Wenn Populisten sich an die Macht klammern
Söders Vorbild Kurz musste zum zweiten Mal gehen, Tschechiens Ministerpräsident Babiš wurde abgewählt. Der eine will dennoch weiter die Fäden ziehen, der andere im Amt bleiben. Ist die Demokratie solch skrupellosen Politikern gewachsen? Der CDU sollte es eine Warnung sein.
Dass regierende Populisten die Funktionsweise der Demokratie angreifen, wenn sie ihre Macht zu verlieren drohen, wurde dieser Tage wieder einmal überdeutlich. Zunächst wurden neue Pläne bekannt, wie Donald Trump trotz seiner Abwahl US-Präsident bleiben wollte. Zum Glück stellten sich das Militär und das von ihm umbesetzte Oberste Gericht seinem beabsichtigten kalten Staatsstreich in den Weg. Nun bereitet er seine erneute Kandidatur 2024 vor, um Joe Biden aus dem Amt zu jagen und wieder Präsident zu werden, am liebsten wohl auf Dauer.
Autoritäre Personalrochade in Wien
Dann durchsuchte die Staatsanwaltschaft die Staatskanzlei des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz und Büros der von ihm zu seinem persönlichen Machtinstrument umgebauten ÖVP. Der schwerwiegende Verdacht gegen Kurz und mehrere enge Mitarbeiter: Sie hätten Medien mit Staatsanzeigen gekauft, damit sie Wahlpropaganda für ihn machten. Erst als die Grünen mit dem Ende der gemeinsamen Regierung drohten und um einem Misstrauensvotum der Opposition zuvor zu kommen, erklärte er seinen Rückzug, nachdem er schon 2019 im Zuge der Ibiza-Affäre der FPÖ, mit deren Hilfe er an die Macht gekommen war, vorübergehend abgelöst worden war. Nur um im gleichen Atemzug anzukündigen, dass er ÖVP-Chef bleiben und ihren Fraktionsvorsitz im Parlament übernehmen will, um weiter die Politik der Regierung zu bestimmen. An seiner Stelle soll der bisherige Außernminister Alexander Schallenberg Kanzler werden. Womöglich nur solange, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind und Kurz an die Spitze der Regierung zurückkehren kann.
Dubiose Geschäfte – Babiš Meltdown in Tschechien
Einen Tag später gewann die Opposition in Tschechien die Parlamentswahl. Der rechtslastige Ministerpräsident Andrej Babiš reklamiert den Regierungsauftrag für sich und seine ANO-Partei, obwohl er keine Mehrheit mehr hat, da die mit ihm bislang regierenden Sozialdemokraten und die Kommunisten, die sein Minderheitskabinett gestützt hatten, aus dem Parlament geflogen sind, und es auch zusammen mit einer rechtsextremen Partei für ihn nicht reicht. Babiš setzt dabei auf die Hilfe des gleichfalls populistischen betagten Präsidenten Miloš Zeman. Der liegt allerdings auf der Intensivstatition. Ob und wann er einen Regierungschef ernennen kann, ist unklar. Dem Land droht daher wie schon nach der Wahl 2017 monatelanger politischer Stillstand, da auch die siegreiche vereinte Opposition aus dem konservativen Wahlbündnis Spolu und der linksliberalen Allianz der Piraten mit der Bürgermeisterpartei vorerst keine Regierung bilden kann, solange Zeman nicht wieder die Amtsgeschäfte ausübt oder ein neue Präsident gewählt ist.
Kurz vor der Wahl war durch die Pandora-Papers publik geworden, dass Babiš, der reichste und mächtigste Unternehmer des Landes, über eine Briefkastenfirma und möglicherweise mit Schwarzgeld ein Landschloss in Südfrankreich für mehr als 15 Millionen Euro erworben haben soll. Die EU-Kommission hat ihn schon lange in Verdacht, dass er wie Viktor Orbán in Ungarn EU-Gelder abgezweigt hat. Und sie vermutet wie die Opposition, dass der selbsterkärte Saubermann die Führung seines Milliarden-Konzerns, zu dem auch Medien gehören, wie Trump während seiner Präsidentschaft nur zum Schein abgegeben hat. Dennoch, und trotz des Versagens seiner Regierung in der Corona-Pandemie, lag seine ANO-Partei vor der Wahl in Führung, auch weil Babiš immer wieder die Renten und die Gehälter der Staatsbediensten erhöht hat und er auf dem Land populär ist. Und weil die Korruption unter den früheren Regierungen der ODS, die das konservative Wahlbündnis anführt, und der Sozialdemokraten nicht vergessen sind. Die progressive Allianz unter Führung des Piraten-Chefs Ivan Bartos, die im Sommer in den Umfragen kurzzeitig vorne lag, landete trotzdem nur auf dem dritten Platz. Babiš will nun der ODS ein Angebot machen, um sie aus dem Oppositionsblock zu lösen und sich mit ihrer Unterstützung an der Macht zu halten.
Ein ähnliches, noch verschärftes Szenario droht im Frühjahr in Ungarn. Auch dort hat sich die bis dahin zersplittere Oppostion von links bis rechts verbündet, um Orbán nach der Parlamentswahl endlich abzulösen. Der selbsterklärte „illiberale Demokrat“ wird ebenfalls alles unternehmen, um an der Macht zu bleiben. Das hat er immer wieder bewiesen, mit scharfen nationalistischen Kampagnen gegen Flüchtlinge und Migranten, den jüdischen US-Finanzinvestor und Philantropen Soros und die EU. Anders als Babiš hat er zudem die Verfassung und das Wahlrecht zu seinen Gunsten und der seiner Fidesz-Partei geändert und die Medien und die Justiz unter seine Kontrolle gebracht, sodass er über viele Möglichkeiten verfügt, eine Regierungsübernahme durch die Opposition zu verhindern.
Von Sanktionen der EU lässt er sich dabei wie die PiS-Regierung in Polen nicht schrecken. Genauso wenig von schlechter internationaler Publizität, solange er sich die Pfründe für sich und seine Getreuen und die Macht sichern kann.
EU zahnlos?
Die Frage ist, was Demokraten und die EU einer solchen Machtursupation durch populistische Politiker entgegensetzen können. Denn die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie setzt voraus, dass Regierende und die Parteien ihre Grundregeln, auch die ungeschriebenen, anerkennen. Dazu gehört zuvörderst, dass sie Wahlen nicht manipulieren, deren Ergebnis respektieren und im Fall ihrer Abwahl die Macht an eine neue Regierung übergeben. Was aber, wenn sie sich schlicht weigern und die Justiz und die Medien im Griff haben, also jene Instituionen, von denen sie kontrolliert werden sollen, und das jeweilige Land gespalten ist? Der Einfluss von außen ist in solchen Fällen sehr begrenzt. Denn wie in sehr krasser Form Russlands Präsident Putin und der belarussische Diktator Lukaschenko gezeigt haben, trotzen sie ausländischen Strafmaßnahmen, solange der Machtapparat und ein erheblicher Teil der Bevölkerung hinter ihnen stehen. Das musste die EU schon erleben, als sie seinerzeit gegen die Regierung des ÖVP-Kanzlers Wolfgang Schüssel mit der FPÖ von Jörg Haider eine Kontaktsperre erlassen hatte.
Die EU könnte sich auch im Fall des früheren Geheimdiestmanns Babiš Sanktionen überlegen. Aber falls er sich mit der ODS oder auf anderem Wege erneut eine Parlamentsmehrheit verschafft, wäre sie dagegen machtlos. Erst recht bei Kurz, der ja sein Regierungsamt aufgrund der noch laufenden Ermittlungen aufgegeben hat und abwarten wird, bis sich die Gemüter beruhigt haben, da die Grünen trotz der zwischenzeitlich drohenden Staatskrise an der türkis-grünen Koalition festhalten. Der erst 35jährige hat sich zielstrebig die Macht erkämpft, erst innerparteilich und dann auf nationaler Ebene mit einer scharfen Politik gegen Flüchtlinge und Migranten und in der Inneren Sicherheit sowie, wie sich nun endgültig zeigt, unsaubersten Mitteln. Er wird von ihr nicht lassen, solange nicht bei den staatsanwaltlichen Ermittlungen und parlamentarischen Untersuchungen noch erheblich mehr herauskommt als die teils unflätige Art, wie er in Chats politische und innerparteiliche Gegner verächtlich gemacht hat. Schon nach seinem ersten erzwungenen Rücktritt hatte er Computerfestplatten schreddern lassen. Solange Leute wie er oder Babiš die Kontrolle behalten, können sie verhindern, dass Beweismittel ihrer politischen Missetaten entdeckt werden.
Eine Warnung an die CDU
Zwischen der Autokratie und der liberalen Demokratie stehen einzig erfolgreiche, fest der Demokratie verpflichtete Parteien. Auch dann, wenn die Populisten sich als Konservative oder unter anderem Siegel tarnen. Das sollte die CDU beherzigen, wenn sie nach ihrer krachenden Wahlniederlage nun nach einem Ausweg aus ihrer Misere und einer neuen Führung sucht. Obwohl Söder durch seine Demontage des glücklosen Kanzlerkandidaten Armin Laschet wesentlich für das Debakel verantwortlich ist, sind viele in der Union nach wie vor überzeugt, dass er der bessere Kandidat gewesen wäre. Söder hat wie sein Vorbild Kurz eiskalt die Macht in der CSU und in Bayern erobert und alle Konkurrenten verdrängt. Wie Kurz und Orbán fuhr er 2018 gemeinsam mit dem damaligen CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer einen scharfen Kurs gegen die humanitäre Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und wandelte bei der Bayernwahl auf den Spuren der AfD. Er holte damit zwar ein für CSU-Verhältnisse katastrophales Ergebnis, weshalb er seitdem mit den ebenfalls rechstlastigen Freien Wählern seines Vize Aiwanger koalieren muss. Dennoch greift er, jetzt zum Grünen- und Klimafreund gemendelt, weiter nach der Macht in der Union und im Bund, ohne Rücksicht auf Verluste. Und in der CDU will Friedrich Merz, dem Populismus gleichfalls nicht fremd ist, im dritten Anlauf die Führung übernehmen. Sollte es ihm gelingen, hätte die Union für die Wahl 2025 nur noch die Wahl zwischen zwei verhängnisvollen personellen Alternativen. Vielleicht auch schon vorher, falls die Gespräche für eine Ampelkoalition oder diese scheitern sollten und es im Bundestag zum Schwur käme.
Es bleibt zu hoffen, dass die Liberalen und Wertkonservativen in der CDU dieser doppelten Versuchung widerstehen und sich die inner- und außerparlamentarische Opposition in Österreich, Tschechien und Ungarn als stark genug erweisen, die jeweiligen Antidemokraten abzulösen. In Polen formiert sie sich gerade erneut, nachdem das von der PiS-Regierung umgeformte Verfassunsgericht erklärt hat, EU-Recht zum Teil nicht mehr anzuerkennen, womit sich das Land endgültig außerhalb der europäischen Rechts- und Wertegemeinschaft stellt. Die Demokratie kann sich nur verteidigen, wenn sich die Gesellschaft ihrer Bedeutung bewusst ist und sie keinerlei Abstriche zulässt.
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