Pegida: Wie aus DDR-Dissidenten Wutbürger werden
Nicht wenige DDR-Bürgerrechtler haben sich Pegida angeschlossen. LibMod-Kolumnist Marko Martin berichtet über ein Streitgespräch im Berliner Stasi-Museum, in dem freiheitliche Dissidenten auf Apologeten der AfD treffen. Warum fällt es ausgerechnet manchen früheren Stasi-Häftlingen schwer, sich vom autoritären Denken zu distanzieren?
Was ostdeutsche Bürgerrechtler sich über die Jahrzehnte hinweg alles schon hatten anhören müssen: Ihre Kritik am DDR-Militarismus gefährde die deutsch-deutsche Koexistenz, ihre Hoffnung auf eine reformierte Nachwende-DDR sei krypto-kommunistisch bzw. ihre Präferenz für die deutsche Einheit ein gefährlicher Neonationalismus, wohingegen ihr Insistieren auf Aufarbeitung der Stasi- und SED-Verbrechen rachedurstig sei und den inneren Frieden zerstöre. Gemeinsam war diesen Invektiven, die sowohl von linker wie auch von konservativer Seite kamen, ein bequemes Missverständnis: Die DDR-Opposition als homogenes Kollektiv anstatt als mehr oder minder loses Bündnis von Individualisten, die bereits vor 1989 unterschiedliche Positionen vertraten.
Müssten nicht gerade ehemaligen Opfern der DDR-Repression die Haare zu Berge stehen, wenn sie die Deckungsgleichheit von Gaulands und Gysis Auslassungen zum Kreml entdecken?
Man sollte um diese üble Vorgeschichte wissen, um jenen „Spiegel“-Artikel von Anfang des Jahres besser einordnen zu können, der bei so manchen Ex-Oppositionellen für helle Aufregung gesorgt hatte. Dabei hatte der Redakteur Konstantin von Hammerstein in seiner Beschreibung AFD-naher Dissidenten nicht nur auf jegliche Häme verzichtet, sondern auch der Vermutung Raum gegeben, jene Porträtierten seien höchstwahrscheinlich nur eine Minderheit innerhalb der Minderheit. Dennoch ging´s am ersten Märzabend im Berliner Stasi-Museum (dem ehemaligen Amtssitz Erich Mielkes) hoch her, was freilich nicht unbedingt am ehemaligen DDR-Häftling Siegmar Faust lag, einem der Porträrierten, und gewiss auch nicht am bündnisgrünen Bürgerrechtler Werner Schulz, den man eingeladen hatte, die Contra-AfD-Position zu repräsentieren. Es war eher jener Teil des Publikums – an prominenter Stelle die einstige SDP-Mitbegründerin Angelika Barbe bis hin zu unbekannteren Zeitgenossen – die lautstark das Gefühl vermittelten, Jahre, ja Jahrzehnte nicht gehört worden zu sein, um nun aber jetzt endlich einmal... Aber was?
Klage über „gleichgeschaltete Linksmedien“
Blieb die EU-Schelte von Siegmar Faust eher verwaschen-moderat – Kritik am „Brüsseler Kontrollwahn“ in Sachen Gurkenkrümmung bei gleichzeitiger Sympathie für das durchgesetzten Kneipenrauchverbot – so grummelte es in den Stuhlreihen umso vernehmlicher, besser zu sagen: radikaler. Ein aus dem Vogtland angereister ehemaliger DDR-Häftling wusste von dort eingefallenen „zweitausend Kameltreibern“ zu berichten, die angeblich nichts anders tun als zu vergewaltigen, zu morden und Menschen aus Rollstühlen zu schubsen. Angelika Barbe sang das Klagelied von vermeintlich gleichgeschalteten Linksmedien, die zwar die AfD angriffen, aber Gregor Gysi schonten – worauf von Hammerstein auf die Tatsache verwies, dass es „Der Spiegel“ war, der das dubiose Gebaren von Gysis Truppe permanent recherchiert hatte und dafür mit mannigfaltigen Klagen überzogen worden war. Während Werner Schulz – besorgt-zerknautschtes Gesicht, doch als Kontrast dazu die Ruhe in Person – aus konkreter EU-Parlamentariertätigkeit berichtete und einem aufgebrachten Potsdamer Rechtsanwalt, der die Mär vom „Rechtsbruch“ während der Flüchtlingskrise aufwärmte, ein wenig juristischen Nachhilfeunterricht gab. Dies allerdings sorgte erneut für beträchtliche Unruhe, die sich auch dann nicht legte, als bereits Siegmar Faust wieder am Sprechen war, um seine Rechts-Präferenz mit dem Verweis auf eine von ihm konstatierte Links-Dominanz („Überall dieser Kulturmarxismus“) zu erklären.
Das aber war fast schon comedy-reif: Während der skeptische Teil des Publikums Fausts in freundlichem sächsisch vorgetragenen Ausführungen aufmerksam lauschte, waren die AfD-Aficionados immer noch damit beschäftigt, sich untereinander ihrer Empörung über Werner Schulz zu versichern. Moderatorin Margit Miosga rief deshalb mehrfach zu bürgerlich-traditionellem Zuhören auf, was sogleich mit einer gewissen Aggressivität gekontert wurde: „Sie vom Rotfunk des RBB!“
Zu Putin schweigen die Wutbürger
Verblüffend, wie die Empörten – fast ausschließlich Leute sogenannten „gesetzten Alters“ – dabei in Habitus und Rhetorik jenen PDS/LINKEN-Fans gleichen, die seit jeher öffentliche Wortmeldung für eine logische Fortsetzung allabendlicher Wohnzimmer-Schimpferei halten. Eine andere Ähnlichkeit war freilich noch frappierender: Das Schweigen zu Putins Russland. Doch müssten nicht gerade ehemaligen Opfern der DDR-Repression die Haare zu Berge stehen, wenn sie die Deckungsgleichheit von Gaulands und Gysis Auslassungen zum Kreml entdecken? Womöglich aber ist das die falsche Frage, setzt sie doch beim Gegenüber zumindest Restbestände logischer Referenzrahmen voraus. Von einem Sitznachbar im Publikum konfrontiert mit der Moskau-Nähe der AfD, aber blieben die zuvor so Lautstarken auf einmal stumm, lediglich Siegmar Faust murmelte ein konziliantes „Nu ja...“ Den zahllosen politischen Gefangenen Russlands war damit gewiss nicht geholfen, auch Solidaritätsadressen an Gruppen wie Memorial sähen anders aus. Dafür riefen gleich mehrfach einige Männer „Wir sind doch keine Nazis!“, obgleich dies niemand im Raum behauptet hatte. Denn Nazis sind diese unreflektierten Wutbürger gewiss nicht. Als ehemalige Häftlinge der SED-Diktatur nennen sie lediglich die Bundesrepublik „DDR light“, bezeichnen „EU-Brüssel“ als „neue Sowjetunion“ und beschweigen gleichzeitig die Syrien-Massenmorde jenes ehemaligen KGB-Mannes, der angetreten ist, die übelsten Traditionen der UdSSR wiederzubeleben.
Schade nur, dass die deutschen Redakteure seines Propaganda-Senders „RT“ an diesem Abend nicht vor Ort waren. Sie hätten gewiss Freude gehabt an diesem Publikum; genauer, und je nach Blickwinkel entweder bedenklicher oder auch hoffnungsvoller: an der Hälfte jenes Publikums.
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