­dustrie Problem und Lösung zugleich – die Chemie­branche kann und muss eine zentrale Rolle beim Übergang in eine klima­neu­trale Indus­trie­ge­sell­schaft spielen. Die deutsche chemische Industrie steht – nicht zuletzt aufgrund der kriegs­be­dingt stark gestie­genen Energie­preise – vor enormen Heraus­for­de­rungen. Gleich­zeitig bietet die Trans­for­mation zu einer klima­neu­tralen, nachhal­tigen Chemie auch große Chancen.

Während der Diskussion wurde mehrfach die indus­trie­po­li­tische Dimension von CCU- und CO2-Entnahme-Infra­struk­turen hervor­ge­hoben. Neben offenen Fragen der Bilan­zierung, der Geneh­migung von Infra­struk­tur­pro­jekten sowie der Verfüg­barkeit von erneu­er­barem Strom, muss immer auch die Nachhal­tigkeit des Indus­trie­standorts Deutschland mitge­dacht und gestärkt werden.

Es ist keine nachhaltige Indus­trie­po­litik, Kohlen­stoffe in Form von Öl und Gas aus Ländern wie Saudi-Arabien teuer zu impor­tieren, um anschließend CO2 ebenfalls für viel Geld nach Skandi­navien zu expor­tieren. Deutschland muss vielmehr eine eigene Infra­struktur zur Speicherung und Wieder­ver­wendung von CO2 aufbauen.

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