Appell für ein Moratorium für Nord Stream 2

Zum heute veröf­fent­lichten inter­na­tio­nalen Appell für ein Moratorium für Nord Stream 2 erklärt Ralf Fücks, Direktor des Zentrum Liberale Moderne:

Der Appell versammelt eine große Zahl von Personen des öffent­lichen Lebens aus Europa und den USA, darunter der ehemalige estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves, der frühere polnische Premier­mi­nister Jerzy Buzek, ehemalige Minister, hochrangige Diplo­maten und Militärs, zahlreiche Abgeordnete, bekannte Intel­lek­tuelle und Vertreter/​innen der Zivil­ge­sell­schaft. Er richtet sich an die Bundes­re­gierung und die demokra­ti­schen Parteien Deutschlands.

Nord Stream 2 war von Anfang an ein umstrit­tenes Vorhaben. Die Kritik ist vielfältig: Das Projekt schürt Zwietracht in Europa, steht im Konflikt mit den Klima­zielen der EU, gefährdet die Sicherheit der Ukraine und belastet den Neuanfang in den trans­at­lan­ti­schen Bezie­hungen. An dieser Einschätzung hat auch die jüngste Entscheidung der Biden-Adminis­tration nichts geändert, die neuen Sanktionen gegen die Betrei­ber­ge­sell­schaft NS2 vorläufig auszu­setzen. Die Kritik an diesem Projekt wird anhalten.

Ein Moratorium für Nord Stream 2 würde den Raum für einen ernst­haften Dialog mit unseren europäi­schen Partnern und der neuen US-Adminis­tration öffnen. Zugleich sollte es genutzt werden, um die kriti­schen Themen in den europäisch-russi­schen Bezie­hungen zu erörtern, von der Inter­vention in der Ukraine bis zu den immer hefti­geren Repres­sionen gegen die russische Zivil­ge­sell­schaft. In diesem Licht sollte eine abschlie­ßende Entscheidung getroffen werden.

Wir hoffen, dass die deutsche Politik diesen Impuls aufgreift. Er zeigt einen Weg aus der politi­schen Sackgasse, in die wir uns mit Nord Stream 2 manövriert haben.


Den Appell dokumen­tieren wir hier an dieser Stelle:

Ein Moratorium für Nord Stream 2

Appell an die Bundes­re­gierung und die demokra­ti­schen Parteien in Deutschland

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrte Damen und Herren,

wir wenden uns an Sie mit dem eindring­lichen Appell, ein sofor­tiges Moratorium für die Erdgas­pipeline Nord Stream 2 zu verhängen. Die Gründe für diesen Schritt sind vielfältig. Nord Stream 2

  • treibt einen Keil in den europäi­schen Zusam­menhalt und die trans­at­lan­ti­schen Beziehungen;
  • steht im Konflikt mit den neuen europäi­schen und deutschen Klimazielen;
  • gefährdet die ohnehin prekäre Sicherheit der Ukraine und
  • konter­ka­riert eine gemeinsame europäische Energie-Außenpolitik.

Nord Stream 2 war von Anfang an ein umstrit­tenes Vorhaben. Die Verträge wurden kurz nach der Annexion der Krim und der russi­schen Inter­vention in der Ostukraine unterzeichnet.

Der unerklärte Krieg gegen die Ukraine geht weiter. Gleich­zeitig werden die Repres­salien gegen die russische Zivil­ge­sell­schaft immer drückender. Dazu kommt eine ganze Serie von Übergriffen gegen die liberalen Demokratien des Westens. Die Hoffnung auf „Wandel durch Handel“ hat sich nicht erfüllt.

Auch klima­po­li­tisch ist Nord Stream 2 aus der Zeit gefallen. Es handelt sich um das größte fossile Infra­struk­tur­projekt in Europa, das den Import von Erdgas aus den arkti­schen Regionen Russlands auf Jahrzehnte festschreiben soll. Dabei muss der Erdgas-Verbrauch bereits in diesem Jahrzehnt sinken, wenn die EU ihre Klima­ziele erreichen will.

Für die Energie­si­cherheit Deutsch­lands und der EU ist Nord Stream 2 nicht erfor­derlich. Dafür reichen die vorhan­denen konti­nen­talen Pipeline-Kapazi­täten aus. Die Pipeline ist primär ein geopo­li­ti­sches Projekt, das die Ukraine und Polen aus dem Gastransit ausschalten soll. Dem sollte die Bundes­re­gierung nicht die Hand reichen.

Auch wider­spricht Nord Stream dem erklärten Ziel der EU, die europäische Gasver­sorgung zu diver­si­fi­zieren und monopo­lis­tische Struk­turen aufzubrechen.

Das Projekt schürt Misstrauen und Zwietracht in der Europäi­schen Gemein­schaft in einer Zeit, in der die gemeinsame Handlungs­fä­higkeit dringend gefragt ist. Nicht zuletzt steht Nord Stream 2 dem überfäl­ligen Neustart der trans­at­lan­ti­schen Bezie­hungen im Weg.

Wir rufen deshalb die Bundes­re­gierung auf, umgehend ein Moratorium für Nord Stream 2 zu verhängen, um Raum für einen ernst­haften politi­schen Dialog zu schaffen. Anschließend sollten auch die ameri­ka­ni­schen Sanktionen ausge­setzt werden.

Konkret sollte ein Moratorium genutzt werden, um

  • die strate­gi­schen Impli­ka­tionen von Nord Stream 2 – insbe­sondere für die Sicherheit der Ukraine und der östlichen Mitglied­staaten der EU – zu klären;
  • eine gründ­liche Ökobilanz vorzu­nehmen und die Klima­wir­kungen des Projekts von unabhän­giger Seite prüfen zu lassen;
  • eine gemeinsame europäische Energie- und Gaspo­litik voranzutreiben;
  • die trans­at­lan­ti­schen Diffe­renzen über Nord Stream 2 auszu­räumen sowie
  • zentrale Konflikt­fragen zwischen der EU und dem Kreml zu erörtern und Nord Stream 2 in diesem Licht neu zu bewerten.

Ein Moratorium für Nord Stream 2 öffnet einen Ausweg aus einer verfah­renen politi­schen Lage. Es bietet die Chance, zu einer gemein­samen europäi­schen Position zu finden. Nicht zuletzt wäre ein Moratorium ein klares Signal gegenüber der russi­schen Führung, dass sie mit Konse­quenzen für ihre fortge­setzten Verstöße gegen inter­na­tio­nales Recht und europäische Grund­regeln rechnen muss.

Wir bitten Sie, diese Chance nicht verstreichen zu lassen.

Unter­zeich­ne­rinnen und Unterzeichner

Laima Liucija Andri­kienė, Member of Parliament, Lithuania

Juri Andrucho­wytsch, Writer, Ukraine

Natalia Arno, Free Russia Foundation, USA

Timothy Garton Ash, Professor at the University of Oxford, United Kingdom

Anders Åslund, Atlantic Council, Sweden

Audronius Ažubalis, Member of Parliament, Lithuania

Rainer Baake, Climate Neutrality Foundation, Germany

Rudi Bachmann, University of Notre Dame, Germany

Margarita M. Balmaceda, Professor at the Seton Hall University, USA

Marie­luise Beck, Zentrum Liberale Moderne, Germany

James D. Bindenagel, Former U.S. Ambassador to Germany, USA

Marianne Birthler, Former Federal Commis­sioner for the Stasi Records, Germany

Jerzy Buzek, Former Prime Minister, Member of the European Parliament, Poland

Emily Channell-Justice, Harvard University, USA

Sławomir Dębski, The Polish Institute of Inter­na­tional Affairs (PISM), Poland

Larry Diamond, Stanford University, USA

Peter B. Doran, Former President of the Center for European Policy Analysis, USA

Bas Eickhout, Member of the European Parliament, Netherlands

Michael Emerson, Centre for European Policy Studies; Former EU Ambassador to Russia, Belgium

Mateusz Fałkowski, Pilecki Institute, Poland

Pavel Fischer, Senator, Czech Republic

Roland Freuden­stein, Wilfried Martens Centre for European Studies, Germany

Ralf Fücks, Zentrum Liberale Moderne, Germany

Francis Fukuyama, Professor at the Stanford University, USA

Anthony Giddens, King’s College Cambridge, United Kingdom

Sven Giegold, Member of the European Parliament, Germany

Hanna Gill-Piątek, Member of Parliament, Poland

Paul Grod, Ukrainian World Congress, Canada

Rebecca Harms, Former Member of the European Parliament, Germany

Pavel Havlicek, Association for Inter­na­tional Affairs, Czech Republic

Paulina Hennig-Kloska, Member of Parliament, Poland

John Herbst, Atlantic Council; former U.S. Ambassador to Ukraine, USA

Ben Hodges, Former Commanding General U.S. Army Europe, USA

Toomas Hendrik Ilves, Former President, Estonia

Jakub Janda, European Values Center for Security Policy, Czech Republic

Laurynas Kasčiūnas, Member of Parliament, Lithuania

Jonathan Katz, German Marshall Fund, USA

James Kirchick, Brookings Insti­tution, USA

Jakub Klepal, Forum 2000, Czech Republic

Pavlo Klimkin, Former Minister of Foreign Affairs, Ukraine

Petr Kolář, Former ambassador of the Czech Republic to the USA and Russia, Czech Republic

John Kornblum, Former U.S. Ambassador to Germany, USA

Marcin Korolec, Former Minister of Environment, President of COP19, Poland

Ilko-Sascha Kowalczuk, Historian, Germany

Zdzisław Krasno­dębski, Member of the European Parliament, Poland

Peter Kreko, Political Capital Institute, Hungary

Sergey Lagodinsky, Member of the European Parliament, Germany

Sabine Leutheusser-Schnar­ren­berger, Friedrich Naumann Foundation; Former Federal Minister of Justice, Germany

Miriam Lexmann, Member of the European Parliament, Slovakia

John Lough, Chatham House, United Kingdom

Edward Lucas, Center for European Policy Analysis, United Kingdom

Arminas Lydeka, Member of Parliament, Lithuania

Michael McFaul, FSI Institute for Inter­na­tional Studies; Former U.S. Ambassador to Russia, USA

Markus Meckel, Former Foreign Minister of the GDR, Germany

James D. Melville Jr., Former U.S. Ambassador to Estonia, USA

Marie Mendras, Sciences Po, France

Vladimir Milov, Former Deputy Minister of Energy, Russian Federation

Radvilė Morkū­naitė-Mikulė­nienė, Member of Parliament, Lithuania

Sascha Müller-Kraenner, Deutsche Umwelt­hilfe (DUH), Germany

Jutta Paulus, Member of the European Parliament, Germany

Žygimantas Pavilionis, Member of Parliament, Lithuania

Tomasz Peszyński, Pulse of Europe, Czech Republic

Steven Pifer, Former Deputy Assistant Secretary and U.S. Ambassador to Ukraine, USA

Ruprecht Polenz, German Association for East European Studies (DGO), Former Member of Parliament, Germany

Jana Puglierin, European Council on Foreign Relations, Germany

Janusz Reiter, Former Ambassador of the Republic of Poland to Germany and the USA, Poland

Adam Daniel Rotfeld, Former Foreign Minister, Poland

Manfred Sapper, Journal „Osteuropa“ (Eastern Europe), Germany

András Simonyi, Former Hungarian Ambassador to the USA, Hungary

Karl Schlögel, Eastern European historian and publicist, Germany

Benjamin L. Schmitt, Harvard University, USA

Constanze Stelzen­müller, The Brookings Insti­tution, Germany

Mirosław Suchoń, Member of Parliament, Poland

Paul J. Sullivan, Johns Hopkins University, USA

Giedrius Surplys, Member of Parliament, Lithuania

Oleksandr Sushko, Inter­na­tional Renais­sance Foundation, Ukraine

Nicolas Tenzer, CERAP – France; Guest professor at the Sciences Po, France

Ellen Ueber­schär, Heinrich Böll Foundation, Germany

Andreas Umland, Ukrainian Institute for the Future (Kyiv), Germany

Tom van der Lee, Member of Parliament, Netherlands

Kurt-Christoph von Knobels­dorff, Berlin, Germany

Alexander Vershbow, Former Deputy Secretary General of NATO; Former U.S. Ambassador to Russia, USA

Vaira Vīķe-Freiberga, Former President, Latvia

Kenneth R. Weinstein, Hudson Institute, USA

Heinrich August Winkler, Historian, Humboldt University of Berlin, Germany

Marie L. Yovano­vitch, Former U.S. Ambassador to Ukraine, USA

Jan Zielonka, Professor at the University of Oxford and Ca‘ Foscari University of Venice, Netherlands

Emanuelis Zingeris, Member of Parliament, Lithuania


Auf der Webseite des Appells ist der Text auch auf Englisch zu finden: http://moratorium-for-ns2.org/


Freiga­be­vermerk: Dieser Text darf zu Presse­zwecken unter Angabe des Autors „Zentrum Liberale Moderne“ frei verwendet werden.

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