Drei Jahre Krieg in der Ukraine: Aufwachen, Europa!

In den kommenden Monaten entscheidet sich in der Ukraine auch das Schicksal Europas. Jetzt kommt es mehr denn je auf die Entschie­denheit der europäi­schen Akteure an, damit nicht nur die Ukraine, sondern der gesamte europäische Kontinent nicht unter die Ägide von Putin, Trump und Xi Jingping fallen. In ihrem Essay blicken Marie­luise Beck und Ralf Fücks zurück auf drei Jahre russische Vollin­vasion und zöger­liche europäische Ukraine-Politik.

Dieser Tage ist es drei Jahre her, dass Russland seine Großof­fensive gegen die Ukraine startete. Ein Krieg mit einer Front­linie von mehr als 1200 Kilometern, mit Hundert­tau­senden von Soldaten und allen Waffengattungen.

Drei Jahre unauf­hör­liche Geschichten des Schreckens

Ein Krieg, wie ihn Europa seit 1945 nicht mehr gesehen hat. Das gilt auch für den Vernich­tungs­willen, mit dem Putin und seine Armee gegen die Ukraine wüten. Zahlreiche Städte wurden in Trümmer­land­schaften verwandelt, die Hälfte der ukrai­ni­schen Energie­an­lagen zerstört, Tag und Nacht regnen Bomben und Raketen auf die Zivil­be­völ­kerung. Millionen Ukrainer mussten fliehen. In den besetzten Gebieten wurden Massaker verübt; wer sich der Russi­fi­zierung wider­setzt, muss mit Folter und Straf­lager rechnen. Ukrai­nische Kriegs­ge­fangene werden misshandelt. Zehntau­sende Kinder wurden zur „patrio­ti­schen Umerziehung“ nach Russland verschleppt. Biblio­theken, Theater, Museen werden attackiert, um mit ihnen auch die kultu­relle Identität der Ukraine auszu­lö­schen. Eine unauf­hör­liche Geschichte des Schreckens.

Too little too late

Und wir? Es ist wahr: Deutschland, Europa, der Westen haben nicht tatenlos zugesehen. Sie haben Waffen und technische Ausrüstung geliefert, finan­zielle und humanitäre Unter­stützung geleistet, alles in allem in dreistel­liger Milli­ar­denhöhe. Ohne diese Hilfe gäbe es keine freie Ukraine mehr. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere lautet: Unsere Unter­stützung war chronisch zu spät und halbherzig. Man erinnert sich noch mit Scham an die 5000 Helme, die von der neu gewählten Bundes­re­gierung angesichts des russi­schen Truppen­auf­marschs an den Grenzen der Ukraine versprochen wurden.

Dabei blieb es nicht, und dennoch hat sich das Muster der deutschen Politik seither nicht verändert: Bis heute unter­stützten wir die Ukraine nur so weit, dass sie sich unter großen Opfern mühsam vertei­digen kann. Aber keines­falls in dem Umfang, der nötig wäre, damit sie militä­risch die Oberhand gewinnt.

Es galt und gilt das Scholz-Dogma: Die Ukraine soll nicht verlieren, Russland nicht gewinnen. Nie brachte der Kanzler über die Lippen, dass die Ukraine den Krieg gewinnen muss – in unserem und im europäi­schen Interesse. Das entfremdet uns von unseren Partnern in Polen, Skandi­navien und im Baltikum. Die deutsche Politik zielt bis heute darauf ab, den Krieg halbwegs auszu­ba­lan­cieren, bis beide Seiten zur Einsicht kommen, dass sie ihn nicht gewinnen können. Dann sollte die Stunde für Verhand­lungen schlagen.

Die Rechnung ohne Trump gemacht

Dieser Mittelweg ist drama­tisch gescheitert. Erstens hat die „Politik der Beson­nenheit“ Putin die Initiative überlassen. Wir haben ihm Zeit gegeben, die russische Kriegs­wirt­schaft anzukurbeln und nach den Rückschlägen der ersten Phase des Krieges wieder in die Offensive zu gehen. Zweitens haben wir die Ukraine in einen blutigen Abnut­zungs­krieg mit steigenden militä­ri­schen und zivilen Verlusten gezwungen. Und drittens haben wir die Rechnung ohne Donald Trump gemacht.

Trumps einver­nehm­liches Telefonat mit Putin, die Ankün­di­gungen des neuen Pentagon-Chefs Hegseth und die kalte Dusche von Vizeprä­sident Vance auf der Münchner Sicher­heits­kon­ferenz lösten in Europa helles Entsetzen aus. Wieder einmal kursiert das Wort vom „Weckruf“ für Europa. Man beißt sich auf die Lippen. Wie viele Schläge ins Kontor braucht es noch, bis die Westeu­ropäer aus ihrer Lethargie erwachen?

Mögliches Testen der NATO

Angesichts des angekün­digten Rückzugs der Ameri­kaner fordert Olaf Scholz die Aussetzung der Schul­den­bremse. „Ein Krieg mitten in Europa ist eine Notlage. Was denn sonst?“, sagte er auf der Münchner Sicher­heits­kon­ferenz. Wohl wahr, aber weshalb fällt ihm das erst auf den letzten Metern seiner Kanzler­schaft ein? Der Krieg tobt seit drei Jahren vor unserer Haustür. Olaf Scholz hat nie ausge­sprochen, dass das auch unser Krieg ist. Russland greift mit der Ukraine auch die europäische Sicher­heits­ordnung und die europäische Demokratie an. Seine Ambitionen gehen weit über die Re-Koloni­sierung der Ukraine hinaus. Wenn sich der Westen als schwach erweist, wächst die Gefahr, dass er bei nächster Gelegenheit auch die NATO testet.

Wir haben in den letzten drei Jahren jede Gelegenheit verpasst, die Ukraine so stark zu machen, dass am Ende Putin um Verhand­lungen bitten muss. Dabei war das die zentrale Lehre aus den geschei­terten Minsker Abkommen: Nie wieder sollte Kyiv aus einer Position der drohenden Niederlage verhandeln müssen. Jetzt kommt Trump um die Ecke und setzt der Ukraine wie den Europäern die Pistole auf die Brust.

Welcher Frieden?

Trump treibt Schind­luder mit dem hehren Begriff Frieden. Das gilt auch für AfD und die Wagen­knecht-Truppe, die Frieden rufen und Unter­werfung meinen. Die Ukraine kämpft seit den Maidan-Protesten für drei große Ziele. Das erste ist nationale Unabhän­gigkeit. Sie will nicht länger von Russland beherrscht werden. Das zweite ist Freiheit: die Trans­for­mation in eine demokra­tische, freie Gesell­schaft. Und das dritte ist die Integration in Europa und die trans­at­lan­tische Gemein­schaft, also der Weg nach Westen. Hinter diese Ziele darf es kein Zurück geben.

Klare Forde­rungen

Die Europäer fordern zurecht, dass nicht ohne sie verhandelt wird. Aber dieser Anspruch bleibt hohl, solange Europa nicht als eigen­stän­diger militä­ri­scher und politi­scher Macht­faktor auftritt. Dazu gehört Klarheit, worüber verhandelt werden soll und worüber nicht. Die europäi­schen Regie­rungen müssen sich jetzt rasch mit der Ukraine über Eckpunkte verstän­digen und sie gemeinsam gegenüber Washington vertreten. Es ist kein Geheimnis, was ein solches Paket beinhalten muss:

1. Keine Verhand­lungen und keine Entschei­dungen über den Kopf der Ukraine hinweg.
2. Keine Anerkennung terri­to­rialer Erobe­rungen Russlands.
3. Kein Mitspra­che­recht Moskaus über die ukrai­nische Innen- und Außen­po­litik. Die Souve­rä­nität der Ukraine steht nicht zur Disposition.
4. Die EU-Integration der Ukraine ist unumkehrbar.
5. Keine Aufhebung der Sanktionen, solange russische Truppen in der Ukraine und russische Atomwaffen in Belarus stehen.
6. Robuste Sicher­heits­ga­rantien für die Ukraine.

Wenn keine NATO-Mitglied­schaft jetzt, dann eine europäische Truppen­präsenz mit abschre­ckender Wirkung. Gleich­zeitig muss die Rüstungs­pro­duktion in der Ukraine und Europa rasch hochge­fahren werden, insbe­sondere in angren­zenden Staaten wie Polen und Rumänien, die preis­werter produ­zieren können. Ein Waffen­still­stand, der nicht durch robuste militä­rische Stärke abgesi­chert ist, wäre nur ein Inter­mezzo bis zum nächsten Krieg.

Die Ukraine ist unsere europäische Angelegenheit

Wir sollten aufhören, wie das Kaninchen auf die Schlange Trump zu starren. Die Ukraine ist primär unsere europäische Angele­genheit. Unsere Wirtschafts­kraft ist zehnmal höher als die Russlands. Wir können Putin in die Schranken weisen. Was fehlt, ist der politische Wille.

Die Lage schreit nach politi­scher Führung. Obwohl die Ukraine weder Mitglied der EU noch der NATO ist, füllt gegen­wärtig am ehesten der ukrai­nische Präsident diese Rolle aus. Auf der Münchner Sicher­heits­kon­ferenz beschwor Selenskyj die Europäer, endlich zu handeln, um ihrer selbst willen. „Let’s be clear, if not Brussels, it’s Moscow. It’s your decision. Putin will pull Europe apart if we don’t trust each other. Europe needs a single voice, not a dozen different ones.“

Der Ukraine-Krieg muss zur Geburts­stunde einer europäi­schen Vertei­di­gungs­union werden. Europa muss jetzt Stärke zeigen. In den Worten des ehema­ligen ukrai­ni­schen Außen­mi­nisters Dmytro Kuleba: Keine endlosen Debatten mehr, keine Weißbücher und Aktions­pläne. Nehmt das nötige Geld in die Hand, steckt es in die Rüstungs­in­dustrie und lasst sie Waffen produ­zieren. Schickt die Waffen an die Ukraine und füllt eure eigenen Vorräte auf. Das einzige lebens­be­droh­liche Risiko für die Ukraine ist derzeit der fehlende Nachschub an Waffen. Wenn dieses Problem gelöst ist, verliert Trump seinen stärksten Hebel, um Einfluss zu nehmen. Und bremst die Ukraine nicht beim EU-Beitritt! Dann wendet sich das Blatt in die richtige Richtung.

In den nächsten Monaten wird sich nicht nur das Schicksal der Ukraine entscheiden. Wenn Europa nicht Spielball von Trump, Putin und Xi Jiping sein will, müssen wir unsere Komfortzone verlassen und unbequeme Entschei­dungen treffen.

Der Beitrag ist zunächst in der Wirtschafts­Woche erschienen.

 

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