Nehmen uns Roboter die Arbeit weg?

freedomnaruk/​Shutterstock

In den kom­men­den Jahren wird es in Deutsch­land zu einer Umschich­tung von Arbeits­plät­zen kommen. Die gesell­schafts­po­li­ti­sche Her­aus­for­de­rung besteht darin, die Ängste der Men­schen vor dem Wandel auf­zu­grei­fen und abzu­mil­dern, meint der Wirtschafts­for­scher Thieß Petersen.

Die Digita­li­sierung schreitet mit beträcht­lichen ökono­mi­schen Auswir­kungen voran. Eine Frage ist: Nehmen die Roboter und Computer uns Menschen die Arbeit weg? In den kommenden zehn bis 15 Jahren erscheint mir die Gefahr für Deutschland nicht allzu groß. Trotzdem müssen wir mit einschnei­denden Umschich­tungen auf den Arbeits­märkten rechnen. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung und Lehrbe­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Digita­li­sierung ist gestaltbar

Die Digita­li­sierung von Gesell­schaft und Wirtschaft folgt keinen Natur­ge­setzen.  Sie ist gestaltbar.  Zahlreiche Einfluss­fak­toren prägen den digitalen Wandel. Sie sind selbst zu großen Teilen das Resultat politi­scher Entschei­dungen. Drei Beispiele:

  1. Globa­li­sie­rungs­in­du­zierter techno­lo­gi­scher Fortschritt: Der inter­na­tionale Wettbe­werbs­druck erhöht in den Unter­nehmen den Anreiz, Roboter und Maschinen einzu­setzen, um die Produk­ti­vität zu erhöhen. Wird der Wettbewerb durch Subven­tionen und Handels­hemm­nisse abgeschwächt, nimmt das Tempo des digitalen Wandels ab.
  2. Demogra­fie­in­du­zierter techno­lo­gi­scher Fortschritt: Die Alterung der Bevöl­kerung verschärft den bereits bestehenden Fachkräf­te­mangel. Die Unter­nehmen setzen daher mehr auf Maschinen und inves­tieren verstärkt in arbeits­spa­rende Techno­logien. Wird der Fachkräf­te­mangel jedoch durch andere Maßnahmen abgemildert – z. B. durch eine bessere Verein­barkeit von Familie und Beruf, eine längere Lebens­ar­beitszeit und eine bessere Bildung –, verlangsamt sich die digitale Trans­for­mation der Wirtschaft.
  3. Neue Konsum­kon­zepte: Anbieter der Platt­form­öko­nomie wie Airbnb und Uber machen herkömm­lichen Anbietern  massiv Konkurrenz. Arbeits­plätze können verloren gehen. Je höher jedoch die staat­lichen Anfor­de­rungen an die Platt­form­öko­nomie sind, desto unattrak­tiver wird diese für die Verbraucher. Arbeits­plätze bleiben bei den kommer­zi­ellen Anbietern erhalten.

Die Beispiele zeigen, dass die Geschwin­digkeit des digitalen Fortschritts beein­flussbar ist. Doch dies ist mit großen Unsicher­heiten verbunden.

Ausgangs­punkt der nachfol­genden Überle­gungen ist die These, dass Produk­ti­ons­pro­zesse kapital- und techno­lo­gie­in­ten­siver werden, vor allem in entwi­ckelten Volks­wirt­schaften, aber auch weltweit. Daraus ergeben sich zwei grund­le­gende Konse­quenzen für den Arbeits­markt: Freiset­zungs- und Kompensationseffekte.

Freiset­zungs­ef­fekte der Digitalisierung

Digitale Techno­logien haben bereits in vielen Bereichen mensch­liche Arbeits­kräfte ersetzt: Fahrkarten- und Bankau­to­maten übernehmen die Tätig­keiten von Schal­ter­be­diens­teten, vollau­to­ma­tische Produk­ti­ons­an­lagen stellen Güter fast ohne mensch­liche Unter­stützung her und im Finanz­dienst­leis­tungs­sektor ersetzen Online-Banking, Online-Versi­che­rungen und Online-Wertpa­pier­handel „echte“ Bankan­ge­stellte, Versi­che­rungs­makler und Aktienhändler.

Die Verdrängung mensch­licher Arbeits­kräfte durch Roboter, Maschinen, Computer und künst­liche Intel­ligenz führt zu einem Rückgang des gesamt­wirt­schaft­lichen Beschäf­ti­gungs­ni­veaus. Ökonomen bezeichnen diese Entwicklung als Freisetzungseffekte.

Kompen­sa­ti­ons­ef­fekte der Digitalisierung:

Neben den direkten Freiset­zungs­ef­fekten hat die Digita­li­sierung auch noch indirekte Auswir­kungen auf den Arbeits­markt. Diese  Effekte können die Freiset­zungs­ef­fekte der Digita­li­sierung – teilweise oder sogar komplett – kompensieren:

  1. Preis­effekt: Reduziert der Einsatz digitaler Techno­logien die Produk­ti­ons­kosten, sinkt der Markt­preis der herge­stellten Güter und Dienst­leis­tungen. Im Normalfall reagieren Konsu­menten darauf mit einer Steigerung ihrer Nachfrage. Passen sich Unter­nehmen an diese höhere Nachfrage an, benötigen sie dafür zusätz­liche Arbeitskräfte.
  2. Einkom­mens­effekt: Preis­sen­kungen bei Konsum­gütern erhöhen die Kaufkraft eines gegebenen Einkommens. Wird die zusätz­liche Kaufkraft für Güter und Dienst­leis­tungen ausge­geben, steigt die Konsum­nach­frage, wodurch wiederum die Nachfrage nach Arbeits­kräften wächst.
  3. Wettbe­werbs­effekt: Digita­li­sie­rungs­be­dingte Preis­sen­kungen erhöhen die inter­na­tionale Wettbe­werbs­fä­higkeit der einhei­mi­schen Unter­nehmen, sie können mehr Produkte im Ausland verkaufen. Die Export­stei­gerung bewirkt eine Ausweitung der Produktion und Beschäftigung.
  4. Inves­ti­ti­ons­effekt: Die Digita­li­sierung betrieb­licher Produk­ti­ons­pro­zesse verlangt eine leistungs­fähige digitale Infra­struktur, wozu entspre­chende private und öffent­liche Inves­ti­tionen erfor­derlich sind. Die höhere Inves­ti­ti­ons­nach­frage sorgt für eine entspre­chende Güter­nach­frage inklusive einer Produktionsausweitung.

Freisetzung oder Kompen­sation: Was überwiegt?

Welche Beschäf­ti­gungs­ef­fekte überwiegen, bleibt aus theore­ti­scher Sicht offen. Daher gibt es eine Vielzahl von Szenarien, die zu unter­schied­lichen Prognosen für die zukünf­tigen Auswir­kungen der Digita­li­sierung auf das Beschäf­ti­gungs­niveau führen.

Werden nur die Freiset­zungs­ef­fekte berück­sichtigt, können sich erheb­liche Arbeits­platz­ein­spa­rungen ergeben: Frey und Osborne veröf­fent­lichten 2013 eine viel beachtete Studie, in der sie die Wahrschein­lichkeit berech­neten, dass im Jahr 2035 bestimmte Tätig­keiten in den USA compu­te­ri­siert sein werden. Ihre Einschätzung (ausgehend von 702 Tätig­keiten): 2035 könnten rund 47 Prozent der ameri­ka­ni­schen Beschäf­tigten durch Computer ersetzt sein (vgl. Frey und Osborne 2013). Bei einem kürzeren Betrach­tungs­zeitraum und der Berück­sich­tigung der Kompen­sa­ti­ons­ef­fekte werden dagegen geringe Arbeits­platz­ver­luste oder sogar Beschäf­ti­gungs­zu­wächse erwartet. Entspre­chende Szenarien für Deutschland finden sich z. B. bei Kriechel, Düll und Vogler-Ludwig 2016, BCG 2016, Wolter et al. 2015 sowie BMAS 2019.

Wie sind diese unter­schied­lichen Einschät­zungen zu bewerten? Meine Einschätzung lautet wie folgt:

  • In der kurzen Frist (bis 2025) dürften in Deutschland die Kompen­sa­ti­ons­ef­fekte überwiegen, d. h., die Digita­li­sierung schafft mehr Arbeits­plätze als sie ersetzt.
  • In der mittleren Frist (bis 2030 oder auch 2035) erwarte ich eine Anglei­chung beider Effekte. Per Saldo kommt es dann nur zu geringen Zuwächsen oder Verlusten an Arbeitsplätzen.
  • In der langen Frist (ab 2040/​50) überwiegen meiner Einschätzung nach die Freiset­zungs­ef­fekte, d. h., es werden mehr Arbeits­plätze durch digitale Techno­logien ersetzt als neu geschaffen.

Das bedeutet: Zumindest in den kommenden zehn bis 15 Jahren wird es in Deutschland weniger um einen gesamt­wirt­schaft­lichen Abbau von Arbeits­plätzen gehen und mehr um eine Umschichtung von Arbeits­plätzen: vom verar­bei­tenden Gewerbe hin zu den Dienst­leis­tungs­branchen, von Routine-Tätig­keiten in der Produktion hin zu Tätig­keiten in den Bereichen „Organi­sation“, „Kommu­ni­kation“, „Entscheidung“ sowie „Forschung und Entwicklung“ und schließlich von gering quali­fi­zierter Beschäf­tigung hin zu hoch quali­fi­zierter. Aller­dings ist auch zu erwarten, dass in den Arbeits­markt­be­reichen, die von der Digita­li­sierung profi­tieren (Dienst­leis­tungen, quali­fi­zierte Beschäf­tigte, Forschung & Entwicklung etc.), nicht alle Arbeit­nehmer sicher sind. Auch hier können selbst einige gut quali­fi­zierte Personen ihre Arbeit verlieren.

Was ist zu tun?

Die gesell­schafts­po­li­tische Heraus­for­derung besteht darin, die Ängste der Menschen vor den digita­li­sie­rungs­be­dingten Verän­de­rungen – allen voran vor Einkommens- und Status­ver­lusten – aufzu­greifen und abzumildern. Dafür können viele unter­schied­liche Instru­mente einge­setzt werden:

  • Bildungs- und Quali­fi­ka­ti­ons­an­stren­gungen, um die Erwerbs­tä­tigen auf neue Aufgaben vorzu­be­reiten und so deren Teilha­be­chancen am Arbeits­markt zu steigern.
  • Finan­zielle Absiche­rungen bei (tempo­rären) Arbeitsplatzverlusten.
  • Mobili­täts­hilfen, die es Arbeits­platz­su­chenden erlauben, Stellen in anderen Regionen als dem eigenen Wohnort anzunehmen. Bei dieser „People to Jobs“-Strategie ist u. a. an steuer­liche Anreize, einen preis­werten und leistungs­fä­higen ÖPNV sowie bezahl­baren Wohnraum in Regionen mit Arbeits­platz­zu­wächsen zu denken.
  • Darüber hinaus kann auch eine aktive Gestaltung der Wirtschafts­struktur sinnvoll sein, also eine Strategie „Jobs to People“. Dabei werden neue Arbeits­plätze dort geschaffen, wo digita­li­sie­rungs­be­dingte Arbeits­platz­ver­luste auftreten.

Eine wichtige Voraus­setzung für die Finan­zierung dieser Maßnahmen ist eine stabile Einnah­me­basis des Staates. Dem Staat muss es gelingen, die Wertschöpfung und die Einkommen der Digita­l­öko­nomie zu erfassen und zu besteuern.

Zudem ist eine sozial­po­li­tische Flankierung der Digita­li­sierung erfor­derlich. Sie dient dazu, den Menschen die Sicherheit zu geben, die sie brauchen, damit sie den Struk­tur­wandel mitgestalten.

Literatur

BCG (The Boston Consulting Group) (2016). Inside Ops – Are your Opera­tions ready for a digital Revolution? Boston (http://media-publications.bcg.com/BCG-Inside-OPS-Jul-2016.pdf).

BMAS (Bundes­mi­nis­terium für Arbeit und Soziales) (2019). BMAS-Prognose „Digita­li­sierte Arbeitswelt“ – Kurzbe­richt. Berlin (https://www.bmas.de/DE/Service/Medien/Publikationen/Forschungsberichte/Forschungsberichte-Arbeitsmarkt/fb526-1k-bmas-prognose-digitalisierte-arbeitswelt.html).

Frey, C. B., und M. A. Osborne (2013). The Future of Employment: How Suscep­tible are Jobs to Compu­te­ri­sation? Oxford (https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Employment.pdf).

Kriechel, B., N. Düll und K. Vogler-Ludwig (2016). Arbeits­markt 2030 – Wirtschaft und Arbeits­markt im digitalen Zeitalter: Prognose 2016. Bielefeld (https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/52096/ssoar-2016-kriechel_et_al-Arbeitsmarkt_2030_-_Wirtschaft_und.pdf?sequence=1).

Wolter, M. I. et al. (2015). „Industrie 4.0 und die Folgen für Arbeits­markt und Wirtschaft“. IAB-Forschungs­be­richt 8/​2015. Nürnberg (http://doku.iab.de/forschungsbericht/2015/fb0815.pdf).

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unter­stützen damit die publi­zis­tische Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nützig anerkannt, entspre­chend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spenden­be­schei­nigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­daten bitte an finanzen@libmod.de

 

Verwandte Themen

Newsletter bestellen

Mit dem LibMod-Newsletter erhalten Sie regel­mäßig Neuig­keiten zu unseren Themen in Ihr Postfach.

Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mungen
erklären Sie sich einverstanden.