LibMod Essay­wett­bewerb: Wir sind so frei?

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Wie sieht ein Zusam­men­spiel zwischen Demokratie und Wirtschaft aus, das der Gesell­schaft nützt? Antworten wurden in unserem Essay­wett­bewerb „Demokratie und Wirtschaft“, den wir zusammen mit der Wirtschafts­Woche ausge­richtet haben, disku­tiert. Die drei besten Texte wurden ausge­wählt, die Autoren werden auf unserer inter­na­tio­nalen Konferenz „Rethinking Liberalism“ am 16. Januar ausge­zeichnet. Den Auftakt macht die für Platz 3 prämierte Nahost­wis­sen­schaft­lerin Ines Gassal-Bosch. Sie denkt über die Zukunft des Libera­lismus in der techno­polaren Welt nach.

Techno­lo­gie­füh­rer­schaft prägt das globale Macht­gefüge. Im weltweiten Innova­ti­ons­wettlauf geht es um quanten­re­sis­tente Daten­ver­schlüs­selung, Milli­ar­den­ge­schäfte im Weltraum und raffi­nierte Algorithmen, die ganze Indus­trien trans­for­mieren könnten. Techfirmen und Staaten, die in zentralen Techno­lo­gie­feldern die Vorherr­schaft erringen, sichern sich ökono­mi­schen, politi­schen und gesell­schaft­lichen Einfluss. Es mag früh sein, von einer techno­polaren Welt zu sprechen. Aber es schadet nicht, nüchtern über die Zukunfts­fä­higkeit des Libera­lismus nachzu­denken, abseits von Techno-Trium­pha­lismus und techno­phoben Dystopien. Drei Entwick­lungen rücken in den Fokus, auf die ein zeitge­mäßer Libera­lismus reagieren muss.

KI und Demokratie – zwischen Parti­zi­pation und Halluzination

Der Libera­lismus postu­liert für das Individuum das Recht und die Fähigkeit, sich seine Meinung frei zu bilden. Natürlich ist es ein kontra­fak­ti­sches Ideal, dass Menschen ihre politi­schen Ansichten ausschließlich auf Fakten­basis formen – und nie ihrem Bauch­gefühl oder fakten­fle­xiblen Beiträgen in den sozialen Medien erliegen. Doch künst­liche Intel­ligenz (KI) hat einige Eigen­schaften, die dieses Ideal in weitere Ferne rücken lassen. Sie ist manipu­lierbar, pflegt Vorur­teile und hat einen Hang zu hallu­zi­nieren. Sie wird zur gezielten Desin­for­mation und Manipu­lation demokra­ti­scher Willens­bildung missbraucht. Sie generiert auch ohne böse Absicht Falsch­aus­sagen und Filter­blasen – zum Beispiel aufgrund verzerrter Daten oder durch willkür­liches Herum­fa­bu­lieren. Dennoch infor­mieren sich immer mehr Menschen mit ihrer Hilfe zu politi­schen Themen.

Was bedeutet es für unsere Infor­ma­ti­ons­freiheit, wenn KI-Algorithmen weniger Techgi­ganten uns durch den digitalen Wissens­speicher lotsen und zunehmend bestimmen, welche Infor­ma­tionen unseren Wahrneh­mungs­filter passieren? Natürlich gibt es zahlreiche KI-Anwen­dungen, die neue Parti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­keiten eröffnen. Ob die Demokratie auf KI als Verbündete zählen kann, hängt nicht zuletzt davon ab, wie vernunft­ge­leitet wir sie nutzen. Doch wer will noch die Anstren­gungen des Selber­denkens auf sich nehmen, wenn ChatGPT und Co. auf alles eine scheinbar perfekte Antwort parat haben?

Liberale Werte im Zeitalter der Maschinenmenschen

Emoti­ons­er­kennung am Arbeits­platz, Brain Hacking oder Flugzeuge, die per Gedanken gesteuert werden: Das sind keine Science-Fiction-Visionen mehr, sondern experi­mentell belegte Möglich­keiten. Fortschritte in der Bio- und Neuro­tech­no­logie erlauben revolu­tionäre Eingriffe in die Natur und das genetische Programm des Menschen. Für viele bergen Entwick­lungen wie Gehirn-Computer-Schnitt­stellen diagnos­ti­sches und thera­peu­ti­sches Potenzial, das ihnen zu mehr Autonomie verhelfen könnte.

Zugleich zeigt die Geschichte, dass techno­lo­gische Neuerungen nicht immer im Sinne der Menschen­rechte einge­setzt werden. Schon jetzt können ausge­feilte Algorithmen einige unserer Gedanken entschlüsseln und gezielt in unsere Gehirn­ak­ti­vität eingreifen. Es löst nicht nur Vorfreude aus, was diese Algorithmen in naher Zukunft, einge­bettet in „Wearables“ wie Kopfhörer, anrichten könnten.

Die Möglich­keiten zur Kontrolle und Fremd­steuerung unseres Verhaltens stellen geltende Vorstel­lungen von Verant­wortung und Mündigkeit infrage. Selbst wenn sich der Mensch kraft seiner Fähigkeit zur Selbst­be­stimmung nicht vollständig steuern ließe – die Missbrauchs­mög­lich­keiten unserer neuro­lo­gi­schen Daten sind ein Problem. Die liberale Menschen­rechtsidee kann nicht mehr lange auf die sogenannten Neuro­rechte verzichten – wie das Recht auf geistige Privat­sphäre und kognitive Freiheit.

Auch das soziale Gefüge und merito­kra­tische Leistungs­prinzip können durch Möglich­keiten zur techno­lo­gi­schen Selbst­ver­bes­serung erodieren – etwa, wenn Eltern ihren Kindern Neuroenhancement-Präparate oder vorge­burt­liche Eingriffe in die Erbstruktur finan­zieren. Wohlha­bende Personen und Gesell­schaften könnten durch teure Optimie­rungs­ver­fahren enorme Wettbe­werbs­vor­teile erlangen.

Wie fit ist die Markt­wirt­schaft für den nächsten Quantensprung?

Es sorgt auch nicht nur für Wohlstand und Entzücken, was wir durch techno­lo­gische Neuerungen in der Wirtschaft zu erwarten haben. Die digitale Trans­for­mation verändert Arbeits­weisen und Berufs­bilder grund­legend – nicht zuletzt durch die zuneh­mende Substi­tu­ier­barkeit von mensch­licher Arbeits­kraft durch KI. Big Data und die Aussicht auf einsatz­reife Quanten­com­puter beflügeln Träume von neuen Formen der Planwirtschaft.

Die Digita­li­sierung von Dienst­leis­tungs­gütern prämiert tenden­ziell monopo­lis­tische Geschäfts­mo­delle. Bewährte Instru­mente der Wettbe­werbs­po­litik stoßen gegenüber „The-Winner-takes-it-all“-Plattformen an Grenzen. Und die Konzen­tration dürfte sich noch zuspitzen. Computer, die auf der Grundlage quanten­me­cha­ni­scher Prinzipien rechnen, könnten schon in wenigen Jahren Aufgaben bewäl­tigen, an denen die besten Super­rechner von heute scheitern. Wer als Erster über einen einsatz­reifen Quanten­com­puter verfügt, sichert sich bahnbre­chende Möglich­keiten, seine Konkurrenz auszu­schalten. Zu diesen Möglich­keiten gehört auch die Fähigkeit, gängige Verschlüs­se­lungs­ver­fahren zu brechen.

Noch sind Quanten­com­puter für viele Anwen­dungen zu fehler­an­fällig. Doch schon jetzt beherr­schen einige wenige Akteure unser digitales Leben. Nicht viele Nutzer bemühen bei ihren Online­re­cherchen eine andere Suchma­schine als Google. Der Inter­net­riese dominiert – zusammen mit Amazon und Microsoft – das Cloud-Geschäft. Auch die Macht über das Social-Media-Universum liegt in den Händen weniger Platt­form­be­treiber. Und auf dem globalen Markt für generative KI stellen die erfor­der­liche Rechen­leistung, die nötigen Daten­sätze und das spezia­li­sierte Know-how hohe Eintritts­bar­rieren dar, die eine Markt­kon­zen­tration begünstigen.

Die Freiheit stärken im techno­polaren Zeitalter – aber wie?

Ist der Libera­lismus noch zu retten? Aber ja, sofern er die Handlungs­räume nutzt, die uns eine gestal­tende Sicht auf Zukunfts­tech­no­logien eröffnen. Drei zentrale Ansätze zur Stärkung freiheit­licher Werte im techno­polaren Zeitalter:

■ Techno­lo­gie­sou­ve­rä­nität anstreben
Deutschland und Europa sollten in zentralen Techno­lo­gie­feldern verstärkt eigene Fähig­keiten und Kapazi­täten ausbauen und Abhän­gig­keiten von einzelnen Techno­lo­gie­an­bietern und fremden Staaten reduzieren. Das ist umso dring­licher, als autoritäre Länder – allen voran China – techno­lo­gische Vorsprünge nutzen, um Abhän­gig­keiten zu schaffen, die unsere freiheit­lichen Werte und Sicher­heits­in­ter­essen gefährden könnten. Dabei geht es nicht um techno­lo­gische Autarkie, sondern darum, gemeinsam mit gleich­ge­sinnten Partnern technische Standards im Sinne liberaler Werte zu gestalten. Ein wesent­liches Element zur Stärkung techno­lo­gi­scher Souve­rä­nität ist Open-Source-Software, die Innova­tionen und fairen Wettbewerb begünstigt.

■ Demokra­ti­sierung der Technologien
Angesichts der Unbere­chen­barkeit techno­lo­gi­scher Entwick­lungen braucht es einen regula­to­ri­schen Rahmen, der anpas­sungs­fähig und chancen­ori­en­tiert ist – und dabei zentrale Werte des freiheit­lichen Menschen­bildes schützt. Unter anderem muss er gewähr­leisten, dass neue Techno­logien trans­parent, nachvoll­ziehbar, diskri­mi­nie­rungsfrei und inklusiv konzi­piert werden, während ihre Anfäl­ligkeit für Fehlan­wen­dungen und Missbrauch minimiert wird.

■ Technische Litera­lität fördern
Um die Selbst­be­stimmung des Einzelnen und die demokra­tische Entschei­dungs­findung zu ermög­lichen, müssen Individuen in der Lage sein, technische Innova­tionen zu verstehen, kritisch zu hinter­fragen und selbst­be­stimmt zu nutzen, statt Entschei­dungen und Aufgaben unreflek­tiert an Maschinen zu delegieren. Eine gezielte Förderung dieser Fähig­keiten im Bildungs­system ist daher heute von zentraler Bedeutung.

 

Die Jury bestand in diesem Jahr aus Ursula Weidenfeld (freie Journa­listin), Karen Horn (Univer­sität Erfurt), Jan-Jonathan Bock (Hertie Stiftung), Dieter Schnaas (Wirtschafts­Woche) und Ralf Fücks (Zentrum Liberale Moderne). Dieser Text ist bereits in der Wirtschafts­woche erschienen.

Textende

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