Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit?
Zielkonflikte der wehrhaften Demokratie
Ist es legitim, politische Freiheiten wie die Meinungsfreiheit oder das Recht, Parteien zu gründen und sich zur Wahl zu stellen, einzuschränken, um die liberale Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen? Diese Frage führt uns mitten in eine klassische Kontroverse der politischen Theorie und Praxis, wie Ralf Fücks analysiert.
Keine Toleranz gegenüber Intoleranten
Karl Popper, einer der Klassiker des modernen Liberalismus, forderte „Keine Toleranz gegenüber Intoleranten.“ Daraus entstand das Konzept einer „wehrhaften Demokratie“, das sich in dem Satz „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ zusammenfassen lässt.
Dass Demokratien die Freiheit der Feinde der Freiheit einschränken sollten, war eine Reaktion auf die Erfahrung, dass Faschisten und Kommunisten – die Feinde der liberalen Demokratie von rechts und links – die verfassungsmäßigen Rechte der liberalen Demokratie nutzten, um sie anzugreifen. Hitler und seine Bande machten keinen Hehl aus ihrer zynischen Haltung gegenüber der Demokratie: Wir werden ihre Möglichkeiten nutzen, um sie schließlich abschaffen, nachdem wir die Macht ergriffen haben.
AfD-Verbot als Zeichen der Schwäche der Demokratie
Heute gibt es in Deutschland erneut eine Debatte darüber, ob die Partei „Alternative für Deutschland“, die zumindest teilweise rechtsextrem ist, verboten werden soll. Ich stehe dieser Forderung kritisch gegenüber – aus meiner Sicht wäre ein Verbot eher ein Zeichen der Schwäche der Demokraten als ein Zeichen ihrer Stärke. Und es wäre politischer Zündstoff für Populisten, die bereits von einer „Scheindemokratie“ sprechen, in der kritische Meinungen von den herrschenden Eliten unterdrückt werden.
Ich bin eher ein Verfechter eines angelsächsischen Liberalismus mit seinem weit gefassten Verständnis von politischer Freiheit. Der Test für die Meinungsfreiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. Wer die Meinungsfreiheit verteidigen will, muss auch das Recht verteidigen, Meinungen zu vertreten, die den eigenen Überzeugungen fundamental widersprechen. Um ein Beispiel zu geben: Wir sollten Positionen, die den russischen Angriffskrieg rechtfertigen, mit aller Kraft bekämpfen, aber nicht verbieten.
Keine Naivität gegenüber feindlichen Machtinstrumenten
Natürlich dürfen wir nicht naiv sein. Wir wissen nur zu gut, dass der Kreml und andere autoritäre Mächte einen Informationskrieg gegen die westlichen Demokratien führen, eine ständige Flut von Desinformation und Propaganda, um unsere Gesellschaften zu spalten, radikale Kräfte zu stärken und Wahlen zu beeinflussen.
Es war deshalb richtig, Russia Today spätestens nach dem groß angelegten Angriff Russlands auf die Ukraine die Sendelizenz in Deutschland und den meisten europäischen Ländern zu entziehen. Dabei ging es um das Verbot eines staatlichen Senders, eines Propagandainstruments einer feindlichen Macht, und nicht um die Einschränkung journalistischer Freiheit.
Der hohe Wert der Meinungsfreiheit ist allerdings kein Freibrief, sie nach Belieben zu missbrauchen. Wie andere politische Freiheiten auch, muss sie mit anderen Rechtsgütern abgewogen werden. In Deutschland sind persönliche Beleidigungen, Aufstachelung zum Hass gegen Minderheiten, antisemitische Propaganda und Aufrufe zur Gewalt strafbar. Aber wir sollten uns davor hüten, die Meinungsfreiheit unter Berufung auf den Schutz von Minderheiten, der demokratischen Institutionen oder der nationalen Sicherheit immer stärker einzuschränken. Der Staat ist nicht die Instanz, die über die Wahrheit öffentlicher Äußerungen und die Legitimität bestimmter politischer Meinungen zu entscheiden hat. Das führt auf den schlüpfrigen Pfad der Zensur.
Rote Linie: Der Aufruf zur Gewalt
Die wichtigste rote Linie, die wir gegenüber den Feinden der liberalen Demokratie ziehen müssen, ist der Aufruf zur Gewalt und die Anwendung von Gewalt. Wenn nötig, muss die Gewaltfreiheit durch Polizei und Justiz durchgesetzt werden. Gewaltfreiheit markiert die Trennlinie zwischen zivilem politischem Konflikt und Bürgerkrieg.
Diese Maxime gilt für den innerstaatlichen Bereich liberaler Demokratien mit freien und fairen Wahlen und garantierten Bürgerrechten. In einer Diktatur ist die Anwendung politischer Gewalt gegen die herrschende Macht eine andere Frage. Anstatt Zuflucht in Repression zu suchen, sollten wir uns in erster Linie auf demokratische Bildungsarbeit, Aufklärung und aktive Gegeninformation konzentrieren – und auf überzeugende, wirkungsvolle Politik, die Extremisten ihrer Unterstützerbasis beraubt. Wir müssen Wege finden, eine liberale Gesellschaft mit liberalen Mitteln zu verteidigen.
Bislang keine Antworten auf neue Probleme durch digitalen Wandel
Das Problem wird jedoch durch den radikalen Wandel der politischen Kommunikation durch das Internet und die sozialen Medien erheblich verschärft. Die digitalen Medien haben einer Flut von Desinformation, Hass und radikaler Propaganda Tür und Tor geöffnet. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, Bots, gefälschten Videos und manipulierten Bildern verstärkt diese Effekte noch. Wenn wir ehrlich sind, haben wir noch keine adäquaten Antworten darauf gefunden. Ich vermute, dass wir keine andere Wahl haben werden, als selbst die Werkzeuge der KI einzusetzen, um uns gegen Desinformation und feindliche Propaganda zu verteidigen. Freilich nicht, indem wir selbst mit den Waffen der Desinformation, Diffamierung und Lüge arbeiten. Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit sind Tugenden, die wir auch im Kampf mit den Gegnern der Demokratie bewahren müssen.
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