Nehmen uns Roboter die Arbeit weg?
In den kommenden Jahren wird es in Deutschland zu einer Umschichtung von Arbeitsplätzen kommen. Die gesellschaftspolitische Herausforderung besteht darin, die Ängste der Menschen vor dem Wandel aufzugreifen und abzumildern, meint der Wirtschaftsforscher Thieß Petersen.
Die Digitalisierung schreitet mit beträchtlichen ökonomischen Auswirkungen voran. Eine Frage ist: Nehmen die Roboter und Computer uns Menschen die Arbeit weg? In den kommenden zehn bis 15 Jahren erscheint mir die Gefahr für Deutschland nicht allzu groß. Trotzdem müssen wir mit einschneidenden Umschichtungen auf den Arbeitsmärkten rechnen.
Digitalisierung ist gestaltbar
Die Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft folgt keinen Naturgesetzen. Sie ist gestaltbar. Zahlreiche Einflussfaktoren prägen den digitalen Wandel. Sie sind selbst zu großen Teilen das Resultat politischer Entscheidungen. Drei Beispiele:
- Globalisierungsinduzierter technologischer Fortschritt: Der internationale Wettbewerbsdruck erhöht in den Unternehmen den Anreiz, Roboter und Maschinen einzusetzen, um die Produktivität zu erhöhen. Wird der Wettbewerb durch Subventionen und Handelshemmnisse abgeschwächt, nimmt das Tempo des digitalen Wandels ab.
- Demografieinduzierter technologischer Fortschritt: Die Alterung der Bevölkerung verschärft den bereits bestehenden Fachkräftemangel. Die Unternehmen setzen daher mehr auf Maschinen und investieren verstärkt in arbeitssparende Technologien. Wird der Fachkräftemangel jedoch durch andere Maßnahmen abgemildert – z. B. durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine längere Lebensarbeitszeit und eine bessere Bildung –, verlangsamt sich die digitale Transformation der Wirtschaft.
- Neue Konsumkonzepte: Anbieter der Plattformökonomie wie Airbnb und Uber machen herkömmlichen Anbietern massiv Konkurrenz. Arbeitsplätze können verloren gehen. Je höher jedoch die staatlichen Anforderungen an die Plattformökonomie sind, desto unattraktiver wird diese für die Verbraucher. Arbeitsplätze bleiben bei den kommerziellen Anbietern erhalten.
Die Beispiele zeigen, dass die Geschwindigkeit des digitalen Fortschritts beeinflussbar ist. Doch dies ist mit großen Unsicherheiten verbunden.
Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen ist die These, dass Produktionsprozesse kapital- und technologieintensiver werden, vor allem in entwickelten Volkswirtschaften, aber auch weltweit. Daraus ergeben sich zwei grundlegende Konsequenzen für den Arbeitsmarkt: Freisetzungs- und Kompensationseffekte.
Freisetzungseffekte der Digitalisierung
Digitale Technologien haben bereits in vielen Bereichen menschliche Arbeitskräfte ersetzt: Fahrkarten- und Bankautomaten übernehmen die Tätigkeiten von Schalterbediensteten, vollautomatische Produktionsanlagen stellen Güter fast ohne menschliche Unterstützung her und im Finanzdienstleistungssektor ersetzen Online-Banking, Online-Versicherungen und Online-Wertpapierhandel „echte“ Bankangestellte, Versicherungsmakler und Aktienhändler.
Die Verdrängung menschlicher Arbeitskräfte durch Roboter, Maschinen, Computer und künstliche Intelligenz führt zu einem Rückgang des gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsniveaus. Ökonomen bezeichnen diese Entwicklung als Freisetzungseffekte.
Kompensationseffekte der Digitalisierung:
Neben den direkten Freisetzungseffekten hat die Digitalisierung auch noch indirekte Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Diese Effekte können die Freisetzungseffekte der Digitalisierung – teilweise oder sogar komplett – kompensieren:
- Preiseffekt: Reduziert der Einsatz digitaler Technologien die Produktionskosten, sinkt der Marktpreis der hergestellten Güter und Dienstleistungen. Im Normalfall reagieren Konsumenten darauf mit einer Steigerung ihrer Nachfrage. Passen sich Unternehmen an diese höhere Nachfrage an, benötigen sie dafür zusätzliche Arbeitskräfte.
- Einkommenseffekt: Preissenkungen bei Konsumgütern erhöhen die Kaufkraft eines gegebenen Einkommens. Wird die zusätzliche Kaufkraft für Güter und Dienstleistungen ausgegeben, steigt die Konsumnachfrage, wodurch wiederum die Nachfrage nach Arbeitskräften wächst.
- Wettbewerbseffekt: Digitalisierungsbedingte Preissenkungen erhöhen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Unternehmen, sie können mehr Produkte im Ausland verkaufen. Die Exportsteigerung bewirkt eine Ausweitung der Produktion und Beschäftigung.
- Investitionseffekt: Die Digitalisierung betrieblicher Produktionsprozesse verlangt eine leistungsfähige digitale Infrastruktur, wozu entsprechende private und öffentliche Investitionen erforderlich sind. Die höhere Investitionsnachfrage sorgt für eine entsprechende Güternachfrage inklusive einer Produktionsausweitung.
Freisetzung oder Kompensation: Was überwiegt?
Welche Beschäftigungseffekte überwiegen, bleibt aus theoretischer Sicht offen. Daher gibt es eine Vielzahl von Szenarien, die zu unterschiedlichen Prognosen für die zukünftigen Auswirkungen der Digitalisierung auf das Beschäftigungsniveau führen.
Werden nur die Freisetzungseffekte berücksichtigt, können sich erhebliche Arbeitsplatzeinsparungen ergeben: Frey und Osborne veröffentlichten 2013 eine viel beachtete Studie, in der sie die Wahrscheinlichkeit berechneten, dass im Jahr 2035 bestimmte Tätigkeiten in den USA computerisiert sein werden. Ihre Einschätzung (ausgehend von 702 Tätigkeiten): 2035 könnten rund 47 Prozent der amerikanischen Beschäftigten durch Computer ersetzt sein (vgl. Frey und Osborne 2013). Bei einem kürzeren Betrachtungszeitraum und der Berücksichtigung der Kompensationseffekte werden dagegen geringe Arbeitsplatzverluste oder sogar Beschäftigungszuwächse erwartet. Entsprechende Szenarien für Deutschland finden sich z. B. bei Kriechel, Düll und Vogler-Ludwig 2016, BCG 2016, Wolter et al. 2015 sowie BMAS 2019.
Wie sind diese unterschiedlichen Einschätzungen zu bewerten? Meine Einschätzung lautet wie folgt:
- In der kurzen Frist (bis 2025) dürften in Deutschland die Kompensationseffekte überwiegen, d. h., die Digitalisierung schafft mehr Arbeitsplätze als sie ersetzt.
- In der mittleren Frist (bis 2030 oder auch 2035) erwarte ich eine Angleichung beider Effekte. Per Saldo kommt es dann nur zu geringen Zuwächsen oder Verlusten an Arbeitsplätzen.
- In der langen Frist (ab 2040/50) überwiegen meiner Einschätzung nach die Freisetzungseffekte, d. h., es werden mehr Arbeitsplätze durch digitale Technologien ersetzt als neu geschaffen.
Das bedeutet: Zumindest in den kommenden zehn bis 15 Jahren wird es in Deutschland weniger um einen gesamtwirtschaftlichen Abbau von Arbeitsplätzen gehen und mehr um eine Umschichtung von Arbeitsplätzen: vom verarbeitenden Gewerbe hin zu den Dienstleistungsbranchen, von Routine-Tätigkeiten in der Produktion hin zu Tätigkeiten in den Bereichen „Organisation“, „Kommunikation“, „Entscheidung“ sowie „Forschung und Entwicklung“ und schließlich von gering qualifizierter Beschäftigung hin zu hoch qualifizierter. Allerdings ist auch zu erwarten, dass in den Arbeitsmarktbereichen, die von der Digitalisierung profitieren (Dienstleistungen, qualifizierte Beschäftigte, Forschung & Entwicklung etc.), nicht alle Arbeitnehmer sicher sind. Auch hier können selbst einige gut qualifizierte Personen ihre Arbeit verlieren.
Was ist zu tun?
Die gesellschaftspolitische Herausforderung besteht darin, die Ängste der Menschen vor den digitalisierungsbedingten Veränderungen – allen voran vor Einkommens- und Statusverlusten – aufzugreifen und abzumildern. Dafür können viele unterschiedliche Instrumente eingesetzt werden:
- Bildungs- und Qualifikationsanstrengungen, um die Erwerbstätigen auf neue Aufgaben vorzubereiten und so deren Teilhabechancen am Arbeitsmarkt zu steigern.
- Finanzielle Absicherungen bei (temporären) Arbeitsplatzverlusten.
- Mobilitätshilfen, die es Arbeitsplatzsuchenden erlauben, Stellen in anderen Regionen als dem eigenen Wohnort anzunehmen. Bei dieser „People to Jobs“-Strategie ist u. a. an steuerliche Anreize, einen preiswerten und leistungsfähigen ÖPNV sowie bezahlbaren Wohnraum in Regionen mit Arbeitsplatzzuwächsen zu denken.
- Darüber hinaus kann auch eine aktive Gestaltung der Wirtschaftsstruktur sinnvoll sein, also eine Strategie „Jobs to People“. Dabei werden neue Arbeitsplätze dort geschaffen, wo digitalisierungsbedingte Arbeitsplatzverluste auftreten.
Eine wichtige Voraussetzung für die Finanzierung dieser Maßnahmen ist eine stabile Einnahmebasis des Staates. Dem Staat muss es gelingen, die Wertschöpfung und die Einkommen der Digitalökonomie zu erfassen und zu besteuern.
Zudem ist eine sozialpolitische Flankierung der Digitalisierung erforderlich. Sie dient dazu, den Menschen die Sicherheit zu geben, die sie brauchen, damit sie den Strukturwandel mitgestalten.
Literatur
BCG (The Boston Consulting Group) (2016). Inside Ops – Are your Operations ready for a digital Revolution? Boston (http://media-publications.bcg.com/BCG-Inside-OPS-Jul-2016.pdf).
BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) (2019). BMAS-Prognose „Digitalisierte Arbeitswelt“ – Kurzbericht. Berlin (https://www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/Forschungsberichte/Forschungsberichte-Arbeitsmarkt/fb526-1k-bmas-prognose-digitalisierte-arbeitswelt.html).
Frey, C. B., und M. A. Osborne (2013). The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerisation? Oxford (https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Employment.pdf).
Kriechel, B., N. Düll und K. Vogler-Ludwig (2016). Arbeitsmarkt 2030 – Wirtschaft und Arbeitsmarkt im digitalen Zeitalter: Prognose 2016. Bielefeld (https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/52096/ssoar-2016-kriechel_et_al-Arbeitsmarkt_2030_-_Wirtschaft_und.pdf?sequence=1).
Wolter, M. I. et al. (2015). „Industrie 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Wirtschaft“. IAB-Forschungsbericht 8/2015. Nürnberg (http://doku.iab.de/forschungsbericht/2015/fb0815.pdf).
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