Helsinki 1975 – Als die Menschen­rechts­be­wegung Weltpo­litik machte

Foto: David Hume Kennerly – U.S. National Archives and Records Administration

Vor 50 Jahren wurde die KSZE-Schlussakte in Helsinki unter­zeichnet. Das Dokument sollte den Kalten Krieg mit dem Prinzip der „fried­lichen Koexistenz” entschärfen, indem es die sowje­tische Kontrolle über Osteuropa legiti­mierte. Unerwartet aber setzte es etwas in Gang, was die kommu­nis­ti­schen Regime ins Wanken brachte: Es machte Menschen­rechte zu einem Faktor inter­na­tio­naler Politik, schreibt Sergej Lukaschewski.

Vor einem halben Jahrhundert unter­zeich­neten die Länder des „sozia­lis­ti­schen Lagers” und ihre geopo­li­ti­schen Gegner im Westen die Helsinki-Abkommen. Diese Verein­barung legiti­mierte de facto die Teilung Europas und überließ den Osten des Konti­nents der Sowjet­union. Gleich­zeitig machte die Helsinki-Schlussakte die Menschen­rechte zu einem Teil der inter­na­tio­nalen Politik, was später zum Sturz der kommu­nis­ti­schen Regime beitrug und Menschen­rechts­ak­ti­visten zu Akteuren der inter­na­tio­nalen Politik machte.

Oft heißt es, die Schlussakte von Helsinki habe neue Prinzipien inter­na­tio­naler Politik festgelegt und einen auf Anerkennung der Menschen­rechte basie­renden Frieden gesichert. Das ist jedoch nur teilweise richtig. Die 15 Jahre Frieden in Europa nach der Unter­zeichnung der KSZE-Schlussakte waren das Ergebnis eines Kräfte­gleich­ge­wichts und der Zustimmung der Parteien zum bestehenden Status quo. Die Abkommen haben dies lediglich auf Papier festgeschrieben.

Als die Krise und der Zusam­men­bruch der kommu­nis­ti­schen Regime die Welt aus dem Kalten Krieg befreiten, konnten die Helsinki-Prinzipien und ‑Mecha­nismen bewaffnete Konflikte nicht verhindern: vom Krieg in Jugoslawien bis zur russi­schen Aggression gegen die Ukraine.

Die Helsinki-Abkommen haben der Entwicklung der Menschen­rechts­be­wegung einen enormen Impuls gegeben. Das war jedoch ein unvor­her­ge­se­hener Neben­effekt, der nicht von Politikern, sondern von mutigen Aktivisten erreicht wurde.

Legiti­mierung der Sowjet­herr­schaft in Osteuropa

Anfang der 1970er Jahre suchten die USA und die westeu­ro­päi­schen Länder auf der einen und die Sowjet­union auf der anderen Seite nach Wegen, um ihre gegen­seitige Konfron­tation und das Wettrüsten zu entschärfen. In der Sowjet­union zeigten sich erste Anzeichen einer syste­mi­schen Krise. Das Wirtschafts­wachstum halbierte sich, die Militär­aus­gaben beliefen sich auf 15 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Die westlichen Volks­wirt­schaften litten zu dieser Zeit unter Stagflation (kaum Wachstum bei steigenden Preisen), steigenden Schulden und Arbeits­lo­sigkeit. Die USA steckten im brutalen Vietnam­krieg fest und verloren an militä­ri­schem und morali­schem Ansehen. 1971 gab Präsident Richard Nixon ohne Vorwarnung an die Verbün­deten die Goldbindung des Dollars auf und führte 10-prozentige Einfuhr­zölle ein. Die Kurse der japani­schen und europäi­schen Währungen stiegen gegenüber dem Dollar, was ihre Volks­wirt­schaften hart traf. Zu allem Überfluss kam es 1973 infolge des arabisch-israe­li­schen Jom-Kippur-Krieges zu einer Ölkrise. Die arabi­schen Golfstaaten provo­zierten einen vierfachen Anstieg der Ölpreise.

Zu diesem Zeitpunkt übertrafen die in Mittel­europa statio­nierten sowje­ti­schen Truppen die NATO-Streit­kräfte um 20 Prozent an Mannstärke und um das Dreifache an Panzern, Artil­lerie und anderem Gerät. Das relative militä­rische Gleich­ge­wicht wurde nur durch Atomwaffen erreicht.

Die Situation war sogar noch gefähr­licher als die heutige Bedrohung Europas durch Putins Russland. Aber die damalige sowje­tische Führung strebte keine neuen Erobe­rungen mehr an. Sie wollte den Status quo erhalten, der durch riesige, gegen­ein­ander aufge­stellte Armeen inmitten Europas gesichert war.

Aus politi­scher Sicht war die Lage jedoch nicht so eindeutig. Am Ende des Zweiten Weltkriegs verfügte die Sowjet­union nicht nur über die mächtigste Landarmee der Welt, sondern kontrol­lierte direkt oder indirekt auch die Hälfte Europas. Die 1945 auf den Konfe­renzen von Jalta, Potsdam und San Francisco unter­zeich­neten Dokumente gingen davon aus, dass die Völker Europas selbst über ihr Schicksal entscheiden würden und das besetzte Deutschland ein einheit­liches Land bleiben würde.

In den Jahren 1946 bis 1949 etablierte Moskau mit Hilfe von Repres­sionen, Wahlfäl­schungen und politi­schen Umstürzen pro-sowje­tische Regime in den meisten Ländern Europas, die unter seiner direkten militä­ri­schen Kontrolle oder seinem politi­schen Einfluss standen (der Warschauer Pakt). Darüber hinaus annek­tierte die Sowjet­union entlang ihrer Westgrenze ein Gebiet so groß wie Spanien – 485.000 Quadrat­ki­lo­meter, darunter die balti­schen Staaten.

Während die Besetzung Deutsch­lands und die Grenzen Polens durch Abkommen zwischen der Sowjet­union, den USA und Großbri­tannien festgelegt wurden (Polen wurde nicht gefragt), basierten alle anderen terri­to­rialen und politi­schen Erobe­rungen auf dem Recht des Stärkeren.

Proteste in der DDR (1953), Polen (1956), Ungarn (1956) und in der Tsche­cho­slo­wakei (1968) zeigten, dass die in diesen Ländern etablierten pro-sowje­ti­schen Regime von der Bevöl­kerung nicht akzep­tiert wurden. Die blutige Nieder­schlagung dieser Proteste zeigte, dass Moskau keine Verän­derung der politi­schen Regime in diesen Ländern zulassen würde.

Bis Anfang der 1970er Jahre gelang es der UdSSR, in den Ländern des Warschauer Pakts politische Stabi­lität zu erreichen, die auf totali­tärer Unter­drü­ckung beruhte. Es fehlte nur noch die diplo­ma­tische Anerkennung. In Helsinki erhielt die Sowjet­union diese.

Der sowje­tische Staatschef Leonid Breschnew sah sich als Sieger. Erste Anzeichen für einen Verfall des sowje­ti­schen Regimes waren für Außen­ste­hende nicht erkennbar, während das neue Abkommen die sowje­tische Kontrolle über halb Europa legiti­mierte und ihr Spielraum für weitere Rivalität mit Washington verschaffte.

Im Text der Schlussakte findet sich kein Hinweis auf eine „sowje­tische Inter­es­senzone” oder ähnliches. Im Gegenteil, der Vertrag verkündete einen Verzicht auf die Anwendung militä­ri­scher Gewalt, das Recht der Völker, selbst zu entscheiden, welche politische Ordnung in ihren Ländern herrschen soll und welchem Bündnis sie angehören wollen.

Alles Wesent­liche wurde impli­ziert, aber nicht offen in den Verträgen verkündet. Nach Helsinki verzich­teten die westlichen Länder auf die Unter­stützung der freiheit­lichen Bestre­bungen der Völker Mittel­eu­ropas und legiti­mierten die terri­to­rialen Erobe­rungen der Sowjet­union im Gegenzug für ihre eigene Sicherheit.

Das Abkommen verpflichtete beide Seiten, sich gegen­seitig im Voraus über Truppen­be­we­gungen in Europa zu infor­mieren. Dies stärkte die Sicherheit Westeu­ropas, das faktisch eine Garantie für den Verzicht auf Krieg erhielt. Die USA, so der damalige US-Außen­mi­nister Henry Kissinger, seien den Europäern einfach „entgegen gekommen...“. Das Abkommen im Geiste der Realpo­litik wurde als Erklärung für Frieden und Zusam­men­arbeit getarnt, die auf der Anerkennung der Gleichheit der Völker und dem Verzicht auf die Lösung von Konflikten mit Gewalt beruhte.

Um diesen Eindruck zu mildern, wurden die Abkommen durch Bestim­mungen zur Achtung der Menschen­rechte ergänzt. Der Kreml war von den zusätz­lichen Verpflich­tungen nicht begeistert, entschied aber letztlich, dass sie ebenso formal sein würden wie das nominelle Recht Bulga­riens, aus dem Warschauer Pakt aus- und der NATO beizu­treten. Zum Zeitpunkt der Unter­zeichnung war sich jedoch niemand sicher, ob dies überhaupt Auswir­kungen auf die Zukunft haben würde.

Überwa­chung der Menschenrechte

Glück­li­cher­weise wird die Zukunft nicht nur von Politikern gestaltet, sondern auch von ganz normalen Menschen. Als sowje­tische Dissi­denten den Text der Schlussakte lasen, sahen sie darin eine Chance. Sie hatten sich vergeblich an die Vereinten Nationen und die Weltge­mein­schaft gewandt und darum gebeten, auf die politi­schen Repres­sionen und Menschen­rechts­ver­let­zungen in ihrem Land aufmerksam zu machen. Die Sowjet­union wies jede Kritik mit dem Verweis auf den Grundsatz der Nicht­ein­mi­schung in innere Angele­gen­heiten zurück.

Die Helsinki-Abkommen haben alles verändert. In einem Dokument wurden Fragen der Kontrolle von Truppen­be­we­gungen und die Verpflichtung zur Achtung des Rechts auf freie Infor­ma­ti­ons­ver­breitung, der Gewis­sens­freiheit, der Rechte von Minder­heiten und einiger anderer Rechte zusammengefasst.

Die Achtung der Menschen­rechte wurde Teil der „Gesamt­si­cherheit”. Wenn die Sowjet­union einige Bestim­mungen des Vertrags nicht einhält, wie kann man dann sicher sein, dass sie die übrigen einhält?

Im Mai 1976 wurde in der Wohnung des Wissen­schaftlers Andrej Sacharow die Gründung einer Gruppe zur Förderung der Umsetzung der Helsinki-Abkommen bekannt gegeben. Später wurde sie als Moskauer Helsinki-Gruppe bekannt. Zum ersten Mal in der Geschichte erklärten hier normale Bürger, dass sie die Einhaltung inter­na­tio­naler Menschen­rechts­ver­pflich­tungen durch den Staat überwachen würden.

Später wurden ähnliche Verei­ni­gungen in vielen Ländern gegründet – Helsinki-Gruppen in Sowjet­re­pu­bliken wie der Ukraine, Litauen, Armenien und Georgien, sowie „Charta 77“ in der Tsche­cho­slo­wakei. Die ameri­ka­nische „Helsinki-Gruppe” entwi­ckelte sich zu Human Rights Watch – einer der weltweit führenden Menschenrechtsorganisationen.

Trotz der Repres­sionen begannen Aktivisten in kommu­nis­ti­schen Ländern, Infor­ma­tionen über Menschen­rechts­ver­let­zungen zu sammeln und an auslän­dische Regie­rungen weiter­zu­leiten. Den westlichen Diplo­maten blieb nur noch, den Ball aufzu­nehmen und ins Spiel zu bringen.

Ein unerwar­teter Triumph

Die Helsinki-Abkommen konnten das Wettrüsten nicht stoppen. Im Dezember 1979 marschierten sowje­tische Truppen in Afgha­nistan ein. Anfang der 1980er Jahre war die Gefahr eines Atomkrieges so groß wie nie zuvor seit der Kuba-Krise. Dennoch blieb die Diskussion über die Menschen­rechtslage eines der Haupt­themen auf den KSZE-Konfe­renzen, die zur Weiter­ent­wicklung des „Helsinki-Prozesses” geschaffen worden waren.

Menschen­rechts­ak­ti­visten und Vertreter natio­naler Bewegungen schufen ein gemein­sames Narrativ des Kampfes für Demokratie, Völker­freund­schaft und Menschen­rechte, das auf einem inter­na­tio­nalen Dokument über kollektive Sicherheit basierte. Als sich der politische Kontext zu verändern begann, wirkte dieses Narrativ wie ein Rammbock, der die Legiti­mität der kommu­nis­ti­schen Regime zerstörte.

Mitte der 1980er Jahre war die Krise in der Sowjet­union bereits so tiefgreifend, dass es unmöglich wurde, den Status quo aufrecht­zu­er­halten und die Parität mit dem Westen zu wahren. Michail Gorbat­schow versuchte, eine neue Entspan­nungs­po­litik vorzu­schlagen, stieß jedoch auf die Forderung der USA und ihrer Verbün­deten, dass Moskau zunächst seine Menschen­rechts­ver­pflich­tungen erfüllen sollte.

Als Befür­worter einer Demokra­ti­sierung stellte Gorbat­schow nach und nach die politi­schen Repres­sionen ein und entließ politische Gefangene, angefangen mit Andrej Sacharow. Doch ohne totali­tären Zwang erwies sich das kommu­nis­tische Regime als nicht lebensfähig.

„Die Ohnmacht der Mächtigen”

Der Sturz der kommu­nis­ti­schen Regime in Europa, die Wieder­ver­ei­nigung Deutsch­lands und der Zerfall der Sowjet­union ermög­lichten es den westlichen Ländern, sich als Sieger von Helsinki 1975 zu sehen. Westliche Diplo­maten erschienen nun als Weitsichtige, die einen genialen Plan für einen fried­lichen Sieg im Kalten Krieg ausge­heckt hatten.

Die Helsinki-Abkommen wurden als univer­seller Schlüssel zu einem dauer­haften Frieden darge­stellt. 1995 gründeten die Vertrags­staaten die Organi­sation für Sicherheit und Zusam­men­arbeit in Europa (OSZE), um ihre Entschlos­senheit zu demons­trieren, den gemein­samen Sicher­heitsraum auf der Grundlage gemein­samer Werte nicht nur zu erhalten, sondern weiterzuentwickeln.

Aufmerksame Beobachter konnten jedoch bereits Anfang der 1990er Jahre feststellen, dass die Abkommen in einer Situation ernst­hafter Konflikte wenig nützlich waren. Das Problem liegt in der Dekla­ra­ti­vität der Abkommen – sie enthalten weder Sanktionen gegen Länder, die gegen sie verstoßen, noch Mecha­nismen zur Konflikt­lösung. Die OSZE hat sich zu einem wichtigen diplo­ma­ti­schen Forum entwi­ckelt, zu dem alle reisen, das aber seine Aufgabe, Kriege zu verhindern, nicht erfüllt.

Der Zerfall Jugosla­wiens führte zu einem blutigen Krieg. In Georgien und Moldau unter­stützte Russland die Separa­tisten in Abchasien und Trans­nis­trien und drängte sich dann als Vermittler in den Friedens­ver­hand­lungen auf, um seinen Einfluss im postso­wje­ti­schen Raum zu vertei­digen. OSZE-Beobachter waren in Berg-Karabach und im Donbass präsent, aber in beiden Fällen konnte ihre Anwesenheit keinen Frieden sichern. Der Helsinki-Mecha­nismus war auch nach dem Zerfall der Sowjet­union machtlos, Einfluss auf die russische Politik zu nehmen. Russische Demokratie-Aktivisten beschwerten sich beim Büro für demokra­tische Insti­tu­tionen und Menschen­rechte der OSZE über Wahlfäl­schungen und das Gesetz über „auslän­dische Agenten“, das in Warschau ansässige Büro erkannte die Verstöße an, doch hatte dies keinerlei Einfluss auf die Politik des Kremls.

In der Außen­po­litik hat Russland die Helsinki-Abkommen völlig auf den Kopf gestellt. Wladimir Putin betrachtet die offene finan­zielle Unter­stützung ukrai­ni­scher NGOs durch USAID und die politische Unter­stützung des Maidan als „subversive Aktivi­täten, die auf den gewalt­samen Sturz des Regimes eines anderen Staates abzielen“ und durch die Abkommen verboten sind. In seiner verzerrten Wahrnehmung gibt ihm dies das Recht, den 2014 begon­nenen und 2022 eskalierten Angriffs­krieg gegen die Ukraine zu recht­fer­tigen. Trotzdem ist Russland weiterhin OSZE-Mitglied und Außen­mi­nister Sergej Lawrow tritt bei Sitzungen der Organi­sation auf.

Die Zukunft der Helsinki-Abkommen

Können die Helsinki-Abkommen wieder zum Rechts­rahmen für den Frieden in Europa werden? Nur wenn Europa (mit oder ohne die USA) so stark wird, dass Frieden für Russland vorteil­hafter ist als Krieg. In diesem Fall würde auf dem Kontinent ein neues Kräfte­gleich­ge­wicht entstehen, das einen poten­zi­ellen Konflikt für alle Länder zu gefährlich machen würde.

Heute hat Wladimir Putin allen Grund zu glauben, dass Macht und die Androhung ihrer Anwendung ein wirksames Instrument zur Durch­setzung seiner Inter­essen sind. Solange die Europäische Union militä­risch schwach bleibt, Russland aggressiv ist und die USA generell bestrebt sind, sich aus Europa zurück­zu­ziehen, sind Versuche, die Helsinki-Abkommen wieder­zu­be­leben oder neue zu schaffen, zum Scheitern verur­teilt. Zunächst muss ein Kräfte­gleich­ge­wicht herge­stellt werden, das Russland dazu zwingt, seine expan­sio­nis­ti­schen Bestre­bungen aufzu­geben, und dann muss dieses Gleich­ge­wicht schriftlich festge­halten werden.

Die wahre histo­rische Bedeutung der Helsinki-Abkommen besteht darin, dass sie die Menschen­rechte zu einem Faktor der inter­na­tio­nalen Bezie­hungen gemacht haben, die Menschen­rechts­be­wegung in die Weltpo­litik einge­bunden haben und ihre Anliegen mit der der Sicher­heits­po­litik verknüpft haben. Ihre Dekla­rie­rungen haben unerwartet an Kraft gewonnen.

Die Helsinki-Abkommen haben die Welt verändert, aber nicht so, wie es damals die Diplo­maten erwartet hatten, sondern so, wie es die Menschen­rechts­ak­ti­visten wollten. Darin liegt die wichtigste histo­rische Lehre aus den Ereig­nissen, die sich vor 50 Jahren in Helsinki zugetragen haben.

Heute wird dieser Ansatz von allen Seiten in Frage gestellt. Nicht nur von autori­tären Regime, sondern auch von Rechts­po­pu­listen in demokra­ti­schen Ländern. Trumps trans­ak­tio­naler Ansatz ist ebenso wenig mit einem umfas­senden Friedens­vertrag auf der Grundlage gemein­samer Werte vereinbar wie Putins Expan­sio­nismus. Realismus und Idealismus können Frieden und Fortschritt nicht getrennt vonein­ander, sondern nur in Kombi­nation gewähr­leisten. Die Menschen­rechte als Wertgrundlage der inter­na­tio­nalen Bezie­hungen werden heute so stark auf die Probe gestellt wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr.

Der Krieg in der Ukraine hat den „Helsinki-Frieden“ in Europa begraben. Selbst ein Einfrieren des russisch-ukrai­ni­schen Krieges wird Europa keine dauer­hafte Sicherheit bringen. Die Annexion ukrai­ni­scher Gebiete ist weder mit dem Wortlaut noch mit dem Geist der Schlussakte vereinbar. Russlands Mitglied­schaft in der OSZE ist heute ein absoluter Wider­spruch in sich.

Wenn es Europa (oder dem Westen insgesamt) jedoch gelingt, ein echtes militä­ri­sches Gleich­ge­wicht mit Russland herzu­stellen, ohne die Helsinki-Prinzipien aufzu­geben, und wenn das Putin-Regime in eine syste­mische Krise gerät, könnten die Helsinki-Abkommen die Grundlage für die Wieder­her­stellung der Gerech­tigkeit bilden. Sicherlich gibt es hier zu viele „Wenns“, aber sowohl die Geschichte der Helsinki-Schlussakte als auch die Ereig­nisse der letzten Jahre zeigen, dass Geschichte unvor­her­sehbar ist und das Unmög­liche Realität werden kann, sowohl im negativen als auch im positiven Sinne.

 

Dieser Text ist zuerst in russi­scher Sprache bei mostmedia.org erschienen.
Deutsche Bearbeitung: Nikolaus von Twickel

t

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod. Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.