Seid beim Frei­handel aufgeschlossener!

Tradi­tio­nell posi­tio­nieren sich die Grünen eher defensiv zu Frei­han­dels­ab­kommen. Aber in Zeiten ökono­mi­scher Natio­na­lismen ist Frei­handel der Anker­punkt einer multi­la­te­ralen Wirt­schafts­ord­nung. Die Grünen sollten ihr poli­ti­sches Gewicht in die Waag­schale werfen, um den welt­weiten Handel möglichst sozial und ökolo­gisch zu gestalten.

Frei­han­dels­ab­kommen stehen unter wach­sender Kritik aus der Zivil­ge­sell­schaft. Dabei ist Frei­handel allemal besser als die Abschot­tung natio­naler Märkte, er ist ein wichtiger Beitrag zu Wohlstand und Frieden in der Welt. Dies zeigt auch die Erfolgs­ge­schichte der euro­päi­schen Einigung, die durch offene Handels­po­litik eine Union geschaffen hat, die so eng verwoben ist, dass Kriege zwischen den Mitglieds­staaten nicht nur politisch undenkbar, sondern auch wirt­schaft­lich unmöglich geworden sind. Die durch Frei­handel geschaf­fenen Part­ner­schaften sind ein gelebter Beitrag zur Völker­ver­stän­di­gung. So wächst die Welt zusammen, dank offener Handelspolitik.

Die Globa­li­sie­rung hat in den meisten Schwellen- und Entwick­lungs­län­dern in den letzten Jahr­zehnten insgesamt zu stei­gendem Wohlstand geführt. So wurde im Zuge der Globa­li­sie­rung von 1980 bis 2000 die Anzahl der Erwerbs­tä­tigen, die unter der Armuts­schwelle leben, halbiert. Gleich­zeitig hat diese Entwick­lung häufig zu stei­gender Ungleich­heit innerhalb der Länder und teilweise zu beson­deren Härten wie Landraub in den betrof­fenen Regionen geführt. Diese Fehl­ent­wick­lungen gehören ebenso anerkannt wie die wohl­stands­stei­gernde Kraft offener Handels­po­litik. Daher braucht es jetzt stärker denn je eine klare Haltung für Multi­la­te­ra­lismus und regel­ba­sierten, fairen und globalen Handel.

Grund­sätz­lich sollten die Grünen für ein multi­la­te­rales Handels­system eintreten – mit der Welt­han­dels­or­ga­ni­sa­tion (WTO) als wich­tigstem Forum für Verhand­lungen, Stan­dard­set­zung und Streit­schlich­tung. Da dieses System auf absehbare Zeit durch die protek­tio­nis­ti­sche Politik der US-Admi­nis­tra­tion blockiert ist, sind aber auch bila­te­rale Abkommen mit Ländern wie Singapur, Japan, Kanada und den südame­ri­ka­ni­schen Staaten sinnvoll. Sie können hilf­reiche Zwischen­schritte zur Vertie­fung des multi­la­te­ralen Handels­sys­tems sein, ohne dabei das lang­fris­tige Ziel eines globalen Welt­han­dels­sys­tems aus den Augen zu verlieren, das insbe­son­dere auch ärmeren Ländern Teilhabe und Entwick­lungs­chancen bietet. Regionale Frei­han­dels­ab­kommen wie das Afri­ka­ni­sche Frei­han­dels­ab­kommen oder Mercosur und faire bila­te­rale Abkommen zwischen der EU und Schwellen- und Entwick­lungs­län­dern bilden wichtige Mosa­ik­steine für das Gesamt­bild einer solchen multi­la­te­ralen Handelsordnung.

Das Recht diktiert die Bedingungen

Poli­ti­sche Kräfte, die mit der Furcht vor der Globa­li­sie­rung Stimmung machen, gibt es bereits genug. Die Grünen sollten statt­dessen für eine stärkere Globa­li­sie­rung eintreten. Aller­dings für eine Globa­li­sie­rung mit sozialen und ökolo­gi­schen Leit­planken, also für fairen Frei­handel mit hohen Standards in bila­te­ralen Verträgen, bei deren Ausar­bei­tung auch Akteure der Zivil­ge­sell­schaft einge­bunden werden. Zu fairem Frei­handel gehört, dass das Recht die Bedin­gungen diktiert – und zwar nicht das Recht des Stärkeren.

Intrans­pa­rente Verhand­lungen, unklare Mandate oder Schieds­ge­richte ohne rechts­staat­liche Anbindung gehören nicht zu unserer Vorstel­lung einer fairen Welt­han­dels­ord­nung. Dennoch ist ein neuer Umgang mit Schieds­ge­richten nötig. Bevor ein Welt­han­dels­ge­richtshof nach grünen Vorstel­lungen einbe­rufen wird, sollten die Grünen sich konstruktiv gegenüber Zwischen­schritten wie dem Vorschlag eines Multi­la­te­ralen Inves­ti­ti­ons­ge­richts (MIC) der EU-Kommis­sion verhalten.

Seit Jahren erstarkt der Natio­na­lismus fast überall auf der Welt. Dies müssen die Grünen im Bewusst­sein haben, wenn sie sich der neuen Situation drohender Handels­kon­flikte durch eine zunehmend protek­tio­nis­tisch agierende US-Regierung und ein staats­ka­pi­ta­lis­ti­sches China stellen. Zwischen diesen Fronten muss Europa einen kühlen Kopf bewahren und einen dritten Weg der offenen und fairen Handels­po­litik beschreiten.

Die EU als chan­ge­maker für fairen Handel

Es braucht in diesen Zeiten Europa als starken und selbst­be­wussten Akteur auf globaler Ebene. Als Akteur, der sich in diesen politisch schwie­rigen Zeiten klar für eine gerechte Handels­ord­nung einsetzt und diese auch weiterentwickelt.

Neben dem Export euro­päi­scher Güter können durch starke Handels­ab­kommen auch euro­päi­sche Werte in die Welt getragen werden. Deswegen ist es richtig, in Handels­ab­kommen ökolo­gi­sche, soziale und rechts­staat­liche Kriterien zu fixieren. Es ist aller­dings auch wichtig, kleinere, aber erreich­bare Schritte zu machen, anstatt diese einem perfekten Ideal zu opfern. Eine engere handels­po­li­ti­sche Zusam­men­ar­beit zum jetzigen Zeitpunkt gibt uns in der Zukunft Möglich­keiten zu einer tieferen und umfas­sen­deren Zusam­men­ar­beit. Erste Schritte abzu­lehnen, da sie unsere Ziele nicht voll­um­fäng­lich erfüllen, wäre somit lang­fristig nicht sinnvoll. Es braucht neben Handels­ver­trägen, die bei Zöllen, Zoll­ab­wick­lungs­ver­fahren und unbe­denk­li­chen tech­ni­schen Standards Erleich­te­rungen bringen, auch umfas­sen­dere Handels­ab­kommen, die dem Fort­schritt der Globa­li­sie­rung entspre­chen und diese fairer gestalten.

Bei den Grünen ist es derzeit leider eher so: In den aktuellen Debatten um Frei­han­dels­ab­kommen posi­tio­nieren sie sich meist sehr defensiv. Einziges Ziel scheint es zu sein, Abkommen abzu­wehren und eine Rati­fi­zie­rung zu verhindern.

Nur wer sich an Verhand­lungen beteiligt, kann konstruk­tiven Einfluss nehmen

Es wurden gute Kriterien für faire Handels­ab­kommen formu­liert. Jedoch ist es nicht prak­ti­kabel, die Zustim­mung zu einem Abkommen an die Übernahme aller Grünen-Forde­rungen zu knüpfen. Handels­ab­kommen müssen die Inter­essen vieler Akteure berück­sich­tigen und die Grünen sollten Handels­ab­kommen auch zustimmen, wenn zumindest ein Großteil ihrer Anfor­de­rungen erfüllt ist. Nur so können die Grünen zum echten Mitge­stalter globaler Handels­po­litik und globaler Entwick­lung werden und tatsäch­lich zu einer Verbes­se­rung in sozialen und ökolo­gi­schen Fragen in der Welt beitragen.

Die Grünen sollten versuchen, im Prozess der Verhand­lungen auf die Ergeb­nisse konstruktiv Einfluss zu nehmen. Dies war etwa beim Handels­ab­kommen mit Kanada, CETA, sehr erfolg­reich: Nach inhalt­li­cher Kritik und Druck aus der Zivil­ge­sell­schaft und poli­ti­schen Insti­tu­tionen wurde eine Zusatz­ver­ein­ba­rung getroffen, die kritische Stellen des Abkommens entschärfte. So wurde etwa das in der EU geltende Vorsor­ge­prinzip explizit bekräf­tigt, unklare Rechts­be­griffe wurden korri­giert und die Schieds­ge­richts­bar­keit trans­pa­renter und unab­hän­giger gestaltet. Zudem sieht das gemein­same Ausle­gungs­in­stru­ment vor, dass das bila­te­rale Schieds­ge­richts­system nur so lange zuständig ist, bis ein ange­strebter multi­la­te­raler Inves­ti­ti­ons­ge­richtshof (MIC) geschaffen ist. Das sind deutliche Verbes­se­rungen im Sinne der Stabi­lität und Rechtsstaatlichkeit.

Eine solche konstruktiv-kritische Politik sollte auch im Umgang mit dem Handels­ab­kommen mit den südame­ri­ka­ni­schen Staaten, Mercosur, prak­ti­ziert werden. Gerade dieses geplante Abkommen mit dem südame­ri­ka­ni­schen Handels­block birgt große Poten­ziale für eine positive Entwick­lung. Unter anderem kann der dadurch entste­hende zusätz­liche Handel zu stei­gendem Wohlstand auf beiden Seiten des Atlantiks beitragen. Außerdem kann ein solches Abkommen wirt­schaft­liche Stabi­lität in die Region bringen. Nicht zuletzt ist es eine starke Säule für eine konti­nu­ier­liche gute Entwick­lung für die Gesell­schaft und den Wohlstand in Argen­ti­nien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, sowie in Europa.

Gerade die momentane Regierung Brasi­liens ist ein extrem schwie­riger und unan­ge­nehmer Partner. Aber aufgrund ihres Inter­esses an einem Frei­han­dels­ab­kommen besteht die Chance,  hier Standards für Menschen­rechte, Umwelt- und Klima­schutz fest­zu­schreiben. Gleich­zeitig können die latein­ame­ri­ka­ni­schen Staaten als Partner für den welt­weiten Kampf für demo­kra­ti­sche Werte und gegen den global zuneh­menden anti-demo­kra­ti­schen Popu­lismus gewonnen werden. Die meisten latein­ame­ri­ka­ni­schen Staaten haben eine wech­sel­hafte Geschichte, die zwischen progres­siven Demo­kra­tien und Mili­tär­dik­ta­turen hin- und herschwankt. Daher ist der Kampf für demo­kra­ti­sche Rechte in diesen Staaten dauerhaft auf der Tages­ord­nung. Eine vertiefte Zusam­men­ar­beit mit den latein­ame­ri­ka­ni­schen Staaten und insbe­son­dere dem Handels­raum Mercosur sollten die Grünen zur Stärkung dieser demo­kra­ti­schen Kräfte vor Ort nutzen. Eine offene euro­päi­sche Handels­po­litik ist ein Schritt in die richtige Richtung, da sie den betei­ligten Staaten einen dritten Weg bietet – jenseits einer Abhän­gig­keit von der protek­tio­nis­ti­schen US-Politik oder dem staats­ka­pi­ta­lis­ti­schen China.

Claudia L. Beckmann ist Mitglied von Bündnis 90/​Die Grünen. Sie arbeitet als Ökonomin in einer Wirt­schafts­be­ra­tung in Berlin. Tjark Melchert ist Bachelor-Student der Wirt­schafts­wis­sen­schaften in Hannover. Seit 2017 ist er Sprecher der LAG Wirt­schaft und Finanzen von Bündnis 90/​Die Grünen in Niedersachsen. 

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