Dürfen liberale Geister die schwarz-rot-goldene Fahne raushängen?
„Wer hat ein Problem mit der Nationalmannschaft? Die Rechtsnationalen. Wenn die AfD die ‚Nationalmannschaft‘ hasst, dann hat sich doch die Bedeutung von Nationalmannschaft verändert“ – schlussfolgert unser Autor Peter Unfried. Man muss sich nicht gleich gruseln, wenn Fans die Fahne raushängen. Es geht um Party, Bier und Fußball.
Als ich zu Bertis Zeiten Fußballreporter war, schrieb ich niemals „Nationalmannschaft“, sondern immer „DFB-Team“. Nationalmannschaft? Wir wissen doch, wo das endet, dachte ich. Offenbar hatten wir keine größeren Sorgen, damals.
Aber gerade in dieser speziellen Situation ist es wichtig, sich klar zu machen, dass die 1949 eingeführte Bundesflagge der Bundesrepublik das Bekenntnis zu unserer demokratischen und liberalen Gesellschaft ausdrückt.
Vor ein paar Wochen saß ich für ein Rolling Stone-Gespräch über 1968 und die Folgen in der Grünen-Zentrale, und der Co-Bundesvorsitzende Robert Habeck sprach über „verhunzte“ Begrifflichkeiten und die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit ihrer Umdeutung. Heimat. Patriotismus. Und eben Nationalmannschaft.
Wer hat ein Problem mit der Nationalmannschaft? Die Rechtsnationalen
„Die deutsche Fußballnationalmannschaft war für mich bis Klinsmann immer Inbegriff eines leicht anrüchigen deutsch-konservativen Patriotismus“, sagte Habeck.
Klar, man denkt sofort an reaktionäre DFB-Präsidenten wie Peco Bauwens und Hermann Neuberger, die erste Strophe der Nationalhymne 1954 in Bern, die Dolchstoßlegende von Wembley 1966, den Nazi-Flieger Rudel im WM-Quartier 1978, Berti Vogts‘ Behauptung einer internationalen Verschwörung gegen Deutschland 1998.
Aber dann kamen die baden-württembergischen Weltbürger Klinsmann und Löw. Und das Spiel wechselte auf der Grundlage sich eh vollziehender gesellschaftlicher Liberalisierung, neuer Fußballschulen und rotgrüner Einwanderungspolitik die Richtung. „Und heute sagt Gauland, er wolle Boateng nicht zum Nachbarn haben“, sagte Habeck in seinem Chefkabuff.
Ergo?
„Der Fritz Walter von heute heißt Jerome Boateng, der Uwe Seeler von heute Mesut Özil. Und wer hat ein Problem mit der Nationalmannschaft? Die Rechtsnationalen. Wenn die AfD die ‚Nationalmannschaft‘ hasst, dann hat sich doch die Bedeutung von Nationalmannschaft verändert.“
Das hat es. Und zwar so was von.
Özil und Gündogan sollten ihren inneren Konflikt einfach erklären
Doch seit die in Gelsenkirchen geborenen Nationalspieler Özil und Gündogan mit dem türkischen Autokraten Erdogan posierten, Gündogan ihn gar „mein Präsident“ nannte, ist eine allgemeine Verwirrung zu bemerken. Sowohl die gesellschaftsliberalen Kosmopoliten der neuen Mittelschicht als auch eher Hymnenmitsing-orientierte Kleinbürger reagieren empört. Der Vorwurf lautet: Also doch Türken!
Es ist wirklich nur noch schwer erträglich, wenn DFB-Angestellte sagen, das sei ja „keine politische Botschaft“ gewesen. Selbstverständlich ist es eine – gegen Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit usw.
Bisschen ungeschickt ist das jetzt schon, sagte ich zu Daniel Cohn-Bendit, dem Minnesänger Nummer 1 von wunderbaren multikulturellen Fußballmannschaften.
Man wolle doch immer den Fußballer, der sich politisch äußert, erwiderte Cohn-Bendit. „Aber wenn man eine multikulturelle Mannschaft hat, dann kann auch das dazugehören“. Dann könne man nicht nur Mats Hummels kriegen, also den Typ Klassensprecher der biodeutschen Gymnasial-Mittelschicht. Logik: Das sind die Widersprüche, die zu einer offenen und freien Gesellschaft gehören, denn sonst ist sie keine. Die einwanderungspolitischen Aufgaben sind längst nicht bewältigt, das muss man auch sehen. Das Problem ist, dass die Jungs seither schweigen und sich und ihren mutmaßlichen inneren Konflikt nicht erklären.
Längst ist die Nationalmannschaft internationalisiert
In diesem Kontext kommt jetzt wieder die Idee hoch, dass alle Fußballer halt traditionell blöde seien. Unsinn, es ist wie in anderen Milieus oder Branchen auch, manche sind klug und andere sind Trottel. Es sind gerade die moralischen Mittelschichtsmilieus, die in Wahrheit den Matthäus-Typus bevorzugen, um sich schön abgrenzen zu können. Im Übrigen verweist Cohn-Bendit auf Emre Can, der Erdogans Ansinnen offenbar ablehnte.
Was sich seit Uwe Seelers und selbst seit Matthäus‘ Zeiten radikal geändert hat: Der Markt des Spitzenfußballs und damit auch seiner Protagonisten ist die ganze Welt, Spitzenfußballer sind transnationale Marken, sie repräsentieren internationale Weltfirmen (Fußballclubs und Sportschuhfirmen) – und wenn sie für die traditionellen Wettbewerbe WM und EM in Verbandsteams zusammengewürfelt werden, dann repräsentieren sie eigentlich nicht das Land oder gar die Nation, sondern im Grunde nur ein Sommer-Fußballteam in einem qualitativ nicht mit den Champions League-Play Offs zu vergleichenden Wettbewerb. Okay, etwas überspitzt.
Es geht jedenfalls um emotionale Teilhabe, auch um Partyteilhabe. Es geht um Bier, nicht um Blut und Boden, wie Habeck in einem taz-Interview schon 2010 sagte. „Fußballpatriotismus“ hat als Inhalt Fußball und Party. Deshalb war es auch ein ausgemachter Medienschmarren, dass sich bei der WM 2006 ein neues Deutschland konstituiert habe. Die Leute wollten feiern und sich gut finden. So what? Menschen, die sich null für Fußball interessieren, steigen bei der WM auch ein. Und das geht mit einem „eigenen“ Team einfach besser.
Bitte kein Alarm, es sind Fanfahnen ...
Selbstverständlich gibt es ein Bedürfnis nach Heimat und Verortung, das sich hier ausdrückt. Das hat aber nichts mit Nationalstolz oder gar „nationalen Tugenden“ zu tun. So wie Schwaben tendenziell Anhänger des VfB Stuttgart sind, sind Deutsche mehrheitlich für das deutsche Team. Aber es hat auch mit Stil und Spielern zu tun.
Im Spitzenfußball von heute gibt es keine nationalen Tugenden, nur internationale Moderne. Und multikulturelle Teams sind auf höchstem Niveau, also Champions League-Niveau, nicht Ausnahme, sondern Notwendigkeit. Denn mit personell oder stilistisch national beschränkten Clubs wäre man im Spitzenfußball komplett chancenlos. Löw ist ja eben kein „Nationaltrainer“, sondern ein führender Internationaltrainer. Deutschland hat dank Jogi Löw einen modernen und oft begeisternden Fußballstil entwickelt. Das hilft, sich positiv in diesem Team wiederfinden zu können. Die Hauptidentifikation funktioniert aber über den Erfolg. Weshalb man sich bei Turnierausscheiden auch schnell wieder distanziert und dem Alltag zu wendet. Wir gewinnen – die verlieren.
Wenn nun während der WM die Deutschlandfahnen aus den Fenstern hängen sollten, bitte nicht Alarm schlagen. Es sind Fanfahnen.
... die ein Bekenntnis zur offenen Gesellschaft ausdrücken
Ich gestehe zu, dass ich mit meinem „Deutschland ist ein Sommerfußballteam“ das eine Ende des Deutungsspektrums besetze.
Durch die jüngste Demonstration der autoritären AfD mit Bundesflaggen ist in der Tat ein neuer Begründungsdruck für diese Fanfahnen entstanden. Ich verstehe, dass deshalb und auch wegen Özil und Gündogans Autokraten-Posing Leuten unwohl dabei ist. Grundsätzlich würde ich auch immer die Europafahne bevorzugen.
Aber gerade in dieser speziellen Situation ist es wichtig, sich klar zu machen, dass die 1949 eingeführte Bundesflagge der Bundesrepublik das Bekenntnis zu unserer demokratischen und liberalen Gesellschaft ausdrückt. Zum anderen geht es darum, was die Mannschaft symbolisiert – und nicht, was Fußballer sagen. Und diese Nationalmannschaft von Jogi, Neuer, Müller, Boateng, Hummels, Khedira, Gomez und Özil symbolisiert genau das, wogegen Nationalisten kämpfen. Wenn überhaupt, dann muss man die Deutschlandfahne bei der WM als entschiedenes Statement gegen Gauland, Erdogan, Putin und den ganzen autoritären Nationalismusdreck deuten. Alles andere wäre im Sinne der AfD. Bloß nicht.
Und jetzt haut sie weg, Jungs.
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