It’s the haircut, stupid

Olaf Kosinsky [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Alle reden jetzt von Annalena Baerbock und Robert Habeck. Hier die neun wich­tigsten Thesen über die Grünen – und was dran ist.

These 1: Die Mehrheit in Deutsch­land möchte endlich sozi­al­öko­lo­gi­sche Politik.

Das wird zu beweisen sein. Eine zuneh­mende Zahl von Leuten hat den Eindruck, dass es keine großen Lösungen in der halb­rechts-halblinks-Polarität der Indus­trie­ge­sell­schaft gibt. Die einen gehen zu rechts­po­pu­lis­ti­schen Parteien, in der Hoffnung, diese würden die Globa­li­sie­rung, Euro­päi­sie­rung und Trans­na­tio­na­li­sie­rung stoppen. Die anderen gehen zu den Grünen, in der Hoffnung, diese würden ernst­hafte sozi­al­öko­lo­gi­sche Zukunfts­po­litik einleiten. Das meint speziell junge Menschen, die eine Zukunft wollen und diese in der Ignoranz der regie­renden Parteien gegenüber der Erder­hit­zung nicht finden. Aber der über­wie­gende Teil der Leute hat noch nicht entschieden, ob er zurück will oder nach vorn. Um die geht es jetzt. 

Portrait von Peter Unfried

Peter Unfried ist Chef­re­porter der taz und Autor.

These 2: „Die Medien“ haben den Aufschwung der Grünen herbeigeschrieben.

Das hätten „die Medien“ wohl gern. Die klas­si­schen Nach­richten- und Meinungs­me­dien sind in der digitalen Realität weder Gate­keeper noch Meinungs­ma­cher, sondern nur ein mediales System unter vielen. Das haben sie aber noch nicht gemerkt oder igno­rieren es – so wie die Bundes­re­gie­rung Klima­po­litik ignoriert. Wenn also im alten Sinne „populär“ sein wollende Medien wie Stern und Bild und ARD/​ZDF verstärkt über die Grünen berichten, so liegt das daran, dass sie gemerkt haben, dass die Grünen oder bestimmte Grüne in der Gesell­schaft populär sind. Die meisten Wahl­ent­schei­dungen fallen woanders.

These 3: Die Grünen haben den Geheim­plan, nach der nächsten Bundes­tags­wahl mit den beiden sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Parteien zu koalieren, um Privat­be­sitz zu verstaat­li­chen und Autos zu verbieten.

Das Problem der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Parteien und speziell der SPD ist, dass sie nicht mehr gewählt werden, weil man ihnen keine Zukunfts­po­litik außerhalb der Vertei­lung von fossil erwirt­schaf­tetem Wohlstand und Partei­pöst­chen zutraut. Die Grünen dagegen werden derzeit gewählt, weil man ihnen den Wandel zutraut. Die Grundlage dafür ist, nicht im alten Rechts-links-Schema Politik zu machen. Das betrifft auch die Folgen der Digi­ta­li­sie­rung, die ja auch nicht mehr im Rechts-links-Dualismus zu denken sind.

These 4: Die Grünen haben den Geheim­plan, nach der nächsten Bundes­tags­wahl mit den beiden christ­de­mo­kra­ti­schen Parteien zu koalieren, um das Land noch viel unge­rechter zu machen.

Das ist vor allem gegenüber CDU und CSU ungerecht, die ja über Jahr­zehnte die führende Volks­partei des fossilen Wohl­stands waren und Mehr­heiten mit dem Verspre­chen über­zeugten, dass diese genug abbe­kommen würden.

These 5: Die Grünen hassen schöne und schnelle Autos.

Manche klas­si­sche Grüne sind kulturell ein bißchen piefig und auch neid­ge­trieben – wie andere Menschen halt auch. Dieser Hass ist die unethi­sche und into­le­rante Umkehrung der Autoliebe anderer. Aber selbst die ganz harten Grünen-Klischees gelten nur für den Teil des Grünen-Milieus, das in der Vergan­gen­heit bei Wahlen bei irrele­vanten acht Prozent lag. Derzeit reden wir von einem Viertel der Bevöl­ke­rung. Das ist ein hete­ro­gener Teil der deutschen Gesell­schaft, der vom Hardcore-Fahr­rad­fahrer über die Porsche-Lieb­ha­berin und den Golf-Normalo bis zum Tesla-Fan reicht.

These 6: Grünen-Wähler fliegen viel.

Richtig. Zum einen sind sie in den unter­schied­li­chen gesell­schaft­li­chen Systemen in beruf­li­chen Verant­wor­tungs­po­si­tionen, zum anderen gehört Welt­erfah­rung zum Lebens­sinn. Der Denk­fort­schritt jenseits von Christian Lindner besteht aber darin, dass durch Priva­ti­sie­rung und Mora­li­sie­rung Problem­lö­sungen nur blockiert werden können. Voran­ge­bracht werden sie nur durch Poli­ti­sie­rung, also die Verän­de­rung von Pfaden. Es ist hoch­ko­misch oder hoch­tra­gisch, dass Lindner jetzt in der Denk­blo­ckade steckt, die die Grünen über­wunden haben. Es geht um die gesell­schaft­liche Grund­satz­ver­ein­ba­rung, dass Klima­po­litik die Priorität aller kommenden Bundes­re­gie­rungen sein muss. Über die Details muss man dann selbst­ver­ständ­lich streiten.

These 7: Die Grünen wollen den Kanzler stellen.

Die Grünen müssen den Anspruch haben, die Kanzlerin oder den Kanzler stellen zu wollen. Sie müssen überzeugt sein, das neue Knowhow für Zukunfts­po­litik in der Verant­wor­tung zusam­men­zu­bringen und wirksam machen zu können. Sonst können sie es bleiben lassen.

These 8: Die Grünen denken euro­päi­scher als andere.

Die Grünen sind genauso natio­nal­fi­xiert wie alle in Deutsch­land, das meint Gesell­schaft, Parteien und Medien. Im EU-Parlament spielten die Grünen zuletzt keine Rolle mehr, weil sie weniger mitmischten und mehr in die ästhe­ti­sche Rolle der Besser­wisser zurück­fielen. Ihnen fehlt auch schlicht die Macht im Rat, in dem sie – anders als die Liberalen – mangels Regie­rungs­chefs nicht vertreten sind. Sie brauchen die Kanz­ler­schaft vor allem, um dort wirksam werden zu können, wo klima­po­li­ti­sche und wirt­schafts­po­li­ti­sche Entschei­dungen fallen: in Brüssel.

These 9: Die Grünen sind nur deshalb so beliebt, weil ihr Vorsit­zender Robert Habeck sich morgens die Haare verwuschelt.

Voll­kommen richtig, daran liegt es. Und jetzt machen Sie was draus, Friedrich Merz.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spen­den­tool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­ti­sche Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steu­er­lich absetzbar. Für eine Spen­den­be­schei­ni­gung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

News­letter bestellen

Mit dem LibMod-News­letter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.