Wie die Opposition in Großbri­tannien zum Brexit-Chaos beiträgt

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Der überzeugte EU-Skeptiker Jeremy Corbyn hat sich stets gegen ein zweites Referendum gestellt. Wie lange kann der Labour-Chef noch lavieren?

Hat der britische Opposi­ti­ons­führer Jeremy Corbyn am Montag einen Schritt in Richtung eines zweiten Referendums getan? Die Labour-Partei brachte im Parlament einen Antrag ein, über den nächste Woche abgestimmt wird. Er sieht unter anderem eine Option vor, bei der das Parlament eine Volks­ab­stimmung über den Deal mit der EU ausrufen kann sowie über alle anderen Vorschläge, die eine Mehrheit im Parlament finden. Der Text wurde explizit vorsichtig formu­liert. Das Referendum wäre nur eine der zwei vorge­schla­genen Optionen, um einen ungere­gelten Brexit zu verhindern. Corbyn persönlich ist nach wie vor gegen eine erneute Volks­ab­stimmung und für einen alter­na­tiven Brexit-Plan, bei der Großbri­tannien in der Zollunion mit der EU bleiben würde. Doch der Weg zum zweiten Referendum ist damit nicht ganz ausgeschlossen. 

Portrait von Julia Smirnova

Julia Smirnova ist freie Journa­listin und Studentin am King’s College London. 

Wahrscheinlich handelt es sich dabei aber eher um takti­sches Lavieren als um ernstes Umdenken. Corbyn geriet zunehmend unter Druck, nachdem sein Misstrau­ens­votum gegen die Regierung vergangene Woche abgelehnt wurde. Sein Plan, auf Neuwahlen zu pochen, ist damit gescheitert. Und innerhalb der Partei wurde die Spaltung immer deutlicher zwischen denje­nigen, die ein zweites Referendum fordern, und denen, die es ablehnen. Der Labour-Antrag eignet sich insofern gut, um die Unmut unter den Remainers zu lindern, ohne sich tatsächlich auf etwas festzu­legen. Zumal nur geringe Chancen dafür bestehen, dass der Vorschlag tatsächlich nächste Woche eine Mehrheit im Parlament findet.

Dabei wollen viele von Corbyn jetzt kein politi­sches Lavieren mehr, sondern eine klare und verant­wor­tungs­volle Strategie. Die Lage um den Brexit ist vertrackt, und Hoffnung auf baldige Lösung ist nicht in Sicht. Am Montag hat Premier­mi­nis­terin Theresa May im Parlament ihren Plan B für den Brexit vorge­stellt. Freilich gab es nur wenige Unter­schiede zum Plan A, der bereits vergangene Woche krachend durch­ge­fallen war. May versprach, in Verhand­lungen mit der EU eine Lösung für die irische Grenze zu finden, einen der Streit­punkte ihres Deals. Die Kritiker insbe­sondere bei den Tories fordern, dass der sogenannte Backstop – der Verbleib Großbri­tan­niens in der Zollunion im Fall, dass es keine Einigung über das künftige Verhältnis zur EU und das Grenz­regime zur Republik Irland gibt – zeitlich befristet wird. Doch bereits am Montag hieß es aus Brüssel, dass der Backstop nicht befristet werden könne. Alles sieht danach aus, dass May auch bei der zweiten Abstimmung über ihren ausge­han­delten Deal scheitern wird.

„Lexit“: Sozia­lismus in einem Land statt „Europa der Banken“

Momentan gibt es kein realis­ti­sches Brexit-Szenario, dem eine Mehrheit im Parlament zustimmen würde. Die konser­vative Partei kann sich nicht auf eine Vorstellung einigen, wie das künftige Verhältnis zur EU aussehen soll. Aber auch Labour-Chef Corbyn trägt derzeit nicht dazu bei, die Polari­sierung zu überwinden und den besten Ausweg für das Land zu finden. Er ist zu keinem partei­über­grei­fenden Kompromiss bereit. Die Einladung zu den Gesprächen, die May an Opposi­ti­ons­par­teien schickte, lehnte er demons­trativ ab. Und schon seit Monaten verhindert er, dass die Labour-Partei ein zweites Referendum unterstützt.

Im pro-europäi­schen Lager wird der Opposi­ti­ons­führer für seine Rolle im Brexit-Prozess immer stärker kriti­siert. „Selten haben Opposi­ti­ons­par­teien so viel Macht, um den Schaden für das Leben von Millionen ihrer Wähler zu verhindern. Und selten vergeuden sie die Chance so, wie Jeremy Corbyn es bis jetzt getan hat“, hieß es neulich in einem Leitar­tikel des „Observer“. Die Labour-Partei handle unter Corbyn genauso unver­ant­wortlich wie die Konservativen.

Jeremy Corbyn gehörte schon immer zu der kleinen linken Gruppe der klaren Euroskep­tiker in der Partei. 1975 stimmte er gegen die Mitglied­schaft Großbri­tan­niens in der Europäi­schen Wirtschafts­ge­mein­schaft. Im Parlament hat er gegen den Maastricht-Vertrag sowie gegen den Lissabon-Vertrag gestimmt und die EU häufig als eine undemo­kra­tische Union kriti­siert, die vor allem Großun­ter­nehmen und Banken nutze. „Wenn man den Menschen dieses Konti­nents ein Europa der Banker aufzwingt, wird das den Sozia­lismus im Verei­nigten König­reich und in jedem anderen Land gefährden“, erklärte er etwa 1993. Für den überzeugten Sozia­listen ist die EU immer ein verdäch­tiges Projekt des globa­li­sierten Kapita­lismus gewesen.

Zu einem Anhänger der europäi­schen Integration ist er nie geworden

Als Corbyn 2015 überra­schend zum Parteichef gewählt wurde, musste er seine euroskep­tische Rhetorik mäßigen. Doch zu einem Anhänger des europäi­schen Integra­ti­ons­pro­jekts ist er nie geworden. Während der Kampagne vor dem Referendum über den Verbleib in der EU kämpfte er nur halbherzig für Remain. Er wieder­holte zum Teil seine Kritik an der EU, sagte aber, alles in alles sei es für Großbri­tannien besser, in der Union zu bleiben. Gefragt nach der EU, sagte er etwa dem US-Magazin „New Yorker“: „Gefällt mir, wie sie verwaltet wird? Nein. Glaube ich, dass es eine Verei­nigung von progres­siven Bewegungen in Europa geben soll, um den globalen Kapita­lismus heraus­zu­fordern? Ja.“

Nachdem die Ergeb­nisse des Referendums bekannt wurden, verlor Corbyn ein frakti­ons­in­ternes Misstrau­ens­votum im Parlament, weigerte sich jedoch zurück­zu­treten. Bei einer Abstimmung von Partei­mit­gliedern und Sympa­thi­santen wurde er später im Amt bestätigt. Und seit dem Referendum ist die Labour-Position gegenüber Brexit schwammig geblieben. Während der Kampagne vor den Parla­ments­wahlen 2017 hielt Corbyn flammende Reden gegen Armut und die Sparpo­litik der Regierung – seine Lieblings­themen. Europa stand für ihn aber nicht weit vorne auf der Agenda. Zwar betonte er, der Brexit solle in einer „weichen“ Form statt­finden, damit Großbri­tannien möglichst viele wirtschaft­liche Vorteile erhalten blieben. Aber er hat prinzi­piell nichts dagegen, die Perso­nen­frei­zü­gigkeit einzu­schränken. Damit will er offenbar die klassi­schen Labour-Anhänger einfangen, die für den Brexit stimmten, um Migration aus anderen EU-Ländern zu stoppen.

Mehrere führende Labour-Politiker fordern schon lange ein zweites Referendum, können sich aber damit nicht in der Partei durch­setzen. Auf dem letzten Parteitag im September wurde die Kompro­miss­lösung erreicht, künftig alle Optionen offen zu halten, auch eine zweite Volks­ab­stimmung und den Verbleib in der EU. Gegen das Referendum sind weiterhin mehrere Mitglieder des Schat­ten­ka­bi­netts wie Richard Burgon, Barry Gardiner, Jon Trickett und Ian Lavery. Die Parla­ments­fraktion ist in der Frage gespalten, aber eine Mehrheit soll eher ein zweites Referendum als den „weichen“ Brexit unter­stützen. Was die Labour-Wähler angeht, zeigte die letzte YouGove-Umfrage, dass die Mehrheit von ihnen ebenfalls für eine zweite Volks­ab­stimmung ist.

Wenn das Chaos so weitergeht, wird es für Corbyn immer schwie­riger, zwischen den Lagern in seiner Partei zu bilan­zieren. Angesichts der knappen Zeit bis zum Brexit bildet sich in der Fraktion außerdem Unter­stützung für einen Vorschlag der Labour-Abgeord­neten Yvette Cooper, den Verhand­lungs­prozess über den 29. März hinaus zu verlängern. Aber auch in diesem Fall wäre es nur eine temporäre Lösung, um ein „No deal“ zu verhindern. Doch das Land und die beiden großen Partei sind so gespalten, dass auch zusätz­liche Zeit nicht unbedingt helfen wird, einen Kompromiss zu finden.

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