Rechts­extreme im Bundestag: Radikale Abge­ord­nete aus Sachsen

Die AfD-Abge­ord­neten aus Sachsen gehören zu den Radi­kalsten der Bundes­tags­frak­tion. Auf einer Partei­ver­an­stal­tung bei Pirna gibt sich die Basis brutalen Mobfan­ta­sien hin. Die anwe­senden Neu-Parla­men­ta­rier demons­trieren still­schwei­gendes Einver­ständnis und lassen ahnen, wie gefähr­lich ihre Partei wirklich ist.

Will man die Weltsicht verstehen, die die säch­si­schen Bundes­tags­ab­ge­ord­neten der AfD reprä­sen­tieren, muss man Parlament und Haupt­stadt verlassen und ihnen in die Wahl­kreise folgen.

Es ist der 25. Januar 2018, ein Donners­tag­abend, der termin­lich zwischen zwei Sitzungs­wo­chen des Bundes­tages liegt. Die AfD lädt in die Heide­scheune in Cotta ein, einen zünftigen Gasthof, wenige Auto­mi­nuten von Pirna entfernt. Ein Vorstands­mit­glied des Kreis­ver­bands Säch­si­sche Schweiz/​Osterzgebirge moderiert die Veran­stal­tung und er gibt schamlos eine brutale Anekdote zum Besten – von den drei Neu-Parla­men­ta­riern aber, die neben ihm auf dem Podium sitzen – sie heißen Siegbert Droese, Tino Chrupalla und Jens Maier – wird der Kreis­vor­stand nicht den geringsten Wider­spruch erhalten.

Mobfan­ta­sien der Basis

Ein Vorfall am Rande des Biathlon-Weltcups in Ruhpol­ding. National-gesinnte Norweger treffen auf einen angeblich linken Winter­sportfan. Der linke „Drecksack“, so berichtet der Kreis­vor­stand begeis­tert vor hunderten Zuhörern, habe den stolzen Norwegern nichts entge­gen­setzen können: In einer Gast­wirt­schaft hätten sie „diesen Typ gepackt“, ihm links und rechts derartig eine verpasst, „dass dem Hören und Sehen vergangen ist“. Ihn dann „raus geschleppt auf die Straße“, dort „in den Dreck geschmissen“. Jeder habe auf „diesen Typen drauf gespuckt“. Und ihm dann zu verstehen gegeben: „Wenn er noch mal in die Kneipe kommt, dann liegt er nicht mehr auf der Straße, sondern ein Stück tiefer.“ Wie der junge Deutsche die Wut des Schlä­ger­trupps geweckt hat, bleibt unklar. Aber der Kreis­vor­stand, der auch schon mehrfach als Redner bei Pegida das Publikum in seinen Bann zog, preist die Gewalt­täter als Vorbild: „Leute, so etwas ist Natio­nal­stolz!“ Gejohle im Saal – und nicht ein Widerwort von den drei Abge­ord­neten des Deutschen Bundestages.

Er nennt sich „Der kleine Höcke“

Was sind das für Politiker? Dass sich der rechts­ra­di­kale Jens Maier in Runden wie der in Cotta wohl fühlt, über­rascht nicht. Maier selbst nennt sich „der kleine Höcke“. Im Januar 2017, als Vorredner Björn Höckes im Ballhaus Watzke in Dresden, wo dieser seine berüch­tigte geschichts­re­vi­sio­nis­ti­sche Rede hielt, schwa­dro­nierte Maier über die „Herstel­lung von Misch­völ­kern“ und forderte ein „Ende des Schuld­kults“. Damals war Maier noch Richter am Land­ge­richt Dresden. Im April 2017 soll er laut einem Bericht der SPD-Zeitung „Vorwärts“ auf einer Veran­stal­tung des rechten „Compact“-Magazins Verständnis für die Taten des norwe­gi­schen Rechts­ter­ro­risten Anders Breivik geäußert haben: Aus Verzweif­lung sei dieser zum Massen­mörder geworden.

Auf der Veran­stal­tung in Cotta Ende Januar dann plädiert Maier für die Abschaf­fung des Volks­ver­het­zungs-Para­gra­phen, weil mit diesem ein „Krieg gegen Anders­den­kende“ geführt würde. „Anders­den­kende“ wie Maier? Nur Wochen zuvor war über seinen Twitter-Account der Sohn von Ex-Tennis-Profi Boris Becker rassis­tisch ange­griffen worden, woraufhin sich die AfD-Frak­ti­ons­füh­rung von Maier distanzierte.

Poser-Fotos von der Wolfsschanze

Wie Maier steht auch der Abge­ord­nete Siegbert Droese dem natio­na­lis­ti­schen Flügel Björn Höckes nahe, der den Landes­ver­band in Sachsen dominiert. Droese hatte schon 2016 Schlag­zeilen gemacht, weil unter seiner Verant­wor­tung als Kreis­vor­sit­zender in Leipzig zwei AfD-Autos mit Nazi-Codes als Kenn­zei­chen herum­fuhren: L‑AH1818 – also den Initialen Adolf Hitlers und L‑GD3345 – Groß­deutsch­land zwischen 1933 und 1945. Laut Tages­spiegel will Droese von der Bedeutung der Kombi­na­tionen nichts gewusst haben: „Ich war über­rascht, was da hinein­in­ter­pre­tiert wurde.“

Am Wochen­ende veröf­fent­lichte eine partei­in­terne Gegnerin Droeses ein Foto, wie dieser, die Hand auf der Brust, vor den Ruinen des früheren Wehr­machts­haupt­quar­tiers „Wolfs­schanze“ posiert. Das hinderte den AfD-Landes­par­teitag in Hoyers­werda am Sonntag freilich nicht, Droese, der den Landes­ver­band zuvor kommis­sa­risch geleitet hatte, zum stell­ver­tre­tenden Landes­vor­sit­zenden zu küren.

Die Gemä­ßigten schweigen

Und Chrupalla, der im Bundestag als einer von fünf stell­ver­tre­tenden Frak­ti­ons­vor­sit­zenden amtiert? Die „Zeit“, die nach der Bundes­tags­wahl die AfD-Abge­ord­neten in Kate­go­rien sortierte, hat den Maler­meister aus Weiß­wasser als „gemäßigt“ einge­stuft. Viel­leicht würde der frühere CDU-Anhänger dieser Einschät­zung sogar selbst zustimmen. Doch im säch­si­schen AfD-Landes­ver­band geben inzwi­schen die radikalen Rechten den Ton an. Spätes­tens seit die ehemalige Bundes- und Landes­vor­sit­zende Petry mit mehreren Getreuen die Partei verlassen hat, scheinen alle Dämme gebrochen. Wie man in der Heide­scheune in Cotta beob­achten konnte, ziehen AfD-Politiker wie Chrupalla vor, gegenüber den noch radi­ka­leren Partei­kol­legen zu schweigen.

Die CDU ist ratlos

Wie konnte die AfD ausge­rechnet in Sachsen so stark werden? Bei der Bundes­tags­wahl im Freistaat über­trumpfte sie, wenn­gleich knapp, mit 27 Prozent die seit 1990 domi­nie­rende CDU und wurde stärkste Kraft. In der Folge trat Minis­ter­prä­si­dent Stanislaw Tillich zurück. Die säch­si­sche Union hatte es nicht vermocht, sich von der AfD abzu­grenzen. Im Gegenteil, mit der fort­dau­ernden Rela­ti­vie­rung von Rechts­extre­mismus und Frem­den­feind­lich­keit verwischte sie die Grenze zwischen Demo­kraten und Autoritären.

Das Gefühl des Abge­häng­tseins paart sich mit einer ausge­prägten Frem­den­feind­lich­keit und ist der Nährboden für den explo­siven Erfolg der AfD 

Im Jahr 2014 war die AfD in Sachsen zum ersten Mal in ein Landes­par­la­ment einge­zogen. Kurz darauf folgten Wahl­er­folge in Bran­den­burg und Thüringen. In Sachsen löste die AfD die NPD ab, die zwei Legis­la­tur­pe­ri­oden lang, seit 2004, im Dresdner Landtag vertreten war. Unter Führung der früheren Vorsit­zenden Petry kam die AfD auf 9,7 Prozent. Zwar machten Petry und ihre Fraktion Begriffe wie „völkisch“ salon­fähig, doch galten ihre Anhänger im Vergleich zu anderen Frak­tionen, etwa in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Bran­den­burg, als weniger radikal. Eine Studie des ehema­ligen Grünen-Land­tags­ab­ge­ord­neten Miro Jenner­jahn beschei­nigte der Sachsen-AfD unter Petry sogar, vergleichs­weise schlichte Forde­rungen zu stellen.

Eine Regie­rungs­be­tei­li­gung nach der Wahl?

Trotzdem traf die AfD gerade in Sachsen den Zeitgeist. Die spätere Radi­ka­li­sie­rung des Landes­ver­bands änderte daran nichts. In einer Umfrage hat die „Säch­si­sche Zeitung“ ermittelt, dass zwei von drei Sachsen meinen, Ostdeut­sche seien lediglich Bürger zweiter Klasse. Laut dem im Auftrag der Staats­re­gie­rung erstellten „Sachsen-Monitor“ meinen 56 Prozent der Sachsen, die „Bundes­re­pu­blik (sei) durch die vielen Ausländer in einem gefähr­li­chen Maß“ über­fremdet. Das ist ein deutlich höherer Anteil als bei vergleich­baren bundes­weiten Erhe­bungen. Dieses Gefühl des Abge­häng­tseins paart sich mit einer ausge­prägten Frem­den­feind­lich­keit und ist der Nährboden für den explo­siven Erfolg der AfD.

Die CDU, die in Sachsen seit 1990 ohne Unter­bre­chung den Regie­rungs­chef stellt, sieht mit Sorge der Land­tags­wahl im Sommer 2019 entgegen. Tillichs Nach­folger Kret­schmer beteuert, eine Koalition mit der AfD schließe er „für immer“ aus. Wer in der Landes­partei ein solches Bündnis anstrebe, befinde sich in einer „krassen Minder­hei­ten­po­si­tion“. Die Landes-CDU wieder in die Mitte und damit näher an die Posi­tionen Angela Merkels rücken will er dennoch nicht. Ein „ambi­va­lenter Kurs gegenüber der extremen Rechten“, beschei­nigt ihm die „taz“ und zitiert aus einem Grund­satz­re­ferat Kret­schmers an der TU Dresden: „Beim Thema Asyl ist es durchaus legitim zu sagen: Mir ist das jetzt zu viel, ich sehe das nicht ein, mir ist das zu teuer. Diese Diskus­sion haben wir 2015 nicht zugelassen.“

Die AfD hat das Ziel ausge­geben, bei der Land­tags­wahl der tradi­tio­nell schwachen SPD derart viele Wähler­stimmen abzu­nehmen, sodass eine Regie­rungs­be­tei­li­gung ohne die AfD nicht mehr möglich ist. Damit will sie die CDU in die Zwangs­lage bringen, der AfD ein Koali­ti­ons­an­gebot machen zu müssen. Laut einer Umfrage im Auftrag der „Säch­si­schen Zeitung“ vom November würde die AfD mit 23 Prozent hinter der CDU (33 Prozent) zweit­stärkste Kraft werden. Die SPD liegt abge­schlagen bei 12 Prozent.

Es klingt erschre­ckend, doch es ist nicht unwahr­schein­lich: Wenn die CDU kippt, könnte Sachsen zum ersten Bundes­land mit Rechts­ra­di­kalen in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung werden.

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