Extremisten in Israel: Drastische Forderungen nach dem Massaker der Hamas
„Metaphorische“ Atombomben und ethnische Säuberungen – Warum israelische Extremisten es sich leisten können, fanatische Vorstellungen in die Welt hinauszuposaunen. Ein Kommentar von Richard C. Schneider.
Nun herrscht erst einmal Ruhe. Die israelische Regierung stimmte der viertägigen Feuerpause zu, israelische Geiseln und palästinensische Gefangene sollen ausgetauscht werden. Überraschend haben auch der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich und die Abgeordneten seiner Partei „Religiöser Zionismus“ dem Deal zugestimmt, obwohl es am Dienstagabend zunächst hieß, die Partei erwäge den Austritt aus der Regierung. Lediglich Itamar Ben Gvir, der rechtsextreme Nationale Sicherheitsminister, hatte mit den Kollegen seiner Partei „Otzma Yehudit“ gegen das Abkommen gestimmt. Es sei ein Fehler, wetterte er. Man habe damals für den gefangenen israelischen Soldaten Gilad Shalit über 1000 Palästinenser freigelassen, darunter auch jenen Yahiya Sinwar, der jetzt Chef der Hamas in Gaza und für die Planung des Massakers am 7.Oktober verantwortlich ist, man wiederhole jetzt diesen Fehler und mache Terroristen Zugeständnisse.
Doch niemand hörte auf ihn, der Austausch soll stattfinden. Für den Moment sind die Träume dieser Extremisten erst einmal gestoppt. Denn obwohl Smotrich jetzt für das Abkommen stimmte, so will er nach wie vor, dass die israelische Armee für immer in Gaza bleibt, und „Gush Katif“ – die Siedlungen, die Israel 2005 aufgegeben hatte – wieder aufgebaut wird. Drastische Vorstellungen, die auch von anderen Extremisten lauthals in die Welt hinausposaunt werden.
Forderungen nach der Umsiedlung von zwei Millionen Palästinensern
So etwa von Gila Gamliel, der Geheimdienstministerin. Jeder weiß, dass sie de facto nichts zu sagen hat, aber genau deshalb schreit sie so laut, wie unlängst in einem Meinungsartikel in der Jerusalem Post. Darin forderte sie, die zwei Millionen Palästinenser aus Gaza umzusiedeln. Irgendwohin. Sie sollen und dürfen nur einfach nicht mehr in Gaza bleiben. Solche Vorstellungen hatte kürzlich auch Danny Danon vom Likud zusammen mit einem Kollegen aus der Opposition im Wall Street Journal zum Besten gegeben. Da wurde, sehr „sachlich“ erklärt, warum die Palästinenser nicht in Gaza bleiben könnten und dass es eine geradezu moralische Pflicht der Welt sei, sich um die armen Menschen von dort zu kümmern und sie aufzunehmen. Dafür müsste es einen Fonds geben, der das alles finanziert. Säuberlich und mit einem ethischen Anstrich wird da „ethnic cleansing“ gefordert.
Doch es geht noch heftiger. Erst unlängst meinte der Minister für kulturelles Erbe, Amichai Eliyahu, in einem Hörfunkinterview, man könne doch auch eine Atombombe auf Gaza werfen. Als es weltweit und auch in Israel einen riesigen Aufschrei gab und Premier Netanyahu ihn gerügt hatte, erklärte Eliyahu etwas halbgar, das sei alles nur „metaphorisch“ gemeint gewesen.
Netanyahu wird die Geister, die er rief, nicht mehr los
Diese Stimmen sind unsäglich und Premier Netanyahu hat alle Hände voll zu tun, seine Extremisten einzufangen und sie zum Schweigen zu verurteilen, da sie Israel sehr schaden und die Unterstützung der USA für diesen Krieg massiv unterminieren. Doch es ist schließlich Netanyahu selbst gewesen, der sich mit solchen Leuten „in ein Bett“ legte, in eine Koalition. Er rief die Geister und wird sie nicht mehr los.
Natürlich wird es weder eine „ethnische Säuberung“ in Gaza geben noch neue Siedlungen, über eine Nuklearbombe muss man hier kein weiteres Wort verschwenden. Das wissen die Extremisten auch. Aber es ist ihre Weltsicht, die sie von sich geben, ihr Hass auf die Palästinenser einerseits, aber andererseits auch ihre große Skepsis, dass man mit Palästinensern jemals Frieden machen kann.
Hinzu kommt bei religiösen Eiferern wie Eliyahu, Smotrich, Ben Gvir und anderen, dass sie zutiefst überzeugt sind, dass das ganze Land dem jüdischen Volk gehört, so war es schließlich von Gott vorgesehen, zumindest in ihren Augen. Dass sich solch ein Blick auf die Welt und den Konflikt in Israel ausbreiten konnte, darf nicht verwundern.
Die säkulare Rechte ließ den religiösen Eiferern freien Lauf
Wie in der muslimischen Welt, so gibt es natürlich auch in der jüdischen Welt religiösen Fanatismus, wobei jüdischer Extremismus tatsächlich nur in einer relativ kleinen Gruppe zu finden ist. Doch er ist da. Und dass er sich ausbreiten konnte in Israel hat viel damit zu tun, dass die ursprünglich säkulare Rechte unter Menachem Begin, Yitzhak Shamir oder Benjamin Netanyahu den Eiferern freien Lauf ließ. Man ließ sie gewähren, vor allem in den besetzten Gebieten, wo sie ihre Religionsschulen errichteten, die ganz im Sinne ihrer extremistischen Ideologie die religiösen Texte interpretieren und sie in die Köpfe junger Siedlerkinder einpflanzen.
Man brauchte deren Parteien als Koalitionspartner, man nahm sie nicht wirklich ernst, weil sie eine Minderheit repräsentierten, doch ihre Ideologie breitete sich aus und mischte sich sogar mit dem Gedankengut der Ultraorthodoxen, die in ihren ursprünglichen Ansichten weitaus moderater waren, zumindest was die besetzten Gebiete angeht. Denn sie wollten eigentlich immer nur auf den Messias warten, dann würde ganz Israel/Palästina sowieso dem jüdischen Volk gehören, das konnte man abwarten, auf ein paar Tausend Jahre hin oder her kommt es nicht an. Eine aggressive Siedlungspolitik war lange Zeit ihre Sache nicht. Doch das hat sich inzwischen in vielen ihrer Gruppierungen geändert.
Die extremistische Ideologie ist im Zentrum der Macht angekommen
So brütete die israelische Rechte selbst ein Problem aus, das sie anfänglich aus machtpolitischem Kalkül dann auch noch pamperte. Nun ist diese Ideologie im Zentrum der Macht angekommen, Netanyahu hat es möglich gemacht, Ende letzten Jahres, als er seine Koalition zusammenstellte.
Und nun? Wie kann es in Israel weitergehen? Schon jetzt glauben viele Israelis, dass man die besetzten Gebiete, also insbesondere das Westjordanland, nicht zurückgeben kann. Aus sicherheitspolitischen Überlegungen. Nach dem Überfall und Massaker der Hamas auf israelischem Territorium am 7. Oktober wird die Bereitschaft der Israelis, den Palästinensern mehr Land zu überlassen auf den Nullpunkt gesunken sein. Israels Trauma der letzten Wochen wird den eigenen Extremisten in die Hände spielen. Was für die einen Sicherheitsfragen sind und die berechtigte Angst, nicht noch einmal ein solches Massaker erleben zu müssen, ist für die anderen der Boden, auf dem sie ihre Ideologie weiterverbreiten können, in der Hoffnung, immer mehr Anhänger zu finden.
In vielen säkularen Gemeinden und Städten in Israel findet man inzwischen kleine Gruppen, die sich „Garin Torani“ nennen, also ein kleiner Kern von Toragläubigen, die sich in nichtreligiösen Vierteln niederlassen, um ihr Weltbild, ihren Glauben unter den säkularen Juden zu verbreiten. Sie zerstören die Ruhe in diesen Gemeinden, sie provozieren den Protest, aber in manchen Gegenden haben sie sich inzwischen festgesetzt und verändern den Lebensstil vor Ort in kleinen Schritten.
„Sie wollen ein religiös-fundamentalistisches Israel“
Sie wissen genau, was sie tun. Sie wollen ein anderes Israel, ein religiös-fundamentalistisches Israel. Und auch wenn ihnen klar ist, dass sie im Augenblick keine Chance haben, ihr Weltbild mehrheitsfähig zu machen, so arbeiten sie doch langsam aber sicher darauf hin. Das gelegentliche Hinausschreien von dem, was sie wirklich wollen, wie das die entsprechenden extremistischen Politiker tun, passt dazu. Man hat ja von Donald Trump gelernt. Man muss nur oft genug irgendetwas behaupten, verlangen, fordern, was im Grunde völlig widersinnig und schädlich ist. Wenn man es oft genug gehört hat, gewöhnt man sich dran, wird es allmählich Mainstreamdenken.
„Israel wird nach diesem Krieg sehr viel Arbeit mit sich selbst haben“
Allein diese Entwicklung ist ein guter Grund für viele Israelis, warum sie die aktuelle Regierung so schnell wie möglich wieder loswerden wollen. Doch mit Neuwahlen oder einem Rücktritt Netanyahus ist es nicht getan. Die vernünftige Mehrheit im Lande muss mittelfristig dafür sorgen, dass die liberale Demokratie auf stabileren Füssen stehen kann als bislang. Ja, es muss für jeden Juden in Israel Platz sein. Aber nicht für jede Ideologie. Israel wird nach diesem Krieg sehr viel Arbeit mit sich selbst haben. Und auch wenn die Welt nach dem Gaza-Krieg so schnell wie möglich eine Zwei-Staaten-Lösung will, so wird sie darauf noch lange warten müssen. Die Israelis werden ihre Probleme zuerst lösen müssen, und die Palästinenser übrigens auch.
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