Nichts als fauler Zauber? Klimaschutzmaßnahmen im Ausland

Anders als die letzte Bundesregierung wollen die künftigen Koalitionäre auf Klimagutschriften zurückgreifen. Die Kritik vor allem von Klimaschützern ist scharf und deutlich. Die Energierechtsexpertin Miriam Vollmer ordnet den Vorschlag ein und verweist auf rechtliche Hürden für das Anrechnen von im Ausland erbrachten Klimaschutzmaßnahmen.
Der Protest kam ebenso vorhersehbar wie deutlich: Die Ankündigung im Koalitionsvertrag, bis zu drei Prozent der für 2040 vorgesehenen 88 Prozent Emissionsminderung durch „glaubwürdige CO2-Reduzierung durch hochqualifizierte, zertifizierte und permanente Projekte in außereuropäischen Partnerländern zur wirtschaftlich tragbaren Reduzierung von Restemissionen“ erbringen zu wollen, sei ein Rückschritt für den deutschen Klimaschutz. Mit „schmutzigen internationalen Kompensationsgeschäften werde das deutsche Klimaschutzziel durchlöchert“, kommentierte etwa die Deutsche Umwelthilfe den Plan.
Bei Befürwortern dieser Auslagerung von Emissionsminderungen ins außereuropäische Ausland klingt das natürlich ganz anders. Naturwissenschaftlich sei schließlich gleichgültig, wo Emissionen gemindert würden, und Klimaschutzprojekte im Ausland hätten neben der Reduzierung von Emissionen weitere positive Effekte: So fände in aller Regel ein Technologietransfer statt, der einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leiste, gleichzeitig seien Emissionsminderungen im außereuropäischen Ausland oft günstiger als in Deutschland, man bekäme also mehr Klimaschutz für dasselbe Geld. Der Klimaschutz würde also nicht beschädigt, er würde nur günstiger, und man täte noch ein gutes Werk.
In der Tat gibt es wenig Argumente, die gegen einen Windpark in Afrika sprechen, der dort ein Kohlekraftwerk ersetzt. Die Argumente der Befürworter lassen sich also erst einmal hören. Doch wenn Klimaschutz im Ausland wirklich ein für alle Seiten vorteilhaftes Geschäft wäre, warum dann die Skepsis? Hier lohnt sich ein Blick in die völkerrechtlichen Grundlagen grenzüberschreitender Klimaschutzmaßnahmen und ihre Vorgeschichte.
Was sagt das Völkerrecht?
Völkerrechtliche Grundlage grenzüberschreitender Klimaschutzprojekte ist Art. 6 des Paris Agreements, der drei verschiedene zwischenstaatliche Kooperationsmöglichkeiten vorsieht. Zwei davon erlauben den Transfer von Klimaschutzmaßnahmen von einem Land zu einem anderen Land. Sie sind in Art. 6.2 und 6.4 geregelt und unterscheiden sich durch ihren Formalisierungsgrad und Adressatenkreis: Sie adressieren nicht ausdrücklich aber erkennbar zum einen die Zusammenarbeit von Industriestaaten, zum anderen die Investition in einem Entwicklungsland. Damit knüpfen sie an zwei Vorgängerinstrumente im Kyoto Protokoll von 1997 an: Der Joint Implementation als Kooperation zwischen Industriestaaten und dem Clean Development Mechanism als Engagement von Industriestaaten in Entwicklungsländern. Beide erlaubten es, die erzielten Minderungen auf die Minderungsziele des investierenden Staates anzurechnen, wobei Art. 6.2 nur zwischenstaatliche, Art. 6.4 auch private Investitionen erlaubt. Nur bei Maßnahmen nach Art. 6.4 ist ein Supervisory Body einbezogen und beide beteiligte Staaten müssen festgelegte Verfahrensschritte durchlaufen.
Beide Mechanismen des Paris Agreements setzen eine transparente Erfassung der Einsparungen voraus. Sie unterliegen – das war bereits bei den Vorgängermechanismen im Kyoto Protokoll der Fall – einem Doppelzählungsverbot: Eine Maßnahme wird entweder beim investierenden Staat oder bei dem Staat, in dem sie stattfindet, angerechnet, nicht aber bei beiden. Um die Zusätzlichkeit der Ambitionen sicherzustellen, findet auch kein 1:1 Transfer statt. Es reicht also nicht aus, woanders auf der Welt die im Koalitionsvertrag vorgeschlagenen drei Prozent einzusparen, um damit der deutschen Industrie mehr Zeit für die notwendigen Transformationen zu verschaffen. Es muss mehr gemindert werden. So müssen bei Maßnahmen nach 6.4 zwei Prozent der erzielten Gutschriften gelöscht werden und Gelder an den Anpassungsfonds abgeführt werden. Dieser soll Staaten, die das nicht selbst leisten können, bei der Anpassung an die klimawandelbedingten Umweltveränderungen helfen. Zudem soll es nur für Maßnahmen, die die nachhaltige Entwicklung fördern, Gutschriften geben.
Die genauen Regeln und Grundsätze ergeben sich aus dem Glasgow Rulebook, das die Vertragsstaatenkonferenz 2021 verabschiedet hat. Damit knüpft sie an die Grundsätze der Marrakesh Accords von 2001 an, auf dessen Basis bis 2023 insgesamt 2,3 Mrd. Tonnen CO2 eingespart und als Gutschriften zertifiziert wurden.
Aber: Keine Anrechnung in der EU
Die nach den Regeln des Kyoto Protokolls und der Marrakesh Accords generierten Gutschriften waren bis 2021 unter bestimmten Vorrausetzungen im Europäischen Emissionshandel abgabefähig. Unternehmen konnten also einen Teil ihrer Emissionen durch die meist günstigeren Zertifikate aus dem Ausland ersetzen. Mit Beginn der derzeit laufenden 4. Handelsperiode des Emissionshandels ist das nicht mehr möglich. Die 2021 neugefasste Emissionshandelsrichtlinie lässt dies nicht mehr zu. Nur noch im sogenannten freiwilligen Markt haben die Gutschriften ihren Wert behalten. Ein Unternehmen kann also beispielsweise seine Flüge oder seine Fahrzeugflotte durch Gutschriften auf freiwilliger Basis rechnerisch klimaneutral stellen, aber für Stahlwerke, Papierfabriken oder die Zementherstellung müssen die durch die EU budgetierten deutlich teureren Emissionsberechtigungen eingesetzt werden.
Diese Regelungen der Emissionshandelsrichtlinie müssten sich ändern, um den deutschen Wunsch nach Nutzung von drei Prozent Gutschriften Realität werden zu lassen. Die neue Bundesregierung kann also nur über den Umweg einer Änderung der europäischen Emissionshandelsrichtlinie das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) ändern, aus dem hervorgeht, welche Zertifikate abgegeben werden dürfen.
Doch wieso hat sich die EU bei der Neufassung ihrer Emissionshandelsrichtlinie überhaupt gegen die Einsetzbarkeit von Gutschriften entschieden? Zum einen war 2021, als der erste Entwurf für die Novellierung der Emissionshandelsrichtlinie veröffentlicht wurde, das Glasgow Rulebook noch nicht verabschiedet. Zum anderen gab und gibt es aber auch im EU-Rahmen Vorbehalte gegen den Import von Gutschriften, die auf den Erfahrungen der ersten Jahre des Emissionshandels fußen, als die Preise nicht nur, aber auch durch günstige im Ausland erwirtschaftete Zertifikate schnell auf Centbeträge verfielen. Für die Unternehmen, die am Emissionshandel teilnehmen, war dies zunächst vorteilhaft, weil die Kosten des Emissionshandels sanken. Viele Unternehmen schoben so die Investitionen in emissionsfreie Technologien auf. Infolge verzögerte sich die Transformation der heimischen Industrie. Unternehmen verweisen zwar bisweilen auf Kostenvorteile, die entstehen, wenn neue Technologien sich etablieren – der Frontrunner muss somit oft mehr für dieselbe Minderung aufbringen als diejenigen, die in die dann schon etablierte Technik investieren. Doch insgesamt verlor die Industrie in der EU so an Modernität gegenüber anderen Weltgegenden.
Aber nicht nur die Effizienz des Emissionshandels an sich sinkt durch die Möglichkeit, Gutschriften einzusetzen. Die Erfahrungen mit Klimaschutzprojekten unter dem Kyoto Protokoll haben ebenso wie die Erfahrungen mit Upstream-Emissions-Reduktions-Projekten (UER) gezeigt, dass es nicht immer einfach ist, die Integrität von Klimaschutzprojekten im Ausland zu gewährleisten. Schon die oft unzureichende Infrastruktur erschwert die Aufsicht. Entsprechend begleiteten Skandale zwischenstaatliche Minderungsprojekte mehr oder weniger von Anfang an, wobei auch die Aufklärung durch oft unzureichende örtliche Infrastrukturen deutlich erschwert wird. Im Ergebnis befürchten Kritiker, dass die Nachteile des Instruments und die Risiken, dass die gutgeschriebenen Emissionseinsparungen real gar nicht existieren, die Kostenvorteile und die Vorteile durch gesteigerte Ambitionen deutlich überwiegen.
Was heißt das nun für Deutschland?
Es gilt als zweifelhaft, ob es den Deutschen gelingt, in der EU ausreichend Mehrheiten für eine schnelle Änderung der Emissionshandelsrichtlinie zusammenzutrommeln. Die Richtlinie wurde schließlich gerade erst geändert, es gibt viele andere Regelwerke, die zu überarbeiten die Organe der EU eher aufgerufen sind. Nicht unwahrscheinlich ist es allerdings, dass dann, wenn die Überarbeitung für die nächste Handelsperiode ab 2030 ansteht, auch dieser Punkt aufgegriffen wird, schließlich dürfte Deutschland nicht der einzige Mitgliedstaat sein, der es nicht leicht hat, die Minderungsziele zu erreichen.
Ist eine Anrechenbarkeit von Auslandsgutschriften damit für die nächsten Jahre vor 2030 eher unwahrscheinlich, stellt sich aber für die deutsche Industrie die Frage, wie sinnvoll dieses Instrument überhaupt noch werden kann. Um die Minderungsziele überhaupt zu erfüllen, müssen die Emissionen in den Dreißigern schnell und drastisch sinken. Die Maßnahmen, die diese Emissionsminderungen ermöglichen sollen, müssen wegen der langen Vorläufe für Planung und Realisierung der Transformation aber heute projektiert werden, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Möglichkeit, Gutschriften einzubringen, ungewiss ist und jedenfalls nicht fest eingeplant werden kann. Es mag also sein, dass die Möglichkeit, auf Gutschriften zuzugreifen, in den Dreißigern manche Last auf den letzten Metern der Transformation erleichtert. Wenn die künftigen Koalitionäre jedoch geplant haben, der Industrie damit kurzfristig Luft zu verschaffen, dürfte ihr Plan hingegen nicht aufgehen.
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