Warum Unter­nehmen politische Verant­wortung tragen

Sgt. Adrian Cadiz [CC BY 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)] via Flickr

Dürfen Unter­nehmen wie Siemens in Saudi-Arabien noch Geld verdienen? Die Ermordung des Journa­listen Jamal Khashoggi hat den Streit um die politische Verant­wortung der Wirtschaft wieder entfacht. Eine ernst­hafte Debatte über Möglich­keiten und Grenzen politi­scher Unter­neh­mens­führung ist wichtig. Unser Gastautor Johannes Bohnen empfiehlt Unter­nehmen „Corporate Political Respon­si­bility“: Sie sollen politisch sprech­fähig werden, auch damit sie in Dilem­ma­si­tua­tionen Entschei­dungen öffentlich begründen können.

„Wir expor­tieren in Deutschland nicht nur Produkte, sondern auch Werte.“ Diese Mahnung des Siemens-Chefs Joe Kaeser angesichts der Ausschrei­tungen in Chemnitz fügt sich in das Bild eines politi­schen CEOs: Zuvor hatte Kaeser Verbal­ent­glei­sungen der AfD-Politi­kerin Alice Weidel per Twitter gekontert: „Lieber Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel. Frau Weidel schadet mit ihrem Natio­na­lismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Haupt­quelle des deutschen Wohlstands liegt“. Kaeser hat begriffen, dass die liberale Demokratie Voraus­setzung für wirtschaft­lichen Erfolg ist. Diesem ökono­mi­schen Wert demokra­ti­scher Offenheit für Unter­nehmen lohnt es sich nachzu­gehen – ohne den primären intrin­si­schen Wert des freiheit­lichen Gesell­schafts­mo­dells zu schmälern.

Unter­nehmen können ihre finan­zi­ellen, organi­sa­to­ri­schen und Wissens­res­sourcen für die liberale Demokratie einsetzen. Als funktio­nelle Eliten gehören Unter­neh­mems­ver­treter zur demokra­ti­schen Kultur der Bundesrepublik. 

Der Begriff Corporate Political Respon­si­bility (CPR) versteht politi­sches Handeln von Unter­nehmen als eine Inves­tition in ihren gesell­schafts­po­li­ti­schen „Nährboden“. Auf insti­tu­tio­neller Ebene betrifft das den Einsatz für Rechts­staat­lichkeit. Sie ist Bedingung für Erwar­tungs- und Planungs­si­cherheit. Auf gesell­schaft­licher Ebene geht es um das Werben für Toleranz und Vielfalt als Voraus­setzung dafür, quali­fi­zierte Fachkräfte unabhängig von deren Ethnie oder Herkunft zu beschäf­tigen. Auch wird von den Kunden Engagement gegen Diskri­mi­nierung gefordert. Insbe­sondere die Millen­nials sind durch digitale Kommu­ni­ka­ti­ons­mittel wachsamer gegenüber dem Verhalten einer Marke geworden.

Nicht erst seit Chemnitz zeigt sich, wie anspruchsvoll die Pflege von Freiheit, Demokratie und Rechts­staat­lichkeit sind. Unter­nehmer spüren, dass mit gesell­schafts­po­li­ti­schen Schief­lagen das Fundament ihrer Geschäfts­tä­tigkeit erodiert. 

Portrait von Johannes Bohnen

Johannes Bohnen ist Geschäfts­führer der Politik- und Kommu­ni­ka­ti­ons­be­ratung BOHNEN Public Affairs und Gründer der gemein­nüt­zigen Atlan­ti­schen Initiative (atlantic-community.org)

Doch noch fehlt vielen CEOs der Mut, ihre Perspektive auf den Zusam­menhang von Demokratie, Rechts­staat­lichkeit und Wirtschaft in die öffent­liche Debatte einzu­bringen, etwa in Talkshows. Sie scheuen kurzfris­tigen Reputa­ti­ons­ri­siken. Ihr Kalkül: Wer sich zuerst äußert, bekommt den Shitstorm ab. Statt­dessen schickt man Verbands­funk­tionäre vor – die oft weniger authen­tisch auftreten.

Unter­nehmen müssen politisch sprech­fähig sein

Auf Kaesers Anfragen zu gemein­samen politi­schen Initia­tiven reagierten seine DAX-Kollegen zurück­haltend – besonders dieje­nigen mit primärem Konsu­men­ten­ge­schäft. Kurzfristig mögen sie sich in ihrer vermeint­lichen Neutra­lität bestätigt sehen. Denn von Kaeser erwartet die Öffent­lichkeit nun eine begründete Haltung zu den umstrit­tenen Siemens-Geschäften in Saudi-Arabien. Durch den selbst­ge­setzten politi­schen Anspruch steigt die moralische Fallhöhe. Kaeser erklärt in einem ausführ­lichen Kommentar, warum er nach dem Mord an dem regie­rungs­kri­ti­schen Journa­listen Jamal Khashoggi nicht an einer Inves­to­ren­kon­ferenz in Riad teilnimmt. Er wägt Stake­holder-Perspek­tiven, die Reputation von Siemens, die Beziehung zu Kunden in Saudi-Arabien und der arabi­schen Welt, die Aussicht auf Geschäfte im Wert von bis zu 30 Milli­arden Dollar bis 2030 und die Sicherheit tausender Jobs mitein­ander ab – und bezeichnet seine Absage als die sauberste Option. Die mutigste Entscheidung aber, so die Pointe seiner Begründung, sei das Fernbleiben nicht. Kaeser sieht darin eine bequeme und unpoli­tische Vermeidung der Ausein­an­der­setzung mit der saudi­schen Regierung. Dass Kaeser sich entgegen der eigenen Argumen­tation in die Reihe der Kollegen stellt, die er als Umfaller betrachtet, muss als Kapitu­lation vor dem öffent­lichem Druck verstanden werden. Nichts­des­to­trotz ist sein ausführ­licher Kommentar ein Parade­bei­spiel dafür, wie ein CEO die Rolle seines Unter­nehmens als politi­scher Akteur verin­ner­licht hat. Kaeser hat verstanden, dass Unter­nehmen politisch sprech­fähig sein müssen – denn es schafft Vertrauen, sein Handeln in strate­gi­schen Dilem­ma­si­tua­tionen öffentlich zu begründen. Gelingt es Kaeser, sein Profil als zoon politikon der deutschen Wirtschafts­lenker zu behaupten, kann er in dieser Zeit der Trans­for­mation politi­scher Unter­neh­mens­haltung zur Leitfigur werden.

Betriebs­wirt­schaftlich lässt sich argumen­tieren: Mit einer stimmigen gesell­schafts­po­li­ti­schen Haltung kann langfristig Geld verdient werden. Wer quali­tativ vergleichbare Produkte anbietet, hat das entschei­dende Verkaufs­ar­gument auf seiner Seite, wenn er gleich­zeitig eine verant­wort­liche gesell­schaft­liche Positio­nierung aufweist.

Unter­neh­mems­ver­treter sind Teil der demokra­ti­schen Kultur

Auch demokra­tie­theo­re­tisch ist Corporate Political Respon­si­bility beden­kenswert: Unter­nehmen können ihre finan­zi­ellen, organi­sa­to­ri­schen und Wissens­res­sourcen für die liberale Demokratie einsetzen. Als funktio­nelle Eliten gehören Unter­neh­mems­ver­treter zur demokra­ti­schen Kultur der Bundes­re­publik. Das erkennt auch Telekom-Chef Tim Höttges, der auf der Digital­messe Dmexco jüngst eine „Umkehrung von Werten“, eine „Verrohung von Sprache“ und „Gewalt-Eskala­tionen auf unseren Straßen“ beklagte. In ganz Europa breite sich eine „aggressive Nostalgie“ aus. Unter­nehmen hätten die Pflicht, ihre „Aufgabe in der Gesell­schaft“ zu klären. Höttges resümiert: „Wir stehen also nicht für Hass und Trennung, sondern für Gemein­schaft und Verbindung. Und insofern ist unser Handeln immer auch ein Stück weit ‚politisch‘“. Und auch im Mittel­stand scheint sich ein geschärftes Bewusstsein für die vor-ökono­mi­schen Bedin­gungen ökono­mi­scher Tätigkeit zu entwi­ckeln. Judith Borowski, Marken­chefin des sächsi­schen Uhren­her­stellers Nomos Glashütte, sagte mit Blick auf Chemnitz, der Hass sei eine Katastrophe, „auch für uns als eine weltoffene Marke, die Uhren rund um den Erdball verkauft: Nomos Glashütte steht für ein anderes Sachsen.“

Ein breiter Begriff der Inves­tition zeigt auf, dass Human­ka­pital, Forschung und Steine nicht mehr ausreichen. Wirtschaft wird Politik nicht los. Daher sollte sie diese gestalten, anstatt sich von ihr treiben zu lassen. Um Missver­ständ­nissen vorzu­beugen: Mit Corporate Political Respon­si­bility sind nicht partei­po­li­tische Einlas­sungen gemeint, die Unter­nehmen aus nachvoll­zieh­baren Gründen meiden. Anders liegt der Fall, wenn die liberale Demokratie per se in Frage steht, denn damit verlassen wir den Korridor der Parti­al­mei­nungen und berühren den gesell­schafts­po­li­ti­schen Konsens. Mit anderen Worten: Unpar­teiisch im Beson­deren, sollten Unter­nehmen durchaus parteiisch sein, wenn es um das Ganze unserer freiheit­lichen Lebensform geht.

Damit Corporate Political Respon­si­bility konkrete Gestalt annimmt, sollten Unter­nehmen einen Prozess des Political Branding durch­laufen und eine politische Marke entwi­ckeln: Sie formu­lieren ein gesell­schafts­po­li­ti­sches Leitbild, das sich aus den Stärken des Unter­nehmens ergibt. Daraus leiten sich dann idealer­weise interne und externe Handlungs- und Kommu­ni­ka­ti­ons­maß­nahmen ab.

Als Fixpunkte für CPR dienen übergrei­fende Themen wie Demokra­tie­för­derung, aber auch der Zusam­menhalt der EU. Exempla­risch steht hier die vom ehema­ligen Innogy-Chef Peter Terium ins Leben gerufene Unter­neh­mens­al­lianz „We4Europe“, deren Teilnehmer – darunter Telekom, Lufthansa und Deutsche Bank – sich für ein offenes, vereintes und starkes Europa einsetzen. Unter anderem erörtern die Firmen in Mitar­bei­ter­ge­sprächen und Weiter­bil­dungen die Bedeutung des europäi­schen Binnen­marktes für die Prospe­rität der deutschen Wirtschaft.

In vier CPR-Handlungs­feldern gibt es weitere Ideen. Im Sinne eines Respon­sible Lobbying artiku­lieren Firmen ihre Inter­essen klar und trans­parent und richten sie auf das Gemeinwohl aus. Damit sich die Unter­neh­mens­chefs wirksam in die öffent­liche Debatte einmi­schen können, analy­sieren CEO-Planungs­stäbe gesell­schafts­po­li­tische Chancen und Risiken für das Geschäft und erarbeiten Positionen. Mit Dialog­platt­formen und Bildungs­an­ge­boten fördern Unter­nehmen die politische Parti­zi­pation und Debat­ten­kultur an den Stand­orten. Der Arbeits­platz wird so zum Ort politi­scher Öffent­lichkeit – schließlich verbringen Beschäf­tigte hier bis zu fünf Tage in der Woche. Und schließlich unter­stützen sie den Staat dabei, Kollek­tiv­güter bereit­zu­stellen: Beispiele sind Betriebs­kin­der­gärten, Biblio­theken oder Sportplätze.

Für Demokratie gibt es also einen Business Case. Es ist an der Zeit, dass Unter­nehmen mit CPR zu politi­schen Marken werden – im aufge­klärten Eigeninteresse.

 

 

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