Öffent­liche Inves­ti­tionen: Ist Deutsch­land zukunftsfähig?

Shut­ter­stock /​ Captain Wang

Seit der Pleite der Bank Lehman Brothers und dem Einbruch der welt­weiten Wirt­schaft wuchs die deutsche Wirt­schaft jedes Jahr. Auch die Beschäf­ti­gungs­zahlen erreichten Rekord­werte. Nun gerät die Konjunktur ins Stocken. Gerade in einer wirt­schaft­lich unsi­cheren Zeit stellt sich die Frage, wie gut das deutsche Wirt­schaft- und Gesell­schafts­mo­dell auf die Zukunft vorbe­reitet ist.

Die Eintrü­bung der wirt­schaft­li­chen Aussichten, die hier­zu­lande im Herbst 2018 einsetzte, ist vor allem auf die Schwä­chung der Welt­wirt­schaft und des Welt­han­dels zurück­zu­führen. Hier erweist sich die hohe Export­ab­hän­gig­keit Deutsch­lands als ambi­va­lent: Wenn die Welt­wirt­schaft boomt, profi­tieren die deutschen Unter­nehmen und deren Beschäf­tigte von hohen Exporten. Bei einer schwä­chelnden Welt­wirt­schaft spüren sie den welt­weiten Wirt­schafts­ab­schwung am stärksten. So war es auch nach der Lehmann-Pleite: Während das deutsche Brut­to­in­lands­pro­dukt 2009 um fünf Prozent einbrach, war der Rückgang der US-Wirt­schaft nur halb so groß.

Inves­ti­ti­ons­lücke bei Infrastruktur

Eine moderne, leis­tungs­fä­hige Infra­struktur ist Grund­vor­aus­set­zung für eine inter­na­tional wett­be­werbs­fä­hige Volks­wirt­schaft. Ob die Voraus­set­zung in Deutsch­land derzeit gegeben ist, wird sowohl in der Wissen­schaft als auch in der Politik intensiv disku­tiert. Auch wenn metho­di­sche Schwächen ein eindeu­tiges Urteil erschweren, gibt es doch Hinweise auf die Existenz einer Inves­ti­ti­ons­lücke in Deutschland. 

Portrait von Albrecht Sonntag

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertels­mann Stiftung und Lehr­be­auf­tragter an der Europa-Univer­sität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Eine kürzlich vom arbeit­ge­ber­nahen Institut der deutschen Wirt­schaft (IW) und dem gewerk­schafts­nahen Institut für Makro­öko­nomie und Konjunk­tur­for­schung (IMK) gemeinsam veröf­fent­lichte Studie beziffert alleine die „ab dem Jahr 2020 zusätz­lich entste­henden öffent­li­chen Inves­ti­ti­ons­be­darfe“ für die kommenden 10 Jahre auf mindes­tens 450 Milli­arden Euro. Dabei geht es vor allem um Bereiche wie Bildung, Wohnungsbau, Straßen, die Bahn, den öffent­li­chen Perso­nen­nah­ver­kehr und die Dekar­bo­ni­sie­rung der Wirt­schaft. Da die öffent­li­chen Inves­ti­tionen lediglich rund 10 Prozent aller Inves­ti­tionen in Deutsch­land ausmachen, ist der gesamt­wirt­schaft­liche Inves­ti­ti­ons­be­darf wesent­lich höher.

Hand­lungs­be­darf bei digitaler Trans­for­ma­tion von Wirt­schaft und Gesellschaft

Die digitale Trans­for­ma­tion, die gegen­wärtig erst am Anfang steht, wird perspek­ti­visch zu einer zentralen Voraus­set­zung für die Sicherung von Arbeits­plätzen und des indi­vi­du­ellen Wohl­stands. Neben digitalen Tech­no­lo­gien, Robotern und Automaten geht es dabei auch um Künst­liche Intel­li­genz (KI). In den USA und China unter­stützen der Staat die Förderung von KI in erheb­li­chem Maße. Die entspre­chenden öffent­li­chen Förder­gelder Deutsch­lands sind im Vergleich dazu gering. Wie Roderick Keffer­pütz zurecht fest­stellt, droht Deutsch­land beim Sprung in das KI-Zeitalter den inter­na­tio­nalen Anschluss zu verlieren.

Ungleich­heit ein Unsicherheitsfaktor?

Ob die in Deutsch­land erreichte Ungleich­heit bei der Vertei­lung von Einkommen und Vermögen ein Problem darstellt oder nicht, ist immer wieder Thema wirt­schaft­li­cher und poli­ti­scher Diskus­sionen. Unter­su­chungen, die einen Anstieg der Einkom­mens­un­gleich­heit fest­stellen, rufen reflex­artig Wider­spruch hervor. Hinge­wiesen wird auf metho­di­sche Unklar­heiten, unter­schied­liche Inter­pre­ta­tionen der Resultate und den inter­na­tio­nalen Vergleich, bei dem Deutsch­land recht gut abschneidet.

Jenseits dieser Diskus­sion stellt sich jedoch Frage, wie die Menschen in Deutsch­land die erreichte Einkommen- und Vermö­gens­ver­tei­lung einstufen. Eine Anfang Oktober 2019 von Forsa im Auftrag des Forum New Economy durch­ge­führte reprä­sen­ta­tive Bevöl­ke­rungs­um­frage stellte u. a. die Frage, in wieweit die Befragten der Aussage zustimmen, dass die Ungleich­ver­tei­lung von Einkommen und Vermögen in Deutsch­land zunehmend zu einem Problem für den sozialen Zusam­men­halt in der Bevöl­ke­rung wird. Das Ergebnis: 49 Prozent stimmten dieser Aussage voll und ganz zu, 38 Prozent stimmten ihr eher zu. Lediglich 12 Prozent stimmten ihr eher nicht oder überhaupt nicht zu. Wenn große Teile der Bevöl­ke­rung tatsäch­lich der Ansicht sind, dass die Einkom­mens- und Vermö­gens­ver­tei­lung proble­ma­tisch ist, drohen soziale Span­nungen und poli­ti­sche Polarisierung.

Demo­gra­fi­scher Wandel schränkt staat­liche Hand­lungs­spiel­räume ein

Es gibt also mit Blick auf die zu erbrin­genden Leis­tungen in den nächsten Jahren erheb­liche Anfor­de­rungen an die Hand­lungs­fä­hig­keit des Staates: öffent­liche Inves­ti­tionen, die sozial- und bildungs­po­li­ti­sche Flan­kie­rung des globa­li­sie­rungs- und digi­ta­li­sie­rungs­be­dingten Struk­tur­wan­dels, ein Ausgleich der Markt­ein­kom­mens­un­gleich­heit, um nur einige Aufga­ben­be­reiche zu nennen.

Der zu erwar­tende demo­gra­fi­sche Wandel – hier vor allem die Alterung der Bevöl­ke­rung – erschwert diese Aufga­ben­er­fül­lung in drei­fa­cher Hinsicht:

  1. Eine alternde Bevöl­ke­rung benötigt mehr finan­zi­elle Mittel für Renten, Pensionen, Gesund­heits- und Pfle­ge­aus­gaben. Die finan­zi­ellen Hand­lungs­spiel­räume des Staates geraten über diese zusätz­li­chen Ausgaben unter Druck.
  2. Wenn es demo­gra­fisch bedingt weniger Erwerbs­tä­tige gibt, sinken für sich genommen die Einnahmen der sozialen Siche­rungs­sys­teme. Einnah­me­seitig nehmen die staat­li­chen Hand­lungs­spiel­räume somit ebenfalls ab.
  3. Was häufig übersehen wird: Auch real­wirt­schaft­lich verrin­gert die demo­gra­fi­sche Entwick­lung die staat­li­chen Hand­lungs­spiel­räume: In einer alternden Gesell­schaft gehen tenden­ziell die Arbeits­pro­duk­ti­vität und das Brut­to­in­lands­pro­dukt je Einwohner zurück. Die gesamt­wirt­schaft­li­chen Inves­ti­ti­ons­mög­lich­keiten lassen ebenso nach wie die inter­na­tio­nale Wett­be­werbs­fä­hig­keit. Neben den finan­zi­ellen Mitteln gehen somit auch die zur Verfügung stehenden Güter und Dienst­leis­tungen, die der Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, tenden­ziell zurück.

Was tun?

Die wenigen – und keines­falls voll­ständig erfassten – Heraus­for­de­rungen, die sich für den Staat zukünftig ergeben, erfordern Anpas­sungen bezüglich der Ausge­stal­tung des deutschen Wirt­schafts- und Gesell­schafts­mo­dells: der sozialen Markt­wirt­schaft. Die Entschei­dung der konkreten Maßnahmen erfordert einen gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Entschei­dungs­pro­zess, denn anders als in den Natur­wis­sen­schaften gibt es bei den meisten volks­wirt­schaft­li­chen Problem­stel­lungen keine eindeutig richtige Lösung.

Ob z. B. eine höhere Umver­tei­lung der Einkommen sozi­al­po­li­tisch geboten ist oder nicht, ist ein Wert­ur­teil, für das es keine objek­tiven Kriterien gibt. Selbst bezüglich der Frage, ob das erreichte Maß der Einkom­mens­um­ver­tei­lung in Deutsch­land eine Wachs­tums­bremse ist und aus diesem – objektiv nach­voll­zieh­baren – Grund reduziert werden sollten, gibt es in der Wissen­schaft keinen Konsens.

Immerhin aber bietet sich eine Maßnahme an, über die weit­ge­hend Konsens bestehen sollte: die Erhöhung der öffent­li­chen Inves­ti­tionen. Eine sinnvolle Verwen­dung entspre­chender finan­zi­eller Mittel kann einen Beitrag zur Bewäl­ti­gung der hier skiz­zieren Heraus­for­de­rungen leisten:

  • Höhere Inves­ti­tionen steigern die Binnen­nach­frage und tragen so zur Redu­zie­rung der hohen Export­ab­hän­gig­keit bei.
  • Inves­ti­tionen in erneu­er­bare Energien und ressour­cen­spa­rende Produk­ti­ons­ver­fahren leisten einen Beitrag dazu, dass „sich Res­sour­cen­ver­brauch und Wirt­schafts­wachs­tum ent­kop­peln“ lassen.
  • Inves­ti­tionen in die digitale Infra­struktur verbes­sern die inter­na­tio­nale Wett­be­werbs­fä­hig­keit Deutschlands.
  • Öffent­liche Inves­ti­tionen steigern die gesamt­wirt­schaft­liche Produk­ti­vität. Damit erhöht sich auch für private Unter­nehmen der Anreiz, Inves­ti­tionen zu tätigen. Mit den daraus resul­tie­renden leis­tungs­fä­higen Produk­ti­ons­an­lagen kann eine schrump­fende Erwerbs­be­völ­ke­rung für einen hohen mate­ri­ellen Wohlstand einer alternden Gesell­schaft sorgen.
  • Schließ­lich leisten öffent­liche Inves­ti­tionen in den Bereichen früh­kind­liche Bildung, Ganz­tags­be­treuung, Wohnungsbau und im Verkehrs­wesen auch einen Beitrag zur Verrin­ge­rung der Einkom­mens­un­gleich­heit: Verbes­serte Kinder­be­treu­ungs­an­ge­bote erlauben es Frauen mit Kindern, ihre Arbeits­zeit zu verlän­gern und so ihr Einkommen zu steigern. Kinder aus bildungs­fernen Familien können lang­fristig ihre Arbeits­mark­chancen verbes­sern. Staat­liche Wohnungs­bau­in­ves­ti­tionen und eine verbes­serte Verkehrs­in­fra­struktur machen es Menschen mit gerin­geren und mittleren Einkommen leichter, einen Zugang zum Arbeits­markt in Ballungs­ge­bieten zu erhalten.

Auch wenn höhere öffent­liche Inves­ti­tionen kein Allheil­mittel sind, können sie einen spürbaren Beitrag dazu leisten, das deutsche Wirt­schafts- und Gesell­schafts­system zukunfts­fester zu gestalten.

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