Pegida: Wie aus DDR-Dissi­denten Wutbürger werden

By Metropolico.org [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons

Nicht wenige DDR-Bürger­rechtler haben sich Pegida angeschlossen. LibMod-Kolumnist Marko Martin berichtet über ein Streit­ge­spräch im Berliner Stasi-Museum, in dem freiheit­liche Dissi­denten auf Apolo­geten der AfD treffen. Warum fällt es ausge­rechnet manchen früheren Stasi-Häftlingen schwer, sich vom autori­tären Denken zu distanzieren? 

Was ostdeutsche Bürger­rechtler sich über die Jahrzehnte hinweg alles schon hatten anhören müssen: Ihre Kritik am DDR-Milita­rismus gefährde die deutsch-deutsche Koexistenz, ihre Hoffnung auf eine refor­mierte Nachwende-DDR sei krypto-kommu­nis­tisch bzw. ihre Präferenz für die deutsche Einheit ein gefähr­licher Neona­tio­na­lismus, wohin­gegen ihr Insis­tieren auf Aufar­beitung der Stasi- und SED-Verbrechen rache­durstig sei und den inneren Frieden zerstöre. Gemeinsam war diesen Invek­tiven, die sowohl von linker wie auch von konser­va­tiver Seite kamen, ein bequemes Missver­ständnis: Die DDR-Opposition als homogenes Kollektiv anstatt als mehr oder minder loses Bündnis von Indivi­dua­listen, die bereits vor 1989 unter­schied­liche Positionen vertraten.

Müssten nicht gerade ehema­ligen Opfern der DDR-Repression die Haare zu Berge stehen, wenn sie die Deckungs­gleichheit von Gaulands und Gysis Auslas­sungen zum Kreml entdecken? 

Man sollte um diese üble Vorge­schichte wissen, um jenen „Spiegel“-Artikel von Anfang des Jahres besser einordnen zu können, der bei so manchen Ex-Opposi­tio­nellen für helle Aufregung gesorgt hatte. Dabei hatte der Redakteur Konstantin von Hammer­stein in seiner Beschreibung AFD-naher Dissi­denten nicht nur auf jegliche Häme verzichtet, sondern auch der Vermutung Raum gegeben, jene Porträ­tierten seien höchst­wahr­scheinlich nur eine Minderheit innerhalb der Minderheit. Dennoch ging´s am ersten Märzabend im Berliner Stasi-Museum (dem ehema­ligen Amtssitz Erich Mielkes) hoch her, was freilich nicht unbedingt am ehema­ligen DDR-Häftling Siegmar Faust lag, einem der Porträ­rierten, und gewiss auch nicht am bündnis­grünen Bürger­rechtler Werner Schulz, den man einge­laden hatte, die Contra-AfD-Position zu reprä­sen­tieren. Es war eher jener Teil des Publikums – an promi­nenter Stelle die einstige SDP-Mitbe­grün­derin Angelika Barbe bis hin zu unbekann­teren Zeitge­nossen – die lautstark das Gefühl vermit­telten, Jahre, ja Jahrzehnte nicht gehört worden zu sein, um nun aber jetzt endlich einmal... Aber was?

Klage über „gleich­ge­schaltete Linksmedien“

Blieb die EU-Schelte von Siegmar Faust eher verwa­schen-moderat – Kritik am „Brüsseler Kontrollwahn“ in Sachen Gurken­krümmung bei gleich­zei­tiger Sympathie für das durch­ge­setzten Kneipen­rauch­verbot –  so grummelte es in den Stuhl­reihen umso vernehm­licher, besser zu sagen: radikaler. Ein aus dem Vogtland angereister ehema­liger DDR-Häftling wusste von dort einge­fal­lenen „zweitausend Kamel­treibern“ zu berichten, die angeblich nichts anders tun als zu verge­wal­tigen, zu morden und Menschen aus Rollstühlen zu schubsen. Angelika Barbe sang das Klagelied von vermeintlich gleich­ge­schal­teten Links­medien, die zwar die AfD angriffen, aber Gregor Gysi schonten – worauf von Hammer­stein auf die Tatsache verwies, dass es „Der Spiegel“ war, der das dubiose Gebaren von Gysis Truppe permanent recher­chiert hatte und dafür mit mannig­fal­tigen Klagen überzogen worden war. Während Werner Schulz – besorgt-zerknautschtes Gesicht, doch als Kontrast dazu die Ruhe in Person – aus konkreter EU-Parla­men­ta­rier­tä­tigkeit berichtete und einem aufge­brachten Potsdamer Rechts­anwalt, der die Mär vom „Rechts­bruch“ während der Flücht­lings­krise aufwärmte, ein wenig juris­ti­schen Nachhil­fe­un­ter­richt gab. Dies aller­dings sorgte erneut für beträcht­liche Unruhe, die sich auch dann nicht legte, als bereits Siegmar Faust wieder am Sprechen war, um seine Rechts-Präferenz mit dem Verweis auf eine von ihm konsta­tierte Links-Dominanz („Überall dieser Kultur­mar­xismus“) zu erklären.

Das aber war fast schon comedy-reif: Während der skeptische Teil des Publikums Fausts in freund­lichem sächsisch vorge­tra­genen Ausfüh­rungen aufmerksam lauschte, waren die AfD-Afici­o­nados immer noch damit beschäftigt, sich unter­ein­ander ihrer Empörung über Werner Schulz zu versi­chern. Modera­torin Margit Miosga rief deshalb mehrfach zu bürgerlich-tradi­tio­nellem Zuhören auf, was sogleich mit einer gewissen Aggres­si­vität gekontert wurde: „Sie vom Rotfunk des RBB!“

Zu Putin schweigen die Wutbürger

Verblüffend, wie die Empörten – fast ausschließlich Leute sogenannten „gesetzten Alters“ – dabei in Habitus und Rhetorik jenen PDS/LINKEN-Fans gleichen, die seit jeher öffent­liche Wortmeldung für eine logische Fortsetzung allabend­licher Wohnzimmer-Schimpferei halten. Eine andere Ähnlichkeit war freilich noch frappie­render: Das Schweigen zu Putins Russland. Doch müssten nicht gerade ehema­ligen Opfern der DDR-Repression die Haare zu Berge stehen, wenn sie die Deckungs­gleichheit von Gaulands und Gysis Auslas­sungen zum Kreml entdecken? Womöglich aber ist das die falsche Frage, setzt sie doch beim Gegenüber zumindest Restbe­stände logischer Referenz­rahmen voraus. Von einem Sitznachbar im Publikum konfron­tiert mit der Moskau-Nähe der AfD, aber blieben die zuvor so Lautstarken auf einmal stumm, lediglich Siegmar Faust murmelte ein konzi­li­antes „Nu ja...“  Den zahllosen politi­schen Gefan­genen Russlands war damit gewiss nicht geholfen, auch Solida­ri­täts­adressen an Gruppen wie Memorial sähen anders aus. Dafür riefen gleich mehrfach einige Männer „Wir sind doch keine Nazis!“, obgleich dies niemand im Raum behauptet hatte. Denn Nazis sind diese unreflek­tierten Wutbürger gewiss nicht. Als ehemalige Häftlinge der SED-Diktatur nennen sie lediglich die Bundes­re­publik „DDR light“, bezeichnen „EU-Brüssel“ als „neue Sowjet­union“ und beschweigen gleich­zeitig die Syrien-Massen­morde jenes ehema­ligen KGB-Mannes, der angetreten ist, die übelsten Tradi­tionen der UdSSR wiederzubeleben.

Schade nur, dass die deutschen Redak­teure seines Propa­ganda-Senders „RT“ an diesem Abend nicht vor Ort waren. Sie hätten gewiss Freude gehabt an diesem Publikum; genauer, und je nach Blick­winkel entweder bedenk­licher oder auch hoffnungs­voller: an der Hälfte jenes Publikums.

Textende

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.