NATO-Gipfel: Ein Lehrstück für Dealmaker?
Die Handelspolitik Trumps und seine Infragestellung der NATO hängen zusammen, meint Gustav C. Gressel: Indem der US-Präsident Zweifel sät, ob die Vereinigten Staaten Europa gegen russische Aggressionen noch verteidigen würden, nötigt er Osteuropa und das Baltikum, in Brüssel auf Konzessionen gegenüber Trump zu drängen.
Die Schlussdeklaration des NATO-Gipfels in Brüssel vom 11. und 12. Juli lässt kaum erahnen, dass sich das Bündnis in einer der kritischsten Phasen seiner Geschichte befindet. Über Monate hinweg wurde das Dokument von den Verteidigungs- und Außenministerien der Mitgliedstaaten vorbereitet und enthält die üblichen Formulierungen. Die NATO Kommando- und Logistikstruktur werde weiter ausgebaut, um komplexe multinationale Operationen zur Bündnisverteidigung führen und die dazu notwendigen Kräfte zeitnah verlegen zu können. Für die NATO Response Force (NRF) – die ständige Bereitschaftstruppe der NATO – habe man sich auf ein genaues Größenziel geeinigt; 30 mittlere oder schwere Bataillone sowie 30 Staffeln Kampfflugzeuge sollen innerhalb von 30 Tagen einsatzbereit sein können, wodurch die NRF nicht größer, aber den Erfordernissen der Bündnisverteidigung angepasst würde. Die Erklärungen zu Kooperationen, Open-Door-Policy, Rüstungskontrolle und nuklearer Abschreckung waren zu erwarten. Enttäuschend ist, dass im Abschlussdokument keine Zielvereinbarungen zu NATO-Manövern an der Ostflanke und der Überprüfung der Einsatzbereitschaft zu finden sind. Auch konnte dem Bündnis nicht abgerungen werden, die Kompetenzen des militärischen Kommandanten der NATO Streitkräfte Europas (SACEUR) zu erweitern, damit dieser im Krisenfall selbstständig die Erhöhung der Einsatzbereitschaft oder die Verlegung von Truppenteilen anordnen darf.
Es wäre nicht verwunderlich, wenn sich einige europäische Staaten genötigt sehen, auch innerhalb der EU Trumps außenwirtschaftspolitische Interessen zu vertreten, um weiterhin auf den militärischen Schutz durch die Vereinigten Staaten zählen zu können.
Trump setzt der Allianz das Messer an den Hals
Doch das Problem des Gipfels sind nicht dessen Ergebnisse. Es sind die Zweifel, ob die wichtigste Macht im Bündnis – die Vereinigten Staaten – überhaupt daran denken, an ihrer Umsetzung mitzuarbeiten. Schon dass Trump die 79 Punkte der Erklärung gelesen, geschweige denn verstanden hat, ist fraglich. Und seine Drohung, die USA werden „ihr Ding“ machen, wenn die Alliierten nicht bis Januar 2019 ihre Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des BIPs anheben, setzt der Allianz das Messer an den Hals – auch wenn unklar ist, was Trump wirklich vorhat. Denn wenngleich es richtig ist, die europäischen Verteidigungsausgaben zu erhöhen, damit die NATO die Fähigkeit zur Bündnisverteidigung wiedererlangt, müsste der US-Präsident doch wissen, dass es schwerlich möglich ist, einen derart sprunghaften Mittelzuwachs in sinnvolle Programme und Beschaffungsvorhaben zu gießen.
Zweifel an der NATO
Tatsächlich geht es Trump weder um die europäische Verteidigungsbereitschaft, noch um Burdensharing innerhalb der NATO. Seine Forderung schafft einen Vorwand, die tragende Rolle der Vereinigten Staaten im Verteidigungsbündnis gänzlich in Frage zu stellen. Die Zeiten, in denen Trump mangels Wissen über politische Steuerungsprozesse und Regierungsarbeit seine wirren Vorstellungen nicht umsetzen konnte und auf pragmatische Minister und Sicherheitsberater angewiesen war, und deshalb inhaltliche Abstriche machen musste, sind vorbei. Gerade in der Außenpolitik hat der Präsident eine Fülle von Kompetenzen, die der Zustimmung des Kongresses nicht bedürfen. Zwar hatte der Kongress mit den Russland-Sanktionen versucht, eine Annäherung der Vereinigten Staaten an Moskau zu verhindern. Doch die äußerst lückenhafte und selektive Implementation dieser Sanktionen durch die Trump-Administration und das konziliante Treffen mit Putin in Helsinki zeigen, wie begrenzt die Wirksamkeit dieser Methode ist.
Geht es letzlich um Handelspolitik?
Es liegt auf der Hand, dass Trump das Fortbestehen der amerikanischen Rolle in der NATO von einem besseren Handelsdeal mit der EU oder bilateral mit Deutschland abhängig machen will. Hier jagt Trump aber Illusionen hinterher, denn bilaterale Handelsdeals mit einzelnen EU Mitgliedstaaten sind rechtlich unmöglich. Auch die Meistbegünstigungsklausel der WTO engt die Spielräume der EU-Kommission, Trump entgegenzukommen, ein. Zudem ist es höchst erstaunlich, wie wenig der amerikanische Präsident, der ja bekanntlich aus der Wirtschaft kommt, von internationalem Handelsrecht, Wirtschafts- und Finanzbeziehungen versteht.
Doch da für Trump die Außenwirtschaftsbeziehungen im Mittelpunkt seiner Politik stehen, muss man daran zweifeln, ob er sich durch die Steigerung der europäischen Verteidigungshaushalte von einem Handelskonflikt überhaupt abbringen ließe. Die Wirrnis seiner Behauptung, Amerika „zahle“ die NATO, deutet eher darauf hin, dass er eine argumentative Verhandlungsmasse aufbaut, um die Europäer wirtschaftlich unter Druck zu setzen. In Wahrheit geben die USA einen weitaus geringen Prozentsatz ihres Verteidigungshaushaltes für die militärische Präsenz in Europa aus, als Trump behauptet. Der starke Anstieg amerikanischer Verteidigungsausgaben ist nicht der europäischen Sicherheit geschuldet, sondern den Einsätzen in Afghanistan und Irak.
Warum Deutschland jetzt in der Pflicht steht
Bei aller Kritik an der Haltung Trumps muss man aber auch Kritik an der Bundesregierung üben. Deutschland liegt in zentraler europäischer Lage und ist wichtige Drehscheibe für die NATO. Aufgrund seiner Nähe zur Ostflanke und der Stärke der Bundeswehr wäre Deutschland im Fall einer russischen Aggression ein entscheidender „Ersthelfer“, von dessen Entschlossenheit und militärischer Einsatzbereitschaft im Ernstfall abhinge, ob die NATO in einer politischen Krise Russland vom Einsatz militärischer Mittel abhält oder nicht.
Vor diesem Hintergrund ist der beklagenswerte Zustand der Bundeswehr durch nichts zu rechtfertigen. Dass es zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft und Modernisierung der Bundeswehr auch finanzielle Mittel braucht, muss jedem klar sein – unabhängig von der 2 Prozent-Debatte. Die Inwärts-Gewandtheit der politischen Diskussion in Deutschland (Stichwort Asylstreit) und die zögerliche Haltung der SPD haben es der Kanzlerin unmöglich gemacht, die Diskussion in der NATO mit einer eigenen politischen Agenda zu prägen. Weder zu NATO Manövern in der Ostflanke, noch zu einem Ausbau der „Enhanced Forward Presence“ oder dem Wiederaufbau von Sicherheitsstrukturen im Nordirak nach dem Sieg über ISIS hat Deutschland Vorschläge eingebracht. Dabei steht es in der Pflicht. Eine Europäische Leitmacht (oder „Framework Nation“), an die sich andere Staaten mit ihrer Verteidigungsbereitschaft anlehnen, darf sich mit Verweis auf die innenpolitische Lage nicht einfach aus der Verantwortung stehlen.
Die schwache Haltung Berlins lässt die Glaubwürdigkeit Deutschlands, die durch Nordstream 2 ohnehin schon Schaden genommen hat, weiter erodieren. Außerhalb des Berliner S‑Bahnringes wird Deutschland zunehmend als gelähmt und handlungsunfähig wahrgenommen – kein gutes Zeichen, will Berlin in den anstehenden handelspolitischen Streitfragen mit Washington die Europäer hinter sich bringen.
Die Zweifel, ob Europa auch ohne die USA verteidigungsfähig wäre, wird Trump für sich zu nutzen wissen: Es wäre nicht verwunderlich, wenn sich einige europäische Staaten genötigt sehen, auch innerhalb der EU Trumps außenwirtschaftspolitische Interessen zu vertreten – so absurd diese auch sein mögen – um weiterhin auf den militärischen Schutz durch die Vereinigten Staaten zählen zu können.
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regelmäßig Neuigkeiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.