FDP und Grüne: Gemeinsam können die Kleinen Berge versetzen

Quelle: Shut­ter­stock

Obwohl sie zuein­ander in Konkur­renz stehen, sollten sich FDP und Grüne inhalt­lich annähern: Zusammen könnten sie CDU und SPD bei der nächsten Koali­ti­ons­bil­dung gegen­ein­ander ausspielen –  und damit die alten Macht­ver­hält­nisse vom Kopf auf die Füße stellen.

In der poli­ti­schen Land­schaft der Bundes­re­pu­blik bewegen sich 6, wenn wir CDU und CSU realis­ti­scher­weise als zwei nicht nur regional abge­grenzte Orga­ni­sa­tionen betrachten, sogar 7 Parteien. Sie alle werben um Wähler­gunst und müssen sich dann aufad­dieren lassen, weil keine der Parteien – bislang mit Ausnahme der CSU – über ein Fassungs­ver­mögen für Wähler­schichten verfügt, in dem 50+x % der Stimmen politisch Platz finden.

Erst wenn Grüne und FDP erken­nen, dass sie mit einer teils gemein­sa­men, teils wech­sel­sei­tig akzep­tier­ten Agenda der Union und auch der SPD viel macht­vol­ler gegen­über­tre­ten würden, können sie Berge in der poli­ti­schen Land­schaft verschieben. 

Diese Einlei­tung wirkt banal, aber man muss eben fest­stellen: Weder haben Partei­stra­tegen, noch hat die Wahl­be­richt­erstat­tung diese simple Tatsache und ihre Folgen verin­ner­licht. Und das führt zu stra­te­gi­schem Fehl­ver­halten insbe­son­dere kleinerer Parteien, konkret: Der FDP und der Grünen.

Als ließe sich durch Wähle­rer­pres­sung das alte Partei­en­system wiederherstellen

Worum geht es? – Früher haben sich 40+x %-Groß­par­teien einen kleinen Partner suchen müssen, um eine Mandats­mehr­heit zu erhalten. Lager­ge­wohn­heiten erleich­terten dabei die Koali­ti­ons­bil­dung, wobei die Koch-Kellner-Arroganz der SPD die linke Lagerlust trübte. Die Ampel­nei­gungen der FDP waren und sind schwach ausge­prägt, schwarz-grüne Tast­ver­suche waren und sind fragil, große Koali­tionen sind oft der letzte, von allen Betei­ligten unge­liebte Ausweg. Gleich­zeitig sind die Wähler agiler geworden; der sich weiter ausdif­fe­ren­zie­rende Lebens­stil- und Werte­plu­ra­lismus (zuletzt ange­rei­chert durch den hohlen Stolz der Rechts­po­pu­listen) hat uns bei einem 5‑, 6- und nun eben 7‑Parteiensystem im Parlament ange­langen lassen. Das müsste kein Schaden sein, wenn sich die Parteien nicht so anstellen würden, als gäbe es noch ein 3- oder 4‑Parteiensystem – oder als ließe es sich durch Wähle­rer­pres­sung via Koali­ti­ons­aus­sage oder Koali­ti­ons­aus­schluss­an­sage wieder erzeugen: „Wählt so, dass wir unsere Wunsch­ko­ali­tion bilden können, oder Deutsch­land wird unre­gierbar, und wenn wir selbst dafür sorgen müssen.“ 

Portrait von Markus Schubert

Markus Schubert ist Moderator beim Hörfunk­sender NDR Info.

Aber auch Medien haben die Realität des Viel­par­tei­en­system nicht reali­siert und halten an über­holten Sicht­weisen auf Wahl­er­geb­nisse fest. Wenn eine Partei mit 35 % vor einer Partei mit 32 % ins Ziel läuft, wird sie um 18 Uhr zum „Wahl­sieger“ erklärt, so als sei die stärkste Fraktion von Hause aus zu mehr berech­tigt, als den Vorschlag für den Parla­ments­prä­si­denten zu unter­breiten (und auch das ist nur common sense). Die kleineren Parteien haben sich darauf einge­lassen, dieses tote Rennen der ehema­ligen Groß­par­teien (CDU/​CSU wird man noch so bezeichnen dürfen) mit einem Wettkampf „um Platz 3“ auf der Aschen­bahn neben dem großen Stadion zu begleiten. Die TV-Duell-Insze­nie­rung im Wahlkampf insze­niert diese über­kom­mende Betrach­tung des poli­ti­schen Gesche­hens noch.

Im Viel­par­tei­en­system gewinnt der Flexiblere

Das echte Problem, das daraus entsteht: Der allen­falls relative „Wahl­sieger“, also die stim­men­stärkste Partei, rekla­miert unwi­der­spro­chen den „Regie­rungs­auf­trag“ für sich. Sie ist damit zugleich der Zere­mo­nien­meister und Moderator des Sondie­rungs­ge­sche­hens, lässt rech­ne­ri­sche Partner alleine oder in Addition zu Gesprä­chen antanzen und entscheidet sich für die riskante kleine oder die reizarme große Koalition. (So zuletzt in Nieder­sachsen, zuvor in Schleswig-Holstein, im Jahr zuvor in Rheinland-Pfalz je mit unter­schied­li­chem Ausgang zu beobachten.)

Im Viel­par­tei­en­system ist die Logik aber eigent­lich eine andere: Wahl­sieger ist, wer in der Lage ist, mit möglichst vielen Parteien Bündnisse zu bilden, wer also Verhand­lungs­al­ter­na­tiven hat, und wer zugleich flexibel ist, in diesen Konstel­la­tionen politisch anschluss­fähig und ausdrucks­fähig zu sein. Das geht nur unideo­lo­gisch und prag­ma­tisch und ist für Mitglieder und die Hardcore-Klientel bisweilen schmerz­lich, macht aber das poli­ti­sche System elastisch und zugleich regierbar.

Noch erkennen die Kleinen ihre Chance nicht

Das Verstö­rende in Deutsch­land ist nun, dass weniger die vermeint­lich so unbe­weg­li­chen Groß­par­teien, die den Anspruch einer „Volks­partei“ erheben, ein Problem mit der neuen Unüber­sicht­lich­keit haben, als vor allem ihre vorma­ligen kleineren Lagergefährten.

Die Grünen fanden es mindes­tens irri­tie­rend, ein früher einge­spieltes schwarz-gelbes Koali­ti­ons­bündnis „anzu­di­cken“. Die FDP fand es anstößig, dass in dieser Drei­er­kon­stel­la­tion die Union mehr mensch­liche und auf wichtigen Feldern auch poli­ti­sche Nähe zu den Grünen entwi­ckelte und sich um den histo­risch betrachtet entfern­teren Partner inten­siver bemühte.

Beide, Grüne wie FDP, haben dabei (und früher in diversen Bundes­län­dern) den Fehler gemacht, die Verhand­lungs­si­tua­tion nicht vom Kopf auf die Füße zu stellen. Während die beiden Unions­par­teien noch wochen­lang geschwis­ter­lich stritten und mit Einla­dungen an Dritte warteten, ehe sie sich vorzeigbar vorkamen, hätten Liberale und Grüne längst losver­han­deln müssen. Einer­seits um den vermeint­lich natür­li­chen und in Wahrheit allein aus der Geschichte und Gewohn­heit abge­lei­teten Führungs­an­spruch der Union zu durch­kreuzen. Ande­rer­seits um die eigene Verhand­lungs­po­si­tion durch zügige Einigung auf gemein­same und auch wech­sel­seitig geschützte Essen­tials zu festigen. In Rheinland-Pfalz 2016 oder Nieder­sachsen 2017 hätten die beiden Parteien sich dann den geneh­meren Minis­ter­prä­si­denten aussuchen können. Der hätte seine Partei zu jenen Zuge­ständ­nissen zwingen müssen, die in Koali­ti­ons­ver­hand­lungen nach Guts­her­renart mit den lieben Kleinen eben nicht zustande kommen.

In Wahrheit ist Rang drei bedeutungslos

Bisher scheitert ein raffi­nier­teres und beherz­teres Vorgehen der kleineren Parteien, die in klas­si­schen Viel­par­tei­en­sys­temen voll­be­rech­tigte Spiel­partner bei Regie­rungs­bil­dungen sind und eben durchaus den Kurs oder gar den Regie­rungs­chef bestimmen können, ebenso an der Konkur­renz um den Rang drei wie an der Angst, von Stamm­wäh­lern bei Fumme­leien über gelernte Lager­grenzen hinweg erwischt zu werden.

In den Bundes­län­dern herrscht inzwi­schen eine beträcht­liche Vielzahl von nicht weniger als 12 Koalitionsvarianten:

  • CDU/​Grüne in Hessen
  • CDU/​FDP in Nordrhein-Westfalen
  • CDU/​Grüne/​FDP in Schleswig-Holstein
  • CDU/​SPD/​Grüne in Sachsen-Anhalt
  • CDU/​SPD in Sachsen und im Saarland
  • Grüne/​CDU in Baden-Würt­tem­berg
  • SPD/​Grüne in Hamburg und Bremen
  • SPD/​Linke in Bran­den­burg
  • SPD/​Linke/​Grüne in Berlin
  • SPD/​FDP/​Grüne in Rheinland-Pfalz
  • SPD/​CDU in Nieder­sachsen und Mecklenburg-Vorpommern
  • Linke/​SPD/​Grüne in Thüringen.

Das müsste die Koali­ti­ons­de­batte doch allmäh­lich lockern, selbst wenn man sich auf die Ausrede einigt, dass es in den Landes­re­gie­rungen und Landtagen  ideo­lo­gie­ärmer und prag­ma­ti­scher (was bedeuten würde: unpo­li­ti­scher) zugehe.

Wie reagieren aber FDP und Grüne – abgesehen von der Erst­ab­sto­ßung im Labor­ex­pe­ri­ment „Jamaika“ auf diese Heraus­for­de­rung und Chance? Die Grünen stürzen sich in eine Grund­satz­pro­gramm­de­batte, die beim Ausgreifen auf neue Frage­stel­lungen und Milieus ein unauf­fäl­liges Heraus­klet­tern aus Lager­gräben ermög­licht. Auf eine Schnitt­men­gen­suche mit der FDP deutet dabei aber wenig. Eher geht es darum, auch deren Wähler gezielter zu umwerben, soweit es nicht um rein wirt­schafts­li­be­rale oder natio­nal­li­be­rale Posi­tionen geht.

Annä­he­rung in der Opposition?

Bei der FDP ist mehr Bewegung (viel­leicht aber auch mehr Verzweif­lung). Sie war nicht stark spürbar auf dem Bundes­par­teitag, eher vernehmbar durch dezente Hinweise im Vorfeld. Gene­ral­se­kre­tärin Nicola Beer sagte dem SWR: „In Hessen wird es sicher­lich so sein, dass die Freien Demo­kraten – mögli­cher­weise gemeinsam mit den Grünen – darüber entscheiden, in welche Richtung die Politik in Hessen weiterhin gehen wird, weil sie mögli­cher­weise in der Situation sein werden, gemeinsam mit den Grünen aussuchen zu können, ob eine Koalition mit der CDU oder mit den Sozi­al­de­mo­kraten zustande kommt.“ Und Präsi­di­ums­mit­glied Michael Theurer ließ die Stutt­garter Nach­richten wissen: „Wir nutzen die Zeit in der Oppo­si­tion, um mit den Grünen vertieft ins Gespräch zu kommen. […] Jamaika war da noch sehr stark geprägt von ideo­lo­gi­schen Kämpfen der Vergan­gen­heit. […] Das lässt mich hoffen, dass künftig Gestal­tungs­mög­lich­keiten jenseits der großen Koalition doch noch möglich werden.“

Erst wenn Grüne und FDP erkennen, dass sie mit einer teils gemein­samen, teils wech­sel­seitig akzep­tierten Agenda der Union und auch der SPD viel macht­voller gegen­über­treten würden, können sie Berge in der poli­ti­schen Land­schaft verschieben. Dann aber wirklich. Dann reichen zwei mal 10 bis 15 % der Stimmen, um Wahl­sieger zu sein.

In einem Debat­ten­bei­trag antwortet Karl-Heinz Paqué, stell­ver­tre­tender Vorsit­zender der Friedrich-Naumann-Stiftung, auf Markus Schubert.

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