Aufbruch in die Ökolo­gische Moderne

Foto: Shutter­stock – Wasser­stoff­ge­winnung aus erneu­er­baren Energien

Für ein fortschritts­müdes, zukunfts­ängst­liches Schrump­f­europa inter­es­siert sich kein Mensch. Wenn wir relevant bleiben wollen, müssen wir den Aufbruch in die ökolo­gische Moderne wagen. Ralf Fücks skizziert den Weg in eine öko-soziale Markt­wirt­schaft als Antwort auf den Klimawandel.

Der Klima­wandel kündigt das Ende einer Epoche an. Einem Zauber­lehrling gleich, hat die indus­trielle Moderne einen Prozess globaler Erwärmung in Gang gesetzt. Seit der Entfes­selung fossiler Energien stieg die mittlere globale Tempe­ratur um 1,1 Grad; aktuell bewegen wir uns Richtung 2,7 Grad bis Ende dieses Jahrhun­derts. Das wäre eine drama­tisch verän­derte Welt mit prekären Lebens­be­din­gungen für Milli­arden Menschen.

Mit dem Klima­wandel gerät auch der expansive Lebensstil der Moderne in die Kritik. Die entgrenzte Mobilität, die jährlich wechselnden Moden, der verschwen­de­rische Umgang mit Ressourcen und die perma­nente Steigerung der Bedürf­nisse gelten als ökolo­gi­scher Sündenfall. Für die Anhänger eines neuen Öko-Purita­nismus ruiniert unser Streben nach „immer mehr“ den Planeten. „Tuet Buße und kehrt um!“ ist deshalb der neue ökolo­gische Imperativ, „Degrowth“ das Credo der Fridays-for-Future-Generation.

Die bisherige Wirkung dieser Refor­ma­ti­ons­pre­digten ist aller­dings sehr überschaubar. Zwar geht unter den Jungen und Gebil­deten der Fleisch­konsum zurück, die akade­mische Mittel­schicht kauft Bio, Fair Trade und handge­macht. Gleich­zeitig steigen die Zulas­sungs­zahlen für SUVs, die Wohnfläche pro Kopf und der Strom­ver­brauch der digitalen Kommu­ni­kation. Sobald uns die Pandemie nicht mehr im Würge­griff hält, wird auch der Flugverkehr wieder anziehen. Die Zahl derje­nigen, die ihre persön­liche CO2-Bilanz durch selbst aufer­legte Abstinenz radikal gesenkt haben, fällt kaum ins Gewicht.

Mehr Tempo fürs Klima

Auch die umwelt­be­wusste Avant­garde steht mit beiden Beinen in der Moderne: Sie ist global vernetzt, hoch mobil, modebe­wusst, kommu­ni­ziert auf allen Kanälen und hängt an den Errun­gen­schaften der wissen­schaftlich-techni­schen Zivili­sation. Die Kehre zur Askese vollziehen die wenigsten. Aller­dings würden auch drastische Eingriffe in die persön­liche Lebens­führung den Klima­wandel allen­falls abbremsen. Dazu ist die Wucht des Energie- und Ressour­cen­ver­brauchs von bald 10 Milli­arden Erden­bürgern zu groß.

Das ist kein Freibrief für ökolo­gische Gewis­sen­lo­sigkeit. Es ist gut und richtig, wo immer möglich Rad oder Bahn zu fahren, sich umwelt­be­wusst zu ernähren und keine Produkte zu kaufen, für die Menschen geschunden werden oder Tiere leiden. Auch steht es jedem frei, das gute Leben in einem Mehr an Muße und mensch­lichen Bezie­hungen zu suchen. Wer aber die Antwort auf den Klima­wandel in der freiwil­ligen oder erzwun­genen Einschränkung von Produktion und Konsum sucht, springt nicht nur zu kurz – er schlägt die falsche Richtung ein.

In einer schrump­fenden Ökonomie sinken auch die Inves­ti­tionen und das Innova­ti­ons­tempo. Im Wettlauf mit dem Klima­wandel brauchen wir jedoch ein höheres Innova­ti­ons­tempo und steigende Inves­ti­tionen in den Umbau des Produk­ti­ons­ap­parats, des Energie­systems und der öffent­lichen Infra­struktur. Daraus kann eine neue ökono­mische Dynamik entstehen, eine lange Welle umwelt­freund­lichen Wachstums. Ohnehin ist die Frage, ob die Weltwirt­schaft weiterhin wächst, längst entschieden. Angesichts der wachsenden Weltbe­völ­kerung und des rapiden wirtschaft­lichen Aufstiegs der Länder des Südens lautet die alles entschei­dende Frage, ob es gelingt, Wertschöpfung und Natur­ver­brauch zu entkoppeln.

Dabei ist haupt­sächlich der Staat gefragt

Die gute Nachricht lautet, dass dieser Prozess in den fortge­schrit­tenen Indus­trie­ge­sell­schaften schon begonnen hat. In Deutschland sanken die Treib­haus­gas­emis­sionen seit 1990 um rund 40 Prozent, während sich die Wirtschafts­leistung verdop­pelte. Der Trend zur absoluten Entkopplung gilt auch nach Verrechnung von Importen und Exporten. Er geht vor allem auf steigende Energie­ef­fi­zienz und die Substi­tution von Kohle durch erneu­erbare Energien und Erdgas zurück.

Bei einer jährlichen Wachs­tumsrate von 3 Prozent wird sich die globale Wirtschafts­leistung in den kommenden 25 Jahren in etwa verdoppeln. Im gleichen Zeitraum müssen die Netto-Treib­haus­gas­emis­sionen gegen null sinken, um den Tempe­ra­tur­an­stieg im Zaum zu halten. Die Auflösung dieses Rätsels liegt in der Entfes­selung einer grünen indus­tri­ellen Revolution. Sie erfordert erstens den Übergang von fossilen Energie­quellen zu erneu­er­baren Energien; zweitens eine konti­nu­ier­liche Steigerung der Ressour­cen­ef­fi­zienz – aus weniger Rohstoffen mehr Wohlstand erzeugen; und drittens die Wende zu einer modernen Kreis­lauf­wirt­schaft, in der jeder Reststoff wieder in die biolo­gische oder indus­trielle Produktion zurück­ge­führt wird. In letzter Instanz muss eine umwelt­freund­liche Ökonomie auf der Kombi­nation von biolo­gi­scher und techni­scher Photo­syn­these aufbauen: der Umwandlung von Sonnen­licht, Wasser und CO2 in chemische Energie. Was die „biolo­gische Fabrik“ der Erde antreibt, muss auch die Energie­basis der techni­schen Welt werden.

Die Versu­chung liegt nahe, die ökolo­gische Trans­for­mation als einen Masterplan anzugehen, der detail­liert vorgibt, welche Ziele wie und bis wann zu erreichen sind. Die Metapher des „Umbaus der Indus­trie­ge­sell­schaft“ legt die Vorstellung nahe, es ließe sich eine hochkom­plexe, in vielfältige Außen­be­zie­hungen einge­wobene Indus­trie­ge­sell­schaft nach einem vorge­fassten Plan umbauen wie eine Maschine. Fraglos braucht die ökolo­gische Trans­for­mation einen aktiven, regulie­renden und inves­tie­renden Staat, der die Weichen für privat­wirt­schaft­liche Initia­tiven stellt. Milli­ar­den­schwere Inves­ti­tionen in klima­freund­liche Chemie­an­lagen und Stahl­werke werden nur erfolgen, wenn die Unter­nehmen damit rechnen können, dass grüner Strom und Wasser­stoff in großen Mengen verfügbar sind. Die betrieb­lichen Mehrkosten gegenüber konven­tio­nellen Verfahren müssen sich entweder am Markt amorti­sieren oder kompen­siert werden.

Aufbruch bevor wir abgehängt werden

Die öffent­liche Hand muss Leitmärkte für klima­freund­liche Schlüs­sel­tech­no­logien fördern und kritische Engpässe im Stromnetz besei­tigen. Aber eine Top-down-Steuerung mit engma­schigen staat­lichen Vorgaben kann niemals die Innova­ti­ons­kraft der Markt­wirt­schaft ersetzen, die das Wissen und die Eigen­in­itiative von Abermil­lionen Produ­zenten und Konsu­menten bündelt.

Zu glauben, wir wüssten schon, wie Energie­system, Mobilität und Landwirt­schaft im Jahr 2045 aussehen werden, schreibt die Gegenwart in die Zukunft fort. Die Inter­na­tionale Energie­agentur geht davon aus, dass etwa die Hälfte der nötigen Treib­haus­gas­re­duk­tionen von Innova­tionen abhängt, die heute noch im Forschungs- und Entwick­lungs­stadium sind. Weder wissen wir, zu welchen Innova­ti­ons­sprüngen die rasante technische Entwicklung führen wird, noch können wir die relativen Kosten unter­schied­licher Techno­lo­gie­pfade voraus­sagen. Eine erfolg­reiche Klima­stra­tegie muss darauf abzielen, eine selbst­tra­gende Dynamik ökolo­gi­scher Innova­tionen und Inves­ti­tionen in Gang zu setzen. Sie muss ambitio­nierte Ziele mit dem Wettbewerb um die besten Lösungen verbinden. Und sie muss Reserven für ökono­mische Engpässe und geopo­li­tische Konflikte einkalkulieren.

Der effek­tivste Hebel einer markt­wirt­schaftlich orien­tierten Umwelt­po­litik bleibt die Einbe­ziehung ökolo­gi­scher Kosten in die Preis­bildung. Steigende CO2-Preise im eigenen Land müssen in den EU-Emissi­ons­handel einge­bettet sein; eine ambitio­nierte europäische Klima­po­litik ist darauf angewiesen, möglichst viele Partner für ein inter­na­tio­nales CO2-Regime zu gewinnen. Multi­la­terale Abkommen sind auch ein Schlüssel für die Energie­wende. Der forcierte Ausbau von Wind- und Solar­strom im eigenen Land muss mit einem weiträu­migen Verbund erneu­er­barer Energien von Skandi­navien bis Nordafrika verknüpft werden.

Deutschland hat alle Voraus­set­zungen, Vorreiter für eine klima­neu­trale Indus­trie­ge­sell­schaft und ein Kompe­tenz­zentrum ökolo­gi­scher Innovation zu sein. Umwelt­freund­liche, global anschluss­fähige Lösungen für die Bedürf­nisse einer wachsenden Weltbe­völ­kerung zu entwi­ckeln ist unser wichtigster Beitrag im Kampf gegen den Klima­wandel. Für ein fortschritts­müdes, zukunfts­ängst­liches Schrump­f­europa inter­es­siert sich kein Mensch. Wenn wir relevant bleiben wollen, müssen wir den Aufbruch in die ökolo­gische Moderne wagen.

Der Beitrag erschien im Original in der FAZ vom  15. Februar 2022.

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