Wie die Corona-Krise den Arbeits­markt in Deutsch­land verändern könnte

Foto: Shutterstock, GBJSTOCK
Foto: Shut­ter­stock, GBJSTOCK

Zwar ist die Corona-Pandemie nach wie vor nicht beendet, doch es ist längst absehbar, dass sie die Struktur unserer Wirt­schaft spürbar verändern wird. Nach Über­zeu­gung von Dr. Thieß Petersen und Manuela Barisic von der Bertels­mann Stiftung gehört dazu die Beschleu­ni­gung des Trends, in der Wirt­schaft verstärkt auf digitale Tech­no­lo­gien zu setzen – was wiederum Folgen für den Bedarf an Arbeits­kräften sowie die kompa­ra­tiven Kosten­vor­teile im Bereich der inter­na­tio­nalen Arbeits­tei­lung hat.

Corona beschleu­nigt Auto­ma­ti­sie­rung und Online-Handel

Die zur Eindäm­mung der Infek­ti­ons­zahlen notwen­dige soziale Distan­zie­rung beschleu­nigt den Einsatz digitaler Tech­no­lo­gien in weiten Bereichen des Wirtschaftslebens.

Im Bereich orga­ni­sa­to­ri­scher Tätig­keiten sind Home­of­fice und Video­kon­fe­renzen gerade unver­zichtbar – und werden auch nach der Pandemie bedeutsam bleiben, weil sie Fahrt- und Reise­kosten redu­zieren und Arbeits­zeit sparen. Höhere Emis­si­ons­preise, die im Kampf gegen die globale Erwärmung perspek­ti­visch unum­gäng­lich sind, stellen einen zusätz­li­chen Anreiz dar, weniger zu reisen.

In der Produk­tion werden verstärkt Roboter und andere Maschinen einge­setzt. So lässt sich das Risiko redu­zieren, dass pande­mie­be­dingte Ausfälle von Beschäf­tigten zu Produk­ti­ons­un­ter­bre­chungen führen.

Im Vertrieb wird die Bedeutung des Online-Handels weiter zunehmen. Dies liegt u. a. daran, dass Menschen, die sich während der Corona-Pandemie erstmals auf entspre­chenden Platt­formen ange­meldet und damit eine zentrale Hürde über­sprungen haben, diesen Vertriebsweg auch zukünftig nutzen werden. Gleich­zeitig ist mit zahl­rei­chen Insol­venzen im statio­nären Einzel­handel zu rechnen. Hier kommt ebenfalls der Online-Handel zum Zug und ersetzt die entfal­lenden Einkaufsmöglichkeiten.

Corona beschleu­nigt bereits kurz­fristig den Strukturwandel

Mit der Forcie­rung der digitalen Trans­for­ma­tion wird der Struk­tur­wandel in Deutsch­land beschleunigt.

Mit der digitalen Trans­for­ma­tion wird neben der Nachfrage nach physi­schen Produkten, die für sie erfor­der­lich sind, auch die Nachfrage nach damit verbun­denen Dienst­leis­tungen steigen, vor allem in den Bereichen Forschung und Entwick­lung sowie Beratung und Weiterbildung.

Mit der wach­senden Bedeutung des Online-Handels nimmt der Bedarf an Leis­tungen der Logistik- und Trans­port­branche zu. Dem sind jedoch die gerin­geren Trans­port­leis­tungen zur Belie­fe­rung des statio­nären Einzel­han­dels entgegenzurechnen.

Wenn wegen der stärkeren Nutzung des Home­of­fice und des Online-Handels weniger Menschen in die Innen­städte kommen, verrin­gert sich deren Attrak­ti­vität, was dort zu weiteren Schlie­ßungen von Restau­rants und anderen Dienst­leis­tungs­be­trieben führen kann.

Corona forciert mittel­fristig eine Relo­ka­li­sie­rung der Produktion

In Deutsch­land ansässige Unter­nehmen arbeiten weltweit mit den Zulie­fe­rer­firmen zusammen, die ihnen Vorleis­tungen und Einzel­teile zu den geringst­mög­li­chen Kosten liefern – dies ist ein wesent­li­ches Merkmal der bishe­rigen Form der inter­na­tio­nalen Arbeits­tei­lung. Entspre­chend finden arbeits­in­ten­sive Produk­ti­ons­schritte in Nied­rig­lohn­län­dern statt, und mithilfe einer Just-in-time-Produk­tion werden Lager­hal­tungs­kosten minimiert.

Zwei durch die Corona-Pandemie auftre­tende Aspekte können diese Form der inter­na­tio­nalen Arbeits­tei­lung „zurück­drehen“: Zum einen wächst mit den Unter­bre­chungen der globalen Liefer­ketten in der Krise der Wunsch, die Abhän­gig­keit von essen­zi­ellen Vorleis­tungen aus dem Ausland zu verrin­gern. Zum anderen führt der verstärkte Einsatz von digitalen Tech­no­lo­gien und Maschinen dazu, dass der Anteil der Lohn­kosten an den gesamten Produk­ti­ons­kosten sinkt. Damit verlieren Nied­rig­lohn­länder für ein Hoch­lohn­land wie Deutsch­land an Attraktivität.

Damit wird eine Rück­ver­la­ge­rung von ausge­wählten Produk­ti­ons­schritten nach Deutsch­land – das soge­nannte Reshoring – betriebs­wirt­schaft­lich attrak­tiver. Jedoch lassen sich die dafür erfor­der­li­chen Inves­ti­tionen nicht kurz­fristig durch­führen – in Krisen­zeiten legen viele Unter­nehmen die entspre­chenden Mittel erst einmal auf Eis. Mittel­fristig ist es jedoch durchaus plausibel, dass die Reshoring-Tendenzen zunehmen. Außerdem sind perspek­ti­visch steigende Trans­port­kosten infolge höherer Preise für Treib­haus­gas­emis­sionen ein weiteres Reshoring-Motiv.

Arbeits­markt­ef­fekte des Strukturwandels

Für den Arbeits­markt bedeuten diese Entwick­lungen zunächst einmal eine Umschich­tung von Arbeits­plätzen von schrump­fenden zu wach­senden Sektoren. Dabei nehmen die Quali­fi­ka­ti­ons­an­for­de­rungen tenden­ziell zu. Produk­ti­ons­pro­zesse mit digitalen Tech­no­lo­gien und Maschinen erhöhen den Bedarf an quali­fi­zierten Beschäf­tigten, vor allem in den soge­nannten MINT-Berufen (MINT = Mathe­matik, Infor­matik, Natur­wis­sen­schaft und Technik).

Mit Blick auf die Lohn­ent­wick­lung ist zu erwarten, dass die Brut­to­löhne weiter ausein­an­der­driften: Unter­nehmen, die erfolg­reich digitale Tech­no­lo­gien und Maschinen nutzen, weisen in der Regel eine hohe Arbeits­pro­duk­ti­vität auf. Das erlaubt hohe Löhne – und bei einer Forcie­rung der Digi­ta­li­sie­rung weitere Produk­ti­vi­täts- und Lohn­stei­ge­rungen. Im Gegensatz dazu fallen die Entloh­nung und die Lohn­zu­wächse dort, wo diese Tech­no­lo­gien nicht einge­setzt werden (können), geringer aus.

Mittel­fristig nimmt die Beschäf­ti­gung in Deutsch­land mit dem Reshoring zu. Davon profi­tieren jedoch nicht alle Erwerbs­tä­tigen glei­cher­maßen. Der Grund: Die Rück­ver­la­ge­rung erfolgt auf Basis von modernen Tech­no­lo­gien, die quali­fi­zierte Arbeits­kräfte benötigen – die Arbeits­markt­chancen gering quali­fi­zierter Arbeits­kräfte verbes­sern sich entspre­chend nicht.

Zentrale Heraus­for­de­rungen für die Arbeitsmarktpolitik

Auch wenn aktuelle wirtschafts‑, arbeits­markt- und sozi­al­po­li­ti­sche Maßnahmen alles daran­setzen, große Entlas­sungs­wellen zu vermeiden, wird die Corona-Krise auf dem deutschen Arbeits­markt spürbare Spuren hinter­lassen. Zum Beispiel ist ein soge­nannter Hysterese-Effekt, der die in Krisen­zeiten ausge­löste Arbeits­lo­sig­keit auch nach Abklingen des externen Schocks auf einem hohen Niveau verharren lässt, nicht auszu­schließen. Schon jetzt sind Unter­nehmen mit Neuein­stel­lungen sowie der Vergabe von Ausbil­dungs­plätzen sehr zurückhaltend.

Darüber hinaus sehen wir, dass bestimmte Beschäf­ti­gungs­gruppen – die keiner regulären sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tigen Arbeit nachgehen – besonders hart von der Krise getroffen sind. Mehr als 870.000 Mini­job­bende, darunter viele Frauen, haben im Vergleich zum Vorjahr ihre Arbeit verloren, viele Selbst­stän­dige bangen um ihre Existenz. Generell zeigt sich, dass Frauen in der Corona-Krise mit Blick auf den Arbeits­markt stärker betroffen sind als Männer.

Vor diesem Hinter­grund ist nun alles daran­zu­setzen, den Arbeits­markt – auch für zukünf­tige Krisen – resi­li­enter zu gestalten und den Beschäf­tigten lang­fristig eine Chance zur fairen Teilhabe an guter und sozial abge­si­cherter Arbeit zu ermöglichen.

Im Hinblick auf die Krise bei den Neuein­stel­lungen könnte die Einfüh­rung eines entspre­chenden Rettungs­schirms in Betracht gezogen werden, der neue Jobs schafft. Neuein­stel­lungen werden für Unter­nehmen z. B. dann attrak­tiver, wenn sie für einen gewissen Zeitraum keine Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­träge zahlen müssen. Die Einnah­me­aus­fälle für die Sozi­al­ver­si­che­rungen sollten dabei durch den Bund erstattet werden (Weber, 2020).

Darüber hinaus sollte der Erhalt der Beschäf­ti­gungs­fä­hig­keit nicht nur in Krisen­zeiten – aber vor allem dann – eine wichtige Rolle spielen. So ist etwa über eine stärkere Kopplung des Kurz­ar­bei­ter­gelds an die Förderung beruf­li­cher Weiter­bil­dung nach­zu­denken (Krebs, 2020).

Des Weiteren sollten die besonders gebeu­telten Minijobs, die in Haupt­tä­tig­keit ausgeübt werden, in sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tige Beschäf­ti­gungen umge­wan­delt und die Selbst­stän­digen ange­messen in die sozialen Siche­rungs­sys­teme inte­griert werden. Darüber hinaus sollten die seit der Corona-Krise als system­re­le­vant bezeich­neten Berufe wie z. B. im Dienst­leis­tungs- und Gesund­heits­be­reich aufge­wertet werden.

Die Corona-Pandemie stellt für die deutsche Volks­wirt­schaft einen großen Einbruch dar – aller­dings bietet sie auch die Chance, struk­tu­relle Schwächen zu über­winden und gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

 

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spen­den­tool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­ti­sche Arbeit von LibMod.

Spenden mit Bankeinzug

Spenden mit PayPal


Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steu­er­lich absetzbar. Für eine Spen­den­be­schei­ni­gung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

Verwandte Themen

News­letter bestellen

Mit dem LibMod-News­letter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.