Die Netzwerke der Hamas in Deutschland

Die Gefahr durch die Hamas in Deutschland muss neu bewertet, Hamas- und Hisbollah-Verbote konse­quent umgesetzt werden. Doch den Behörden fehlen die Ressourcen – auch um die Finanz­ströme der Terror­or­ga­ni­sation auszu­trocknen. Eine Analyse von Till Schmidt.

In seiner Regie­rungs­er­klärung am 12. Oktober zur Lage in Israel griff Kanzler Olaf Scholz die „beschä­mende Bilder“ von Menschen auf, die ihrem Hass gegen Israel sowie Jüdinnen und Juden „freien Lauf lassen“. Dass Scholz ein Betäti­gungs­verbot für den Verein Samidoun ankün­digte, dessen Mitglieder „brutalste Terrorakte auf offener Straße feiern“, erschien daher folge­richtig. Überra­schend war, dass das zweite Betäti­gungs­verbot, das Scholz bekannt gab, überhaupt noch erlassen werden musste: für die islamis­tische Terror­or­ga­ni­sation Hamas.

Scholz‘ Ankün­digung war ein Stück weit auch Symbol­po­litik: Denn die EU hatte die Hamas bereits 2001 als Terror­or­ga­ni­sation einge­stuft. Seitdem ist es auch in Deutschland illegal, der Hamas Finanz­mittel zur Verfügung zu stellen, und anderer­seits möglich, ihre Gelder einzu­frieren. Darüber hinaus ist seit 2021 die Verbreitung von Propa­gan­da­mitteln oder Kennzeichen der Hamas verboten. Dass es sich bei der Hamas um eine genozidal-antise­mi­tische Terror­or­ga­ni­sation handelt, wird schon durch einen Blick auf ihre Charta von 1988 deutlich. Die Grund­satz­er­klärung formu­liert das Ziel, den Staat Israel zu vernichten und ruft offen zum Mord an Jüdinnen und Juden auf.

Neube­wertung der Terror-Gefahr in Deutschland

Über viele Jahre gingen die deutschen Sicher­heits­be­hörden davon aus, dass die Hamas keine Gefahr für die Sicherheit hierzu­lande darstellt: „Westliche Staaten wie Deutschland werden von der Hamas als Rückzugsraum betrachtet“, heißt es etwa im aktuellen Verfas­sungs­schutz­be­richt. Um ihre Aktivi­täten im Ausland zu stärken­kon­zen­triere sich die Organi­sation darauf, „Spenden zu sammeln, neue Anhän­ge­rinnen und Anhänger zu rekru­tieren und ihre Propa­ganda zu verbreiten“. Seit langem rechnet der Verfas­sungs­schutz mit einer konstanten Zahl von 450 Hamas-Mitgliedern und ‑Anhängern.

„Inzwi­schen muss die Gefahr durch die Hamas in Deutschland neu bewertet werden“, sagt der ARD-Terro­ris­mus­experte Holger Schmidt. Hinter­grund für diese Einschätzung sind laufende Ermitt­lungen des General­bun­des­an­walts gegen vier mutmaß­liche Hamas-Mitglieder. Die Bundes­an­walt­schaft wirft ihnen vor, auf Befehl von führenden Hamas-Komman­deuren im Libanon Anschläge auf jüdische Einrich­tungen in Europa vorbe­reitet zu haben. Holger Schmidt sieht die Ermitt­lungen gegen die vier Männer auf eine Anklage zusteuern: „Es wäre das erste Mal, dass Hamas-Anhänger in Deutschland wegen der Vorbe­reitung eines Anschlags angeklagt würden.“

Europäische und deutsche Dimension der Hamas

Auch für Remko Leemhuis vom American Jewish Committee (AJC) Berlin erfordern die laufenden Ermitt­lungen des General­bun­des­an­walt­schaft eine Neube­wertung der Gefahr, die in Deutschland von der Hamas ausgeht. Der Direktor des AJC hebt dabei auch die europäische und inter­na­tionale Dimension des mutmaß­lichen Terror­kom­mandos hervor. Leemhuis hält es für möglich, dass über das kürzlich zufällig entdeckte Waffen­ver­steck in Bulgarien hinaus in Europa noch weitere Depots der Hamas existieren. Gerade in Staaten wie Großbri­tannien, in denen es „etablierte Struk­turen der Organi­sation gibt“.

Finanz­ströme und Propa­ganda laufen über die dieselben Netzwerke

Zu den seit langem bestehenden Netzwerken der Hamas und anderen Ablegern der Muslim­bru­der­schaft in den USA, Kanada und Westeuropa hat der Islamismus-Experte Lorenzo Vidino intensiv geforscht. Der Ko-Autor der Studie „Tackling Hamas Funding in the West” macht deutlich, dass die im Westen gesam­melten Gelder zwar nur einen kleinen Teil des Hamas-Gesamt­budgets ausmachen, das derzeit vor allem aus Katar, der Türkei und dem Iran stammt. Doch insgesamt würden auch die Finanz­ströme aus dem Westen zum Funktio­nieren der Terror­or­ga­ni­sation beitragen. „Zudem verbreiten dieselben Netzwerke auch Hamas-Propa­ganda und betreiben andere Formen der politi­schen Unter­stützung“, so Vidino.

Propa­ganda und Romantisierung

Gerade von Islamisten, Links­ra­di­kalen und Teilen der Kultur­szene werden das Massaker vom 7. Oktober und die Geisel­nahmen der Hamas nach wie vor als antiim­pe­ria­lis­ti­scher „Wider­stand“ ratio­na­li­siert, verklärt und gefeiert. Die Narrative der Hamas finden damit auch über den Nahen Osten hinaus in Teilen der deutschen Gesell­schaft Anklang.

Die letzten Vereins­verbote liegen lange zurück

In Deutschland sind bereits mehrere Organi­sa­tionen wegen finan­zi­eller Unter­stützung der Hamas verboten worden. So etwa der al-Aqsa-Verein (2002), die YATIM-Kinder­hilfe (2005) und zuletzt die Inter­na­tionale Humanitäre Hilfs­or­ga­ni­sation (2010), die allesamt nicht nur deutschland‑, sondern auch europaweit agierten. Dass die letzten Vereins­verbote so lange zurück­liegen, erklärt Vidino mit der lange Zeit vorherr­schenden Einschätzung, die Hamas stelle in Deutschland und Europa keine Terror­gefahr dar. Die Behörden priori­sierten ihre Kapazi­täten und fokus­sierten sich auf Personen und Netzwerke von ISIS und al-Qaida – Struk­turen und Netzwerke des Hamas blieben daher häufig außen vor.

Fehlende Ressourcen im Kampf gegen die Finanzierungsmechanismen

Bei US-ameri­ka­ni­schen und israe­li­schen Behörden, die ihren europäi­schen Kollegen regel­mäßig Namens­listen und anderen Infor­ma­tionen zum Agieren der Hamas in Deutschland zur Verfügung gestellt hatten, führte diese Haltung immer wieder zu „starker Frustration“, erklärt Vidino. Nach dem 7. Oktober habe sich die Zusam­men­arbeit jedoch stark „verbessert“ und sei „enger“ geworden. Doch noch immer würden in den deutschen und europäi­schen Ermitt­lungs­be­hörden die perso­nellen Ressourcen fehlen, um gegen die äußert komplexen und auch juris­tisch heraus­for­dernden Finan­zie­rungs­me­cha­nismen der Hamas wirksamer vorzugehen.

Verflech­tungen der der UNRWA mit der Hamas

Zur Debatte um die Finan­zierung von Hamas-Struk­turen aus Deutschland gehören auch die kriti­schen Berichte über die Verflech­tungen der UNRWA mit der Hamas. Ohnehin steht das UN-Hilfswerk für Palästina-Flücht­linge im Nahen Osten seit langem in der Kritik, durch seine politisch-ideolo­gische Ausrichtung den israe­lisch-paläs­ti­nen­si­schen Konflikt zu perpetu­ieren und einer Zwei-Staaten-Lösung aktiv entge­gen­zu­wirken. Die UNRWA betreibt unter anderem im Gaza-Streifen Schulen und leistet medizi­nische Versorgung und humanitäre Hilfe, die für die leidende Zivil­be­völ­kerung vor Ort aktuell lebens­not­wendig ist.

Die Bundes­re­gierung unter­stützte UNRWA allein 2023 mit mehr als 200 Millionen Euro. Neue Gelder für UNRWA-Aktivi­täten im Gaza-Streifen würden bis zum Ende der Aufklärung über die Betei­ligung von UNRWA-Mitar­beitern am Hamas-Massaker nicht bewilligt, kündigten das Auswärtige Amt und das Entwick­lungs­mi­nis­terium Ende Januar an. Ohnehin stünden derzeit keine neuen Zusagen an und die humanitäre Hilfe im Gaza-Streifen laufe, aufge­stockt und über andere Kanäle wie das Inter­na­tionale Rote Kreuz und UNICEF, weiter.

Konse­quente Umsetzung der Hamas- und Hisbollah-Verbote

Auch beim Blick auf das festge­nommene mutmaß­liche Hamas-Terror­kom­mando hält es Remko Leemhuis für wichtig, nach den Verbin­dungen zur Hisbollah und vor allem dem irani­schen Regime als einem der wichtigsten Hamas-Unter­stützer zu fragen. Teil eines robus­teren Vorgehens gegen islamis­tische Struk­turen in Deutschland müsse daher nicht nur die „konse­quente Umsetzung“ der Hamas- und Hisbollah-Verbote sein. Darüber hinaus fordert das AJC Berlin weiterhin die Schließung des Islami­schen Zentrums Hamburg (IZH), das der Bundes­ver­fas­sungs­schutz als „bedeu­tendes Propa­gan­da­zentrum Irans in Europa“ einordnet.

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