Argumente für ein schwarz-grünes Bündnis in Österreich

::ErWin [CC BY-ND 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/)] via Flickr

Vor zwei Jahrzehnten gelang dem öster­rei­chi­schen Bundes­kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) derselbe Coup wie jüngst Sebastian Kurz. Er schloss eine Koalition mit der teilweise rechts­extremen FPÖ, um diese bei den nächsten Wahlen in die Bedeu­tungs­lo­sigkeit hinab­zu­drücken. Doch dann verhan­delte Schüssel mit den Grünen und ließ das Bündnis scheitern. Ein Fehler, den Kurz nicht wieder­holen sollte, kommen­tiert Markus Schubert. Denn eine schwarz-grüne Koalition wäre weder von rechts noch links anzugreifen: sie könnte die gespaltene Gesell­schaft befrieden. 

Am Nikolaustag 2002, der Tag an dem in Wien die ersten schwarz-grünen Sondie­rungen begannen, kommen­tierte ich in der öster­rei­chi­schen Tages­zeitung „Standard“: „Wolfgang Schüssel hat die strah­lendsten Rechts­po­pu­listen des Konti­nents im Licht des politi­schen Alltags aschgrau werden lassen. Sie sind nicht einmal mehr mit sich selbst koali­ti­ons­fähig. Er kann also ein weiteres Mal ein Kapitel im Lehrbuch für erfolg­reiche Christ­de­mo­kraten schreiben: Diesmal mit einem bürgerlich-alter­na­tiven compro­messo storico.“ Was war passiert? Bei den Natio­nal­rats­wahlen war die FPÖ nach drei Regie­rungs­jahren um 16 Prozent­punkte abgestürzt. Bundes­kanzler Wolfgang Schüssel von der ÖVP hatte seinen extrem rechten Koali­ti­ons­partner klein­re­giert und suchte nun eine Koalition der Mitte mit der grünen Partei.

Weshalb könnte das Bündnis dieses mal gelingen?

Die Koali­ti­ons­ver­hand­lungen schei­terten. Statt­dessen begann – wie in Deutschland später auch – eine bleierne Zeit, auch geprägt durch große Koali­tionen: BZÖ, Gusen­bauer, viele ÖVP-Obmann­wechsel, Stronach, Faymann, die wieder erstar­kende FPÖ. Dann wieder­holte Sebastian Kurz die Zauber­lehre nach Dr. Schüssel: Als Junior die Große Koalition sprengen, das Wagnis Schwarz-Blau wagen, die FPÖ sich zerlegen lassen, die Mehrheit ausbauen und Macht­op­tionen gewinnen. 

Portrait von Markus Schubert

Markus Schubert ist Moderator beim Hörfunk­sender NDR Info.

Was aber spricht dagegen, dass Kurz den Fehler der Granden von einst als Zauber­lehrling wiederholt? Könnte ein Bündnis zwischen ÖVP und grüner Partei dieses Mal gelingen?

Lassen wir beiseite, dass die FPÖ sich selbst aus dem Spiel nimmt und vertiefte Sondie­rungen ablehnt. Das könnte sich binnen weniger Wochen wieder ändern, wenn Ibiza-Video und Straches Partei­gelder-Affäre verblasst sind. Wichtiger ist: Es gibt neue Erfah­rungen, eigene und fremde. Was die kommode Lösung 2003 für die ÖVP bedeutete, ist schon skizziert worden. Auch aus Fehlern, die Christ­de­mo­kraten in Deutschland begingen,kann Sebastian Kurz lernen.

Die baden-württem­ber­gische CDU schreckte 2006 unter Günther Oettinger vor der fordernden Koali­ti­ons­va­riante mit den Grünen zurück und wählte den Klassiker Schwarz-Gelb. Heute muss sie froh sein, als Junior­partner in der grün-schwarzen Landes­re­gierung gefragt zu sein.

Die Hamburger CDU steuerte 2008 zwar tapfer in die erste schwarz-grüne Koalition auf Landes­ebene, zerrüttete das Bündnis aber nach dem Abgang von Bürger­meister Ole von Beust aktiv und hat für die Bürger­schaftswahl 2020 nach letzten Umfragen und den Bezirks­wahlen im Mai als einzige Macht­per­spektive ebenfalls die Rolle als Junior­partner der Grünen.

Bayern als Warnung

Bayerns Minis­ter­prä­sident Markus Söder – für den Sebastian Kurz ein erklärtes Vorbild ist – gab zwei Jahre lang den rechten Hilfs­po­pu­listen, was die AfD nicht vom Einzug in den Landtag in München abhielt (im Gegenteil!). Statt mit den erstarkten Grünen zu koalieren, teilte er die Macht geräuscharm mit den Freien Wählern und erlitt kurz darauf bei einem Volks­be­gehren zum Arten­schutz eine derart schmer­zende Watschn, dass er das Begehren 1 zu 1 zum Gesetz machen musste und seitdem öffentlich Bäume umarmt, um sich gegen den pro-grünen Trend zu immuni­sieren. Sein Vorgänger Seehofer als Regie­rungschef und CSU-Vorsit­zender gibt jetzt den Seenot­retter. Ausgang offen.

Aber wer 2002 und 2019 als Ausgangs­punkt von ÖVP-Grünen-Sondie­rungen vergleicht, wird auch eine andere, wichtige Verän­derung verzeichnen, die seltsam unter­be­lichtet bleibt: Während die westös­ter­rei­chische ÖVP seinerzeit nichts mit den Grünen zu schaffen  hatte, und ihre Landes­haupt­leute im Gegenteil sogar zwei wichtige Akteure ins Kabinett Schüssel II schickten (Hubert Gorbach, FPÖ, aus Vorarlberg; Günther Platter, ÖVP, aus Tirol), stehen Innsbruck, Bregenz und zuletzt (mit Sepp Schell­horns NEOS) auch Salzburg heute für vertrau­ens­volle schwarz-grüne Koali­tionen. Die ÖVP muss sich also diesmal nicht neu erfinden, sie muss sich nur neu zentrieren.

Grüne sind nicht der Hauptgegner

2002 schrieb ich im Gastkom­mentar des „Standard“ mit Blick auf Schwarz-Grün zudem von einer „Nachhal­tig­keits­ko­alition der wachsenden gesell­schaft­lichen Mitte“, was damals poetisch anspre­chend aber politisch nicht belegbar erschien.  Die Zeit hat es erwiesen: Wo immer die Grünen in Europa zulegen, tun sie dies vor allem in den jüngeren Wähler­schichten. Anders als von Christ­de­mo­kraten (und nicht nur von ihnen) erhofft, ändern sich die Wert- und Wahlprä­fe­renzen älter werdender Grünen-Wähler aber nicht, sondern bleiben konstant. Für die Christ­de­mo­kraten ist das einer­seits bitter: Oft erreichen sie nur noch Ü60 eine relative Mehrheit. Und während Jahr für Jahr CDU- oder ÖVP-Wähler sterben, wachsen Grünen-Wähler nach. (Die ÖVP hat den Effekt, verglichen mit der CDU/​CSU, klug minimiert, weil sie sich selbst demons­trativ verjüngt hat, das ändert aber nichts an der gegen­läu­figen Alters­ver­teilung von schwarzen/​türkisen und grünen Wählern.)

Wenn man die Grünen zu Haupt­gegnern erklärt, wie zuletzt CDU-Chefin Annegret Kramp-Karren­bauer, beschleunigt man den demogra­phi­schen Effekt demosko­pisch – man treibt den Grünen die Wähler zu. Entscheidet man sich dagegen für die neue Koalition der politi­schen Mitte, macht man sich den Trend zunutze: Die Grünen wirken dann für Unions-Wähler wie eine Ergän­zungs­lie­ferung; die Koalition bleibt absehbar stabil und mehrheits­fähig, ohne dass sich einer der Partner verbiegen muss.

Werte­wandel moderieren

Gerne wird an dieser Stelle in Talkrunden oder auch tiefer reichenden Analysen auf mangelnde Schnitt­mengen oder inhalt­liche Wider­sprüche zwischen den beiden Parteien verwiesen. Dazu zwei Anmer­kungen: Koali­tionen sind keine Fusionen. Es sind Bündnisse, die nicht die Parteien, sondern die Wähler in ihrer kollek­tiven Weisheit erzeugt haben. Sie können und müssen Spannungen aushalten und dabei den Werte­wandel in Gesell­schaften moderieren, um ihn nicht zur Zerreiß­probe werden zu lassen. Insofern ist Schwarz-Grün eine nachhaltige Koalition. Ihre Wähler­schaft ist demogra­phisch stabil, und das politische Bündnis ist von Außen – ob von rechts oder von links – schwer auszu­hebeln. Avant­gar­dis­tisch ist die Koalition ohnehin nicht mehr, riskant auch nicht. Wenn sich die Parteien die Politik­felder (auch in Ressorts) klug aufteilen, können beide, auch in ihre jeweilige Wähler­schaften hinein, zuver­lässig „liefern“ – bei einem vertrau­ens­vollen und selbst­be­wusst artiku­lierten Antago­nismus, der durch die geteilte Regie­rungs­ver­ant­wortung vor einem Ausein­an­der­driften geschützt wird.

Und der zweite Hinweis: Parteien in Koali­tionen, die sich große Schnitt­mengen beschei­nigen, sind in Wahrheit im politi­schen Wettbewerb fehlauf­ge­stellt. Und in Koali­tionen machen sie sich regel­mäßig gegen­seitig die Erfolge streitig. Das konnte man nicht nur bei Schwarz-Blau in Öster­reich, sondern auch in Deutschland bei Rot-Grün 1998–2005 und heute auch bei der Großen Koalition sehen.

In Öster­reich steht Sebastian Kurz an der Kreuzung. Aber inzwi­schen gibt es ja erfah­rungs­ge­speiste Navigationssysteme.

Der Text erschien zunächst in der öster­rei­chi­schen Tages­zeitung „Der Standard

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