Die Ruhe nach dem Tweetstorm – Zensur oder Notbremse?

Screenshot: Donald Trump's erster Tweet als Präsident
Screenshot: Donald Trump’s erster Tweet als Präsident

Twitter machte den Anfang: Der Account @realdonaldtrump ist seit dem Sturm auf das Capitol suspen­diert. Facebook, TikTok etc. folgten umgehend im für Big Tech typischen Herden­ver­halten. Werden sie damit spät ihrer Verant­wortung gerecht oder handeln Dorsey, Zuckerberg & co. aus Opportunismus?

Mit Donald Trumps Twitter-Account verhielt es sich stets wie mit einem Autounfall. Schön anzusehen war er eher nicht. Und doch war wegzu­schauen keine Option, wenn der Präsident der Verei­nigten Staaten den nordko­rea­ni­schen Diktator Kim-Jong Il lobpreiste und hinterher der NATO deren Ende androhte. Zu keinem Zeitpunkt machte Trump aus seinem Herz eine digitale Mörder­grube. Dass ihm auch vier Jahre später noch 75 Millionen Wähler trotz oder gerade wegen seiner Twitter-Verlaut­ba­rungen ihre Stimme gaben, ist eine relevante Erkenntnis, die es ohne Social Media nicht gäbe. Meinungs­freiheit gekoppelt mit völliger Hemmungs­lo­sigkeit sorgt für schmerz­hafte Trans­parenz – das ist das Gute an ihr.

Quod liced lovi...

Seitdem der schei­dende Präsident sich nun aber zum geschei­terten Revolu­ti­ons­führer beför­derte und seine Gefolg­schaft zum Sturm auf das Capitol mobili­sierte, ist es damit erstmal vorbei. Twitter-Chef Jack Dorsey beendete nicht nur Trumps Twitter-Mitglied­schaft, sondern gewis­ser­maßen auch dessen Präsi­dent­schaft. Man habe sein Konto aufgrund des „Risikos einer weiteren Anstiftung zur Gewalt dauerhaft gesperrt“, so das Unter­nehmen. Aber auch „Verstöße gegen die Twitter-Regeln“ seien dafür maßgeblich gewesen.

Eine zweifelsohne ehren­werte Vorge­hens­weise! Es scheint inzwi­schen also Twitter-Regeln zu geben, die exklusiv und ausschließlich dem ameri­ka­ni­schen Präsi­denten das Zündeln unter­sagen, Figuren wie Ali Khamenei, Nicolás Maduro oder Jair Bolsonaro hingegen nicht. Denn in deren Tweets sind wunder­sa­mer­weise seit Jahren keinerlei „Verstöße gegen die Twitter-Regeln“ zu detektieren.

Abseits der Demokra­ti­schen Partei mehren sich derweil die Stimmen, die dem Twitter-Chef ein veritables Eigentor attes­tieren. Alexey Nawalny ist genauso wenig angetan wie Angela Merkel. Besonders clever war es tatsächlich nicht, dem Präsi­denten der Verei­nigten Staaten das 280-Zeichen-Mikrofon zu entreißen. Zum einen, weil es gerade bei Zeitge­nossen wie ihm relevant ist zu wissen, was und wie sie denken. Zum anderen, weil Meinungs­freiheit unteilbar ist. Gilt sie nur für ausge­suchte Ansichten, geht sie umgehend ein. Zwar gibt es kein Grund­recht auf eine Twitter-Mitglied­schaft. Ebenso wenig endet die Meinungs­freiheit beim hellblauen Logout-Button. Gleichwohl ist Twitter inzwi­schen zu relevant, um in Trumps Sperre nicht zumindest einen gravie­renden Einschnitt in seine Kommu­ni­ka­ti­ons­freiheit erkennen zu können.

Die Geister, die Dorsey rief

Aller­dings ist es auch nicht immer leicht, Jack Dorsey zu sein. Wenn er nicht gerade an raffi­nierten Algorithmen feilt, bemüht er sich, seinen Millionen Nutzern ebenso gerecht zu werden wie seinen Aktio­nären. Denn dass Demokratie und zivili­sierte Diskurs­tech­niken nicht unbedingt zu den Kernan­liegen eines Social-Media-Entre­pre­neurs zählen, ist zwischen­zeitlich etwas unter­ge­gangen. Als ihren Kapital­gebern verpflichtete Unter­nehmer ist ihre Mission nun mal nicht nur gesell­schaft­licher, sondern primär kommer­zi­eller Natur. Es liegt nahe, dass Jack Dorsey sich erst einmal um seine Werbe­kunden kümmert, ehe er dazu kommt, den inneren Frieden Amerikas zu retten und Islamisten und Tyrannen den Kampf anzusagen.

Zweifelsohne gehört beides zusammen. Glück­liche Werbe­kunden gibt es nur dort, wo die Nutzer zufrieden sind und rheto­ri­schen Geister­fahrer nicht ganz so laut twittern. Allzu restriktiv darf es aller­dings auch nicht zugehen, wie der Absturz der Twitter­aktie nach Trumps Sperre eindrucksvoll belegt. Gut möglich, dass Jack Dorsey ebenso wie Marc Zuckerberg auch deshalb ein ambiva­lentes Verhältnis zu Regulie­rungen aller Art pflegt. Zwar haben sie die Macht, über Rede und Gegenrede zu entscheiden – von ganzem Herzen erpicht sind sie auf diese Rolle aber nicht.

Hass ist (k)eine Meinung

Denn abseits offen­sichtlich illegaler Inhalte beginnt die große soziale Grauzone: Wo endet Meinung und wo beginnt Hass? Was unter­scheidet den einge­fleischten Trumpisten vom clever agierenden Kreml-Agenten? Und wer soll auf welcher Grundlage darüber entscheiden? Fragen über Fragen, auf die auch die Tech-Elite keine zufrie­den­stel­lende Antwort kennt – „Weniger Kontrolle ist mehr“ lautet üblicher­weise ihre Devise. @realdonaldtrumps Hausverbot dürfte daher bloß am Rande mit morali­scher Überzeugung zu tun gehabt haben. Angesichts öffent­lichen wie auch internen Drucks beschritt Dorsey im entschei­denden Moment schlicht den Weg des geringsten Wider­stands. Selten wurde klarer, wie schwierig es ist, die enorme gesell­schaft­liche Verant­wortung einer­seits mit rein unter­neh­me­ri­schen Erwägungen anderer­seits in Einklang zu bringen.

Kein Wunder also, dass eifrige Politiker insbe­sondere diesseits des Atlantiks sich schon länger dieser Gemengelage angenommen haben. Direkte Eingriffe verbieten sich, man will ja nicht wie Xi Jinping aussehen. Statt­dessen sollen es hierzu­lande „no hatespeech“-Kampagnen, „freiwillige Selbst­ver­pflichtung“ und Konstrukte wie das NetzwerkDG richten. Eine nette Idee, wenn auch nur in der Theorie. Bereits 2016 rief der damalige Justiz­mi­nister Heiko Maas eine „Task Force“ ins Leben, die Facebook und Twitter zu mehr Sensi­bi­lität in puncto Hass im Netz bewegen sollte. Mehr als vier Jahre später ist derselbe Hass schon einige Schritte weiter. Mit Atten­taten wie etwa in Halle sowie der Ermordung Walter Lübckes hat er seine Ideen in die Tat umgesetzt. Zu glauben, fanatische Trumpisten könnten sich nicht ebenfalls außerhalb Twitters und ohne frische @realdonaldtrump-Botschaften unter­ein­ander verstän­digen, wäre da etwas gewagt.

Ricordi Berlusconi?

Es mag wohltuend erscheinen, gesell­schaft­liche Konflikte zu entschärfen, indem man ihre Austragung in den sozialen Medien wegre­gu­liert. Zugleich wäre es aber auch eine vorwiegend kosme­tische Maßnahme, ein Herum­doktern an den Symptomen anstatt der Ursachen. Gut möglich, dass Twitter und Facebook als globale Bühnen Gräben vertiefen und Radika­li­sierung befördern. Jedoch benötigt selbst der beste Brand­be­schleu­niger einen Funken, um Wirkung zu entfalten.

Das Problem heißt daher auch gar nicht Twitter, sondern vielmehr Donald Trump. Silvio Berlusconi etwa benötigte keinen Kurznach­rich­ten­dienst, um seine Jünger hinter sich zu scharen, ihm genügte das klassische Fernsehen, wo auch Trump qua Amt noch immer jederzeit die Öffent­lichkeit erreichen könnte. Bedau­er­li­cher­weise sind Populismus und Radika­lismus eben doch schon ein wenig älter als Facebook und Twitter. Und die Chancen stehen gut, dass sie auch dann noch florieren werden, wenn der Social-Media-Wildwuchs einer klinisch sterilen Raumat­mo­sphäre gewichen sein sollte. Soziale Medien sind nur so angenehm wie die Gesell­schaft, in der sie statt­finden. Sie sind weder parteiisch, noch sind sie Helfer auf dem Weg in eine bessere Welt. Sie spiegeln schlicht und ergreifend, was ist – tun sie das hingegen nicht mehr, sind sie überflüssig.

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