„Ich sehe eine Revolution im Iran noch nicht bald kommen“
Israel und Iran: Der iranisch-israelische Autor Meir Javendafar im Interview mit Till Schmidtüber die gegenseitige Wahrnehmung der beiden Länder, die aktuelle Situation der Proteste und den Einfluss Russlands auf das Atomabkommen.
Herr Javendafar, Sie haben den Iran 1987 verlassen, leben seitdem in Israel und forschen zu iranisch-israelischen Beziehungen. Vor fast einem Jahr hat der gewaltvolle Tod von Jina Mahsa Amini im Iran eine kraftvolle Protestbewegung gegen das Regime ausgelöst. Wie hat die israelische Öffentlichkeit darauf reagiert?
Mit viel Aufmerksamkeit. Denn wirklich jeder in Israel – ob links oder rechts, ob Pro- oder Anti-Netanjahu und sicherlich auch die israelischen Araber – will das Ende des iranischen Regimes. Ruft die Islamische Republik doch seit ihrem Bestehen zur Zerstörung Israels auf und finanziert die Ermordung von Israelis. Über jeden Aufstand im Iran wird in den hiesigen Medien ausführlich und, wie ich finde, meist auch breit und akkurat berichtet.
Die Hoffnung auf eine Revolution im Iran ist also da. Ich selbst sehe sie aber nicht so bald kommen. Aus Syrien etwa wissen wir, dass solche Regimes lieber die eigene Bevölkerung ermorden als die Macht abzugeben. Und auch falls das Regime fällt, ist es wahrscheinlich, dass sich der Iran auf längere Sicht wohl nicht in eine Demokratie verwandelt, sondern eher in eine säkulare Diktatur. Doch selbst das wäre besser für Israel, weil es dann zu einem Stopp der Terrorunterstützung und zu diplomatischen Beziehungen kommen würde.
Welche Einstellungen gibt es in der israelischen Bevölkerung zum Iran?
Das Regime wird als existenzielle sowie als zentrale strategische Bedrohung gesehen. Gleichzeitig fühlen sehr viele Israelis Freundschaft und Verbundenheit mit dem iranischen Volk. Iraner und Perser werden gerade im Vergleich zu den Arabern sogar nahezu glorifiziert. Etwa in Bezug auf die alte Zivilisation der Perser, die Geschichte des persischen Königs Cyrus, der die Juden damals aus dem Babylonischen Exil gerettet hat, oder mit Verweis auf gute Erfahrungen von Israelis im Iran vor 1979. Nicht zuletzt ist das zeitgenössische iranische Kino in Israel sehr erfolgreich und geschätzt.
Was können Sie umgekehrt über die Wahrnehmung Israels in der iranischen Bevölkerung sagen?
Im letzten Jahrzehnt ist Israel in der iranischen Bevölkerung beliebter geworden. Am Vorabend der Revolution 1979 war das noch ganz anders, was vor allem durch die Stärke der antiimperialistischen Bewegung und die damals viel stärker ausgeprägte Religiosität in der iranischen Bevölkerung zu erklären ist. Der heutige Blick auf Israel ist vor allem dem Hass auf das iranische Regime geschuldet. Benjamin Netanjahu und Donald Trump sind im Iran populärer, als manche es glauben wollen.
Das klingt nach einer klassischen Identifizierung mit dem Feind des Feindes als Freund. Werden dabei auch konkrete Aspekte israelischer Geschichte, Kultur oder Politikpositiv hervorgehoben?
Es gibt eine gewisse Wertschätzung israelischer Technologie. Was die Menschen im Iran aber meiner Beobachtung nach am meisten an Israel mögen, sind die militärischen Angriffe auf iranische Ziele in Syrien. Gerade wenn es die Revolutionsgarden trifft, da diese im Iran so stark an der Unterdrückung der Bevölkerung beteiligt sind.
Der Atomkonflikt ist nach wie vor ungelöst. Unter Donald Trump hatten sich die USA 2018 aus dem Nuklearabkommen, dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), zurückgezogen. Joe Biden beabsichtigte, die 2015 ausgehandelte Vereinbarung wiederzubeleben. Wo steht Israel in der aktuellen Situation?
Israel schaut darauf, was die USA machen. Viel mehr kann Israel aktuell nicht tun. Biden wollte nach seinem Amtsantritt den Fehler Trumps korrigieren. In der Zwischenzeit hatte der Iran selbst aber große Schritte weg vom JCPOA gemacht. Biden hatte darauf gesetzt, peu à peu zu einem Deal zurückzukehren – und erwartet, dass der Iran mitspielt. Das hätte aber zum Beispiel miteingeschlossen, dass der Iran die Fragen der Internationalen Atomenergiebehörde zu den Atom-Anlagen, in denen Spuren von Urananreicherung gefunden wurden, zu beantworten. Der Iran reichert nun Uran so hoch an, dass er den für den Bau einer Bombe notwendigen 90 Prozent näher kommt.
Zur besseren Einordnung: Könnten Sie Israels geopolitische Position in Bezug auf die iranische Bedrohung skizzieren?
Die Größte konventionelle Bedrohung ist das vom Iran zu Verfügung gestellte Raketenarsenal der Hisbollah im Libanon, das bis in jeden Teil Israels reichen kann. Diese Bedrohung kann kein israelischer Premierminister ignorieren. Dazu kommen die Bombardements in Syrien, die Israel seit vielen Jahren durchführt, damit das Land keine weitere Raketenbasis für den Iran wird wie der Libanon.
Was hat Israel zuletzt gegen die nukleare Bedrohung durch den Iran unternommen?
Aktuell ist das vor allem die Zusammenarbeit mit den USA und mit Europa. Daneben das Beobachten der iranischen Aktivitäten und Weiterleiten von relevanten Informationen. Doch sobald Israel erfahren sollte, dass das Staatsoberhaupt Ayatollah Chamenei die Anordnung zum Bau einer nuklearen Waffe gegeben hat, würde Israel meiner Einschätzung nach eigenständig und sofort die iranischen Atomanlagen bombardieren.
Lange Zeit sah es so aus, als würde sich Israel wegen der Bedrohung durch den Iran stärker mit Saudi-Arabien verbünden. Nun haben sich die Saudis und der Iran im Frühjahr einander deutlich angenähert. Wie schätzen Sie das ein?
Die Saudis wollen dem Iran keinen Grund geben, sie im Fall eines Krieges zwischen Israel und dem Iran anzugreifen. Der Iran hat dem Deal mit den Saudis allein wegen des Drucks aus China zugestimmt – den Xi Jinping ausgeübt hatte, weil der bestehende Konflikt den Ölmarkt und die Stabilität im Nahen Osten gefährdete und damit den wirtschaftlichen Interessen Chinas zuwiderlief.
Zudem investieren die Saudis weder in dem unter Sanktionen stehenden Iran, noch gibt es politische Unterstützung. Der Deal ist also kein Game Changer. Die Saudis sind nach wie vor äußerst besorgt über einen nuklearen Iran. Sie sagen es nur nicht mehr so offen. Dass die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit der Saudis mit Israel fortgeführt wird, halte ich für sehr wahrscheinlich.
Welche weiteren geopolitischen Veränderungen tragen aktuell im Nahen Osten zur Etablierung einer multipolaren Weltordnung bei?
In der Region realisiert man, dass die USA wichtigere Prioritäten haben: China, Russland und innenpolitische Angelegenheiten. Einige Länder verbessern deshalb ihre diplomatischen Beziehungen mit Israel. Andere wenden sich China zu. Die ökonomische Involvierung Chinas in die Region ist beispiellos. Die USA sind jedoch nach wie vor die bevorzugte Quelle für Technologie, der wichtigste Partner für ökonomische Zusammenarbeit und auch das beliebteste Ziel für Studierende aus der Region. Aus Sorge vor einem Abwenden der USA balancieren aber viele Länder ihre Beziehungen aus und nähern sich China an.
Wie beeinflusst Putins Regime die Entwicklung des Atomstreit?
Russlands Veto ist ein Grund dafür, dass sich die diplomatischen Beziehungen des Iran mit den USA nicht verbessert haben und das Atomabkommen nicht wiederbelebt wurde. Der Iran ist seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine Russlands wichtigster Waffenlieferant. Der Iran hat sich aus drei Gründen für Russland – und damit gegen eine Rückkehr zum JCPOA – entschieden.
Da ist erstens die schwierige Position im Atomstreit. Khamenei scheint die Fragen der IAEA zur Urananreicherung in bestimmten Anlagen nicht beantworten zu wollen, weil herausgefunden werden könnte, dass der Iran seinen Verantwortlichkeiten gegenüber der Behörde nicht nachkommt. Zweitens fürchtet Khamenei bei einer Wiederbelebung des Nuklearabkommens eine Charmeoffensive der USA. Er ist zudem besorgt über ihre Softpower – die auf längere Sicht den Untergang seines Regimes verursachen könnte. Zuletzt wird Putin als jemand gesehen, der seine Verbündeten bei der Gefahr eines Regime Changes verteidigt: siehe Assad 2015 in Syrien, Lukaschenka 2020 in Belarus und Toqayev 2022 in Kasachstan.
Wie wird Israels strategische Position vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung gegenüber der geplante Justizreform wahrgenommen?
Als schwach. Und in der Politik zählt die Wahrnehmung mehr als die Realität Die Kluft in der israelischen Gesellschaft, die Netanjahu und seine Regierung vertieft, spielt letztlich dem iranischen Regime und der Hisbollah in die Hände. Die Gefahr eines Krieges mit der Hisbollah war lange nicht so hoch wie jetzt. Die Weigerung großer Zahlen von Reservisten der israelischen Luftwaffe, zu ihrem Dienst zu erschienen, wirkt sich nicht nur negativ auf die Verteidigungsfähigkeit Israels aus. Sie schwächt auch die Verhandlungsposition der USA im Atomstreit, da dies impliziert, dass die israelische Luftwaffe nicht Teil der Lösung sein wird, wenn alle Stricke reißen.
Am Ende sehe ich sogar Parallelen zwischen Netanjahus und Chameneis politischen Verhalten. Sowohl die Justizreform als auch das Atomprogramm sind keine Priorität der jeweiligen Bevölkerungen und kosten mehr, als dass sie nutzen. Beide Vorhaben dienen der Stärkung der eigenen Macht und der der Verbündeten. Das iranische Atomprogramm wird als das verschwenderischste, korrupteste und destruktivste Vorhaben in die nationale Geschichtsschreibung eingehen. In Israel spaltet die angestrebte Justizreform das Land in nie da gewesener Weise und beschädigt Gesellschaft, Wirtschaft und vielleicht auch Sicherheitslage immens.
Dr. Meir Javedanfar ist iranisch-israelischer Autor, Kommentator und Lehrbeauftragter an der Reichman University in Herzliya, Israel. Er ist Ko-Autor der Ahmadinejad-Biographie „The Nuclear Sphinx of Tehran“, die in vier Sprachen erschienen ist. Javedanfar veröffentlichte u.a.in Foreign Affairs, Al-Monitor, The Diplomat, The Guardian.
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