Europas Stunde der Wahrheit – Ein Gastbeitrag zum Telefonat Trump-Putin
Europas Stunde der Wahrheit: Höchste Zeit, mit allen Kräften die Souveränität der Ukraine und die europäische Friedensordnung zu verteidigen, statt Trump und Putin das Feld zu überlassen. Wer ernst genommen werden will, muss Stärke zeigen. So Ralf Fücks in seinem Gastbeitrag im Spiegel.
Es fällt schwer, dieses Telefonat in Worte zu fassen. Viele fühlen sich an München 1938 erinnert, als Chamberlain bereit war, die Tschechoslowakei im Namen des Friedens zu opfern. Meine Assoziation ist eher: zurück nach Jalta, zur Aufteilung Europas zwischen den Großmächten.
Trump ist bereit, die Ukraine unter den Bus zu schubsen und zieht nebenbei auch dem Westen als politische Wertegemeinschaft den Stecker – das alles unter dem Banner des Friedensstifters.
Dass es so weit kommen konnte, ist maßgeblich der deutschen und europäischen Politik der letzten Jahre geschuldet. Wir haben jede Gelegenheit verpasst, das Blatt des Krieges zugunsten der Ukraine zu wenden. Das gilt auch für die Biden-Administration.
Noch besteht Hoffnung, dass dies nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit ist. Viel hängt jetzt von Europa ab. Wenn die Europäer sich jetzt nicht zusammenreißen und alles tun, um die Souveränität der Ukraine und die Grundlagen der europäischen Friedensordnung zu verteidigen, besiegeln sie ihre politische Bedeutungslosigkeit.
Trumps Statement nach seinem Telefonat mit dem Kriegsverbrecher im Kreml offenbart die blanke historische Ignoranz, wenn er die Sowjetunion mit Russland gleichsetzt und an die zig Millionen russischen Toten im Zweiten Weltkrieg erinnert, dabei aber vergisst, dass auch die Ukraine, Belarus und die anderen Sowjetrepubliken gelitten und gekämpft haben.
Noch schlimmer ist seine Bereitschaft, die liberale internationale Ordnung mit einem Schwung über Bord zu werfen. Das Völkerrecht – zum Fenster hinaus!
Trump übernimmt vollständig die chinesische und russische Sichtweise auf die künftige internationale Ordnung: ein Konzert der Großmächte, die sich auf Einflusssphären einigen und an keine Regeln und Normen gebunden sind. Es liegt jetzt offen zutage, dass seine Ausbrüche zu Grönland und Kanada kein schlechter Scherz waren. Kein Respekt vor Grenzen, kein Respekt vor der Souveränität kleinerer Nationen.
Wir sollten uns keine Illusionen machen, dass in diesen Tagen auch über die Zukunft Europas verhandelt wird. Wollen wir nur Zuschauer in eigener Sache bleiben oder werden sich die Europäer zusammenreißen und Trump ernsthaft etwas entgegensetzen?
Wenn Europa jetzt nicht energisch die Souveränität der Ukraine und die Grundlagen der europäischen Friedensordnung verteidigt, besiegeln wir unsere politische Bedeutungslosigkeit. Dann wird Europa nichts weiter als ein Spielball der Großmächte sein.
Dummerweise haben wir keine Konsequenzen aus den gescheiterten Minsker Abkommen von 2014 und 2015 gezogen. Sie sollten den Frieden sichern und eine politische Lösung des Konflikts um die Ukraine herbeiführen. Tatsächlich haben sie Putin in die Hände gespielt und den Weg zum nächsten, noch größeren Krieg bereitet.
Die wichtigste Lehre aus Minsk ist: Verhandlungen mit Russland nur aus einer Position der Stärke. Jetzt zwingen wir die Ukraine wieder, aus einer Position der Defensive zu verhandeln – und setzen ihr dazu noch die Pistole auf die Brust, sich den russischen Forderungen zu beugen.
Es ist völlig unklar, wo die roten Linien Washingtons liegen. Und auch die Europäer haben versäumt, ihre Eckpunkte für eine politische Lösung zu definieren. Was ist für uns verhandelbar und was nicht? Wieso sollten wir Russland das Recht einräumen, über die künftigen Bündnisse der Ukraine zu entscheiden? Wer ein russisches Veto gegenüber einem NATO-Beitritt der Ukraine akzeptiert, akzeptiert damit, dass die Ukraine unter die russische Einflusssphäre fällt und nur begrenzte Souveränität besitzt.
Bis gestern war es noch ein Grundstein der europäischen Sicherheitsordnung, dass keine Grenzverschiebungen mit Gewalt stattfinden dürfen. Und jetzt sollen wir bereit sein, die militärischen Eroberungen Putins in der Ukraine anzuerkennen?
Was Trump jetzt treibt, ist noch schlimmer als Minsk. Damals galt immerhin der Grundsatz: Keine Verhandlungen über die Ukraine ohne die Ukraine. Sie muss von Anfang an in Verhandlungen mit Moskau einbezogen sein und definieren, was akzeptabel ist und was nicht. Jetzt wird Zelensky von Trump brutal überfahren.
Genau das, was Putin sich erträumt: Die Großmächte bestimmen, wo es lang geht. Die kleineren Mächte müssen wohl oder übel folgen. Ist das die Welt, in der wir leben wollen?
Auch wenn es fast verzweifelt klingt: Jetzt ist der Moment, in dem sich die Europäer aufraffen und Trump ein entschiedenes „So nicht“ entgegenschleudern müssen. Positiv gewendet: jetzt müssen wir die Ukraine endlich mit allen verfügbaren Mitteln unterstützen, damit sie aus einer Position der Stärke verhandeln kann, statt sich einem Diktat Putin-Trump beugen zu müssen. Parallel müssen wir den ökonomischen Druck auf Russland verschärfen statt über die Aufhebung der Sanktionen zu spekulieren.
Vordringlich ist jetzt, dass sich die EU mit der Ukraine auf Eckpunkte für Verhandlungen mit Russland verständigt, die wir gemeinsam gegenüber der US-Administration vertreten. Dazu zählen:
- Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine. Sie muss das letzte Wort haben, wann und worüber verhandelt wird (und worüber nicht).
- Keine Anerkennung territorialer Eroberungen Russlands.
- Kein Mitspracherecht Moskaus über die ukrainische Innen- und Außenpolitik – die Souveränität der Ukraine steht nicht zur Disposition.
- Die EU-Integration der Ukraine ist unumkehrbar.
- Belastbare Sicherheitsgarantien einschließlich westlicher Truppenpräsenz in der Ukraine.
Wie auch immer die Verhandlungen enden, die Trump jetzt angestoßen hat: Der Konflikt mit Russland wird mit einem Waffenstillstand in der Ukraine nicht beendet sein. Wenn wir verhindern wollen, dass ein Waffenstillstand nur die Atempause bis zum nächsten Krieg sein wird, muss Europa eine enge Sicherheitsgemeinschaft mit der Ukraine eingehen und massiv in die eigene Verteidigungsfähigkeit investieren. Dann kann aus etwas Schlechtem vielleicht doch etwas Gutes entstehen.
Der Beitrag ist zunächst im Spiegel erschienen.
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