Warum Unternehmen politische Verantwortung tragen
Dürfen Unternehmen wie Siemens in Saudi-Arabien noch Geld verdienen? Die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi hat den Streit um die politische Verantwortung der Wirtschaft wieder entfacht. Eine ernsthafte Debatte über Möglichkeiten und Grenzen politischer Unternehmensführung ist wichtig. Unser Gastautor Johannes Bohnen empfiehlt Unternehmen „Corporate Political Responsibility“: Sie sollen politisch sprechfähig werden, auch damit sie in Dilemmasituationen Entscheidungen öffentlich begründen können.
„Wir exportieren in Deutschland nicht nur Produkte, sondern auch Werte.“ Diese Mahnung des Siemens-Chefs Joe Kaeser angesichts der Ausschreitungen in Chemnitz fügt sich in das Bild eines politischen CEOs: Zuvor hatte Kaeser Verbalentgleisungen der AfD-Politikerin Alice Weidel per Twitter gekontert: „Lieber Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel. Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Hauptquelle des deutschen Wohlstands liegt“. Kaeser hat begriffen, dass die liberale Demokratie Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg ist. Diesem ökonomischen Wert demokratischer Offenheit für Unternehmen lohnt es sich nachzugehen – ohne den primären intrinsischen Wert des freiheitlichen Gesellschaftsmodells zu schmälern.
Unternehmen können ihre finanziellen, organisatorischen und Wissensressourcen für die liberale Demokratie einsetzen. Als funktionelle Eliten gehören Unternehmemsvertreter zur demokratischen Kultur der Bundesrepublik.
Der Begriff Corporate Political Responsibility (CPR) versteht politisches Handeln von Unternehmen als eine Investition in ihren gesellschaftspolitischen „Nährboden“. Auf institutioneller Ebene betrifft das den Einsatz für Rechtsstaatlichkeit. Sie ist Bedingung für Erwartungs- und Planungssicherheit. Auf gesellschaftlicher Ebene geht es um das Werben für Toleranz und Vielfalt als Voraussetzung dafür, qualifizierte Fachkräfte unabhängig von deren Ethnie oder Herkunft zu beschäftigen. Auch wird von den Kunden Engagement gegen Diskriminierung gefordert. Insbesondere die Millennials sind durch digitale Kommunikationsmittel wachsamer gegenüber dem Verhalten einer Marke geworden.
Nicht erst seit Chemnitz zeigt sich, wie anspruchsvoll die Pflege von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind. Unternehmer spüren, dass mit gesellschaftspolitischen Schieflagen das Fundament ihrer Geschäftstätigkeit erodiert.
Doch noch fehlt vielen CEOs der Mut, ihre Perspektive auf den Zusammenhang von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wirtschaft in die öffentliche Debatte einzubringen, etwa in Talkshows. Sie scheuen kurzfristigen Reputationsrisiken. Ihr Kalkül: Wer sich zuerst äußert, bekommt den Shitstorm ab. Stattdessen schickt man Verbandsfunktionäre vor – die oft weniger authentisch auftreten.
Unternehmen müssen politisch sprechfähig sein
Auf Kaesers Anfragen zu gemeinsamen politischen Initiativen reagierten seine DAX-Kollegen zurückhaltend – besonders diejenigen mit primärem Konsumentengeschäft. Kurzfristig mögen sie sich in ihrer vermeintlichen Neutralität bestätigt sehen. Denn von Kaeser erwartet die Öffentlichkeit nun eine begründete Haltung zu den umstrittenen Siemens-Geschäften in Saudi-Arabien. Durch den selbstgesetzten politischen Anspruch steigt die moralische Fallhöhe. Kaeser erklärt in einem ausführlichen Kommentar, warum er nach dem Mord an dem regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi nicht an einer Investorenkonferenz in Riad teilnimmt. Er wägt Stakeholder-Perspektiven, die Reputation von Siemens, die Beziehung zu Kunden in Saudi-Arabien und der arabischen Welt, die Aussicht auf Geschäfte im Wert von bis zu 30 Milliarden Dollar bis 2030 und die Sicherheit tausender Jobs miteinander ab – und bezeichnet seine Absage als die sauberste Option. Die mutigste Entscheidung aber, so die Pointe seiner Begründung, sei das Fernbleiben nicht. Kaeser sieht darin eine bequeme und unpolitische Vermeidung der Auseinandersetzung mit der saudischen Regierung. Dass Kaeser sich entgegen der eigenen Argumentation in die Reihe der Kollegen stellt, die er als Umfaller betrachtet, muss als Kapitulation vor dem öffentlichem Druck verstanden werden. Nichtsdestotrotz ist sein ausführlicher Kommentar ein Paradebeispiel dafür, wie ein CEO die Rolle seines Unternehmens als politischer Akteur verinnerlicht hat. Kaeser hat verstanden, dass Unternehmen politisch sprechfähig sein müssen – denn es schafft Vertrauen, sein Handeln in strategischen Dilemmasituationen öffentlich zu begründen. Gelingt es Kaeser, sein Profil als zoon politikon der deutschen Wirtschaftslenker zu behaupten, kann er in dieser Zeit der Transformation politischer Unternehmenshaltung zur Leitfigur werden.
Betriebswirtschaftlich lässt sich argumentieren: Mit einer stimmigen gesellschaftspolitischen Haltung kann langfristig Geld verdient werden. Wer qualitativ vergleichbare Produkte anbietet, hat das entscheidende Verkaufsargument auf seiner Seite, wenn er gleichzeitig eine verantwortliche gesellschaftliche Positionierung aufweist.
Unternehmemsvertreter sind Teil der demokratischen Kultur
Auch demokratietheoretisch ist Corporate Political Responsibility bedenkenswert: Unternehmen können ihre finanziellen, organisatorischen und Wissensressourcen für die liberale Demokratie einsetzen. Als funktionelle Eliten gehören Unternehmemsvertreter zur demokratischen Kultur der Bundesrepublik. Das erkennt auch Telekom-Chef Tim Höttges, der auf der Digitalmesse Dmexco jüngst eine „Umkehrung von Werten“, eine „Verrohung von Sprache“ und „Gewalt-Eskalationen auf unseren Straßen“ beklagte. In ganz Europa breite sich eine „aggressive Nostalgie“ aus. Unternehmen hätten die Pflicht, ihre „Aufgabe in der Gesellschaft“ zu klären. Höttges resümiert: „Wir stehen also nicht für Hass und Trennung, sondern für Gemeinschaft und Verbindung. Und insofern ist unser Handeln immer auch ein Stück weit ‚politisch‘“. Und auch im Mittelstand scheint sich ein geschärftes Bewusstsein für die vor-ökonomischen Bedingungen ökonomischer Tätigkeit zu entwickeln. Judith Borowski, Markenchefin des sächsischen Uhrenherstellers Nomos Glashütte, sagte mit Blick auf Chemnitz, der Hass sei eine Katastrophe, „auch für uns als eine weltoffene Marke, die Uhren rund um den Erdball verkauft: Nomos Glashütte steht für ein anderes Sachsen.“
Ein breiter Begriff der Investition zeigt auf, dass Humankapital, Forschung und Steine nicht mehr ausreichen. Wirtschaft wird Politik nicht los. Daher sollte sie diese gestalten, anstatt sich von ihr treiben zu lassen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Mit Corporate Political Responsibility sind nicht parteipolitische Einlassungen gemeint, die Unternehmen aus nachvollziehbaren Gründen meiden. Anders liegt der Fall, wenn die liberale Demokratie per se in Frage steht, denn damit verlassen wir den Korridor der Partialmeinungen und berühren den gesellschaftspolitischen Konsens. Mit anderen Worten: Unparteiisch im Besonderen, sollten Unternehmen durchaus parteiisch sein, wenn es um das Ganze unserer freiheitlichen Lebensform geht.
Damit Corporate Political Responsibility konkrete Gestalt annimmt, sollten Unternehmen einen Prozess des Political Branding durchlaufen und eine politische Marke entwickeln: Sie formulieren ein gesellschaftspolitisches Leitbild, das sich aus den Stärken des Unternehmens ergibt. Daraus leiten sich dann idealerweise interne und externe Handlungs- und Kommunikationsmaßnahmen ab.
Als Fixpunkte für CPR dienen übergreifende Themen wie Demokratieförderung, aber auch der Zusammenhalt der EU. Exemplarisch steht hier die vom ehemaligen Innogy-Chef Peter Terium ins Leben gerufene Unternehmensallianz „We4Europe“, deren Teilnehmer – darunter Telekom, Lufthansa und Deutsche Bank – sich für ein offenes, vereintes und starkes Europa einsetzen. Unter anderem erörtern die Firmen in Mitarbeitergesprächen und Weiterbildungen die Bedeutung des europäischen Binnenmarktes für die Prosperität der deutschen Wirtschaft.
In vier CPR-Handlungsfeldern gibt es weitere Ideen. Im Sinne eines Responsible Lobbying artikulieren Firmen ihre Interessen klar und transparent und richten sie auf das Gemeinwohl aus. Damit sich die Unternehmenschefs wirksam in die öffentliche Debatte einmischen können, analysieren CEO-Planungsstäbe gesellschaftspolitische Chancen und Risiken für das Geschäft und erarbeiten Positionen. Mit Dialogplattformen und Bildungsangeboten fördern Unternehmen die politische Partizipation und Debattenkultur an den Standorten. Der Arbeitsplatz wird so zum Ort politischer Öffentlichkeit – schließlich verbringen Beschäftigte hier bis zu fünf Tage in der Woche. Und schließlich unterstützen sie den Staat dabei, Kollektivgüter bereitzustellen: Beispiele sind Betriebskindergärten, Bibliotheken oder Sportplätze.
Für Demokratie gibt es also einen Business Case. Es ist an der Zeit, dass Unternehmen mit CPR zu politischen Marken werden – im aufgeklärten Eigeninteresse.
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