It’s the haircut, stupid
Alle reden jetzt von Annalena Baerbock und Robert Habeck. Hier die neun wichtigsten Thesen über die Grünen – und was dran ist.
These 1: Die Mehrheit in Deutschland möchte endlich sozialökologische Politik.
Das wird zu beweisen sein. Eine zunehmende Zahl von Leuten hat den Eindruck, dass es keine großen Lösungen in der halbrechts-halblinks-Polarität der Industriegesellschaft gibt. Die einen gehen zu rechtspopulistischen Parteien, in der Hoffnung, diese würden die Globalisierung, Europäisierung und Transnationalisierung stoppen. Die anderen gehen zu den Grünen, in der Hoffnung, diese würden ernsthafte sozialökologische Zukunftspolitik einleiten. Das meint speziell junge Menschen, die eine Zukunft wollen und diese in der Ignoranz der regierenden Parteien gegenüber der Erderhitzung nicht finden. Aber der überwiegende Teil der Leute hat noch nicht entschieden, ob er zurück will oder nach vorn. Um die geht es jetzt.
These 2: „Die Medien“ haben den Aufschwung der Grünen herbeigeschrieben.
Das hätten „die Medien“ wohl gern. Die klassischen Nachrichten- und Meinungsmedien sind in der digitalen Realität weder Gatekeeper noch Meinungsmacher, sondern nur ein mediales System unter vielen. Das haben sie aber noch nicht gemerkt oder ignorieren es – so wie die Bundesregierung Klimapolitik ignoriert. Wenn also im alten Sinne „populär“ sein wollende Medien wie Stern und Bild und ARD/ZDF verstärkt über die Grünen berichten, so liegt das daran, dass sie gemerkt haben, dass die Grünen oder bestimmte Grüne in der Gesellschaft populär sind. Die meisten Wahlentscheidungen fallen woanders.
These 3: Die Grünen haben den Geheimplan, nach der nächsten Bundestagswahl mit den beiden sozialdemokratischen Parteien zu koalieren, um Privatbesitz zu verstaatlichen und Autos zu verbieten.
Das Problem der sozialdemokratischen Parteien und speziell der SPD ist, dass sie nicht mehr gewählt werden, weil man ihnen keine Zukunftspolitik außerhalb der Verteilung von fossil erwirtschaftetem Wohlstand und Parteipöstchen zutraut. Die Grünen dagegen werden derzeit gewählt, weil man ihnen den Wandel zutraut. Die Grundlage dafür ist, nicht im alten Rechts-links-Schema Politik zu machen. Das betrifft auch die Folgen der Digitalisierung, die ja auch nicht mehr im Rechts-links-Dualismus zu denken sind.
These 4: Die Grünen haben den Geheimplan, nach der nächsten Bundestagswahl mit den beiden christdemokratischen Parteien zu koalieren, um das Land noch viel ungerechter zu machen.
Das ist vor allem gegenüber CDU und CSU ungerecht, die ja über Jahrzehnte die führende Volkspartei des fossilen Wohlstands waren und Mehrheiten mit dem Versprechen überzeugten, dass diese genug abbekommen würden.
These 5: Die Grünen hassen schöne und schnelle Autos.
Manche klassische Grüne sind kulturell ein bißchen piefig und auch neidgetrieben – wie andere Menschen halt auch. Dieser Hass ist die unethische und intolerante Umkehrung der Autoliebe anderer. Aber selbst die ganz harten Grünen-Klischees gelten nur für den Teil des Grünen-Milieus, das in der Vergangenheit bei Wahlen bei irrelevanten acht Prozent lag. Derzeit reden wir von einem Viertel der Bevölkerung. Das ist ein heterogener Teil der deutschen Gesellschaft, der vom Hardcore-Fahrradfahrer über die Porsche-Liebhaberin und den Golf-Normalo bis zum Tesla-Fan reicht.
These 6: Grünen-Wähler fliegen viel.
Richtig. Zum einen sind sie in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen in beruflichen Verantwortungspositionen, zum anderen gehört Welterfahrung zum Lebenssinn. Der Denkfortschritt jenseits von Christian Lindner besteht aber darin, dass durch Privatisierung und Moralisierung Problemlösungen nur blockiert werden können. Vorangebracht werden sie nur durch Politisierung, also die Veränderung von Pfaden. Es ist hochkomisch oder hochtragisch, dass Lindner jetzt in der Denkblockade steckt, die die Grünen überwunden haben. Es geht um die gesellschaftliche Grundsatzvereinbarung, dass Klimapolitik die Priorität aller kommenden Bundesregierungen sein muss. Über die Details muss man dann selbstverständlich streiten.
These 7: Die Grünen wollen den Kanzler stellen.
Die Grünen müssen den Anspruch haben, die Kanzlerin oder den Kanzler stellen zu wollen. Sie müssen überzeugt sein, das neue Knowhow für Zukunftspolitik in der Verantwortung zusammenzubringen und wirksam machen zu können. Sonst können sie es bleiben lassen.
These 8: Die Grünen denken europäischer als andere.
Die Grünen sind genauso nationalfixiert wie alle in Deutschland, das meint Gesellschaft, Parteien und Medien. Im EU-Parlament spielten die Grünen zuletzt keine Rolle mehr, weil sie weniger mitmischten und mehr in die ästhetische Rolle der Besserwisser zurückfielen. Ihnen fehlt auch schlicht die Macht im Rat, in dem sie – anders als die Liberalen – mangels Regierungschefs nicht vertreten sind. Sie brauchen die Kanzlerschaft vor allem, um dort wirksam werden zu können, wo klimapolitische und wirtschaftspolitische Entscheidungen fallen: in Brüssel.
These 9: Die Grünen sind nur deshalb so beliebt, weil ihr Vorsitzender Robert Habeck sich morgens die Haare verwuschelt.
Vollkommen richtig, daran liegt es. Und jetzt machen Sie was draus, Friedrich Merz.
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